SELTENER STAUB, GEWÖHNLICHES GOLD
Was ist denn nun der Impuls, in Zeiten der musikalischen Überproduktion, in denen jedes Medium „Hier, wichtig, beachten!“ schreit, ein kleines Label in die Welt zu setzen, es zu pflegen, es ein wenig, aber nicht zu viel, zu lenken, und dann zu gucken, wie es aufwächst? Wir werden vielleicht nicht alles darüber erfahren, wie die kleinen Tonträger entstehen und wo sie überall hinkommen können, aber wir werden mit Sicherheit einige der interessantesten musikalischen Entdeckungen machen. Man kann das seltene Gold zu Staub machen und Dinge dadurch vordergründig veredeln, aber der gewöhnliche Staub, der unbeachtet in der Ecke und doch überall liegt, kann mit viel Vorstellungskraft zu Gold werden.
Köln, Agrippinaufer: direkt gegenüber wo Staubgold wohnt, steht ein riesiger alter Rheinhafenspeicher, der klar schon mal bessere Tage gesehen hat. Wie zum Trotz scheint er das mit verkommener und klobiger Monumentalität wettmachen zu wollen, mit dem Erfolg, dass höchstens schmierige Erotikmessen in ihm zelebriert werden. Gegenüber wird filigraner und ungleich gelassener gearbeitet. Der Ausblick zum Rhein ist zwar versperrt, aber das kümmert Labelbetreiber Markus Detmer weniger. Er sitzt in dieser schönen Altbaubürogemeinschaft in einem aufgeräumten Raum voller Tonträger und sortiert die Erfahrungen einer kleinen Staubgold-Labeltour durch Polen am Wochenende. Ab und zu klingelt das Telefon, und man muss englisch reden. Alles wirkt sehr freundlich und offen, aber bestimmt. Und ich möchte erfahren, was ihn antrieb, sich 1998 für den schwierigen und nur bei bestimmten Voraussetzungen und Korrespondenzen dankbaren Job des Labelmachens zu entscheiden.
Was haben wir nicht alles über Köln gehört und hören müssen, und ebenso wissen wir, dass die dortige Labelszene bei aller gleichbleibenden Qualität und durchaus immer noch interessantem Output mittlerweile auch schon fest konsolidiert und in die Jahre gekommen ist. Das relativ junge Label Staubgold nun ist eines der sympathischsten, erstaunlichsten wie selbstverständlichsten und klar anregendsten Labels dieser Stadt und eine der hörenswertesten Schnittstellen für experimentelle elektronische Musik in allen Erweiterungen und Transformationen, oder, wie ich kürzlich ebenhier bemerkte: eine hochinteressante Schnittstelle aus elektroakustischem Klanggrenzgängertum und populärelektronischer Experimentalfolklore. Und kein heimlicher oder offensichtlicher Widerschein von Elitismus oder Sektierertum spiegelt sich dort, denn hier geht es weniger um Egos, sondern vornehmlich um Musik. Und wenn man interessiert die Lupe herausholt und die erstaunliche und äusserst produktive Releaseliste dieses Labels verfolgt – Frühjahr 2002 erscheinen bereits die Nummern 23 bis 25, und der Gesamtschedule ist derzeit gar bis Nummer 32 durchgeplant und anvisiert – wird sehr schnell klar, wie sehr hier jemand mit einem klarem und deutlichem Impuls am Werk ist, der genau weiss, was er tut, aber immer noch veresessen darauf ist, sich und andere damit zu überraschen.
Markus Detmer kam 1993 aus dem bergischen Land nach Köln, um hier neue Verbindungslinien der eigenen und nicht zuletzt musikalischen Interessen zu finden. Das ist nicht unwichtig, denn eine gewisse produktive Spannung aus dem Kontrast „Stadt-Land“ findet sich, wenn auf keinen Fall prägend, aber doch latent, auch heute noch als kreativer roter Faden in manchen Staubgold-Veröffentlichungen. Sein Studium legte er nach sieben Semestern zu den Akten und begann als Journalist zu arbeiten, und auch heute noch, wo natürlich das Ziel ist, vom Labelmachen leben zu können, bestreitet er – noch – durch freie Schreiberei den entscheidenden Teil seines Lebensunterhalts. Ein wichtiger Mensch in seinem Leben war damals schon Timo Reuber, den er im Proseminar „Elektroakustische Musik“ an der musikwissenschaftlichen Fakultät Köln traf – „der einzigen interessanten Veranstaltung“, wie Detmer rückblickend sagt. Nach dem Entdecken von ähnlichen Hintergründen – beide als „Rockband“keyboarder – und Vorlieben begannen die beiden dann, 1996 Arbeitsmethoden für ihr Projekt „Klangwart“, das sich damals vor allem durch das Betreten von eher langsamen wie intensiven, zwischen Bedrohlichkeit und Beruhigung changierenden Flächen in Ambient-, Drone- und Elektroakustikbereiche auszeichnete, zu entdecken, entwickeln und aufzubauen. Techno rulte zwar den Szenegeschmack der Stadt, doch Kraut- wie Neue-Musik-Einflüsse wurden als interessanter angesehen. Inmitten der Blütezeit der technoiden Elektronik entwickelten sich damals, nicht nur, aber gerade in Köln – ausgehend vor allem vom dortigen a-musik-Umfeld – Musikformen, die die Impulse der Elektronik auffingen, jedoch die Texturen von Noise, Industrial, akademischer Elektroakustik, Freejazz und den verrücktesten und verspieltesten Arten von improvisierter Musik ebenso aufnahmen, verarbeiteten und transformierten. Detmers war früh mit dieser Szene vertraut, suchte aber stets seine eigenen Wege darin. Die logische Begeisterung für die Musik liess ihn dann Staubgold zu Beginn als Mailorder begründen – derselbe Weg, den a-musik einige Zeit vorher auch genommen hatte. Diese Tatsache ist in ihrer Struktur nicht unwesentlich wesentlich für das Verständnis eines Labels wie Staubgold. Man hat einen Musikgeschmack, der abseits des Normativen liegt, man gewinnt über die Jahre sehr tiefgehende Kenntnisse über die AktivistInnen und ihre Vertriebswege und ihr Material, und darüberhinaus lernt man logischerweise immer mehr Leute kennen, die ähnliche Interessen teilen – der kleine Kreis erweist sich letztlich als unvorhersehbar gross, wenn man die Vernetzungen zu schaffen und halten bereit ist. Am Anfang war Detmer ganz klassisch auch fliegender Musikhändler, der mit dem Bauchladen ausgesuchter, oder „selten gehörter Musik“, so die a-musik Formel von damals, auf Live-Konzerten stand – und so seine späteren Künstler, wie Günter Reznicek aka Nova Huta traf, der später sowohl solo als auch mit seinem Partner Jyrgen Hall als Groenland Orchester bei ihm veröffentlichte. Da überrascht natürlich nicht, dass Staubgold als Kasettenlabel angefangen hat, erstaunlich ist aber, dass sich das Label, ähnlich dem in mancherlei Hinsicht verwandten Australiern „Extreme“ – vor allem bezüglich der dargestellten Stilbreite -, mittlerweile ein sehr ansprechendes und äusserst diversifiziertes Profil geschaffen hat, dass dabei alles andere als beliebig wirkt. Staubgold ist bewusst, klar und präzise, dabei oft einen Tick sympathisch-manisch, nicht zu ernsthaft, weiss aber sehr genau, wann es Zeit ist, sich ambitioniert zu präsentieren.
Vermittelt wird auf derzeit 22 Releases das, was der altbackene und wenig benutzerfreundliche Begriff „Klangforschung“ oder das Nullsymbol „Experimentell“ nur als stumpf gewordene Ahnungszange wenig konturiert vermitteln kann. Bei Staubgold finden sich diese Neudefinitionen zum Glück klar und hellsichtig – keine Spur von Industrial-Drone-Mystizismus – und auf fortschrittliche Weise, wobei die Veröffentlichungen wie das Gesamterscheinungsbild, entgegen streng konzeptionell ausgerichteten Labeln, alles andere als angestrengt wird. Die Aussagen bewegen sich zwischen klarsichtigem Konzept und bewusst angestrebten Zuständen gutgelaunten Deliriums, dem ein Schuss intime Melancholie nicht fehlen darf. Bei Staubgold werden die Klangräume gesucht, gefunden und offengehalten. Oder es werden regelrechte Tonschächte gelegt, damit tiefergelegenes, aber an der Oberfläche nicht hörbares Material hörbar wird und an die Aussenwelt gelangt. Mittlerweile profiliert man sich jedoch facettenreich genug, um dem etwas rostig gewordenem Begriff „Klangforschung“ ohne grosse Anstrengung zu entkommen: „Kölner Brett“, die jüngste Veröffentlichung von to rococo rot, oder deren Mitglied Stefan Schneider als „Mapstation“, weisen eher in die Richtung Klangdesign, aber vor allem auch die konzeptuell angelegte Releasereihe von Ekkehard Ehlers. Der Lehrbeauftragte für Sounddesign an der HbK Saarbrücken bearbeitete die Musik bzw. die Texturen von Albert Ayler (siehe Jazzthetik 06/01), John Cassavetes und Hubert Fichte. Weniger, dass alle Künstler ihre Ästhetik aus den 60er Jahren heraus entwickelten, interessierte den 27jährigen Ehlers hier, als vielmehr die Klammer einer mitunter plakativen, bei Aylers augenscheinlich erruptiven, Emotionalität, in deren Tiefenschichten er untröstliche Verstimmungen oder auch Verlorenheiten findet und interpretieren will. Erweitert wird diese Reihe auf Robert Johnson und Cornelius Cardew, deren Transformationen auf „Bottrop Boy“ erschienen sind. Die Zerlegung, Modifiziertung und Transponierung des von Musikern wie der Cellistin Anka Hirsch eingespielten Materials ergibt als Thema den Umgang der digitalen Kunst mit überkomplexen Emotionalitäten. Den Australiern Oren Ambarchi und Martin Ng dagegen geht es um gasförmig anmutende tonale Schichtungen, die erneute Entdeckung der Langsamkeit, was eine mitunter absolute Vagheit der Klänge im definitiv positiven Sinne zur Folge hat. In diese Richtung der Drone-Exkursionen geht auch die Musik des im Süpddeutschen beheimateten Tesendalo, und, ganz aktuell, des Portugiesen Rafael Toral, der sein Material zu 98% mit der Gitarre einspielte. (Harald) Sack (Ziegler) – den Detmer übrigens schon damals ohne Rücksicht auf seine Mitschüler zum Oberstufenfest eingeladen hatte – und Blumm hingegen stehen für trockenes Taschenpathos, aus dem in Rinnsaalen die Expressivität zwischen Lächer und Ernst zum Mehr fliesst. Timo Reubers Musik dagegen zeichnet sich durch psychedelische wie minimalistische Elemente aus. Gerne wird Intimes oder Autobiografisches im Mikroformat eingewoben, und sogar der Urschrei des Schimpansen Chico aus dem Kölner Zoo findet hier seinen Platz. Neuere Arbeiten gehen in Richtung erweiterter und längerer Texturen. Reubermusik ist von der Person überhaupt nicht zu trennen. Das schon erwähnte Groenland Orchester aus Hamburg ist nicht hinreichend genug zu loben: hier findet sich ein spielerischer und kompakter Umgang mit technoider Hörelektronik, der nahezu schon Pop-Widerschein hat. Aber auch nur nahezu. Gunter Adlers Soloplatten – das Alter Ego der Groenland-Hälfte Jyrgen Hall – führen diese Ästhetik auf sehr eigenwillige wie zugängliche Weise fort. Eine ganz besondere Arbeit ist die während der Ars Electronica in Linz aufgenommene Platte des Kollektivprojektes „Lume Lume“: Alexander Balanescu, dem fälschlicherweise oft das ganze Album zugeschrieben wird, kreirte in Zusammenarbeit mit Isabella Bordoni, Rupert Huber, Sergio Messina, Siegfried Ganhör und to rococo rot einen 57-stündigen Live-Soundtrack, der täglich aktualisiert und ergänzt wurde – ein ungemein atmosphärischer Hör-Akt. Den diesjährigen Klangpark direkt an der Donau beschallt der elektronisch multistilistische Finne Vladislav Delay, das Ergebnis lässt sich nächstes Jahr auf Staubgold hören. Markus Detmer ist bemüht, die Quartals-Veröffentlichungen stets in einem Dreierpack zu bündeln, das stilistisch die Bandbreite des Labels repräsentiert. Die Auflagen der Staubgold-Sachen liegen in der Regel bei 500 bis 1000 Exemplaren, die sich mitlerweile gut verkaufen. Dazu kommen Rückbestellungen, die über den u.a. von a-musik und Kompakt übernommenen Vertrieb laufen, so dass manchmal sogar nachgepresst werden muss. Die Vertriebswege, für ein junges Label überlebenswichtig und oft die grösste Klippe überhaupt, werden wie in alten Tagen von Bekannten, Vertrauten oder wenigstens Geistesverwandten übernommen. Der bisherige Werdegang von Staubgold zeigt, dass sich auch heute noch ein selbstorganisiertes und kontrolliertes Label mit Sinn für einen erweiterten Musikbegriff organisieren und stetig erweitern lässt – auf den weiteren Weg vom Staub, der zu Gold wird, können wir gespannt sein.
Staubgold 01 Erixma – sphere of magnetick virtue LP
Staubgold 02 Tesendalo – Laura LP
Staubgold 03 Frrranck C. – Heaven’s Gate 7″
Staubgold 04 Reznicek – Audi & Goggo/Armgartburg Picture 10″
Staubgold 05 Institut für Feinmotorik – wenig information: kein titel Mini-LP
Staubgold 06 Sack & Blumm – Sylvester Orchester 2000 7″
Staubgold 07 Groenland Orchester – s/t 12″ EP
Staubgold 08 Reuber – Anna LP
Staubgold 09 Gunter Adler – 15 Electronic PIeces CD
Staubgold 10 Groenland Orchester -Trigger Happiness CD
Staubgold 11 Mapstation – Sleep, engine sleep MLP / CD
Staubgold 12 Gunter Adler – Kiebitzreihe 7″
Staubgold 13 Groenland Orchester -Nurobic CD / LP
Staubgold 14 Sack und Blumm – 2 x 5 10″
Staubgold 15 Oren Ambarchi & Martin Ng -Reconnaissance CD / LP
Staubgold 16 Various Artists – Lume Lume CD
Staubgold 17 Rafael Toral – Violence of Discovery and Calm of Acceptance LP
Staubgold 18 Reuber -Ruhig Blut CD / LP
Staubgold 19 Ekkehard Ehlers – Plays Albert Ayler MLP
Staubgold 20 Various Artists – Labelcompilation CD
Staubgold 21 Ekkehard Ehlers – Plays John Cassavetes MLP
Staubgold 22 to rococo rot – Kölner Brett CD / LP
Vertrieb: a-musik, Grand Harbour, Groove Attack, Hausmusik, Kompakt
2002 neues Material von u.a. Institut für Feinmotorik, Oren Ambarchi, Sack, Gunter Adler, Vladislav Delay, Mapstation, E. Ehlers und Faust
www.staubgold.com
Klangwart-Audio erscheint exklusiv auf dem „Klangstelle“-Label von Detmer und Reuber.
(Jazzthetik)