Michael Fischer und Vienna Improvisers Orchestra

ZUM KERN VON KLANG UND SPRACHE

Michael Fischers Vienna Improvisers Orchestra ist seit seiner Gründung 2004 eines der interessantesten Großensembles in Österreich, das sich grundsätzlich der freien Improvisation verschrieben hat. Die Auslotung und Vermittlung von sprachlichen und literarischen Kontexten ist dem Performer, Komponisten und Dirigenten Fischer dabei seit jeher Interesse und Anliegen, im Februar kommt es nun im „Porgy & Bess“ zu einer Aufführung mit Gerhard Rühm.

15 Aufführungen hat das VIO mittlerweile gemacht, und bis auf eine waren alle mit Text verbunden. Sprache ist allein schon dadurch ein definitiver Fokus des Ensembles. Das war nicht von Anfang an so gedacht, als Fischer 1997 mit den ersten 9köpfigen Bands, angelehnt an Miles Davis 70er-Jahre-Konzepte, begann, Musik mit der Sing- und Sprechstimme von Ilse Kilic zu fusionieren. Frei nach Butch Morris setzte sich für Fischer, der immer mehr in Richtung frei improvisierendes Orchester tendierte, schließlich der Umgang mit Handzeichen als strukturierendes Grundelement durch. „Die Vereinbarungen sind bei uns das einzige, was vorher feststeht und mitunter auch dem Publikum erklärt wird. Dadurch werden unmittelbare Verbindungen zu sehr abstrakten Strukturen und schnellen Wechseln möglich. In der Jugend ist man so drauf, dass man die Leute schockt, über die Jahre jedoch geht es mir zunehmend mehr um die Kommunikation und Dialogsituation, und die Zeichen sind dabei eine sinnfällige Mittlerrolle zwischen Publikum und Orchester. Ziel ist es, dadurch einen anderen Denk- und Rezeptionsprozess zu initiieren.“ Fischer betont dabei, dass frei improvisierte Musik am wenigsten hierarchisch sei. „Gerade in Österreich und seiner Geschichte, wo es immer um die Frage geht ‚wer ist oben und wer ist unten’, ist mir das ein wichtiges Anliegen, und zwar so, dass die Leute damit etwas anfangen können.“ Improvisierte Musik also einmal mehr als eine mögliche Form von Utopie – ein Impetus, der dem VIO immer als potenzieller Moment und Subtext zugrunde liegt.

Der Kontext ‚Musik und Literatur’ beschäftigt Fischer seit zwei Jahren noch intensiver als sonst. Vorlesungen von Gerhard Jaschke an der Akademie der Bildenden Künste fachten sein Interesse für experimentelle Sprachkunst noch mehr an. Der Spezialist für österreichische Nachkriegslyrik und die Wiener Gruppe machte ihn auf Gerhard Rühms Lyrik aufmerksam. Im Rahmen einer DVD-Präsentation im Künstlerhaus Wien, auf der Jaschke eine Kollaboration von Rühms Gedichten mit dem Experimentalfilmer Hubert Sielecki unter dem Titel „sehtexte“ zeigte, erkannte Fischer die Möglichkeiten eines intermedialen Verbundes von Wort und Bild. Sielecki hatte seinen Film haargenau zu Rühms Vortrag seiner Gedichte geschnitten, was Fischer so beeindruckte, dass er über eine Verbindung mit Musik nachdachte und Rühm direkt ansprach. „Ich fragte Rühm später, welche Themen für diesen in der Literatur noch „Aufreger“ seien und die Emotionen hochkochen würden. Er antwortete: ‚Sexualität und Religion.’“ Die Kollaboration nahm konkretere Formen an. Das „Porgy & Bess“ zeigte Interesse, und so findet am 27.2. dort die Präsentation mit Rühm und dem Vienna Improvisers Orchestra statt.

„Unser Ziel ist Abstraktion, Analyse und eine Kondensierung des Materials“, so Fischer. „Das hat auch in der experimentellen Literatur ein große Rolle und ist über die improvisierte Musik sehr gut vermittelbar: Abschälen und schauen, was der Kern einer Idee ist. Experimenteller Sprach- und Musikgebrauch sind eine gegenseitige Klärung sowie ein gegenseitiges Öffnen neuer Bedeutungsräume. Klang bekommt durch Wort und Laut eine neue Bedeutung und andersherum, und das ist eine Idee, die sich durch meine ganzen Arbeiten, gleich ob akustisch, orchestral oder solo, durchzieht.“ Fischer interessiert es dabei, mit der Musik an die Grenze der Sprachlichkeit zu gehen, um auszuloten, wo deren Möglichkeiten enden, Sprache als Ratio zu vermitteln. „Irgendwann in der Anthropologie der Menschheitsgeschichte gab es eine Phase, wo Klang und Sprache noch nicht geschieden waren. Von dort ausgehend versuche ich zu arbeiten, um quasi dorthin zurückzugehen, einen Kern zu finden und diesen wieder in die Gegenwart zu holen.“ Die Wortbeiträge Rühms werden wahrscheinlich in Ideen und Inspirationen frei sein, obschon es einen thematischen Rahmen unter dem Titel „Aktuelle Berichte“ geben wird. Ein Strang von Rühms poetischer Arbeit ist es nämlich, aktuelle Zeitungstexte als Grundlage für Gedichte zu verwenden. Das VIO wird dazu live Instant Composing machen, zwar unter Vorabsprachen, aber doch stets aus dem Moment heraus. Fischer, für den die Zusammenarbeit mit den Autoren anstatt mit Schauspielern einfach noch direkter und existenzieller ist, macht sich um die pointierte Relevanz des Materials keinerlei Sorgen: „Gerhard Rühm ist ein sehr strikter und konsequenter Arbeiter und hat eine ganz genaue Vorstellung von dem, was er will.“

Für Fischer ist Sprache als Kommunikationsmittel immer mit emotionalem Gehalt verbunden. Solo, so bei seinen Saxofon-Feedback-Experimenten, versucht er, genau anders als im Verbund mit dem Orchester, die Sprache explizit aus dem Musikalischen heraus zu entwickeln: als eine Art Rede oder Lesung, die von politischer Agitation bis zu lyrischen und elegischen Texturen reichen kann. Auf Radio Orange schließlich lädt Fischer unter dem Titel „connex: context“ Autoren, häufig aus der Grazer Autorinnen Autorenversammlung, bei der er seit 2005 Mitglied ist, zu einer klangkunsttextlichen Zusammenarbeit ein. Auch ein Projekt des frei aufspielenden spanischen „Orchestra Galicia“, das Fischer dirigiert, und dem österreichisch-arabischen Autoren Semier Insayif ist geplant.

www.wuk.at/m.fischer

(Jazzzeit)

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