Nightmares On Wax

DAS DESIGN VON ORIGINALITÄT

Wenn man den Briten George Evelyn über sein enorm erfolgreiches long-term Erfolgsprojekt „Nightmares On Wax“ reden hört – wir erinnern uns: der Klassiker „Smokers Delight“ von 1995 verkaufte damals sensationelle 100.000 Einheiten -, könnte man denken, er sei ein Meister der Allgemeinplätze. Das liegt aber nun einmal daran, dass der Musikautodidakt, zu dessen Tracks Leute auf der ganzen Welt grooven, chillen, ihren Urlaub verbringen oder sich in andere entspannende Ebenen begeben, seine Musik und den Prozess zu ihrer Herstellung ganz klassisch als etwas sehr natürliches und organisches empfindet. Die positive Grundstimmung und der leicht psychedelische HipHop-Ansatz seines neuen Albums „Mind Elevation“ (Warp Records), das gefühlvoll, unspektakulär und unaufdringlich wie eh und je letztendlich einen wie immer sehr zwingenden Flow erzeugt, lassen aber auch an ein ausgeklügeltes Prinzip von Mood-Design denken. Ist George Evelyn, dieser grundsympathische Beatbastler mit den Rehaugen, etwa der James Last des HipHop? Oder hat das doch etwas mit Jazz zu tun?

more than mere words can say

Freiheit! Ich denke, das ist Jazz auf den Punkt gebracht. Es kommt natürlich, keine Regeln, keine Grenzen.“ Und Interaktion…“Allerdings. Das ist der wichtigste Teil. Die Leute zum reagieren bringen.” Wie transformierst Du das in deine Musik? „Jeder Prozess ist verschieden, es gibt keine vorgegebenen Formeln. Gleich, ob ein Stück aus einer Bassline oder eine Melodie geboren wird, es muss einfach kommen, der Vibe muss stimmen, nur darum geht es. Manchmal hab ich nur diesen winzigen kleinen Sample und baue dann den Beat darum auf, später helle ich es mit einem Bassisten oder Keyboarder auf. Die Stimmung des Samples baut das Stück auf, sie ist die Inspiration…und wenn ich so arbeite, bin ich komplett ehrlich, denn meine Musik wächst organisch daraus.“

Nur die Ruhe…

Diese Musik hat tatsächlich nichts aufgesetztes, auch wenn sie manchmal durchaus konstruiert wirkt. Doch letztlich wirkt NOW organisch und originell, irgendwann gibt man sich dem Flow hin, und es rollt. Alles klassische Musik-Dinge, die über reine Worte hinausgehen und im Leben und Erfahren mit Bedeutung gefüllt werden müssen. Wie lange dauert so eine Prozedur? „Auch hier gibt’s keine festen Regeln, ich kann komplett alleine ein, zwei Wochen arbeiten, oder auch einen Monat oder drei – es hängt davon ab, was da ist, ob ich hungrig oder inspiriert von etwas bin…es ist die Kunst zu lernen, mit dem Vibe umzugehen. Denn der Vibe ist nicht notwendigerweise immer da, aber du musst versuchen, ihm natürlich zu folgen. Die Platte ist in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren entstanden, aber das heisst nicht, dass ich die ganze Zeit daran gearbeitet habe.“ Du bist also definitiv kein Schnellschiesser. Es gibt Leute, die produzieren sehr schnell, andere lassen es kommen, andere wieder haben ein ganz genaues Konzept. “Stimmt, aber ich kann nicht unter dem Druck produzieren, etwas in einem bestimmten Zeitraum abzuliefern, das bin nicht ich. Wenn ich im Studio bin, bin ich wie in einer Zelle, aus der ich wieder ausbrechen muss. Die Umgebung ist wichtig, das inspiriert mich. Ich bin kein Studiofreak, kein „blockbooker“, meine Inspirationen kommen von überall her, und das muss nicht unbedingt Musik sein.“ Basiert deine Produktionsweise dann mehr auf einer intuitiven Weise, oder auf einem Begriff von Design? Weil die Sachen von NOW erscheinen oft sehr designt – würdest Du zustimmen? „Kommt dieser Designbegriff von Originalität? Wenn das so wäre, würde ich wahrscheinlich zustimmen. Der ganze Vibe des neuen Albums…(überlegt)…ist sicherlich auf das Design von positiver Energie angelegt, und wenn du dies aus dem Album spürst, dann auf jeden Fall, klar! Das ist genau das, was ich bei Leuten erreichen will, komplette positive Energie, keinerlei Stress, kein „headfuck in the studio“…manchmal fickt der Computer dich, aber das kann in eine neue, ganz wunderbare Situation münden, und ein neuer spannender Track kann daraus entstehen.“ Der Mann ist wahrlich nicht aus der Ruhe zu bringen – gut so.

Inner-Peace-HipHop

Evelyn produziert alles im Homestudio in Leeds. „Ich wohne oberhalb eines Tals, auf der eine Seite gucke ich auf Bäume, Wald und Natur, auf der anderen Seite auf Sozialwohnungen und Ziegelwände…sehr friedvoll…so habe ich die Balance und beide Seiten. Diese beiden Energien sind sehr wichtig für mich. Ich wohne da jetzt seit eineinhalb Jahren, und der Grossteil des neuen Albums ist dort produziert worden. Hier kann ich mich abnabeln vom grossen Wettlauf und den Hypes und kann komplett in der kreativen Energie meiner kleinen Welt versinken – das ist total wichtig für mich, so entsteht NOW. Vorher lebte ich in einem Haus, wo alle 5 Minuten wer vorbeikam, die Playstation wurde rausgeholt, zur Musik kam man da weniger…jetzt aber widme ich ihr Zeit und komme tiefer und tiefer in sie hinein, kann darin versinken, aber ein bisschen organisierter als zuvor.“ Ich kann mir vorstellen, dass du hauptsächlich Nachts produzierst… “Allerdings, ich bin definitiv eine Nachteule, so finde ich mehr inneren Frieden…viele Alltags-Frequenzen sind dann einfach nicht da, verstehst du, kein Telefon und andere Dinge…tagsüber versuchst du dich mehr zu disziplinieren, aber es gibt immer wieder Zerstörung und Ablenkung…nachts aber fliesst es wirklich.“

Der tuffste Part beim Plattenmachen

Seine aktuelle musikalische Entwicklung sieht Evelyn vor allem im Mix, hier hat er mehr über Soundstrukturen, Dynamik und die Tonkunst gelernt, einen Track grösser und fetter klingen zu lassen. Sonst hatte er sich nie so lange damit aufgehalten. Aber gerade die Arrangements sind doch extrem wichtig, auch für die Art von Musik, die NOW macht? Deshalb spreche ich ja auch, fernab von allen musikalischen Qualitäten, von Sound-Design. Burt Bacharach, Juan Garcia Esquivel (den er nicht kennt), Quincy Jones – das meine ich mit Klangdesign. Evelyn stimmt zu, besteht aber auf sein „these things just happen“: „Musik ist ein lebendes Wesen, und wenn du sie machst, entfaltet sie sich vor dir. Diese Ideen sind auf einmal da…aber stimmt, dann wird es knifflig…ich denke, genau wie du es gesagt hast, der tuffste Part beim Plattenmachen ist das Arrangement! Kein Zweifel – denn die ersten beiden Minuten, die sind am wichtigsten und entscheidendsten: du ziehst etwas auf wie eine Uhr. Und auf einmal hast du eine Situation: wo sind wir jetzt? Sind wir im nirgendwo? Und dann ist es Zeit, den Track zu verlassen, ihn zu beenden. So war es bei „Humble“, auch bei „Soul-Ho“, der ist nur 1:45 Minuten lang – diese Tracks sollten einfach nicht weitergehen. Die Frage ist nur: bringt es den Hörer in dieser Zeit irgendwohin?“

James Last is bad

Als ich dich das letzte mal traf, hast du mir erzählt, auf deinem vorletztem Album „Carboot Soul“ gäbe es nur zwei Samples, und einer sei von James Last (auf „Ethnic Majority“). Und das ist interessant, denn James Last ist ebenfalls eine Art „Sound-Designer“, du tust dies auch, aber mit einem anderen Vibe, Groove und einer anderen Kante – stimmt diese Verbindung? Evelyn ist überrascht. „Sehr interessant, dass du das noch weisst! Als einige Leute in Interviews davon hörten, dachten sie: Whoop! James Last???!!!. Ich höre mir aber alle Komponisten aus allen Genres an…und dieser Track von ihm ist wirklich funky, und der Gitarrist wirklich „bad“…also wirklich gut! Er spielt es fast falsch – aber es klingt so gut! Und ich liebe es, denn das ist es letztlich, worüber wir beim Jazz gesprochen haben: „Freiheit!“ Mein Gitarrist kriegte es nicht hin! Genauso wie die Gitarren und Bläser bei Fela Kuti: sie klingen so disharmonisch, aber es klingt so richtig! Ich bin SEHR frei, wenn ich Musik mache, weil ich keinerlei musikalische Ausbildung habe, überhaupt nicht! Also gibt es für mich keine Regeln. Ich habe Musiker und Freunde, die Musik studiert haben, und es ist schwer für sie, so disharmonisch zu spielen, weil die musikalischen Grenzen so eng gesetzt sind. Und das bringt uns wieder zum Jazz zurück: John Coltrane, Giant Steps, das war ein Bruch, du konntest alles machen danach. Was James Last betrifft: ich mag kein Funk-Musiker sein, aber ich mache die Komposition eines Funk-Tracks, wie ich es sehe und wie es sich gut für mich anfühlt.

Abgehoben und angeheitert

Und Dub? Auch hier gilt: nichts wird geplant, es wird gemacht. „Ich mache etwa 20 Tracks und wähle dann aus dem Haufen aus, welche gut für den Flow sind. Dann höre ich mir das Gesamtbild an, und stelle fest: oh, ziemlich viel Dub da drin! Aber am Ende macht es Sinn, daher komme ich: Prince Tubby-ism, Prince Jammin-ism, Scientist-ism…gerade er war der Wichtigste! Letztens traf ich ihn und gab ihm meine Platten und sagte: du warst der erste für mich, den ich studierte, seitdem ich 10 war! Und er : Oh Mann, du lässt mich ganz alt aussehen (lacht)! Mir beweist das, das in HipHop so viele Dinge sind, und dieses Fundament kannst du in allen Dingen hören. Meine Musik ist vor allem HipHop, aber darin ist alles enthalten: Jazz, Dub, Soul, Funk…“ Gibt es auch eine psychedelische Komponente auf der Platte? „Ich nenne das eher kosmisch und spirituell, denn das hat sich bei mir sehr entwickelt in den letzten Jahren. Und ich teile diese positiven Seiten meines Lebens, auch jetzt, wenn du mir diese Fragen stellst: ich gebe dir eine Menge Einblick in mich. „Mind elevation“ (elevated für „abgehoben“, aber auch „angeheitert“) macht jeder, es ist wie Tagträumen, und dies ist mein positivstes Album überhaupt.“ Passt denn dein Projektname dann überhaupt noch dazu? „Ich denke, er bezeichnet gut das Rauhe wie das Sanfte, Ying and Yang…der Name kam 1986, als ich Teil einer Bedroom-DJ- Mixtape-Szene war: das Ziel war damals, deine wildesten Träume auf Vinyl zu bringen. Und es ist immer noch ein zeitloser Klang, denn meine Musik ist zeitungebunden.“ Was ist mit dem Track 70’s-80’s? (Singt:) „I’m a 70’s baby, I’m a 80’s child…die 80er waren massiv wichtig, die Punk-Sache kam in Ska an, 82 kam HipHop nach Europa, 85 Elektro, dann House und 89 Acid…- was in dieser Dekade alles passierte, war unglaublich, mehr, als in den 90ern! Dieser Track ist eine musikalische und soziologische Reminiszenz darauf. Denn wir mussten damals auch durch die Thatcher-Ära, wir spürten immer noch die Folgen. Jetzt spricht in England niemand mehr darüber. Ich spielte das Demo Lee Kenny im Auto vor, und er fing an zu singen…nächste Woche nahmen wir das Ding im Studio auf. Und das ist typisch für die ganze Situation des Albums: da ist nichts ausgedacht! Wir haben’s gefunden! Lass die Dinge natürlich wachsen – das ist NOW! So ist es immer frisch, aufregend und ehrlich. Und es ist kein Trend, denn die kommen und gehen.

Gib dem Kraut Respekt

Du hast aufgehört zu rauchen, stimmt’s? Als ich dich das letzte Mal traf, lag ein Riesenbeutel Weed auf dem Tisch, und es qualmte während unseres Gesprächs ununterbrochen… „Yeah! Ich machte vor zwei Jahren Urlaub in der Karibik und feierte einen erstaunlichen Geburtstag, chillte mit ein paar Rastas in ihrer Hütte, rauchte…und machte einige spirituelle Erfahrungen…winzige Hütte, riesige Speaker, direkter Blick aufs Meer, wir hörten Dub, redeten…wieder zuhause rauchte ich was Skunk mit einem Freund, und weißt du, was ich dachte? Ich will mich nicht mehr so fühlen…mein Leben ist mehr als das! Ich hatte jeden Respekt für das Kraut verloren, weil ich süchtig danach war. Also rauchte ich nicht mehr…doch letztens nach einem Match von Leeds United – als sie sich für das Halbfinale der Champions League qualifizierten – rauchte ich ne winzige Pfeife mit Freunden, fuhr nach Hause, hörte in meinen letzten Tune rein und dachte: ‚Hey! Da könnten noch Bongos rein, und das könnte ich mir auch noch vorstellen…’…ich hatte all diese Weed-Qualitäten vergessen. Denn: Ich habe niemals im Studio geraucht und mich nie zugedröhnt, sondern nur breit gehört, das kann die Sensorien wirklich öffnen. Aber ich hatte es vergessen! Ich hatte wirklich den Respekt für das Kraut verloren. Jetzt ist es etwas total besonderes für mich. Das kannst du mir glauben! Ich komme gerade aus Amsterdam – und ich habe noch nicht mal geraucht. Für mich war das wie ein Test. Es ist eine neue geistige Qualität, dazu bin ich Vater geworden. Das hat absolut keinen Effekt auf meine Musik, aber es bringt dich dazu, Fragen über dich selbst zu stellen. Ein neues Kapitel in meinem Leben hat begonnen.

George Evelyns Basic-Equipment: Logic 5 als Software, einen MPC, vor allem Roland TR 808/909 (er ist immer noch ein grosser Fan von alten Drummachines, vor allem der Hi-Hats), Röhren-Kompressoren und nicht zuletzt Rhodes, Hammond und Wurlitzer-Sounds. Vor acht Jahren sampelten NOW in einem Spezialraum die ganze Skala dieser Instrumente, wie auch Flötenspieler und andere Instrumentalisten. Auf dieses Samplearchiv greift er heute noch zurück.

(Jazzthetik)

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