Thomas Brinkmann

DAS ARSCHWACKELN, DAS ICH IM KOPF HATTE

Wo der Funk herkommt, wo er hingeht – wer genau kann das schon sagen?

Eines aber seid euch gewiss: folget ihm, woimmer ihr ihn trefft!

Er findet es gut, wenn ihm von Seiten einer Zeitschrift, die einem erweitertem Jazz-Begriff nachgeht, Interesse entgegengebracht wird. Das sollte klar sein, denn sein drittes Album unter dem Namen „Soul Center“ gehört zu dem Besten, was elektronisch fundierte Tanz- wie Hörmusik, die eine ganz starke Essenz schwarzer Funk- und Soulstile in all ihrer Rohheit wie Geschmeidigkeit transformiert, im noch jungen Jahr zu bieten hat. Hier baut jemand völlig unakademisch mit Hör-Lego ein Haus, in das man sofort hineingehen möchte. Zu wenig Konzept? Von wegen: nur so kann gute Musik entstehen, in Wissen um die Wurzeln, und in einem unorthodoxen Umgang damit.

Thomas Brinkmann produzierte, ausgehend von Wolfgang Voigts Studio-Eins-Tradition und Richie Hawthins Concept-Reihe, schon vor Jahren als „ernst“ und „max“, schliesslich als „max.ernst“ eine technoid begründete Musik, die sowohl den Körper als den Kopf ansprach und bestenfalls befriedigte. Allerdings war er schon immer auf der Suche nach einem eigenen Ausdruck darin, hatte schon immer etwas gegen selbsternannte Geschmackspolizisten und -päpste, dafür aber mehr für diejenigen übrig, die ständig auf der Suche sind und dabei die Spielregeln stets neu brechen. Eine bestimmte eigenwillige Verweigerungshaltung kultiviert er da heute noch, ohne sich etwa aus- oder abgrenzen zu wollen. Aber Grenzen sind da, um überschritten zu werden. Brinkmann ist meistens unterwegs, aber nicht hektisch, eher auf eine ruhig-ruhelose Weise nomadisch. Eine Woche nach unserem Gespräch wird er mit eingeschränktem mobilem Studio im allradgetriebenem VW-Bus zu seiner jährlichen Tour durch Südeuropa aufbrechen. Zwischen Chatwin und Cioran scheint er auch im kreativen Abwartezustand hier in Köln zu pendeln, in dem der ehemalige Rennstreckenfahrer – eine schwere Kawasaki steht noch im Studio – dann ganz unvermittelt und entspannt sagen kann: „Ich nehme mir alle Zeit. Ich hab’s nicht eilig.“

Der Weg fing ganz profan und relativ unnomadisch im Rheinland an: geboren in Mönchengladbach, war er dort in den ausgehenden 80ern im Designbereich tätig. Irgendwann hatte er genug von den Versprechungen und manchmal auch realen Einlösungen, die eine slicke Designerwelt bereithält. Ab 1989 lebte er dann mehrere Jahre in Frankreich und Italien, und fand zu den künstlerischen Interessen zurück, die ihn bereits vorher interessiert hatten, aber aufgrund der Arbeit vernachlässigt worden waren. In Italien bekam er Kontakt zu einer Gruppe von Künstlern, und nach mehreren Versuchen, Kunst zu studieren – in Italien dauerte das ganze zwei Tage lang, bevor er rausflog -, kam er erst als Gaststudent und später regulär zur Kunstakademie Düsseldorf. Zunächst Student bei Jannis Konnellis, wurden Brinkmann die kunstbezogenen Wissenschaften immer wichtiger, und er drang immer mehr in Bereiche der Theorie vor, in denen der in Düsseldorf lehrende Oswald Wiener ein Andock- und Auseinandersetzungspunkt war. Doch 1996 flog er aufgrund einer Kommissionsentscheidung auch von der dortigen Akademie, wehrte sich jedoch dagegen und führte einen langjährigen und aufwändigen Prozess gegen die Akademie, den er kürzlich sogar gewann: momentan, lacht er, ist er sogar wieder eingeschrieben und kann sein Studium vom O-Bereich her regulär beenden. Doch dieser Zug ist irgendwie abgefahren, weiss er, denn während der gesamten Zeit fing er mit etwas an, dass viel wichtiger für ihn werden sollte, als die Kunstproduktion: die Musik.

Dieser Weg begann mit den „Studio 1-Variationen“ von Wolfgang Voigt-Material, wo er seinen ganz speziellen Zugang zum schwingenden technoiden Minimalismus fand. Er baute einen Plattenspieler mit zwei Tonarmen – hinter dem ich jetzt sitze – und spielte die Voigt-Stücke versetzt ab. Diese Konstruktion sei nichts besonderes, wiegt Brinkmann ab, dass könne jeder, vielmehr ging es um ganz bestimmte Verschiebungen innerhalb des musikalischen Materials. Schon wieder Grenzverschiebungen, und zwei Tonarme, wie Schlagbäume. Durch die man durch muss, oder daran vorbei. Spulen wir mal zurück: Brinkmanns erste elektronische Konfrontation bestand extrem klassisch aus Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, La Düsseldorf und Kraftwerk. Damals hatte er angefangen, mit Bausätze selber elektronische Module zusammen. „Ich hatte zu der Zeit auch viel mit Theaterleuten zu tun, die waren einfach nicht so verbohrt.“ Brinkmann spielte Schlagzeug und Percussion und lernte von Übervater Jaki Liebezeit, der gar nicht so Uhrwerksmässig spielte, wie man damals immer meinte. Das aber war das Vorbild, und so kam ihm der Stepsequenzer gerade gelegen. Und die Nadel ratterte im letzten Groove der Auslaufrille weiter, während man wegpennte – von daher war’s nur ein kleiner Schritt, das Vinyl selber mit dem Messer zu bearbeiten. Die Grundidee von Brinkmanns 2000er Platte „Klick“ ging also auf 1978 zurück, und die wollte er unbedingt noch im letzten Jahrhundert veröffentlicht sehen. Er zeigt mir eine Schachtel mit den quadratisch sauber geschnittenen Vinyls, die zugleich eine musikalische Biografie von ihm ist: wir finden Klaus Schulze – „hier mit ganz schlechten Stücken“ -, Kate Bush oder Thelma Houston – das musikalische Material ist egal, denn es geht nur um die letzten Rillen. Das Projekt hat 1996 schon bei Achim Szepanski für „Mille Plateaux“ auf dem Tisch gelegen – lange also vor „Clicks und Cuts“ als das neue elektronische Ding apostrophiert wurde, aber der konnte sich damals noch nicht dazu entscheiden. Genau wie Wolfgang Voigt, dem Brinkmann auf einer Party sagte, dass er in zwei Tagen endlich eine konkrete Zu- oder Absage über eine mögliche Veröffentlichung seiner minimalen Tracks auf „Kompakt“ haben wolle. Das ginge so schnell nicht, antwortete Voigt realistisch – flugs fällte Brinkmann die längst überfällige Entscheidung, das Material, faktisch die ersten drei „max.ernst“-12″es, selber herauszubringen. Die ersten technoiden Produktionen Brinkmanns entstanden jedoch schon vorher, und er fuhr selber nach Detroit, um sie dort an die relevanten Leute verteilte. Doch ein eigenes Label zu machen, um die eigenen Produktionen herauszubringen, sieht er heute noch als DIE Riesenerrungenschaft der elektronischen Musik und ihrer Netzwerkkultur an. So erschien unter dem Namen „ernst“ eine Reihe von 12″es, die pro Seite mit einem Frauennamen in der Abfolge des Alphabets betitelt waren – von abstraktem Funk, der sich hypnotisch um sich selbst wickelte, bis zu housigen Piano-Slammern ging da einiges. Und dann kam folgerichtig „Soul Center“, auf einem neuen Label: Wilma van Beeren.

So hiess der Betreiber des „Soul Center“-Clubs in Mönchengladbach, ein auch vom Publikum her sehr schwarzer Club, in den G.I.s gingen, und in dem sich Brinkmann um 1988, lange vor jedem Disco-und Dancefloor-Hype, Soul, Funk & Rare Grooves mitteilten: „Ich habe das als absolute Befreiung von den Zwängen der damaligen Subkultur empfunden. Man stand da rum, wahnsinnig viele Leute, mit denen man sonst eigentlich nichts zu tun hatte, vom Zuhälter bis zur Sekräterin, aber man traf auch immer wieder einige wenige Leute aus der Szene, die genauso überrascht waren wie man selbst.“ Punkrock war nicht sein Ding, wenn schon, dann diese amerikanische Spielart, aber dieser konzeptuelle Ansatz von Punk – Ich kann kein Instrument, also inspiziere ich die Technik – dem fühlt sich Brinkmann verbunden. Schliesslich hat er Musik nicht studiert, sondern ist purer Autodidakt, und seine Herangehensweise dementsprechend unakademisch. Und das ist sie, bei einem breitem und geradezu als natürlich zu bezeichnendem Interesse an Kunst, bis heute geblieben.

Die dreiteilige „Soul Center“-Reihe fängt diese Essenz von damals ein und transformiert das Erlebnis. Selber viel getanzt, und eine angenehme Rythmik gefunden, die er später nicht mehr in elektronischer Tanzmusik fand. Für sowas stand höchstens noch ein Deep-House Ansatz: „Da haben immer alle von sexy geredet, aber so sexy war das nicht – das entsprach auf jedenfall nicht dem Arschwackeln, das ich im Kopf hatte.“ Und diese Wurzeln gingen Brinkmann immer etwas zu stark unter, gerade bezüglich der technoiden Kölner Produzenten, die sich gerne auf früh-80er Pop wie Prefab Sprout oder Human League beriefen. Brinkmann lernte schliesslich auch die Frankfurter „Playhouse“ Label-Posse zu schätzen, wo die Funk und Soulbezüge offengelegt wurden, und schliesslich auch das Kölner Verdikt „Keine Vocals!“ aufgebrochen wurde. So baute sich Brinkmann seine eigene Referenzwelt, in der die Kabel anfingen zu schwitzen und heisere Stimmen die Tanzenden nach ihrem Zustand befragten. Hauptsächlich sind bei „Soul Center“ die Vocals gesampled, ansonsten ist das Projekt gar nicht so sehr sample-zentriert – auf der neuen Platte sind nur zwei Instrumente, Perkussion und Sax, gesampeld, die restlichen Instrumente hat er selber eingespielt. Doch grundsätzlich ist Brinkmann sehr radikal in seiner Quellenkunde: ob gesampled oder selbst eingespielt, ist ihm total egal, Endzweck ist stets der fertige Track, an dem man natürlich endlos feilen kann – und so muss man irgendwann einfach einen Punkt setzen, der weiss: das kickt.

Ich lese ein schönes Zitat aus dem aktuellen Programm des unabhängigen Frankfurter Senders Radio X vor: „Heda, eins wollen wir doch mal klarstellen: Funk hat nichts mit der naseweisen Programmierung von einer Synkope pro Taktfolge zu tun. Sie funktioniert ausschliesslich, wenn die „grossen Besessenen“ miteinander kommunizieren, live, spontan und in Echtzeit. Nur ganz wenige Individuen erfahren ihn als jene gewaltige Offenbarung, die sich in ihrer sexuellen Verwirrung schon anmeldet. Der Funk mäandert hypogastrisch durch die besten aller Launen, abseits von Funktionalität und Hintergrundrauschen.“ So eine Programmierung bekommen in der zeitgemässen elektronischen Musik vielleicht gerade mal ein paar Ausnahmegenies wie Ollie Braun aka Beige hin, und natürlich, auf einem viel weniger abstraktem Level, Brinkmann. Der aber arbeitet natürlich unter völlig anderen Bedingungen: völlig alleine programmiert er kollektive Tiefe und Euphorie. Aber die Freude am Spiel bis ins hohe Alter, in der sogar immer noch eine Steigerung drin ist, das begeistert Brinkmann seit jeher an den schwarzen Funkstern und Soul-Brothers. Als er das erste mal in Detroit war, ist ihm dieser wesentliche Beitrag der Schwarzen zur amerikanischen Kultur immer klarer geworden. „Wo kommt diese Qualität her, fragte ich mich da. Vielleicht ist es wirklich Teil einer Identitätsbehauptung: du kannst möglicherweise erst unter diesem Druck von Wirklichkeit so intensiv werden.“ Seit jeher ist Brinkmann am Transport von diesen Konnotationen jenseits der musikalischen Oberfläche interessiert, was bezüglich der Sprachkultur vor allem seine ungleich experimenteller ausgelegten Exkursionen als Ester Brinkmann bei „Supposé“, ein ganz anderes Kapitel, zeigen. „Geh alle Schubladen der schwarzen Musik durch – egal ob Blues, Jazz, Gospel, Be-Bop oder Funk und Soul – du findest immer diese Qualität!“ Wenn sich eine Transformation dessen in elektronische Musik jedoch in blosser Respektbezeugung erschöpft, sei das zuwenig, findet Brinkmann. Aber es sei durchaus ein Erinnern, gerade inmitten der allzuhäufigen White-Pop-Bezüge innerhalb (eurozentrisch bestimmter) elektronischer Musik. Doch das sind nur notwendige Basics, Konzepte entwickeln sich innerhalb der Arbeit schliesslich selbst: „Wenn man sich vor allem auf dieser Ebene selber etwas mitzuteilen hat, passiert es halt – ich stehe nicht hier und produziere für ein fiktives Publikum“, sagt Brinkmann bestimmt, „sondern Du machst etwas, was Du im Laden nicht finden kannst.“

Als Weisser hat er kein Problem mit dieser Annäherung und verweist auf den weissen Blues eines Mitch Ryder, im Jazzbereich hingegen sind es z.B. Charlie Parker, das Art Ensemble of Chicago, der „neue“ Miles oder der „alte“ Scofield, die ihn anregten. Und an Jazzrock und Fusion-Konzepten hatte Brinkmann im Gegensatz zu seinen Mitstudenten und anderen elektrischen Produzenten stets viel Spass – und wenn man Fusion als eine besonders perfide Art von Punk betrachtet, findet man auch hier wieder den Grenzgänger, der die Trennlinie schliesslich überschreitet. Obwohl er dem Kontext „Improvisation“ eher misstraut, da sie ihm zu oft zu vorbereitet und zu wenig spontan sei, nahm er letztens in einem Improv-Kontext teil, als im Kölner Millowitsch-Theater zur Hommage an den ebenfalls teilnehmenden Oswald Wiener ein grösseres Ensemble jüngerer tonaler Grenzerweiterer, darunter Marcus Schmickler, Jan Werner oder Wolfgang Müller auf der Bühne des Kölner Millowitsch-Theaters in den Originalkulissen die Hörgewohnheiten fleissig dehnten – nicht immer zur Freude des vielzählig erschienenen Publikums. Doch das Projekt soll im Herbst beim Festival in Luzern seine Fortsetzung finden, und Brinkmann, der kein Daddeln und keinen Fluxus, dafür aber Spannung mag, ist dabei.

Und der Kunst-Kontext elektronischer Musik, der munter weiter Richtung Feuilletton schreitet? Das kann schon ganz gut und richtig sein, findet Brinkmann, man solle es aber nicht überreizen damit. So war es, neben zeitlichen Engpässen, auch eine bewusste Entscheidung für ihn, im Kontext der Frankfurter Ausstellung „Frequenzen“ nicht aufzutauchen. Bei einem Auftritt vom Kunstverein Düsseldorf dagegen habe dessen Chef Stecker nach 15 Minuten auf Drängen der Umgebung den Stecker gezogen. Brinkmann hatte eine maximum PA für die korrekte Umsetzung seines akustisches Vinyl-Loop-Projektes „Klicks“ gefordert, bekam sie, und den Ärger gleich dazu. Die lokale Zeitung schrieb, Jugendliche randalierten unter Drogen und weitere Herrlichkeiten. Entspannter ging es auf der Terrasse des Pariser Centre Pompidou zu, wo er im August 2001 für Touristen und Pariser Sommerlochopfer spielte, oder im New Yorker PS 1, wo er auf Einladung von Russel Haswell zu Gast war und auf einmal nachmittags Familien mit ihren Kinderwagen an zu tanzen anfingen.

Nach dreieinhalb Stunden verlasse ich das kleine Loft in Köln-Ehrenfeld und gehe unter einem kaltem hellblauem Himmel zur Bahn. Alles, was nicht mehr aufs Band kam, fehlt hier. Aber das steckt in der Musik.

(Jazzthetik)

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