Merzbow
MUSIC FOR BONDAGE PERFORMANCE 1 & 2
Merzbow
AGE OF 369 / CHANT 2
Von Marcus Maida
… & ohne durch quasi-ethnographisches Interesse & vorgegebener Analysetätigkeit doch nur Sexismen aka Machtverhältnisse erneut zu transportieren & medial zu vervielfältigen, wie z.B. diese Körperkulturbücher der 50er Jahre für ein sich als neuerdings offen gebendes Bildungsbürgertum –
kulturelle Aufgeklärtheit als Beschleuniger des Wirtschaftswunderwachstums –
, die nichts anderes als Pornographie unter dem schmierigen Deckmantel sogenannter ‚Wissenschaftlichkeit‘ – einer Herrschaftscodierung ERSTER Klasse – ist. & in der Kunst? Ist ja bekanntlich alles erlaubt, oder? Von wegen, ihr bourgeoisen Art-Freedom-Fighter! Allerdings: 1:1-Ablehnung reicht nicht. Denn was genauso abzulehnen & anzugehen ist wie dieses System & seine Repräsentations-, Macht- & Funktionsmechanismen ist, wenn sich eben dies in seinen ‚Gegenbewegungen‘ gespiegelt, aber nicht erkannt, wiederfindet. Im Klartext: keine linken Klischees, keine linken Tabus! Während sich derart viele linke ZIRKEL monatelang über einen abgebildeten nackten Frauenkörper prima & superunkonstruktiv kreiselnd regelrecht KAPUTTdiskutieren & den Feind logisch prima immer im eigenen Lager ausmachen können, installiert das System fabrikationsartig-dezentralisiert ständig neue unsichtbare Machtkanäle, legt Leitungen aus BLUT & FIEBERGLAS. Der Diskurs ist nach wie vor HERRschaftscodiert.
Masami Akita wurde 1956 in Tokyo geboren. An der Tamagawa Universität graduierte er über Malerei & Kunsttheorie. Später gab er verschiedene Zeitschriften heraus & war Freelance-Schreiber für diverse Buch- & Magazinpublikationen. 1981 gründete er das Projekt, das seither der Inbegriff des Japan-Noise ist: MERZBOW. Bislang veröffentlichte Merzbow über 50 Platten & CDs auf denen dem letzten verbliebenem uncodiertem Terrain der Geräuschkultur Raum für radikalste & offenste Entfaltung gegeben wird: dem LÄRM. Allerdings nicht in einer amorph-indifferentem Form, sondern äusserst kunstvoll arrangiert. Das Chaos, das Unausgeformte & das Unausgesprochene wird durch aggressive & präzise Arrangements angegangen, nicht, um es zu unterdrücken, sondern um es zu kontrollieren, was hier heisst: um es zu verstehen, zu transformieren & sicht-/hörbar & damit deutlich zu machen. Merzbows Klangexploration ist ein Versuch, mit Extremen umzugehen – den eigenen, die logischerweise immer Extreme der Gesellschaft sind.
Dies als ein erster Ansatz, um sich dem für viele abstossenden Thema ‚Bondage‘ – der kunstvollen Fesselung von Körpern – zu nähern. Merzbow erstellt auf ‚Music for Bondage Performance‘ Lärmarrangements von brutaler Filigranität. Domination & Folter ist als kultureller Ausdruck extrem codiert & präzise ausgeschrieben. Gerade die Feinheit eines Arrangements der Erniedrigung garantiert dessen Effizienz. In Japan ist Bondage seit Jahrhunderten fester Teil der Kultur. Die japanische Kultursublimation von Sexualität zeichnet sich durch extreme Brutalität aus. Sexualität findet auf der Oberfläche der Gesellschaft nicht statt. In den härtesten Variationen der Pornographie waren die Abbildungen von Genitalien & Schamhaaren bis vor kurzem noch verboten & wurden in jeder Visualisierung unkenntlich gemacht, sogar in Hardcorefilmen. In Punkto Brutalität & Gewaltdarstellung ist die japanische Kultur jedoch wenig zimperlich: das totale Verbot bzw die soziale Negation von freier & selbstbestimmter Sexualität erzeugt in den profanen Alltagskulturprodukten eine gewalttätige Exzessivität, die schwindelerregend ist – & scheinbar im völligen Gegensatz steht zur tatsächlichen Kriminalitätsstatistik, die – offiziell, was in Japan NICHTS bedeutet – die niedrigste aller Industrienationen ist. Die andere Variante des japanischen Sexfilms sind die sogenannten ‚Pink Movies‘, die weniger für den Videomarkt gedreht werden, sondern für bestimmte Kinos, wo sie in Dauerrotation laufen. Pink Movies sind eine Art Autorenfilme, die via Sex künstlerisch-politische Intentionen formulieren – bestenfalls. Als sich innerhalb des Genres eine regelrechte Avantgarde formierte, gab es Probleme mit den Kinobesitzern in Japan: sie drängten auf mehr Porno-Szenen, „weil die avantgardistischen Filmemacher den Ruf haben, das Publikum zu entäuschen, zu verwirren. Sie gelten als die ‚Dämonen des Genres‘, weil sie das Publikum mit anspruchsvollen Fragestellungen konfrontieren“, so Takahisa Zeze, mit Hisayasu Sato einer der profiliertesten japanischen Pink-Filmer (In: Christian Fuchs, Freedom Bondage, Skug – Subversive Wisdom #27, 1996). Pink-Filme, so Zeze weiter, entstanden in den 60ern, „& man sollte den politischen Zeitgeist von damals miteinbeziehen. Z.B. war da Koiji Wakamutsu, der eine eigene Produktionsfirma für politisch engagierte Filme im Pornobereich gründete. Der Regisseur Adachi wiederum hatte Kontakte zur RAF & drehte Pornos, aber mit politischem Background.“
Nicht dass wir uns hier falsch verstehen: es geht nicht darum, Pornographie & Bondage einen radikalen subversiven Chic zu verpassen oder intellektuell zu verklären & aufzuwerten, sondern den eigenen okzidentalen kulturellen Blickwinkel radikal zu partikularisieren & fremdkulturelle Kunst- & Subversionsformen historisch & sozial-funktionell ersteinx zu verstehen. Sato: „Gewalttätige Pornographie ist in Japan sehr verbreitet, aber das ist eben nur die Oberfläche. Wer tiefer eindringen will, muss sich aber mit der japanischen Kultur & ihrem Verhältnis zur Sexualität beschäftigen. Es gibt einen alten Kodex: man muss Schmerz miteinander teilen, sich gegenseitig verletzen, um eine Beziehung zu festigen.“
Für westliche Betrachter ist es äusserst schwierig, die Gewalt in japanischen Kulturprodukten zu beurteilen. Maerz schrieb 1991 in der Splatting Image No. 7 dazu: „Wenn Folter, Blut & Mord Lust & Erguss ersetzen, ist in Japan allem Anschein nach dagegen nicht das Geringste einzuwenden. Jeder darf sehen, wie sich Menschen auf die übelste Art zerfetzen. Gewalt ist legitim, solange sie Affekt bleibt & nicht zu überlegt angewendet wird. Gewalt ist systemstabilisierend. In dieser Sichtweise ist Sex bewusst, subversiv & revolutionär.“ Es dürfte nicht schwierig sein, die Paralelle zur unterschiedlichen Rechtsbehandlung von sog. ‚politischen & bloss-affektiven‘ Straftaten in westlichen Industrienationen zu sehen. Es gibt definitiv eine Gewalt, die der Staat toleriert & nur pro forma beklagt, & eine, deren zielgerichtete & explizite Intentionierung systematisch unterdrückt & zerschlagen wird. Der auffälligste & für Kritik prädestinierte Punkt in der japanischen Bondagekultur ist logischerweise, dass die dargestellten kunstvoll gefesselten Opfer fast ausschliesslich Frauen sind, wogegen westliche Bondagekultur viel öfter heterosexuelle Schraffuren bereitstellt. Nach wie vor ist der japanische Mann mächtig & gibt sich als allmächtiger Gestalter & Verwalter, dem sich die Frau im & für das Funktionieren im Sozialen völlig unterzuordnen hat – im Sex natürlich ebenso. Maerz dazu: „Sex soll für die Frau immer besinnungslose Hingabe bis zur Selbstaufgabe, bis zum Verlöschen des Ichs sein. Werden sollen die Frauen das (am besten permanent) polyorgasmatische Bündel. Wollust muss jede andere Empfindung verdrängen, der Wille muss in der Lust absaufen. Der Mann ist mächtig, der seine Frau ganz auslöscht.“ Der Mann ist der Staat, die Frau, das bist DU! Es liegt an dir, die Übertragung zu vollziehen & konsequent weiterzuführen. Wie sagte doch Cristian Vogel zu mir, nicht ganz bei Trost: ‚Underground is like being a woman. Ain’t that a hell of a theory, man?‘ Allerdings, MANN!
Merzbows Klangmaterial liefert radikale Texturen für eine Reflexion über Subversivität: Was ist möglich, mit welchen Mitteln, & welche kulturellen Vorgaben haben wir? Diese ‚Musik‘ als radikal & subversiv zu empfinden, fällt einem westlichen KulturIndividuum leicht – aber die soziokulturelle Genese, die dahintersteht? In keiner anderen Industrienation ist Tradition & Kultur ein derartiger Käfig & ein eisernes Korsett, in dem mensch sich jeden Tag bewegt. ‚Music for Bondage Performance‘ ist ein Ausdruck der symbolischen Überschreitung soziokultureller Herrschaftsmechanismen, die sich der eigenen Verstrickung darin bewusst ist & eingesteht. Nichts anderes wird hier thematisiert. Der nächste Schritt ist dann die Überschreitung von Kunst.
Danke an Miki für Anregungen. Credits to Maerz & Christian Fuchs.
(Seven)