Jim Avignon

BABY, IT’S THE PRE-SET-MAN

Ob er „Like A Tim“ kennt, habe ich ihn natürlich gefragt. Eigentlich nur die „I like it when you don’t like it“, hat er geantwortet. Nee, ich meine die mit dem wunderbarem Stück „Baby, it’s the Pre-Set Man“ – als ob der Mann von der Hamburg-Mannheimer an der Haustür klingelt, und du machst auf, und deine Frau röhrt aus dem Wohnzimmer „Werssn das?“, und du sagst „Baby, it’s the Pre-Set Man“ – stimmt ja, hatten wir bestellt, und da steht er nun mit einem Koffer voller Pre-Sets und grinst uns an wie Jim jetzt mich. „Nee, kenn ich nicht. Kannst du aber so als Titel für den Artikel nehmen.“ Na was denn wohl sonst?!

Bei Jim Avignon zuhause. Die Geschwister Image und Mythos springen dem in Berlin lebenden Künstler vorraus, wir versuchen, die wibbeligen Kinder einzufangen und zu fesseln und zu knebeln, damit wir uns in Ruhe auf dem Sofa unterhalten können. Es gibt grünen Tee, hier am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg, angenehme Wohngegend. Alles da, space vor allem, und auch ein Yamaha-Keyboard mit Diskettenlaufwerk. Dies ist das Herzstück von „Neoangin“, Jims Musikprojekt. Seit 1997 erscheint im Eigenverlag dieser so seltsam freundliche Sound, der nun mit dem Album „a friendly dog in an unfriendly world“ auf dem Hamburger Wonder-Label so richtig professionell vertrieben wird. Die Anfänge dieses Schaffensdranges liegen aber mal wieder im Grünen: Jim Avignon – ein Künstlername, natürlich – wird vor ein paar wenigen Dekaden in Süddeutschland geboren. Zumindest das lässt sich sicher sagen, von einem, dem das Fälschen von biografischen Daten und das Stricken einer eigenen Legende grosses Vergnügen bereitet. Automatisch schaue ich auf das Dylan-Plattencover, das im Raum steht. Ein klassischer symbolischer Versuch, die private von der Kunstperson zu trennen. Die Kunst lernte der impulsive Autodidakt in der Schule des Lebens, durch Ausprobieren und daraus lernen. Zwar beobachtete er anfänglich die Kunstakademie Karlsruhe, doch das „Regiment Lüpertz“ schmeckte ihm nicht, zudem Jim weder weiblich war und gut aussah, noch Fussball im Klassenklub „Lokomotive Lüpertz“ spielte. „Schon damals hatte ich intuitiv das Gefühl, dass die Art, wie Musik Bezüge schafft und damit umgeht, mir viel besser gefiel, als wie es in der Kunst passiert.“ Damit meint er die Möglichkeit des Multiples, des CD kaufens anstatt von Originalen, oder die Stimmung und der Publikumskontakt bei einem Konzert. In den 80ern waren die Vernissagen mit sektschlürfenden Yuppies zudem fast noch schlimmer als das Klischee, das wir heute davon haben, und auf der Akademie verliert man sehr schnell seine ungewöhnliche persönliche Handschrift, so Jim – also war klar, dass der Weg woanders hinführen muss. Er führte nach Köln, wo er dem damaligen Wirt des „Sixpack“ vorprahlte, in einer Woche eine Ausstellung an die Wände zu schmeissen. Zu diesem Zeitpunkt malte Jim selbstredend noch gar nicht. Diese Punk-Nachwehen äusserten sich in einem kreativem Schub, und jedes Bild wurde zum Dumpingpreis von 100 DM verkauft. Von da an war die Richtung vorgegeben. Der Prozess der Öffentlichkeitsmachung ging nicht wie gewohnt schleppend, sondern schnell und spontan voran. Damals war Jim 20 und baute sich ein Netz von Läden in Deutschland auf, wo er aktiv sein und extrem viel über alternative Kunstvermarktung lernen konnte: im Frankfurter Cafe Eckstein, in Mannheim, und dann 1988, als er nach Berlin zog. Die Stadt mit ihrem Ghetto- und Gruftiimage interessierte ihn damals herzlich wenig, Liebe – die übrigens heute noch hält – war der Grund für die Wanderschaft. Erst nach dem Mauerfall wird Jim mit der Stadt wirklich warm.

Musik hat Jim Avignon stets parallel zur Kunst gemacht, jedoch in unterschiedlichen Intensitäten: privates Pianohämmern, lokales Indiegeschrammel, und in Berlin war dann erstmal Schluss mit Musik. 1995 kaufte sich Jim das erste Keyboard, als er im Baumarkt Ausstellungsmaterial sucht, das kostet im Sonderangebot immerhin 1500 DM. Egal: Gesehen, gekauft, gemacht. Nach dem ersten Rumdudeln und Computerspielsoundtrackerstellen ruht die Kiste erstmal. 96 gibt’s eine neue mit mehr Speicherplatz, und 97 setzt dann der kreative Audioschub ein, der bis heute anhält. Für die Präsentation des Magazins „Shift“ bringt er die eher süsslich klingenden Instrumentals unter dem Titel „Musik für Kinder“ heraus – denn die haben laut Jim wirklich die beste Wirkung auf Kinder, die dabei unglaublich gut gelaunt in der Gegend herumhüpfen sollen. Trotzdem hat er nicht die geringsten Ambitionen, dies als seriös gemeinten Beitrag zum Musikgeschehen herauszubringen, ergo gibt es auch keine Konzerte und keinen Vertrieb. Aber einen ganz anderen Vibe als die eher inhaltslastigen Bilder dieser Zeit, die Jim in steter Produktion herstellt. Durch den weltweiten „Shift“-Versand kamen Anfragen nach der Musik, und jetzt erst beginnt Jim, das Projekt „Neoangin“ ernsthafter zu formulieren. Er entwickelt auf zwei Platten seine typische Themensprache, bei der ein Stimmungsbild ins nächste verfällt. Ganz verschiedene Schubladen werden bei einem einheitlichem Sound, der sich ausnahmslos durch das clevere Arrangement der im Gerät enthaltenen Pre-Set-Strukturen ergibt, aufgezogen. „Die Verwendung von Pre-Sets ist fast schon eine Philosophie“, erklärt Jim, alles Authentische in der Musik rigoros wegkürzend. „Also Musik in einer modifizierten künstlichen Form zu nehmen, und damit neue Musik zu machen. Jedes Genre der letzten 50 Jahre ist hier abrufbar, und die Strukturen lassen erkennen, wo die Ähnlichkeiten bei völlig unterschiedlichen Musikstilen liegen. Und es ist natürlich sehr bequem“, gibt Jim zu, dem Melodien mit Persönlichkeit mehr liegen als rythmische Finessen. Nichtzuletzt sind seine Songs eine Übersetzung seiner Kunst, aber eben auch eine Transformation: alltagsgeniale Philosophie-Icons, zu denen man tanzen kann.

Jims Auftritte haben stets diesen Performancecharakter, der sicherstellt, dass wirklich kein Konzert wie das andere ist, und für jedes macht er zwei, drei neue Stücke – wegen dem Risiko. Bei nahezu 450 Titeln (insklusive Fragmente, alles verzeichnet in einem grossen Heft) ergeben sich so schon mal über 3-stündige Konzerte, bei denen auch noch – ganz nach „Der Plan“-Manier – die selbstgearbeiteten Bühnenbilder von Jim verschoben werden. Mal spielt er in einer Tablettenschachtel, mal in einem Papphochhaus, mal in einer Art Rollschuhdisco in der Mitte, während die Läufer um ihn kreisen, oder zwei Karatekämpfer „tekken“ während des Auftritts aufeinander ein, so dass sich am Ende das Publikum prügelt – wenn „Neoangin“ musiziert, ist Leben in der Bude. Oder live in der Volksbühne bei einer Multimediadokumentation zum Thema Alkoholismus, als Jim nach jedem Song einen Vodka trank… „Es ist nicht so, dass ich die Extreme suche, sondern die Musik einfach nur in unterschiedliche Erlebnisbereiche verpacke.“. Ein Laptop und ein Mann mit Stirnrunzeln davor – das reicht Herrn Avignon bei allem Respekt für elektronische Musik einfach nicht aus. Zusätzliche Livesounds kommen dabei impulsiv aus einem kleinem Sampler, und der Gesang ist natürlich live. Ca. 70 Texte kann Jim auswendig, den Rest liest er notfalls vom Blatt ab – plötzliche Gedächtnislücken halten das Konzept für den Künstler selbst spannend.

Die Produktion der Stücke geschieht seit jeher im Brightoner Studio von Pilot Pirx, einem dort lebenden alten Schulfreund. Die auf Diskette gespeicherten Tracks nimmt Jim mit – den Yamaha wagt er nach einem Autounfall, bei dem das Gerät arg geschüttelt wurde, kaum noch in seiner Berliner Wohnung hochzuheben – und bearbeitet sie dort auf Pro Tools. Die Trackarchitektur ist generell charmant und simpel. Breakbeats sind eh unmöglich, das Gerät ist stoisch dem 4/4 oder 3/4-Takt verhaftet, aber Stücke aus Fill-Ins gehen gerade noch. Naja, wenn das Gerät kaputt ist, sagt Jim, ist die Musiksache eben abgeschlossen. Die Platten hat er sich eh als Trilogie vorgestellt, und es steht absolut nicht fest, wie und ob Jim-Avignon-Audio überhaupt weitergeht. Und der nächste Schritt ist immer der Wichtigste.

Schnelligkeit erscheint hier wichtig, ist es aber nicht wirklich – eigentlich will Jim damit eher ein Klischee schaffen. Anfang der 90er gab er sich provokativ den Titel „Schnellster Maler der Welt“, als er 1992 wochenlang auf der Documenta uneingeladen Bilder malte und abends wieder kaputt haute, oder einen Motorradfahrer hindurchfahren liess. Oder in der Aktion „Get rich with art“ in der Frankfurter Kunsthalle Schirn 800 Bilder für je 15 Mark in einer Nacht verkaufte. Über die Jahre jedoch gerieten sämtliche Themen oft ins Hintertreffen, sagt er, und die Medien erschufen von ihm Images wie „Tizian des Techno“ oder „Berliner Warhol“, der schon weit über 10.000 Bilder in Umlauf gebracht hat. „Ich bin ein Minimalist im Inhaltlichen“, erklärt Jim, „der versucht, Bilder und Icons so zu reduzieren, dass trotzdem noch eine komplexe Deutung dazu möglich ist. Das aber kann in drei Strichen passieren, und ob die in 5 Minuten oder 5 Stunden gemalt werden, ist unwichtig. Die Zeit des Nachdenkens darüber gehört ja dazu, und manchmal wird dir erst jetzt klar, was das Gute an dem war, das du vor 5 Jahren gemacht hast. Geschwindigkeit war mir nur wichtig, um einen Stil zu kreiiren, der so stark reduziert ist, dass man eben nicht tagelang an Details sitzen muss, und dass man alles Unwesentliche weglassen kann. Und so ist es bei meiner Musik eigentlich auch.“

Jim Avignon, Anti-Elitarist. Ein kleiner Meister der Verdichtung, der Simplifizierung ohne Komplexitätsreduktion, ein Bringer auf den Punkt. Sehr aktiv, sehr unterwegs, sehr bewusst. Von der Diktatur der Unterhaltung lässt er sich bei gleichzeitiger Eingebundenheit nicht kirre machen, und das Medien- und Popularitätskarussel lässt ihn nicht die Bodenhaftung verlieren. Ihm ist der Draht zum neugeschaffenem alternativen Kunstmarkt nach wie vor sehr wichtig, doch sucht er ständig neue Kontexte und Anbindungen an unterschiedlichste Publikumsschichten, die ihn aus dem reinen Kunstsegment hinausführen. Jedoch ist die Arbeit von Jim Avignon bei aller Szenepräsenz keine zynische Hipsterkunst, gemacht für die Undergroundbörse der neuen Mitte. Dazu spiegelt sie bei allem sarkastischen Humor und aller Reduktion von Sentimentalität noch viel zu viel realistische Poesie und Melancholie wieder. Und wenn John Peel die Platte rauf und runter spielt, ist das genauso gut wie der plötzliche Tod der New Economy. Oder eine private Revolution. Identity Skip. Open new file:

Faustrecht der Freiheit.

(Jazzthetik)

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