MIMEO
Electric Chair + Table (CD)
WERTHER / WITTWER
I (CD)
STEVIE WISHART / JIM DENLEY
Tibooburra (CD)
Improvisierte Tischmusik ist ein Fall für sich. Wer einmal erlebt hat, wie zb. Möslang / Guhl mit einem Szenario aus angehäuften Alltagselektronikgeräten einen perfektionierten Noise-Jazzrock erschaffen oder der konzentriert-schwelenden Leidenschaft eines Jean-Marc Montera, der seiner „guitar du table“ mit diversen Federn, Messern oder Küchenschwämmen die unglaublichsten Klänge entlockt, beiwohnen konnte, wird zugeben müssen, dass ein konzentriertes Spiel bei Tisch, das wirklich begeistert, mehr als nur die nerdig-erdige Klangquellenkennung erfordert. Das im Dezember 1998 im Kölner Stadtgarten im Rahmen eines Jack-Pohl-Festivals – einer losen Reihe, die diverse zeitgemässe Improvisateure in unterschiedlichsten Formationen vorstellte – aufgenommene Konzert des „Music in Movement Electronic Orchestra“ (Mimeo) versammelte gar 12 improvisierende Klangerzeuger an einem Tisch. Die Namensliste ist zu lang, aber glaubt mir, es sind gute Leute darunter, und es ergibt sich eine herausragende Schnittmenge aus analoger und digitaler Elektronik, die mitunter atemberaubend ist. Konkret geschehen die movements in fünf kleineren und einer langen, fast sechzigminütigen Improvisation, in der sich Verschiebungen und Schichtungen ergeben, die von einer beachtlichen Korrespondenz zwischen den Teilnehmern berichten – was man bei grösseren Ensembles ja auch nicht immer sagen kann. Das hier abgespeicherte elektroakustische Ereignis war es auf jeden Fall definitiv wert, als Platte zu erscheinen. Ebenfalls auf „Grob“, einem bemerkenswertem Label, dass eine äusserst interessante und wichtige Palette zeitgenössischer Momente und Energien improvisierter Musik in energetischer und zumeist hochqualifizierter Konzentration zusammenzuführen in der Lage ist: die Kollaboration des Schweizer Gitarrenerforschers Stephan Wittwer und des Alboth Schlagzeugers Michael Werthmüller, seines Zeichens einer der besten Improvisations-Drummer, mit der Betonung auf dem letzten Wort. Sein bisweilen hochfantastisches Spiel konterkarikiert sich mit Wittwers äusserst gezielten Auswürfen, berserkert vor sich hin, um in einer kleinen Schnittpause die geborstenen Dendriten des Schweizer Saitenmannes aufzusammeln. Das ist oft und wahr und sehr schön zu hören, vor allem laut und live wohl, dann aber wieder nervt, wie nur verzerrte Männergitarren nerven können: hier ist meine Tretmine, und das bin übrigens ich. Nein. So nicht. Der Schluss von Track 6 zb. könnte als abscheussliches 70s Rock-Outro durchgehen, aber wer sagt denen das. Ach das wissen die schon? Aua. Und wo ist der Humor? Schulterzucken. Sehr oft zu hören sind pathetische Breitwandgitarren, und es gibt ja Leute, die mögen das, haben sich aber selbst abgerichtet, das nur sublimiert-improvisiert rauslassen zu können. Nein. So nicht. Zuviel Rock. Es gibt ja Leute, die mögen das. Und ich wollte ja auch lieber die Chadlehn besprechen, aber die hatte Martin ja schon. Dann lieber die Kollaboration von Stevie Wishart und Jim Denley, beide Mitglieder des australischen Ausnahme-Improv-Ensembles „Machine for making sense“, normalerweise sie an der elektronischen Drehleier, er an den Reeds. Und es ist immer gut, eine Frau im improvisierendem Team zu haben, das lässt den Platzhirschfaktor und die Saurauslass-Adrenalinspringflut doch erheblich sympathisch sinken. Die beiden halten sich ergo komplett zurück, konzentrieren sich aufs Wesentliche und erschaffen mittels eines mitunter begnadeten Sample-Echtzeitinstrumenten-Mixes ein bewusst minimal gehaltenes Panorama, in dem viel passiert und das keine überschüssigen Hormone entsorgen muss. Und manchmal klingt das so, als ob die beiden was vom Waldboden auflesen würden, und Federn finden, Finger, oder Ohren. Was gut tut, nach androzentrischen Rock-Gewittern. (Mimeo und Werther / Wittwer: Grob, über: Josef Suchy, Tibooburra: no mans land)
(Testcard)