Jay-Z

AUDIENZ BEIM DOPE MAN

„Once we get organized, we’ll be able to function smoother and faster.“

Donald Goines: Black Gangster

Der Master hat das Tape. Es kann nur eines geben. Und er hat es. Total control ist angesagt, wenn Jay-Z alias Shawn Carter der versammelten Presse zum Exklusivtermin in London höchstpersönlich 5 Vorabtracks seines neuesten Albums „Vol. III: The Life And Times Of Shawn Carter“ vorspielt. Dreimal deutsche Presse, einmal Viva – das war’s für Germany. Der japanischen Journallie hat das ehemals wilde Brooklyner Streetkid, das nach dem Erscheinen seines vierfach Platinalbums „Vol II: Hard Knock Life“, einem der erfolgreichsten HipHop-Alben aller Zeiten, endgültig zum gelassen-geläuterten Rap Superstar wurde, kurzerhand wegen keiner Lust und dringender Geschäfte abgesagt. Die verbliebenen Japaner klopfen noch ein wenig später an seine Tür, um ein paar Worte des Meisters, der morgen kurzentschlossen nach Atlanta fliegt, zu erhaschen. Jay-Z nimmt es zur Kenntnis, mehr aber auch nicht. Er hat die Präsenz eines Nashorns, auf das eine aufgekratzte Horde Gazellen einrennt. Kann ihn irgendetwas aus der Ruhe bringen, um das Wissen, dass sich eh wieder alle um seine Raps reissen werden, egal, ob Underground oder Mainstream?

Gekleidet in den lässig übergrossen Klamotten seines eigenen „Roc-A-Wear“ Streetwear-Modelabels – der Schritt seiner Hose hängt unserem Mann in den Kniekehlen -, ein schwarzes Kopftuch um den kurzrasierten Schädel, und eine juwelenbesetzte Rasierklinge an einer Juwelenkette um den Hals, dessen Stimmbänder diese unverkennbar eigenen Ryhmes produzieren, mal Staccato, mal gedehnt, aber immer dope, legt Jay das Tape mit den Ruff-Mixen ein. Wir hören die bekannten ausgeklügelten Produktionsskills: hymnische Chöre, die das neue Millenium einläuten, dann die typischen, leicht versetzten, manchmal elektroähnlich klopfenden Rythms, die düsteren Chants, eine leicht asiatisch wirkende Flute- und Stringinstrumentierung, schleichende minimale Looprythmen oder Beats, die sehr bouncy und off-going aus den Speakern springen, und darüber immer die cool-reflektierenden Raps von Jay-Z, die keine Weisheiten verkünden, sondern über den Boden seiner Ghettovergangenheit über die Teppiche der Unterhaltungsindustrie schlendern, immer mit diesem abgeklärt-aufgeklärtem „Been there, done that“-Vibe in der Stimme, wie Dr. Dre es mal für sich formulierte. Jay-Z hat es mal wieder geschafft, mit seiner family, u.a. Beanie Siegel, Amil von Major Coinz und Juvenile von Cash Money, und diversen Produzenten in diversen New Yorker Studios, auf „Vol III“ die Gratwanderung zwischen den Stilen so hinzubekommen, dass eine breite Crossoveraktzeptanz der Platte gesichert erscheint.

Bescheidenheit – und darin ganz unbescheiden: das ist Jay-Z. Er ist 150% überzeugt von sich. „Ich habe ein Talent. Rohes Talent. Und ein Arbeitsethos. Ich arbeite sehr hart. Was Du in die Sache hineinsteckst, bekommst Du wieder aus ihr hinaus.“ Ja. Kein ewiger an-sich-selbst-Zweifler, der dann doch kein gutes Ding auf die Reihe kriegt. Über solche Charaktäre musste Shawn nie nachdenken. Ein ganzer Berg von MCs krähte Anfang der 90er auf den Mixtapes herum, die in New York die Runde machten. Viele sind verschwunden, einige haben sich im „Hotel zum ewigen Underground“ eingerichtet und verrichten dort diverse Jobs – Kellner, Putzteufel oder Portier -, und wenige wurden tatsächlich soetwas wie Superstars. Wie hat unser Mann das geschafft? Zurückspulen: Von Geburt an kannte er kein anderes Leben als das typische Ghetto-Life in den Marcy-Projects von Brooklyn, und seitdem er 16 war – bill’s gotta be paid -, fing er schliesslich an mit Drogen zu dealen. Erst 1992 schaffte er es, dieses Leben hinter sich zu lassen und sich mit aller Kraft und Disziplin auf die Musik zu konzentrieren. Er lernte das Business kennen, und es gefiel ihm nicht. 1995 gründete er mit Damon Dash dann das eigene Label Roc-A-Fella. Die erste Single „In My Lifetime“ machte sich bemerkbar, die erste LP „Reasonable Doubt“, in der er alle Höhen und Tiefen seines Gangster-Daseins portraitierte, festigte seinen Status als ein Rapper mit fixen Ideen und Lyrics voller visueller Rasanz und erwarb sich ersten Respekt von Altmeistern wie Ice Cube und Notorious B.I.G.. „Das soll mein einziges Album bleiben“, sagte Jay-Z damals, aber 1997 übernahm Def Jam den Vertrieb von Roc-A-Fella, das Album „In my Lifetime Vol. I“, teilweise stark vom Tod B.I.G.s beeinflusst, erschien und 1998 schliesslich wurde ein extrem gutes Jahr für die Mainstream-Akzeptanz von Hardcore- und Undergroundrappern. Im Herbst 98 dann „Vol. II: Hard Knock Life“: es erschien sofort an der Spitze der Billboard-Charts und blieb dort fünf Wochen. Punkt. Jetzt aber Ende 1999: Volume III. „Es ist das Ende meiner Trilogie und der Anfang von etwas Neuem. Ich habe immer von den Dingen gesprochen, die mein Leben betrafen, und von den Themen, die ich kannte. Das ist jetzt durch. Die nächste Platte kann total futuristisch werden, völlig verrückt, wer weiss. Es macht mich an, dass ich jetzt alles tun kann, was ich will.“

Nachvollziehbar. Wer hat schon Lust, ewig das Liedchen von niggas, hoes, cars & jewelery zu singen. Und doch habe ich dich genau von diesen Themen auf einem der neuen Tracks rappen hören. „Es geht da aber nicht um bitches, sondern um das Leben im Ghetto, um das Leben in der Stadt.“ Und der Track, wo Du „Dope Man, Ghetto-Spokesman“ rappst -bist Du das? „Das bin ich. Die Leute im Ghetto nennen mich so, weil ich ihnen Hoffnung gebe. Sie kennen noch Jay-Z from next door. Ich spreche für meine Leute.“ Und der „Prisoner of Circumstances“, das bist Du auch? „Ja. Das Kapitalverbrechen hat meinen Arsch nicht gebrochen. Ich bin ein Produkt meiner Umgebung. Wenn Du etwas Negatives in meiner Gegend hinterlässt, wie kannst Du mich dann später dafür anklagen, wenn ich dieses Negative benutze, um aus dieser Gegend herauszukommen? Ich habe das Negative in das Positive verwandelt – das bin ich.“ Du hast mit „This Life Forever“ einen Track für „Black Gangster“ gemacht, dem Soundtrack zum gleichnamigen Buch von Donald Goines (dem erfolgreichsten und bekanntesten schwarzen Bestsellerautor der USA, der das Leben der schwarzen Ghetto-Underdogs in vielen Büchern sehr realistisch beschrieben hat). „Yeah! Ein sehr bildhafter Schreiber mit sehr scharfen Augen. Seine Beschreibung des Ghettos ist sehr zutreffend. Es erinnert mich sehr an mich selbst.“ Hast Du mit deiner Vergangenheit abgeschlossen, einen Cut gemacht? Wie wichtig ist das noch für Dich? „Sehr wichtig, denn eine Menge Leute, die so gelebt haben wie ich, haben’s nie raus geschafft. Ich hab das Spiel zu etwas Positivem für mich gemacht.“ Siehst Du denn generell eine Entwicklung für die schwarze Bevölkerung? „Ja, auf jeden Fall. Es gibt mittlerweile soviele verschiedene Jobs für Schwarze, nicht nur Rapper, sondern auch Manager, Labelbesitzer, Schreiber…gerade in der Musikindustrie gibt es so Viele.“ HipHop ist für Shawn Carter dabei ein Marktsegment, dass noch ganz klar eine Steigerung erfahren kann. Der Markt wächst und wächst, wie auch das Publikum, sagt er, interkulturell, und vom Alter her auch. „Leute von 15 bis 40 hören HipHop, es wächst, wie einst Rockmusik. Als ich jung war, hörte fast keiner Bambataa und Fly, und jetzt…!“

Auch visuell schickt sich Jay-Z an, erneut Präsenz zu gewinnen: seine Stücke sind Soundtracks zu Blockbuster-Filmen wie „Rush Hour“, seine Videos werden für mehrere Awards nominiert, sein letztjähriger straight-to-video-Film „Streets is watching“ über eine Gruppe von Hustlern in Brooklyn wird nächstes Jahr ergänzt durch „Three Hustlers for Harlem“, einem auf Fakten basierendem Spielfilm – Soundtrack natürlich von Jay-Z -, und nicht zuletzt kommt im Februar das Video zur überaus erfolgreichen „Hard Knock Life“-Tour in die Regale. Willst Du deine Cameo-Rollen mal ausweiten? „Nein, definitiv nicht. Ich will nicht der Rapper sein, der auch schauspielert. Ich achte darauf, dass ich nicht schauspielere. Alles, was ich mache, mache ich ernsthaft. Mal hier, mal da ist nicht mein Stil.“ Ice Cube hat geschauspielert – „Ice Cube war nicht ein Rapper in einem Film, er IST ein Schauspieler, verstehst Du? Wie auch 2Pac einer war. Sie waren brilliant.“ OK, um das hier abzuschliessen: wie würdest Du deinen Charakter beschreiben? „Ich bin eine coole Person. Ich achte auf meine Freunde. Meine alten homies aus Brooklyn sind mit mir hier. Am Anfang meiner Karriere unterstützte mich eine kleine Radiostation. Später wollten mich alle haben, aber ich ging zu der kleinen Station, denn sie waren zuerst da. Ich bin eine loyale Person.“ Shawn Carter spricht ruhig und zurückhaltend und fixiert mich. Irgendwie ist er doch der Don.

(Intro)

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