Intermedium 2. ZKM, Karlsruhe.

MARATHON DER MEDIENKUNST

Nackte buntbemalte biertrinkende und rauchende Menschen an Laptops? Digitale-Lebensstil-Supernerds im autistischen Dateien- und Ethernetrausch, der sich gleichsam hip-elitistisch wie politisch denkt? Pop-Hörspiele oder Hörspiel-Pop, und Identitäts-Suchspiele, bis der Arzt kommt? Die „Intermedium 2“ als ambitioniertes öffentliches Labor für die Gestalt der Dinge, die kommen werden.

Das im November 1999 zum erstenmal in der Berliner Akademie der Künste veranstaltete Medienkunstfestival „Intermedium 1“, von seinem Organisator Herbert Kapfer, Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst beim Bayerischen Rundfunk, damals als digitaler „Wanderzirkus“ und Kombination einer Veranstaltungs- und Sendereihe, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern an wechselnden Orten konzipiert werden sollte, ins Leben gerufen, kam am Wochenende des 22. bis 24. März im Zentrum für Kunst und Medientechnologie / ZKM in Karlsruhe auf dem Boden an. Ersetzt man den inflationären Begriff „multimedial“ durch „intermedial“ wird der Sachverhalt etwas deutlicher, jedoch bezeichnet „intermedial“ – 1969 gab es in Heidelberg übrigens bereits ein von Klaus Staeck initiiertes „Intermedia 1“-Festival – heutzutage einen klareren Begriff von aktiver Vernetzung und Interbezugnahme verschiedenster aktueller Medien. Das Programm der „Intermedium2“ war dichtgedrängt: innerhalb von drei Tagen bot sich den Besuchern das von Kapfer und seinem Team und ZKM-Leiter Peter Weibel kuratierte Festival in 24 Veranstaltungen und Projekten an und bildete ein durchaus intendiertes disparates Medienkunstpanorama an, das laut Kapfer zeigen sollte, was derzeit an aktuellen Diskursen und künstlerischen Prozessen vorhanden ist. Hinzu kam die von Sabine Himmelreich kuratierte Projektausstellung „multiple choices“, die 18 Medienkunstinstallationen präsentierte (als ein herausragendes Projekt sei auf die „Volksliedmaschine“ von Augst/Korn verwiesen, unter www.hr2.de/volksliedmaschine in Auszügen einseh- und hörbar) und schliesslich die parallel und auch in der Anschlusswoche stattgefundenen Radioübertragungen sowie die teilweise Verfügbarmachung der Installationen im Internet. Das alles unter dem Oberthema „X oder 0: Identitäten im 21. Jahrhundert“, das als offene Klammer für die gesamte Veranstaltung, die den noch undefinierten Status der Medienkunst, welche laut Kapfer „noch nicht kanonisiert, aber auch nicht mehr rein avantgardistisch“ sei, begriffen wurde.

Drei Stuhlreihen im ZKM-Foyer für die freitagabendliche Auftaktsveranstaltung – sollte das etwa ein bewusstes Tiefstapeln für die erweiterte Intermedium gewesen sein, es alles etwas kleiner und intimer, gar im Sinne eines Spezialistenkongresses zu halten? Das Auftaktstück führte das reflektierte Understatement fort: die norwegische Dramaturgin Tone Avenstroup und der Berliner Robert Lippok (u.a. torococo rot) erzeugten mit der Live-Präsentation ihres Hörstücks „marbel & matrikel“ einen epischer Fluss, bewusst ohne dramatische Höhepunkte gehalten, der viel für die Imagination tat, jedoch wenig performativen Charakter hatte. Fast alles, auch die meisten Stimmen, kam aus dem Laptop. Die Hauptfiguren, denen nach einer fehlgeschlagenen Operation Erinnerung, Ortssinn und Zeitempfunden verlust gegangen ist, bewegten sich auf der Suche nach der verlorenen Identität durch assoziativ-abstrakte Erzählebenen, die durch den Gestus einer abgekühlten Neoromantik geprägt waren – sehr intensiv, aber auch einer klassischen Hörspielerzähltradition verpflichtet, nur halt mit zeitgemässem Klangbild arbeitend. Anders dagegen das Hörstück „Glühkäferkomplott“ von Stefan Kaegi: ein perfekt inszeniertes und dramaturgiertes Action-Hörstück, welches das Publikum im Saal und sicher auch vor den Radios bestens unterhielt und seine Live-Inszenierung komplett rechtfertigte. Doch auch dieses Stück atmete im strengen Sinne den Geist des klassischen Hörspiels: ganz nach Urgrossvater Welles wurden Live-Effekte wie Luftballons, Werkzeuge, Alltagsgeräuschmaschinchen, aber auch Licht, Dampf und Nebel eingesetzt – ein vitales Spiel, das sich jedoch nicht im blossen Spektakel erschöpfte. Das Thema erforschte mit gedrosselter Ironie die subversiven Möglichkeiten des Kampfes gegen die Werbeindustrie: Hausbockkäfer zernagen – übrigens auch live – Kate Moss‘ Gesicht, Plakatwände zerfallen in zwei Stunden zu Holzmehl – so rettete man sich angesichts der Ohnmacht gegenüber der Global-Brands in fantasievolle anarchische Guerrillaträume. Es wurde voll, ziemlich voll sogar: der erste Diskurs lockte zurück ins Foyer. Unter dem Titel „Strategien der Auflösung“ bot ein von Peter Kemper moderiertes Gespräch zwischen dem Literaturwissenschaftler Raimar Zons und dem notorischen Norbert Bolz einen eher entäuschenden diskursiven Auftakt. Der Männerrunde mangelte es für einen weiterführenden Diskurs an widersprüchlichem Bewusstsein, und so ergab sich höchstens, auch bedingt durch die fest abgezirkelte Zeit von 45 Minuten, ein oberflächliches Panorama zum Thema „Identitäten“. Sadie Plant, Baudrillard, Houellebecq, Laurie Anderson und Richard Sennet brachten dann, gelungener Einfall, bei Bedarf per Videomonitor ihre Statements zum Thema ein. Am Ende war der stets hastig und verständnisvoll nickende Kemper froh, alle wesentlichen Komplexe abgehakt zu haben, doch ein zwiespältiges Gefühl blieb: einerseits wurden in kürzester Zeit Stränge des Identitätsdiskurses für Aussenstehende kompakt angerissen, ohne abzunerven oder zu langweilen, andererseits störte gerade die „Trab-Trab“-Handhabung dieses unendlich komplexeren Diskurses, der in dieser Form wichtige Ansätze, zB. die Veränderung der Identität durch Arbeit und Ökonomie, zu stark verkürzte. Zudem gab es keine wirkliche Diskussion, da es auch kein Pro und Contra gab. Die grossangelegte Performance des japanischen Multimediakomponisten Atau Tanaka machte dann einen anderen Punkt deutlich: „Frankensteins Netzt“ generierte ein immerhungriges Datenmonster, das mit Dateien aller Art gefüttert wurde, wofür man die Wissenschaftsnetze von Baden-Württemberg, Deutschland, Kanada und Japan zusammengeschlossen hatte. Allein wofür? Auf der überdimensionalen Leinwand sah man auf zähen, sich kaum bewegenden Webcam-Standbilder den kanadischen Stimmperformer Zack Settel und aus Japan eine Sängerin mit dem Laptop-Noiser ID herumsitzen. Davor hatte sich Tanaka live mit seinem Setup aufgebaut und produzierte einen recht konventionellen elektroakustischen Semi-Noise-Liveact mit Sirenen, Warntönen und diversen Klang-Layern, während zwei Grafik-Gehilfen derweil das interkommunikativ erstellte Monster auf der Leinwand hochzüchteten. Der bewusst unkontrollierte Dateien-Mix wuchs und veränderte sich sehr schnell und kulminierte im chaotischen Prozess. Was da lauter und hektischer wurde, liesse sich logisch auch in „normaler“ analoger Konzertsituation mixen – würde man den Hintergrund des Konzeptes nicht kennen, wäre die Intermedialität einfach nicht erkennbar. Schliesslich wurde alles ruhiger und meditativer, das Biest war durch den Künstler gezähmt – als Metapher für die Verantwortung gegenüber der Datenmenge im Web wie auch als bewusstes Hörstück war die 50minütige Performance akzeptabel, aber nur mit dem dazugehörigen Wissen und Konzept advanced, ansonsten eher enttäuschend und mit viel heisser Luft versehen, die unbedingt herausgelassen werden musste.

Auch die soziale Installation der Gruppe 91v.2.0. „a sophisticated soireé“ wirkte vom Konzept her zuerst wie interaktive Folklore, aber in der Praxis, wie so oft, sehr wirkungsvoll: die Gründer des Wiener Elektronikfestivals „Phonotaktik“ verteilten an allen drei Festivaltagen an maximal je 60 Leute kleine Geräte, die Herztöne durch bunte Glühlampen sichtbar machten. Angezeigt wurde dann in einer bewusst als entspannenden Ruhepol konzipierten Bar ähnliche und gar gleiche Herzrythmen der Besucher, die auf eine Leinwand übertragen wurden, nach deren „Spontanpartitur“ dann Live-Musiker gediegen improvisierten – inmitten des hektischen Programms ein nicht zu unterschätzender Chill-Out-Faktor, dessen Kommunikationseffekt sich in realiter jedoch eher marginal auswirkte.

Im Foyer dann legte Kalle Laar, Musiker, Komponist und Leiter sowie DJ des „Temporären Klangmuseums“, ab 1 Uhr unter dem Titel „me myself and I“ eine persönliche Biografie auf. Ein durchdachtes wie bewegendes Soundmuseum für Identitäten: Glenn Brancas „devils choir at the gates of heaven“ erklang da zB., aber getanzt hat niemand, gesungen auch nicht, und es blieb auch sonst eher leer. Unspektakulär und relativ intim, aber mit versonnener und hoher Qualität, wie der Abend begonnen hatte, endete er auch.

Am zweiten Tag dann war Medien-Marathon angesagt: von 14 Uhr bis tief in die Nacht reichte das Programm, das ZKM wurde zum medialen Time-Tunnel, und man musste sich vergewissern, dass der Kopf danach nicht zum Monitor mutiert war. Entspannungsinseln gab es wenige, vielleicht zu wenige, dafür aber einige klare Highlights. Eröffnet wurde mit drei sehr gut besuchten Veranstaltungen im Medientheater, wobei der Diskurs „Pop – Leben ohne Identität“ den Anfang setzte. Man durfte gespannt sein, denn die Art, wie 2002 über das dirty three-letter-word geredet wird, ist allemal ein guter Tester für die Qualität eines Festivals, das ums Mediale kreist. Moderiert von Journalist Thomas Palzer verständigten sich die Journalisten Karl Bruckmaier und Mercedes Bunz und der Schriftsteller und Rechtsanwalt Georg M. Oswald über Pop, dessen Begriffshysterisierung, so Palzer, auch möglicherweise auf sein mögliches nahes Ende hindeute. Ausgehend von Popprotagonisten der 1. und 2. Ordnung – in etwa Madonna auf der einen und Produzenten, die eine Autor- und Verfasserschaft verweigern, auf der anderen Seite – gebe Pop laut Bruckmaier im Gegensatz zu früheren „eindeutigen Modellen“ heute viel.mehr die Möglichkeit zum freien Spiel mit Identitäten. Bunz ergänzte, Pop führe zudem heute weg vom Spezialistentum, so dass sich auch Agenturarbeiter und Designstudenten einklinken könnten. Oswald hingegen bezeichnete Pop als Begleitmusik zur Globalisierung, der durch ihren zunehmenden kommerziellen Einsatz selbst der einst undergroundigsten Formate auch noch der letzte Charme verloren ginge. Er bekannte sich zu Spezialistentum und kleinem Kreis, doch die derzeitigen Prozesse verdürben ihm den Spass an der Sache. Bruckmaiers Behauptung, Pop habe sich ja immer schon durch einen ausgeprägten Warencharakter ausgezeichnet, was jedoch keine negative Analyse, sondern vielmehr als grosse Chance zu verstehen sei, ergänzte Oswald mit der süffisant-zerknirschten Analyse, nur unser linkes 70er Jahre-Selbstverständnis verband Pop einst mit subversiven Fantasien und verkannte den typisch US-amerikanischen Verbund von Kommerz und Entertainment. Bunz hingegen versuchte, den Begriff wieder zur Zielgruppe zu öffnen: sie möge es nicht, wenn Leute so tun, „als ob Werbung I-Bäh und was schlechtes wäre“ und behauptete, Popmusik sei nie hegemonial gewesen wie zB. Klassik, die zum Schocken einfach nicht geeignet sei. Jedoch müsse Popmusik heute nicht mehr durchgesetzt werden, sondern werde einem vielmehr vorgesetzt. Eine marginale Detailfrage über die sekundengenaue Länge eines Elvis-Stückes zwischen den beiden Herren bezeichnete sie als „typisch 80er Jahre Jungs-Ding“, wohingegen sie mehr die Label-Infrastruktur und die politischen Zusammenhänge der elektronischen Musik interessiere – wohlwissend ignorierte sie dabei allerdings den Fakt, dass sich in der sogenannten elektronischen Musikszene die wahrhaft allergrössten Nerds einfinden, die die Popmusik überhaupt je zu bieten hatte. Der direkt anschliessende „Diskurs“ von Dietmar Dath und Jan Werner belegte dies unfreiwillig kongenial, zeigte aber auch exemplarisch, dass es völlig anders zugehen kann, wenn über Pop und Identität verhandelt wird. Ihr knapp einstündiger Performance-Dialog „Das An/Aus-Versprechen“ bot Pop-Intellektuellen-Kabarett auf höchstem Niveau. Zwar hatte Werner ganz pflichtgemäss als Musikkünstler die von der „Mouse on Mars“-Website bekannte interaktive Soundgrafik auf die Riesenleinwand projeziert, liess die Töne jedoch gleich in der virtuellen Ecke liegen und präsentierte sich mit Dath als das Komiker-Duo, das man erwartet hatte. Wem Dauer-Gag-Terror auf den Geist geht, hatte hier schlechte Karten, denn der Ironie-Overkill der beiden machte vor nichts, auch dem eigenen Pop-Nerdtum nicht halt („wie war das mit dem Master P-Video, über das wir gestern zwei Stunden geredet hatten?“) und zerstörte präventiv jegliche ernsthafte Annäherungen zum Thema. Als thronte Helge Schneider segnend über ihnen, enttäuschte man aufs Vorhersehbarste etwaige Versprechungen und Erwartungen zum Thema Pop. Die Versprechungen der elektronischen Musik zB., so Werner, würden jedoch nicht aus dieser selbst entstehen, sondern aus gesellschaftlichen Komponenten, die alle halbe Jahre neue skills und qualities verlangen würden – und dem hinke man eh immer auf tragikomische Weise hinterher, also versuchte man erst gar keine seriösen Diskurse, sondern warf launig Anekdoten und Bonmots wie Karnevalskamelle unters lachend-genervte Publikum. Ob Rod Stewart, David Bowie oder Mick Jagger hintereinander ihre Plattenverträge verlieren, ob Whitney Houston in Danzig die Polen mit „Hello Russia“ begrüsst oder Kiss die Dortmunder in deren Westfalenhalle mit „Hello Schweinfurt“ – das Identitätenthema fand auf absurde Weise auch in diesen Kalauerdiskurs Einzug. Dabei entstanden hochinteressante Thesen wie „Die Musikkritik ersetzt in der elektronischen Musik den Sänger, den Bono“ (Werner) oder „Right Said Fred sind für’n Arsch, aber die Idee, dass RSF toll sind, ist grossartig“ (Dath). Was heisst RSF auf arabisch? Was heisst Farbiger auf japanisch? Der Tod ist ein Falbigel aus Deutschland, so schleifte man das Politische noch schnell ein, und die Kittler-Jugend legte als Hausaufgabe in Köln letztens eine nackte Leiche auf die Strasse und niemand kümmerte sich drum, so kam noch das Mediale, und mit dem Auftauen von Orwell aus dem Eis schaffte man sogar noch die Kurve zum Hörspiel – spontan abgesprochenes Zielgruppenkabarett mit der Eigenlizenz zur totalen Belanglosigkeit – so nahm das Duo sich selbst jegliche Flaute aus den Segeln und führte die Absurdität des seriösen Diskurses performativ vor.

Direkt danach boten Klaus Theweleit und Thomas Meinecke eine Sternstunde der Musikpräsentation, die sich nah und tief im Material bewegte: man spielte sich und dem Publikum eine Stunde lang nichts anderes als Sun Ra-Platten vor und bot derart viele Aspekte und Facetten seiner musikalischen Identitätspolitik inmitten der Begriffe von African Diaspora und Alien-Nation an, dass jedes Stück mit Spannung erwartet und erhört wurde. Während Theweleit anhand des „Omnivore“-Buches die Covergeschichte zeigte, präsentierte Meinecke auch den von ihm gerne gespielten „fragwürdigen“ Sun Ra, zB. anhand des 1978er Monsterstücks „Disco 3000″ mit ganz früher Rythmusmaschine, oder auch die letzte 12“ des Saturn-Geborenen, in der das Arkestra euphorisch-sarkastisch „If they drop the atom bomb, you can kiss your ass goodbye!“ skandiert – sachlich, punktgenau und mit schwungvoller Klasse präsentiert, hatte dieses Duett zwar etwas mit Identität, aber nichts, und auch gar nichts mit Intermedialität zu tun – es war einfach nur im klassischen Sinne grossartig. Die gross angekündigte kollaborative Installation und intermediale Performance „…devolve into“ von Peter Courtemanche et al enttäuschte hingegen: ohne Subtexte war der als modellhafter Kontext einer kritisch-analytischen Auseinandersetzung gedachte Akt, der im Januar 2002 online ging und sich seitdem als potentiell endlose Installation bewegte, nicht verständlich. Der Wunsch nach Intermedialität schuf hier quasi-formalistische Codes, die ein kontexterweiterndes Konzept im Material vermissen liess: die Bilder wirkten beliebig und schlimmstenfalls, obwohl als Kollektivprojekt konzipiert, privatistisch collagiert. Dazu ein minimal-digitaler Ambient-Droning-Sound, der wenig zur Spannung oder Aufklärung beitrug.

Im Foyer folgte eine weitere Podiumsdiskussion, die unter dem Titel „Mixed Identities“ vornehmlich Autoren zusammenbrachte: die Schriftsteller Raoul Schrott und Kathrin Röggla, PEN-Zentrum Präsident Said, ZKM-Chef Weibel und Moderator Christoph Lindenmeyer vom BR erörterten die Frage nach aktuellen Verschiebungen von politischen und kulturellen Identitäten unter der Beteiligung der Medien, wobei die Themenfindungen bei aller angenehm kühlenden Sachlichkeit auch bisweilen äusserst disparat auseinanderliefen. Die interaktive Performance „Staubmarsch“ von Ottmar Hörl, Rainer Römer und Dietmar Wiesner, die sowohl als Bühnenakteure als auch musikalisch in Erscheinung traten, vermittelte anschliessend im Gegensatz zu einigen unklar erscheinenden intermedialen Konzepten von Beginn an eine sinnlichere wie deutlichere Annäherung an ihr Thema – Staub als Abfallprodukt, und dessen Eliminierung. Zuerst im Stile eines Dokumentarfilms daherkommend, verlor sich das Thema jedoch alsbald in zuviel gewollter Künstlichkeit: vom (faszinierenden) Hausstaub liess man ganz ab, konzentrierte sich stattdessen auf Industriestaub und zeigte auf vier grossen Leinwänden, um die sich massiv Publikum scharte, wie Flüsse ihr Wasser als Staubvernichter ins Meer fliessen liessen. Dazu wurde zugegebenermassen ansprechend und spannungsvoll mit diversen Instrumentarien improvisiert, aber auch hier blieb die Umsetzung, die tags darauf einen der drei Intermediums-Preise gewinnen sollte, letztlich zu schwerfällig und amorph. Das Hörspiel-Kollektiv „test bed“ führte dann ungleich spannungsvoller das Stück „Elektronisches Träumen“ auf, in dem es um Träume ging, die durch den häufigen Umgang mit digitalen Medien entstehen. Ein DJ legte zum mit verteilten Stimmen gelesenen Textkorpus des Fünfers Pop und Experimental auf, cuttete exakt, und die eigens zum Spiel generierte Website www.elektrotraum.de wurde gleichfalls live operiert – ein spannender Reflex auf die Psychologie zeitgenössicher Medienstrukturen. Komplett daneben ging jedoch die Performance „a terrible journey“ im Foyer: obwohl sich Story und Konzept interessant lasen – ein Super8-Maniac filmt alles und jeden und bricht mit unbekanntem Ziel auf, kommt allerdings über eine bestimmte belgische Autobahnrasttätte nicht hinaus -, erinnerte die Aufführung der Gruppe an bekifftes Laientheater. Mangelnde Sicht, Fetzenchaos – die Gruppe trat als lebende Projektionsflächen auf – und vor allem katastrophaler Ton verhinderten eine Rezeption dieser im klassisch Sine „old-school“-intermedialen Performance, die ihre analoge Kraft hätte besser entfalten können. Ungleich cooler und konzentrierter dagegen die Uraufführung des Hörstücks „Konvent“ mit Musik von David Moufang, Text von Thomas Meinecke und grafischer Umsetzung von Michaela Melián. Als textliches Ausgangsmaterial dienten Protokolle eines Schriftstellertreffens aus dem Jahr 1964 im Literarischen Coloquium Berlin, wo sich eine neuere Autorengeneration mit der gesetzteren Älteren auseinandersetzte. Erstaunlich, wie sehr ästhetische Diskussionen von 1964 sich regelrecht als funky Refrains verwenden lassen, oder via Vocoder-Synthetisierung einen Meinecke-typischen diskursiven Flow generieren können. Moufangs Technotexturen blieben dabei in ihrer Sprache seltsam konventionell, erfüllten aber mit ihrem Beatfluss einen hochqualitativen Zweck – und besser als der normativ-typische Noise-Vernissagen-Kram war es allemal. Aber auch dieser Beat-Effekt nutzt sich schnell ab, folgerichtig fadete man nach knapp 30 Minuten zum richtigen Zeitpunkt aus, denn der Text-und Beat-Diskurs kann logisch endlos weitergehen. Nicht Jazz und Lyrik, sondern Text und Techno waren hier Mittel, aber zu einem Hörspiel kann auch durchaus mehr gehören als das Konzept spoken words über Beats, das so neu auch nicht mehr ist. Das Stück wirkte somit extrem zeitbetont und ergo poppig, aber darin sehr stimmig, wozu auch Meliáns Projektionen der Autorenportraits grossen Anteil trug. Nach diesem Medien-Mammutprogramm konnte es nur noch Entspannung geben: Moufang aka Move D, Robert Lippok und Hans Nieswandt legten bis spät in die Nacht ihre „beat frames“ im Foyer auf, in dem sich eine Menge festivalfremder Feiernder eingefunden hatte.

Der letzte Tag war nicht ganz so gespickt: nach der faszinierenden Video-Tanz-Performance D.A.V.E. von Klaus Obermaier und Chris Haring, in der es um Körperidentitäten und die Utopien und Projektionen eines durch Bio-, Gen- und Computertechnologie manipulierten und neugestalteten menschlichen Körpers ging, und „Instant Insiders“, den im Manga-Style gehaltenen Flash-Animationen, die subversiv für u.a. Nokia warben, baten Moufang und Nieswandt zum Sample-Seminar. „Meine Maschine und ich“ führte Sampling als historisch bewussten Kontext, der strategisch korrekt, also unter „sportlichem Aspekt“, so Nieswandt, genutzt werden sollte, vor. Ein tief im Prozess agierender Moufang führte anhand von granularer Synthese und Vokal-Zerlegungen beeindruckend wie selbstverständlich den state-of-the-art vor, Nieswandt ergänzte ihn mit der Demonstration von Akufens mashed-up-Samplingkonzept, des weiteren behandelte man die absichtlich und respektvoll plazierten Samples, so am Beispiel „Chic“. Im Fazit ging es hier um Beat-und-Sample-Scienticism und eine persönliche Handschrift aka Identität in der Trackbearbeitung, wobei beide Produzenten seit jeher Texturen bevorzugen, die einerseits sehr melodisch sind, andererseits aber auch nahe dran sind, ins Psychedelische umzukippen – Kenny Dope und Aphrohead wurden hier als beeindruckende Beweisträger herangezogen. Wolfgang Krauses „Zwieback“-Performance präsentierte danach wiederum ein klassisches Pantomime-Text-Stück, das abermals, jedoch diesmal in einem überaus sympathischem Sinne, alles andere als intermedial war, da hier dem Vorwurf der Technikeuphorie auf selbstverständliche und ergo sehr moderne Weise begegnet wurde: ein derart charmant-intelligentes wie simples Plädoyer für face-to-face-Kommunikation in einer hyperdrehten Medienwelt kann einfach nicht wirklich daneben sein. Auch die norwegischen Performer der BAK-Truppen wirkten bewusst archaisch: völlig nackt und körperbemalt standen sie rauchend und biertrinkend um ihre Laptops herum, doch boten sie kein ranziges Cyberhippie-Fluxus-Actiontheater, sondern eine intelligente Parabel auf den archaischen Zustand der medialen Identitäten. Das Spiel war klar: wir sind derzeit die Neanderthaler in der digitalen Höhle – essentieller und klarer kann man es nicht auf den Punkt bringen. Der sehr vielschichtige Text führte die Kleider der digitalen Kaiser wahrhaft in nuce vor, gelungene Live-Webschaltungen nach Frankreich und das Neanderthal sowie jede Menge grunzende Schweine im Koben ergänzten das drastische, sinnliche und kluge Spiel, das überhaupt nichts von einer Klamotte hatte.

Einen gelungenen Programmabschluss bot dann das erstmalige Treffen zweier verdienter Ausnahme-Turntablisten, die auch noch das letzte aus den analogen Rillen herauszukitzeln in der Lage waren: Philip Jeck und Claus van Bebber zeigten erst jeweils solo und schliesslich in einer faszinierenden gemeinsamen Performance, wozu das analoge Material noch im Verbund mit perfekter, chaotischer und vor allem inspirierter humaner Handhabung möglich ist.

Der zum ersten Mal vom BR verliehene Intermedium-Preis über 12.000 Euro wurde dann im Anschluss nach Hans Platzgumers Livedarbietung seines Stückes „Identitäten 2002“, das exklusiv für das Festival entstand, von der Jury Elisabeth Schweeger, Intendantin des Schauspiel Frankfurt, dem Kulturphilosophen Gerhard J. Lischka und dem Musikkritiker Harry Lachner an drei ausgewählte Projekte vergeben: der bereits erwähnte „Staubmarsch“ von Hörl/Römer/Wiesner, die „sophisticated soireé“-Bar der Gruppe 91v.2.0 und schliesslich Christin Lahrs Installation „displaced persons say nothing to nobody“, die eine gelungene Metapher auf die Überwachung öffentlicher Räume und die kollektive Solidarität, die dieser gegenübergebracht werden muss, darstellte. In der Laudatio sprach man sich seitens der Veranstalter gegen populistische Formate und Anbiederung aus, die sich im Endeffekt nicht auszahlen würde. Stattdessen plädierte man eindeutig für risikoreiche und schwierige Formate – ein klares Bekenntnis zu einer kritischen wie inspirierten Umsetzung der Hörspiel- und Medienkunst, die das Format an die Popkultur heranführt, ohne gefällig, populistisch oder gar Zielgruppensedierung zu sein.

Die „Intermedium 2“ präsentierte sich bei aller Dichte und allen disparaten Projekten als ein professionell dargebotenes Programm des state-of-the-art der Medienkunst. Neben dem bewundernswert reibungslosem technischem Ablauf des Monster-Programms – es gab weder Lücken noch technische Pannen, was durchaus nicht selbstverständlich ist – überzeugte vor allem das funktionierende Nebeneinander von traditioneller Aufführungspraxis und avanciert-ambitionierten Projekten, das so auch den differenten Publikumshorizonten Rechnung trug. Statt unreflektierter Technologieeuphorie und modisch-hip-digitalem Vokabular als poppige Durchsetzungsstrategie ging es bei der „Intermedium 2“ mehr um ein bodenverhaftetes Update und das Aufzeigen einer selbstverständlichen Praxis der digitalen Medienkunst, die sich nicht durch Feindbilder und Distinktionsgewinne ex-negativo definieren muss. Nach wie vor muss ein medialer Popanz wie „Elektronischer Lebensstil“ und damit jegliche Klischees seiner digitalen Folklore kritisch dekonstruiert werden, aber die „Intermedium“ ist durch ihre propagierte Offenheit, Flexibilität und ihren Spürsin für relevante Träger dessen auf einem guten Weg. „Neue technische Erfahrungen werden aus kommerziellen Aspekten entwickelt: hinter experimentellen und avantgardistischen Verfahren stecken wirtschaftliche Interessen“, steckte Herbert Kapfer ganz deutlich den Reflektionshintergrund ab, ohne den es in der Beurteilung des scheinbar Neuen schonmal gar nicht geht. Genausowenig wie die nicht-totalitäre Gesellschaft der Kunst Vorschriften zu machen habe, so Kapfer, dürfe der Begriff von der Freiheit der Kunst nicht zum Postulat verkommen: „existierende Abhängigkeiten sollten offen gelegt werden.“ Dass man dabei noch auf dem Weg ist, gibt Kapfer, der sich mit seinem Team bei allen konzeptuellen Vorgaben vor allem in der langwierigen und anstrengenden praktischen Organisation eines derart ambitionierten Rahmens auszeichnet, sehr bewusst: „Wir sind teilweise noch schwer am Üben“, stapelt er ganz bewusst tief, aber Begeisterung und Offenheit für die Sache sind gute Wegweiser in diesem mittlerweile exzellent funktionierendem Netzwerk. „Intermedium“ ist auf dem Weg und erweiterungs- wie lernfähig, ständig wird der Kontext erweitert und transformiert, so dass man in zwei Jahren in München bereits wieder mehr weiss. Aus der Kritik am ersten Modell lernte man jedenfalls, und so scheint sich der Weg zu einer professionell präsentierten und konzeptuell gut basierten Medienkunstveranstaltung, die eine aufgeblasene Inszenierung des Digitalen vermeiden will, zu festigen – nicht zuletzt geht es in heutigen medialen Prozessen auch um Glaubwürdigkeit und darum, einer solchen wegweisenden Veranstaltung den leidigen und abschreckenden Eventcharakter zu nehmen.

Das Label „Intermedium rec“ dokumentiert seit 2000 in bislang 13 Releases die bisherige Entwicklung, wobei die aktuelle Doppel-CD „intermedium from one2two“ den state of the art auf über 150 Minuten repräsentativ abbildet.

Mehr Infos unter intermedium-rec.com

(Jazzthetik)

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