Saul Williams

AUFGEKLÄRTE ROMANTIK

Mittlerweile dürfte sich das rumgesprochen haben: bevor wir popkulturellen Ausstössen der kapitalistischen Kulturindustrie eine gegenpolitische Stosskraft unterjubeln wollen, sollten wir doch vielleicht nochmal ganz ruhig und abgekühlt bei aller möglichen Begeisterung für das behandelte Kulturprodukt den Lack desselben testweise ankratzen, die Hülle wie selbstverständlich hochheben und gegebenenfalls das Spott-Licht auf das Objekt unseres Interesses halten. Das tut dem Gutfinden und Fan-Sein-von-Produkt-X nämlich wirklich keinerlei Abbruch, sondern macht es via Verständnis und integrierter Analyse unter Umständen nurmehr sympathischer. Oder vielleicht nicht?

There is no use in praying dialectics, there are only necessities.

An einem normal zugegrautem Januartag ist Saul Williams in der Stadt Köln, um Interviews zu geben. Der aus der New Yorker Spoken-Word und Slampoetry-Szene stammende Wortartist hat sich seit seinen ersten fulminanten Auftritten ab 1995 zu einem regelrechtem gegenkulturellem Shootingstar gemausert: als landesweiter Vertreter des Nuyorican Poet Cafés, der Homebase seiner ersten Erfolge, erslammte er sich Achtung und grossen Respekt in einem Land, wo Slam-Poetry oft noch etwas anderes bedeutet als z.B. in Deutschland, wo zu oft abgehalfterte „Social-Beat“-Affen ihre lauwarmen Kalte-Bauern-Phantasien und die Panoramen ihrer everleergefressenen Kühlschränke unter das an Medienanästhasie und Kulturamnesie stehende amüsierwillige Slam-Fan-Volk werfen. Dagegen hat Slamkultur in den USA nicht selten eine für europäische Verhältnisse naiv wirkende, aber explizit politische Komponente, doch auch hier muss stets klar darauf hingewiesen werden, gerade im Mutterland der Unterhaltungsindustrie: It’s all part of entertainment. Williams machte nicht zuletzt durch den 1998 zu respektablen Ehren gekommenen Film „Slam“ auf sich aufmerksam. Die durch eine veritable und konsequent durchgezogene Lowbudgetästhetik präsentierte Geschichte eines jungen Strassenpoeten aus Washington DC – natürlich Williams selbst -, der wegen Drogendealerei eingebuchtet wird und im Knast einen dortigen Gangleader und eine logisch gutaussehende Literaturlehrerin kennenlernt, die dort eine „self-expression“-Klasse leitet, bestach bei teilweise leicht überzogener Dramatisierung und einem bisweilen anmutendem Verlust der Themafokussierung letztendlich vor allem durch eine nicht zu leugnende Authentizität und einen „impact“, der das Gefängnisleben inhaftierter Schwarzer zumindest ohne Peinlichkeiten und Pathos auf den Plan der alternativen Filmindustrie brachte. Die offiziellen Preisverleiher schienen darauf gewartet zu haben: das „andere Amerika“ meldete sich durch einen charakterstarken Personalitystar zu Wort, aus dem konnte man noch was machen. Preise gab es 1998 auf dem Sundance-Filmfestival und dann, ganz dicke, durch die goldene Kamera in Cannes. Es folgte der renommierte Perry Ellis Award für die Darstellung, und eine Teilnahme Sauls in der Tony Award-Doku „Underground Voices“, welche die Brooklyner-Slamszene ausleuchtet, danach die Paul Devlin-Doku mit dem weniger gelungenen Namen „SlamNation“, in der Saul und seine Slam-Mates die aktuelle Entwicklung der Szene darlegen und kommentieren, bis Williams schliesslich demnächst in der Produktion „One True Thing“ neben Meryl Streep und William Hurt auftreten wird, über die derzeit noch keine Infos vorliegen. Sein erster Gedichtband „The Seventh Octave“ ist soeben erschienen, und die Verhandlungen zu seinem zweiten Buch „She“ sind abgeschlossen. Und dann wäre da noch die Musik.

Saul Williams stand bereits u.a. mit den Fugees, The Last Poets, Erykah Badu, The Jungle Brothers oder The Roots auf der Bühne, performte bei Rock Against Racism, in diversen Museen und auf vielen Kunst / Polit-Festivals, und mischte sich als konsequent-begeisterter HipHopfan immer wieder in Szenen und Projekte des alternativen HipHops ein. Im „Slam“-Soundtrack micte er mit KRS-One, er war Gast in den wegweisenden HipHop-Redefinitionen der Rawkus-Lyricist Lounge, in Ninjas „Black Whole Styles“ oder der „Eargasm“-Compilation, eine 12″ mit Company Flows EL-P auf Grand Royal ist raus, der letztjährige Kollaborationstrack „Coded Language“ mit DJ Krust ist schon Legende und zudem für viele ein unübersehbares Zeichen für einen reflektierten und gleichsam integrierten Neuaufbruch in Sachen Drum & Bass und HipHop, und eine Beitrag für „Unbound“, das Benefizalbum für Mumia Abu Jamal, dessen politische Inhaftierung Williams seit langem immer wieder thematisiert, komplettiert die vorläufige Aktivitätenliste. Umtriebiger Mann, keine Frage. Die Freundschaft mit Mike Ladd passt da genauso ins Netzwerkmosaik wie die gelegentliche Zusammenarbeit mit dem Anti-Pop-Consortium, die abends zuvor in Köln live zu hören war: Williams performte eingangs solo eine Mischung aus Freestyles und den Lyrics seines aktuellen Albums, bevor das Consortium-Trio einen Auftritt zwischen Weltklasseformat und belanglosem Old-School-Beat-Getüddel auf die Bretter legte. Am nächsten Tag steht die relevante Presse Schlange. Williams erstes Soloalbum erscheint Ende Februar, produziert von Rick Rubin, diesem gewandtem LA-Tycoon zwischen Slayer, Beastie Boys, Public Enemy und Johnny Cash, natürlich auf dessen Imprint „american“, weltweit vertrieben und powered by Columbia / Sony. So sieht das aus: a political star is born. Die Platte erfreut ersteinmal durch komplexe Lyrics zum aktuellen Zustand von HipHop und schwarzem Bewusstsein. Ein Tenor der Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit durchzieht die Darstellung, Verluste werden eingeklagt, auf klassische Themen und Metaphern wird rekurriert, es werden Rekonstruktionen und alternative Denkweisen vorgeschlagen. Williams Vater war ein Prediger, seine Stimme ist auf dem Track „Our Father“ mit den Beats des Sohnes unterlegt. Es geht darum, was ein guter Vater ist, und dass es Zeit sei, dem weiblichen Prinzip im HipHop, dass so lange Zeit negiert bzw. unterdrückt wurde, endlich Raum zu geben. Es ist unangebracht, diese Predigerlinie zu vorschnell zu ziehen, doch eines gilt für Williams, der schon im Kindesalter Shakespeare verschlang, definitiv: am Anfang war das Wort. So überreiche ich ihm als Erkennungsgeste zu Beginn unseres Treffens eine Ausgabe von Miguel Pineros „La Bodega Sold Dreams“, und er ist beeindruckt: dieses Werk eines geschätzten Autors kennt er noch nicht. Zeit für ein Gespräch.

? Wie siehst Du die Situation eines politischen Bewusstseins einmal innerhalb der us-amerikanischen Slamszene und dann in der HipHopszene? Es erweckt den Eindruck, als wolltest Du politische Inhalt aus der Slamszene in einen eher entpolitisierten Kontext des zeitgenössischen HipHops bringen.

! Zuerst einmal: die Slamszene in den USA ist die diversifizierteste, mit der ich je zu tun hatte: schwarz, schwul, feministisch – es ist so viel. Es gibt also keine gemeinsame Politik darin. Sie ist aber grundsätzlich ein Ort, wo sich gesellschaftliche Dinge neudefinieren, neu bewerten, und mit neuer Zielsetzung neuerschaffen lassen. Verglichen mit der HipHopszene: Underground-HipHop ist ziemlich synonym mit diesen Punkten, wogegen kommerzieller HipHop eher synonym mit den Werten ist, die an der Wall-Street vertreten werden, und das heisst: mach alles alleine, jeder ist sich selbst der Nächste, und hol Dir soviel Geld wie möglich. Es sieht vielleicht so aus, als ob ich die Slamszene verlasse, aber ich war immer schon mit HipHop verbunden. Und mein Album ist kein purer HipHop, aber eine mögliche Redefinition davon.

? Wie gehst Du dabei grundsätzlich vor?

! Meine Politik ist in erster Linie spirituell. Darauf verweist bereits der Albumtitel „Amethyst Rock Star“. Schau, ich bin im Februar geboren, das ist mein Geburtsstein, der meine spirituelle Kapazität erhöht. Wir sind alle als „Sterne“ geboren und haben die exakten Elemente in uns, aus denen die Sterne bestehen. Wenn du mit diesen universellen inneren Dingen in Verbindung stehsts, glühst Du sprichwörtlich, das bringt Licht aus dir heraus. Wir sind alle Rock-Stars.

Damit wir uns hier richtig verstehen: Williams öffnet im Gespräch keineswegs ungebremst die Esoterikerschleusen, sondern versucht stets, über den Tellerrand eurozentristischer bzw. imperialistisch-instrumentalisierter „first-world-vernunft“ hinaus zu kommunizieren. Den Titel seiner Platte versteht er folgerichtig als komplett unironisch. Ich frage Williams, inwiefern ihm die Dialektik von Aufklärung und Entertainment bewusst ist.

! Ich würde nicht wild werden, wenn man mich als Unterhalter bezeichnen würde. Aber was heisst das Wort? Einige Leute werden durch die Lösung mathematischer Schlüsse unterhalten, andere, wenn sie in Sexshops gehen.

? Du bewegst dich aber im Feld der Unterhaltungsindustrie, in dem das Subgenre HipHop ebenfalls angeboten wird. Und die Frage ist, wenn sich jemand mit seiner Kunst in diesem Feld explizit politisch definiert und solchermassen auftritt, wie funktioniert das in einem Feld, das letztlich bestimmt wird durch die Regeln des kommerziellen Entertainments?

! Diese ganze Popkultur-Sache ist neu, sie existiert erst seit 50 Jahren: TV und die Medien: wir lernen immer noch über deren Auswirkungen. Daher ist es gerechtfertigt, die Popindustrie zu benutzen, um seine politischen Überzeugungen populär zu machen. Ich sehe den Erfolg von unpolitischen Kommerz-Stilen: HipHop ist vergiftet und sehr aus der Balance gekommen. Wenn aber unmeditative Musik populär werden kann, kann es aber vor allem auch eine auf Meditation gerichtete Musik (Williams verwendet den Begriff in einem spirituellem Sinn für „frei reflexiv und de-konzentriert“, etwa vergleichbar mit dem John Coltranes).

? Würdest du zustimmen, dass ein politisches System wie der aktuelle Hyperkapitalismus „radikale“ und „reine“ kulturelle Ausdrucksweisen geradezu braucht, um seine eigene „Toleranz“ demgegenüber zu demonstrieren und jede Kritikform letztlich zu absorbieren?

! (Zum ersten Mal verblüfft) Ja. (Pause). Das tut es. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht. (Pause) Definitiv. Pop ist so „dancy“ und zum Allgemeinplatz geworden, dass die Politiker gar nicht mehr über Pop nachdenken. So dass jemand wie ich relativ unbemerkt auf dieses Feld gehen kann – und das ist gut.

? In deinen Lyrics kann ich einige Markierungen beobachten, welche die zur Gewohnheit gewordenen Mechanisierungen von sub- und gegenkulturellen Moden schon im Ansatz dekonstruieren und die Imagestrategien der Popkulturindustrie anreissen – und das ist gut. So wie in „Penny for a thought“, deiner Replik auf den aktuellen Zustand von HipHop, wenn du sagtst: „and they’re paying me to record this, even more if you hear it.“

! (Lacht laut auf) Das habe ich schon wieder vergessen. Ja. Ich liebe diese Zeile.“

Was aber ist mit den traditionellen Formen symbolischer Überschreitungen innerhalb der schwarzen Minderheitenkultur? Albert Aylers „consequent neglection“ (black revolt) oder Sun Ra’s Afrofuturismus waren Beispiele von einst notwendigen quasi-elitistischen abgrenzenden Bewegungen, um der Community neue Kanäle zu zeigen, den Feinden die Tür zu versperren und die Alien-Nation zu deklamieren. Sieht Williams eine mögliche zeitgenösische adäquate Transformation dieser Konzepte? Seine Antwort ist diplomatisch, aber bestimmt: er denke nicht mehr in den Begriffen einer schwarzen Musik, es gehe um Öffnung – das Feld hat sich ausgeweitet. Im Bezug zu derzeit erfolgreichen HipHop-Phänomenen ist er sehr tolerant: „Ich denke es gibt einen Ort und eine Zeit für alles“, glättet er salomonisch jegliche Wellen. Dr. Dre, Eminem – alles Fun, lass sie ruhig machen. Ja, unser Saulus ist ruhig und gefasst, so richtig zornig will er nicht werden, seine Position oszilliert zwischen klarsichtigem Differenzdenkem und aufgeklärtem spirituellem Universalismus. Tief in die Materie hineingehen, denn irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht. Eine aufgeklärte romantische Konzeption, und warum auch nicht. Und wer jetzt Pre-Set-artig weltabgewandte Esoterik klingeln hört, geht zurück an den Anfang.

(Intro)

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