Matmos

MATMOS

A Chance To Cut Is A Chance To Cure (CD / LP)

MATMOS

California Rhinoplasty EP (CD / LP)

LESSER

Gearhound (CD / LP)

Der Einschnitt eines Skalpells in lebendes menschliches Fleisch wird von Vielen instinktiv oft als etwas Negatives empfunden. Unverständlich. Matmos begegnen diesem psychologischem Hemmschuh mit einer perfiden Umwertung und Neudefinition, die nicht wirklich zynisch ist, sondern vielmehr selbstverständlich-verständnisvollen humoristischen schwarzen Gedanken hinterherhängt, dadurch die Musik neudefiniert und in einem erweitertem interkulturellem Bezugssystem verständlich macht. Und dabei nicht auf Versöhnung aus ist, sondern komplett unkompromissvoll ist. Klingt kompliziert? Naja: die Arbeit von Matmos ist nun mal mit das Beste, was unsere Klangwelt derzeit zu bieten hat. Vergleichspunkte für ihre Musik sind qua Eigendefinition Steven Stapleton, Larry Heard, Pierre Henry, Autechre, John Fahey und Throbbing Gristle. Und klar: in einem Haus mit solchen Räumen kann einiges passieren. Der Autechrevergleich ist nicht zuletzt von ihnen selber im Pressesheet zum Debut aufgebracht worden, wobei Matmos vor allem eines von den Sheffieldern extrem unterscheidet: ein ganz eigener Humor. Eine Split-12″ auf Fat Cat, diverse 7″es auf kleinen Labeln, die sie mögen, die Verarbeitung von Folkidiomen auf der Platte „The West“, aussergewöhnliche Konzerte mit Projektionen, die kein pittoresker Showschnickschnack sind – remember Throbbing Gristle, die ihre Visuals auch kompromisslos einsetzten – und Livesampling und eine über die Jahre lakonische Ablehnung von „business crap“ – Martin.C. Schmitt und Andrew Daniel ziehen in ihrem Projekt die konzeptuell besten Momente kalifornischer Industrialästhetik und deren typischen Thematiken (Sex, Tod und Technik) und die dekonstruierten Bezüge zur neuen globalisierten Popmusikkultur zusammen, um ihre Arbeit nicht vollends nur in den Liebhaberschubladen verschimmeln zu lassen. Matmos gehen raus, sie machen Soundtracks für Hardcore Schwulenpornos und Fetischvideos und für ihre neue Platte machten sie gar Field Recordings, die sich gewaschen haben. Beide Ärztesöhne, erschlichen sie sich das Vertrauen von Chirurgen und deren Patienten und sammelten die Klänge von Schönheits-OPs: Skalpell, Schaben, Raspeln, brechende Knochen, Fettabsaugen, Geräusche einer Augen-Laser-Operation oder ein Track wie „Memento Mori“, der komplett aus Samples von menschlichen Schädeln, Ziegenrückgrat, Sehnen und Gewebestoff und künstlichen Zähnen besteht – ich komme nicht umhin, die Musik von Matmos als „basic“ zu bezeichnen. Martin betreut als Assistant-Manager ein Medienlabor der Kunstakademie von San Francisco, Drew dagegen macht derzeit unter anderem seinen Doktor in Renaissance Literatur. „Ich liebe Akademia“, sagt letzterer, „ich würde am liebsten nur Bücher lesen und schreiben und Denken und davon leben.“ Zwar verdienen Matmos etwas Asche, um ihren weltlichen Frieden zu finden, doch stecken sie 90% davon gleich wieder in Equipment oder aufwendige Tourneen. Doch das MixMag wurde auf ihren seltsamen Sound aufmerksam und in diesem Zuge auch Björk, deren Single „Alarm Call“ sie u.a. durch das gekonnte Zerschnipseln ihrer Phonetik remixten. Diese Zusammenarbeit wird just ausgebaut: Björk besuchte das SF-Heimstudio von Matmos, liess sich die gewünschten obervertrackten und superseltsamen Beats für ihr neues Album basteln und lud das Duo gleich ein, sie auf der folgenden Welttour zu begleiten. Zusätzlich werkeln Matmos gemeinsam mit Matthew Herbert und dem Kronos Quartet. Und Matador, die cleveren Hunde, grabbeln einmal mehr tief im Untergrund herum und greifen sich diese Kerle, wohlwissend, dass die nur Platten nach eigenen Vorgaben machen. Damit profiliert sich das Label auch nicht schlecht derzeit, da sie passenderweise auch gleich langjährigen Freund und Bühnenmatie Jay Lesser unter Vertrag genommen haben. Dessen Platte „Gearhound“ ist so ein Ding, das nur alle Jahre einmal erscheint, und dem ich nurmehr locker die Höchstnote verpassen kann. Nur: für was eigentlich? Wahrscheinlich für die unvergleichlich gelungene Mischung aus Sound, Attitude und Weirdness. Als Vergleichspunkt zum letzten Jahr lasse ich hier nur die Jamie Liddl Platte gelten. Lesser lässt es krachen, fiepen, schaben, bruzzeln und explodieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Seine Anfänge liegen in der „alternative Spacken“-Szene von san Diego, deren gelangweilte Sonnenbrände er bald mit dem Metallkamm bearbeitete. Hier ist endlich mal wieder jemand, der Punk wirklich verstanden hat und auch bereit ist, das O.R.A.V. in der Jetztzeit zu leben. Und noch nichtmal auf Experimentalklischees fällt der Guteste rein – wunderbar! Prätentiösisten und amtliche Stilliebhaber können den Superweirdo wirklich am Arsch lecken, er kollaboriert weiter mit Kid 606 und kann von Glück sagen, dass Matador derzeit so eine grosse Einkaufsliste hat, um so einen kranken Komiker ins Haus zu lassen. Wieso sollte ein Track wohl auch sonst „matador records tax deduction“ (Steuerabschreibung) heissen? Der Mann braucht Geld und lacht dabei. Lächerlich? Verständlich.

(Testcard)

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