Goldfrapp


GROSSZÜGIG UND ENDLICH SATT

Von Marcus Maida

Der erste Gedanke: ein Wunder. Das Ohr sagt: mehr. Der Verstand hört augenblicklich auf, mit dem Gefühl zu streiten, beide reißen die Augen vom Boden, rappeln sich ungläubig auf, nehmen sich an den Händen und gehen wie Rotkäppchen und ihr Wolf aufgeregt tief in den neuen Wald voller dunkler kristallener Geheimnisse und unbekannter schimmernder Wahrheiten. „Goldfrapp“ sind der Welt nichts schuldig gewesen, und doch haben sie ihr eine der besten Musik seit langer langer Zeit gegeben. Und dabei haben sie das doch nur für sich selbst gemacht … Es war einmal ein Filmkomponist mit einem unglaublichem Gespür für Klangdimension, -landschaften, -architektur und – arrangements. Will Gregory arbeitete tief in den Schichtungen, die Musik nicht nur spannend, sondern atemberaubend machen kann. Als versierter Musiker, der Anfang der 90er sogar mit der kürzlich verstorbenen Komponistenlegende Moondog zusammenarbeitete, verkroch er sich aus seiner Heimat London nach Bath, um in seinem Landstudio die Popmusik neu zu erfinden und vielleicht einem Wunder zu begegnen.

Es kam. Die Stimme von Alison Goldfrapp wurde durch einen Freund in Form einer kleinen simplen Demokasette hereingereicht. Alison verbrachte ihre frühe musikalische Zeit als Sängerin bei einem modernen Ballett in Belgien. Nach zwei Jahren zog das Mädchen vom englischen Land wieder auf die Insel, um in der neuen Londoner Szene elektronischer Musik eigene Impulse zu setzen, doch Gesangs- und Keyboardjobs, u.a. bei Tricky und Orbital, befriedigten sie nicht: „Es war nicht am scharfen Rand der Musik, wo ich hinwollte. Vermeintliche Freiheit, jedoch gefüllt mit Regeln und Vorschriften.
Und das war unbeschreiblich langweilig.“ Sie hatte genug von simplen Samples und den Beatgewittern auf grossen Freiluftfestivals, wo Betrunkene ihre grossporige Haut im fahlen Sonnenlicht baden. „Jahrelang murkste ich in der Gegend rum, doch nichts klappte wirklich.“ Und ihre Stimme irrte in der Nacht umher.
Als Will Alison das erste Mal hörte, hatte er nur noch einen starken Impuls: sie finden zu müssen. Beide waren durch ihre Arbeit sehr sensibilisiert für das, was der zeitgenössischen Popmusik derzeit fehlt: Grösse und Glamour, sowohl in der Erscheinung durch eine starke Identität, als auch durch das musikalische Material. „Wir wollen, dass Musik eine Art von Inhalt hat, und wir wollen GROSSZÜGIG mit ihr sein. Wir wollen einige Melodien aus ihr herausholen, und nicht nur eine kleine“, sagt Will. „Es geht um Extravaganz. Wir sind so gewöhnt an Musik, die nurmehr drei Elemente hat. Das ist alles, was du bekommst!“, sagt Alison. „Das erscheint gemein zu sein, nicht wahr? Und es ist nicht gerade grosszügig. Es ist Diät! Es ist, als ob wir Hunger hätten! Und wir hatten ihn auch wirklich, als wir die Platte machten, und wir machten sie nur für uns selbst … um uns selbst zu füttern!“, stellt Will klar.

Die Musik von Goldfrapp ist einzigartig. Opulente Arrangements, an dessen Motiven und Teilen das Duo unendlich lange herumpuzzelte, und schwelgerische Melodiebögen, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, da sie die Vergangenheit des Jetzt in eine surrealistische Zukunft überführen, berauschen und verzaubern nachhaltig. Alison Goldfrapp klingt, als ob der weibliche Roboter aus „Metropolis“ sehnsuchtsvoll zu singen beginnt, oder als ob Marlene Dietrich, androidisch wiedergeboren, sich nicht zwischen Kleinkind oder Diva entscheiden kann oder will. „Gerade die Dinge, die oft am futuristischsten erscheinen, sind in Wirklichkeit sehr alt. Und wir lieben es, diese Dinge zu verdrehen und mit ihnen zu spielen.“ Insgesamt neun Monate arbeiteten die Beiden an dem Wunderwerk „Felt Mountain“, dessen Artwork in surrealen Naturbildern schwelgt, da für Alison die Natur einfach „Sci-Fi“ ist – besonders wenn man in der Stadt lebt. Die Live-Präsentation ihrer Musik ist ein Erlebnis: in perfekt umgesetzten Klangbildern zelebrieren Goldfrapp ihre Wunderwelt und träumen danach, mit einem Orchester im Schnee zu spielen.

(Vogue)

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