BERLIN 1929-31 (CD)
Directed and coordinated by Marianne Pousseur
Compiled by Johann Bossers
Stefan Wolpers Werk und Person ist im Vergleich zu anderen Vertretern der Neuen Musik aus Deutschland immer noch weitgehend unbekannt. Unverständlich. Daher ist es jetzt eine gute Gelegenheit, anlässlich einer Edition von Anfang 1999 durch ein 12-köpfiges Ensemble aufgenommenen Stücken aus seiner Berliner Zeit 1929-31, auf diesen Komponisten hinzuweisen. Eine sehr gute Einführung bietet Frank Hilbergs Artikel in Musica 6 von 1988, aus dem ich einige grundlegende Informationen stark komprimiert wiedergeben möchte. Geboren wurde Wolpers 1902 in Berlin, früh begann er mit dem Pianospiel. 1920 brach er das Gymnasium ab, lernte Busoni und Hermann Scherchen kennen und begann am Bauhaus zu studieren, wo er u.a. Paul Klee kennenlernte und wo er nach eigenen Angaben lernte, „Alles mit Allem in Beziehung zu setzen“. In Berlin nahm er Kontakt zu dadaistischen Kreisen auf, gesellte sich zur Novembergruppe, verdiente seinen Lebensunterhalt als Cabarettpianist – die Tango- und Rageinflüsse sind in den veröffentlichten Liedern deutlich hörbar-, trat 1925 der KPD bei und wurde Mitglied und später musikalischer Leiter der Agitproptheatergruppe „Gruppe 31“. Die Berliner Dadaisten Raoul Hausmann, Hans Richter, Johannes Baader und vor allem Kurt Schwitters – Wolpers vertonte dessen „An Anna Blume“ (Stück Nr. 1 auf dieser CD) – begleitete er bei seinen Auftritten. Sein politisches Engagement schlägt sich auch in seiner Musik nieder. Der Mitte der 20er Jahre häufiger in Berlin weilende Majakowski veröffentlichte damals sein „Dekret Nr. 2: An die Armee der Künstler“, in dem alles verhöhnt wird, was sich nicht den Zielen der Zukunft, die revolutionär sein soll, dienend unterordnet. Wolpers Interpretation (Stück Nr. 3 auf dieser CD) ist kongenial durch den befehlenden Duktus des Dekrets geprägt. Bei der „Truppe 31“ lernte er Idee und Struktur eines musikalischen und politischen Kollektivs kennen. Wolpers war Kommunist, Jude und ein atonal schreibender und somit „entarteter“ Künstler, so dass seine Flucht 1933 sofort erfolgte. Auf dem Weg ins Exil studierte er in Wien 4 Monate bei Anton Webern, gelangte über Bukarest nach Palästina, doch bald erkannte er die zeitgenössische israelische Musikszene als dass, was sie damals war: viel zu provinziell und eintönig. Die Hölle für jemanden wie Wolpers, der zuvor in Berlin Barmusik mit Zwölftontechnik kombiniert hatte und avantgardistisch ganz weit vorne war. 1939 emigrierte Wolpers in die USA, wo er sich durch Unterricht über Wasser halten konnte, später erhielt er die Möglichkeit zu Lehren. 1956 konnte er dank eines Stipendiums das erste Mal wieder nach Deutschland und zwar nach Darmstadt reisen, um Vorträge zu halten. Zu seinen Schülern zählten Morton Feldmann, David Tudor, aber auch zeitgenössische Jazzmusiker. Ab 1963 wurde bei ihm Parkinsonismus diagnostiziert, an dem er bis zu seinem Tod 1972 in New York litt, zeitweilig so stark, dass es ihm unmöglich war, zu arbeiten. Ein Brand in seiner Wohnung vernichtete zudem unersetzliche Manuskripte und Werknotationen.
Wolpes Musik stellt die allerhöchsten Anforderungen an Spieler wie an Rezepienten. Die Stücke sind horrend schwierig zu spielen, „eigentlich sind sie Überforderungen“, so Hilberg, „manchmal wird die Intensität sogar zur Qual.“ Gemässigt oder lau ist Wolpers Musik nirgends, kein Pathos und keine Sentimentalität ist ihr inne. Alle Elemente, Akzente, Auslassungen, Synkopen und Taktwechsel, die es zuhauf gibt, haben doch vor allem nicht das Ziel, die Motorik des Stückes zu durchbrechen. Die hier versammelten Stücke – u.a. mit Texten von Kästner, Mehring, Becher, Heine und Lenin – demonstrieren dies im Kleinformat, eine gute Einführung in Wolpes weiteres, äusserst anspruchsvolles Werk. Wer könnte so eine Musik besser beschreiben als T. W. Adorno, dessen Text von 1940 ich hier in voller Länge und auf Englisch wiedergeben möchte: „The moving force of this music is the reconstruction of the „expressivo“. Wolpes‘ music had nothing to do with the expressive ideals of traditional romanticism, or even of expressionism. A note or a chord here does not seek to reveal the depths of the soul. But overall, this musical language expresses itself with such a passion, that it gives an impression of extremity: and this, a bit in the manner of Oriental or rather Arabic music, which has nothing to do with our modes of expression, and reflects throughout its diction, a more ardent passion…He pushes musical language towards its declamatory extremes, for only the extremes still have a hope of being „felt“….“ Von Schwitters zu Lenin: Wolpes Musik changiert auf höchst vitale Weise zwischen Kunstmusik und Volkston, und bleibt doch auf tragische Weise komplette Kunstmusik, der jede Popularität für immer verwehrt sein wird. Verständlich. Doch an den Rändern finden, wie immer, auch jetzt noch fruchtbare Begegnungen statt …
(Subrosa / Unclassical Music / EFA)
(Testcard)