BLACK EARTH
Christoph Clöser: Sax / Morten Gass: E-Piano / Robin Rodenberg: Kontrabass / Torsten Benning: Brush’n Jazzdrum
Spieldauer: 71:01:67
Wonder / EFA
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Der Horror kommt aus Mühlheim / Ruhr – man hätte es ahnen können. Schwarzes Cover mit Düster-Totenschädel und folgender Titelliste: „Midnight Black Earth“, „Crimson Ways“, „Maximum Black“, „Vigilante Crusade“, „Destroying Angels“, „Grave Wisdom“, „Constant Fear“, „Skeletal Remains“ und schliesslich und endlich „The Art Of Coffins“. Natürlich gibt es hier keinen Todesmetall, sondern den atmosphärisch vorstellbarsten Doom-Jazz der Jetztzeit, samtweich und hinterhältig. Bohren fingen einst an, ihre Vorlieben für Filme aus dem Sleaze-, Splatter- und Suspensebereich ambitioniert und ohne grosse Prätention zu vertonen. Fans, am Boden geblieben, daher zu Höhenflügen fähig. So kam zuerst 1994 „Gore Motel“ heraus, wo schon im „Texas Keller“ (wahrscheinlich mit präparierter Kettensäge) musiziert oder die „Fulci Nummer“ – eine Hommage an den italienischen Splatterpapst – durchgezogen wurde. Doch der launige Fangestus wurde schon damals ernsthaft umgesetzt: Prinzip Verlangsamung, schleppende, aber punktgenaue Phrasierung und eine Fähigkeit, Atmosphäre entstehen zu lassen, bei der man nur noch schweigend staunen und anerkennend nicken konnte. Das folgende 140minütige Meisterwerk „Midnight Radio“ dann brachte die Welt according to Bohren per Gitarre auf den Punkt: Tremolos, für die David Lynch eigentlich seine letzte seidene Unterhose hätte geben müssen, doch es blieb bei Nachtfahrten durch den Ruhrpott. Auf „Sunset Mission“ (Jazzthetik berichtete ausführlich) dann ein erneuter Schritt: das Saxophon dominierte anstatt der Gitarre, der Gesamtklang wurde einnehmender, lockte mit Oberflächenglanz, war jedoch reiner akustischer Treibsand. Auf „Black Earth“ nun wird der bohrensche Horrorjazz erneut perfektioniert. Mit plakativen Düsterklischees wird nurmehr gespielt, sie bilden einen Referenzrahmen, der das Konzept noch stärker auf den Punkt bringt. Das beste an dieser Platte ist, dass sie mit scheinbarer Leichtigkeit zeigt, wie mit (tödlich) ruhiger Zurückhaltung und Konzentration auf das Wesentliche Intensität und Schärfe erreicht werden kann. Das Ziel war, so Morten Gass, „eine leise Heavyness zu erreichen, die so sonst nur mit verzerrten Gitarren und viel Lärm zu erreichen ist.“ „Wirkliche“ Horrorfilmmusik hingegen ist und funktioniert oft anders, man vergleiche in etwa die Horror-Jazzrocker Goblin, die Dario Argento mit Vorliebe seine Streifen vertonen liess (als Vergleich: „Suspiria“, 1977). Bohren spielen hingegen mehr mit Klischees und Erwartungen des Genres, statt plakativer Verstörung und Hysterie gibt es einen Horrorbarjazz, der bisweilen an die heute zu Unrecht vergessenen Industrialjazzer „Me & The Heat“ (Vergleiche: „Old Cultures Dying“, 1983) erinnert, sich jedoch vergleichsweise noch mehr jenem reduziertem trügerischem Treibsandsound hingibt, der die Gruppe vor allem aussmacht und die Zuhörer nicht angeht oder belästigt, aber irgendwann einfach verschlungen hat. Viel, sehr viel spielt sich dabei vor allem in der Imagination ab. Wer mit dieser Musik im Ohr nachts noch einmal rausgeht, um Zigaretten oder einen Menschen zu holen, muss wirklich sehen, wo er hinkommt.
(Jazzthetik)