Atom Heart

THERE MUST BE MORE TO LIFE THAN THIS

„Wie rebellisch ist der reine Sound?“ fragte Martin Büsser in testcard 2 / inland. These: Die Sprachlosigkeit von elektronischer Musik birgt die Gefahr von völligem Eskapismus in sich. Selbst der avantgardistischste Soundbastler, so Büsser, wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass die Reibefläche seiner Musik maximal eine innerästhetische Konfrontation bewirken könne. Jede im reinen Sound bleibende Musikform hingegen, jeder anfängliche Störsound, & gibt er sich noch so codiert hart oder anders, wird irgendwann zur Tapete, egal ob Oval oder Mokum-Gabber – alles ist potentieller Ambient für den persönlichen Film. & jeder geschlossene Raum ist ein Sarg. Ein anderer Punkt ist jedoch: eindeutige Formel- & Standard-Textmessages werden auch irgendwann zur Massage, Texthaftigkeit zu einem starren Kanon, der durch repetierte Formalisierung jede subversive Wirksamkeit verliert. Irgendwann geht der politischste Hardcorepunk in Eskapismus über, Plattenhören wird dann zum symbolischen Widerstand, Musikkonsum zum symbolisch-dissidenten Akt. Büsser registriert richtig, wie anfänglich subversiv-dissonante ‚gegen-die-Regeln‘ – Sounds, Haltungen & Arbeitsweisen nach & nach von der Industrie entdeckt, benannt, normiert & verwertet werden. Die Industrie braucht den sog. Underground, die sich selbst definierende Dissidenz, geradezu als Reservoir für Erneuerungen – Blutwäsche für Dracula. Diese Analyse ist keinesfalls neu (& das proklamiert sie auch nicht), sondern sollte geläufig sein. Auch die Handlungsdirektive, die Büsser empfiehlt – Öfter x die Strategie wechseln & sich einer Einteilbarkeit & Festlegbarkeit entziehen – dürfte schon etwas älter sein & bekannt vorkommen. Trotzalledem sind wir der Ansicht: Essentielle Basics & Arbeitsgrundlagen können nicht oft genug zitiert, benannt, verhandelt werden. Was das alles mit Atom Heart zu tun hat? Atom Heart …

… liest keine Zeitungen. Der Frankfurter Uwe Schmidt produziert seit mindestens 10 Jahren unter den verschiedensten Pseudonymen verschiedenste Formen elektronischer Musik, seit 1994 veröffentlicht er hauptsächlich auf seinem eigenen Label ‚Rather Interesting‘. Output enorm, Kollaborationen vielfältig, des öfteren mit Pete Namlook von ‚Fax‘ & Tetsu Inoue. Jetzt geht Uwe Atomherz nach Chile, vielleicht ein Jahr. Er versucht, sein ganzes Studio mitzunehmen, als ich mit ihm sprach, baute er es gerade aus. Die Chile-Connection kommt durch Halb-Chilene Dandy Jack aka Martin Schopf/“Sieg über die Sonne“ zustande, mit ihm wird er dort ein Haus mieten & was tun? „Andere Energien aufnehmen & verarbeiten. Ich werde dort in eine völlig andere musikalische Szene eintauchen, die mit meinem elektronischen Background überhaupt nichts zu tun hat. Es gibt dort eine ganz kleine & auch recht weit entwickelte Elektronikerszene, die sich aber ziemlich westlich orientiert. Das Populäre ist aber Latinomusik, die ich schon längere Zeit sehr gerne mag – lateinamerikanische Folklore. In der Elektronikszene hier nehmen wir uns für sehr wichtig & führen Diskussionen, die wir für essentiell halten – das ist aber eher nebensächlich.“ Wenig global, bemerke ich. Jetzt vielleicht nochmal den Introduktionstext lesen. & unser Lied nicht vergessen: We’re lost in culture/We’re caught in the act/There’s no turning back/We’re lost in culture.

MENSCH-MASCHINEN-SYNERGIE war mal das Hauptthema von Atom Heart, zurzeit ist das immer weniger so. Früher hat er sehr viel Zeit verbracht zu überlegen, was es da für Wege gibt, was die Verbindung sein könnte: einer Maschine künstliche Intelligenz zu implantieren. Heute jedoch schätzt er die sogenannte natürliche Intelligenz bzw. ‚real intelligence‘ (Titel einer Rather Interesting-Compi) wesentlich höher ein & hält vieles an der KI-Diskussion für ein typisch westliches Ding: Typische ‚first‘-world-Issues, den Rest der Welt interessiert das gar nicht, weil: die haben ganz andere Probleme. Auch bei vielen anderen Elektromusikern liege, so Uwe, der Fokus immer weniger auf dem ‚elektronisch‘, weil dies eh der alltägliche Bezugs- & Arbeitsrahmen sei. Kraftwerk hätten die Elektronik damals vielleicht noch durchsetzen müssen, heute braucht sie nicht mehr verfechtet zu werden. Sie ist normal, natürlich. ‚Organik‘ & ‚Synthetik‘ fließen bei Atom Heart oft ineinander über, morphen ineinander & definieren sich auch gegenseitig. Das Cover der letzten Platte ‚Shellglove‘ ist auch so eine Kippfigur.“Was mich sehr interessiert, ist organische Musik in einem synthetischen Kontext. Z.B. bei ‚handgemachter‘ Musik, wenn Bands spielen, bei Improvisationen – daß Strukturen entstehen, die unheimlich schwer zu reproduzieren sind auf einer technologischen Ebene. Ich will wissen: Was muss ich der Technologie beifügen, damit man diese Natur ‚zurückbekommt‘. “ Die Konstruktion von Organischem also, ein Feld, auf dem die KI-Forschung aus ihrer anfänglichen jungshaften Frankenstein-Euphorie erst einmal stehen bleiben musste & sich scheinbar simplen Fragen hingeben durfte, warum z.B. hochkomplexe digital-neuronale Netze nicht annähernd an bestimmte Leistungen von Kleinkindern herankommen. Grob gesagt: die biologische Evolution hat da einen gewissen Vorsprung. Atom Heart interagierte viel mit Maschinen, er verschaltete sein Studio derart, dass dieses ab bestimmten Graduierungen den Prozess der Komposition übernahm – dokumentiert z.B. auf ‚Interactive Music‘ von 1994. Das Relativieren wenn nicht gar Verschwinden des Autor-Komponisten & das Zugeständnis von Mitsprache oder Definitionsrecht an Maschinen ist für Uwe ein normaler Prozess. Es geht nicht um unreflektierten Technikdeterminismus, sondern um eine adäquate Sichtweise von kreativen Prozessen. Bestimmte elektronische Musiken klingen halt nur wegen der Materialität, die zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar war, genau so. Der berühmte Gebrauch gegen die Gebrauchsanweisung ist dann oft der letzte Kanal, in den sich Autorenschaft flüchtet. Atom Hearts Arbeit ist ein guter Ausgangspunkt, um derartige Vorraussetzungen zu verhandeln. „Dies ist eine Thematik, die ich im Grunde gar nicht thematisiere“, so Uwe, „sondern in der ich einfach operiere.“ Zum Konzept von komplett organischer bzw. morphender Musik: „Was Organik ausmacht ist, daß es im Prinzip keine Wiederholungen gibt. Die Wiederholungen sind keine, d.h. es treten permanent Mutationen oder Alternierungen auf, bei allen musikalischen Parametern einer Komposition. Man gibt dem Studio die Möglichkeit, diese Parameter zwischen verschiedensten Polen zu bewegen & zu wandeln. Am Ende hat man eine Struktur, die nicht belanglos ist, weil zufällig, sondern die schon sehr konstruiert-gewachsen ist. Es ist vergleichbar mit einem nächtlichem Waldspaziergang, oder einem Tag am Strand: natürliche Strukturen haben etwas sehr besonderes in der Beziehung. Ich habe da einen Klang im Kopf, den ich nicht erklären kann, aber ich weiß, wie es klingen muß, ich weiß, worauf ich hinaus will. Nehmen wir z.B. eine Bassdrumfigur, die sich kein einziges mal wiederholt: sie wandelt sich permanent, ohne drastisch zu sein, ohne aufzufallen. Wenn man ein Track dann bei Minute 1 abhört & dann weiter bis zur 10ten Minute & eigentlich gar nicht merkt, was da jetzt passiert, aber dann strikt die Parameter 1 & 10 vergleicht – passen die nicht mehr zusammen. Es gibt also einen Sprung von 1 nach 10, es läuft so langsam rüber. & hat sich dabei komplett verändert.“ Elektronische Musik hört Uwe nach eigenen Angaben gar nicht, wenn er sich inspirieren lässt, dann durch ganz andere Sachen. Logisch tauchen Stilzitate oder Stilbearbeitungen elektronischer Musiken auf, von House- oder D&B-Strukturen z.B., wie auf der ‚Apart‘-CD. Aber dies sind, so Uwe, eher bewußt gesamplete Ideen von einem spezifischen Stil als ein Bemühen um Orginalität & Authentizität. Wenn ihn in letzter Zeit eine Musik mehr als nur beeindruckt hat, dann war dies vor allem ziemlich ländliche lateinamerikanische Popularmusik. Sein Aha-Erlebnis erhielt er vor einigen Jahren in Costa Rica auf einem Dorffest, als er eine Salsaband spielen sah, was ihn ziemlich beeindruckte. „Was für eine Dynamik & Präzision da passierte in dem Moment! & das sind halt immer so Schlüsselerlebnisse, wo ich denke: Das müsste man übertragen auf synthetischen Sound. Dieses Leben, das in der Musik drin ist, durch die Musiker, irgendwie ‚rausziehen‘ & in die Maschinen kriegen.“ Bevor hier vorschnelle Ethno-Exploitation-Vorwürfe laut werden, sollte vielleicht daran erinnert werden, daß wir hier um Optionen einer transformierten lebendigen Musiksynthese verhandeln, & zwar innerhalb der dialektischen Kontrapunkte Natur & Kultur. Die Rückkoppelung eines sich selbst euro-dezentralisierenden europäischen Elektronikproduzenten mit mittelamerikanischen Dorfmusikanten hat mehr definitorische „Erdung“ als ständige (Selbst)Referenzverweise in elektroiden selfmade-fake- Hyperdiskursen – von denen sich die ‚7‘ keinesfalls ausnimmt. Es geht um mögliche Korrekturen innerhalb elektronischer Musikproduktion, es geht darum, eingefahrene Hauptwege zu verlassen & vielleicht ganz woanders anzusetzen. Es geht nicht um eine zombieske Wiederkehr von bestimmten Rock oder Jazzformen, es geht um Energie, die ja durch Zusammenspiel zustandekommt, durch Improvisation & vor allem Austausch. Kommunikation statt Solipsismus. Egal, in welcher Musikform. & da steht natürlich eine Programmierung entgegen, die ein einzelner Mensch macht. & erst recht eine scheinkommunikative Form von Musikkonsum. Atom Heart macht zurzeit weniger Musik, als sich vielmehr Gedanken darüber. Über Rezeptionsformen, über Verschaltungen und die Ausdrucksform der Möglichkeiten, die es gibt. „Weil ich 1fach glaube, dass wir heute bei der elektronischen Musikproduktion weit hinter den Möglichkeiten bleiben. Wir machen jetzt seit Jahren, seitdem es House gibt, mit sehr sehr komplexen teuren HiTech-Maschinen so ultramonotone Musik. Was auch einen Reiz hat, aber eigentlich: es ist völlig unterbenutzt, das ganze Equipment.“ Es scheint, als ob die festen Codierungen technoider Musik mittlerweile eine Progression elektronischer Musik eher behindern als konsolidieren. Logischerweise ist das nicht allein ein ästhetisches, sondern vor allem ein sozialpolitisches Problem: Codes & Identities sell better. & wenn die Musik stagniert, muss sich wenigstens der Markt bewegen. Wir sind uns einig, daß die Fetischisierung & Neuproduktion amtlicher Techno-Musik-Tools exakt das wiederspiegelt. Uwe: „Klar, 303 funktioniert, 909 funktioniert. Wenn man das machen will, ok. Aber in dem Moment, wo du einen Sampler hast, hast du ein leeres Gerät. Da ist nichts drin, außer der Architektur, die dieses Gerät bietet. D.h., du musst irgendwas reintun & du mußt irgendwas wieder rausbekommen. & das ist bei vielen vielleicht gar nicht so gewünscht. Ich denke, für viele ist es 1facher, irgendwo draufzudrücken, wo schon was drin ist, & einen Preset zu erhalten, den man gewohnt ist & der funktioniert.“ Offizielle Realitätspartikel finden sich in Atom Hearts Musik eher selten, dito Kultursamples wie zb Filme. Er, der weder TV noch Video hat, lässt höchstens mal Tetsu Inoues New York-enviromental sounds in seine Musik. Auch dies eher als ein Zitat von Wirklichkeit als die Authentizitätsfalle. Aber mit der Funktion, Realität als konstruierten Begriff überhaupt in Frage zu stellen. So lässt er z.B. über seiner surreal-synthetischen Klangwelt auf 1x einen Vogel schweben, der wieder diese Kippfigurfunktion haben soll: Welche Welt ist natürlicher? Bzw.: Was ist überhaupt natürlich? Ich sage ihm, dass mich der Begriff ‚Künstlichkeit‘ prinzipiell stört, da er auf einem veralteten & vor allem herrschaftscodiertem Prinzip von Weltwahrnehmung basiert, mit dem heute in keinster Weise mehr operiert werden kann. Inklusive aller Gefahren, die darin potentiell lauern. Was sagt er dazu? „Hm, habe ich mich erst gestern mit einem Freund lange drüber unterhalten. Laut Marx entsteht Künstlichkeit ja durch Transformation der Natur durch Arbeit. Ich hatte das simple Beispiel ‚Plastik‘: es ist künstlich, aber auf einem Planeten, wo’s z.B. nur Plastik gibt- würde das Plastik plötzlich natürlich. Auch das Problem der natürlichen Abbaubarkeit: alles, was künstlich ist, macht der Natur Probleme. Das stimmt so nicht, da Uran & Öl z.B. völlig natürlich sind & trotzdem nicht abgebaut werden können. Der Mensch ist, mit allen Dingen, die er produziert, ein Teil der Natur. & die Natur reagiert ja permanent. Es ist letztlich immer… es ist EINS.“, ringt sich Uwe durch. Klar, aber ohne zubutternde Universalismusfalle: Logo, daß der Planet durch multinationale Macht- & Herrschaftsinteressen strukturiert & geprägt ist. Mit Begriffen wie ‚Künstlich‘ & ‚2te Natur‘ wird jedoch gerne diskreditierend operiert, werfe ich ein, um sich eine traditionalistische Identitätsstiftung zu verpassen. Für mich ein Zeichen für das verzweifelte Festklammern an der Biologie. Miguel schaltet sich hier ein & bringt ‚Kultur‘ als neue menschliche Natur ins Spiel. & inwiefern funktionieren denn da noch Begriffe wie ‚Natürlichkeit‘ oder ‚Ursprünglichkeit‘, mit denen Uwe ja hinsichtlich lateinamerikanischer Folklore argumentierte? Jetzt wird’s schwierig, so Uwe, & definiert seine Entscheidung, dorthin zu gehen letztlich aus einer möglichen ‚Entfremdung durch Abstraktion‘ – & dies hat enorm viel mit technokratischer Kultur in Industrienationen zu tun. „Ich bin bei der Sache mit Chile & auch anderen Kulturen permanent dabei, das verstehen zu wollen. & ich kann absolut nicht sagen, ob die Leute dort etwa zufriedener sind als hier. Deshalb gehe ich ja dahin. Es ist augenfällig, dass es dort weniger Technologie gibt oder sie auf einer anderen Ebene gehandhabt wird. & auch die Ästhetik anders ist, die dadurch entsteht. Dass natürlich wesentlich weniger Geld da ist, hat ganz andere Konsequenzen. & die Leute haben ganz andere Gedanken & Probleme als wir hier – die nicht weniger schlimm oder gravierend sind als unsere hier. Aber das eigentlich interessante für mich ist, festzustellen: Was gibt es „mehr“ als das, was es hier gibt?“

There must be more to life than this. In jedem hier denkbaren Bezug.

(Seven)

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