Frequenzen. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main.

WAS SINGT MIR, DER ICH HÖRE, IN MEINEM KÖRPER DAS LIED?

(Roland Barthes)

Neue Musik von Heute? Die Ausstellung „Frequenzen“ in Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle.

1. Hereinspaziert

Die Anbindung elektronischer Musik, und das meint in diesem Zusammenhang Klangstrukturen, erstellt mittels analoger Frequenzen und Schwingungen oder strukturiert durch digitale Parameter in einem Softwaresystem, die unter dem Begriff Audio viel treffender zusammengefasst werden können, an akademische Diskurse und Kontexte der bildenden Kunst ist selbstverständlich nichts neues. Bereits die Klangkünstlertitanen der im weitesten Sinne als traditionell zu bezeichnenden Avantgarde der 50er und 60er Jahre wie Henri, Schaeffer, Cage, Stockhausen oder auch Russolo wurden hauptsächlich in diesem Rahmen rezipiert. Den nächsten Anschub bekam die elektronische Musik durch die Popmusik. Mit der Entwicklung von Techno und House im Laufe der End80er bis zu den Ausdifferenzierungen der 90er-Stile, die sich, obschon sie die einstige Anbindung an das eherne Gesetz der Bassdrum nie wirklich verleugneten, progressiv weiterentwickelten, tat sich dann ein weites Feld wie gleichsam ein engmaschiges Netzwerk von Audioingenieuren und elektronischen Klangkünstlern auf, die oftmals auf eine unangestrengte und unakademisch intendierte Weise tätig waren, und doch den Bereich des klassischen Dancefloors weit hinter sich liessen. Obschon letzterer spätestens ab Mitte der 90er zum guten Ton jeder Kunstvernissage gehörte, die etwas auf sich hielt: nach dem Gucken, Reden und Verzehren wurde ganz selbstverständlich Elektronik aufgelegt – jeder andere Musikstil schien unpassend zu sein. Und heute?

2. Die Ausstellung

Besonders minimale elektronische Klangkonzepte erfreuen sich durch die ihnen zugeschriebene Kraft, gedankliche Räume durch äusserst konzentrierte und selbstreferentielle Klangarchitektur quasi zu öffnen und neutralisieren zu können, nach wie vor in bildenden Kunstkreisen grosser Beliebtheit, obschon auch hier seit einiger Zeit die ersten Abzugs- und Gegenerscheinungen spürbar sind. Hingegen ist die elektronische Klangkunst endlich im Museum angekommen, und ihr Weg ist noch lange nicht zuende. Das Feuiletton der grossen Zeitungen, das zunehmend einen „Pop“-Kontext abdeckt und reflektiert und seine Berichterstattung oftmals dem von traditionellen Musikmagazinen gewohntem Stil angleicht – vielleicht nicht gar so locker -, unterstützt diesen Trend nachhaltig. Doch auch wenn die Popkultur in den ersten Ansätzen die traditionelle bürgerliche E-Kultur als Paradigma abzulösen scheint, ist „Popkultur“ immer noch nicht gleich „Kunst“ – auch dieser Unterschied wird derzeit in der ambitionierten Ausstellung „Frequenzen“, die vom 9.2. bis zum 28.4. in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle zu erleben ist, wieder einmal deutlich. Das Projekt, konzipiert vom neuen Schirn-Direktor Max Hollein und organisiert vom dänischen Kurator Jesper N. Joergensen, stellt 13 Klangskulpturen von zumeist aus Europa stammenden Künstlern aus. Auf der Pressekonferenz bezeichnete Hollein die Klangkunst – ob bei Biennale, Whitney-Museum oder demnächst im Center Pompidou – als eine der „aktuellsten Bewegungen der zeitgenössischen Kunst“, auf der Vernissage das Thema gar als „brisant“. Besonders beeindruckt war er vom Netzwerk der Aktivisten und Labelbetreiber: statt Einzelgängerstarkult zeige sich hier ein gruppendynamischer Prozess. Kurator Joergensen hingegen wolle, so die Ankündigung, „eine neue Generation von Künstlern vorstellen, die, aufbauend auf utopischen Ideen der künstlerischen Avantgarde, die Grenzen zwischen bildender Kunst und Musik aufgehoben hat.“ Die Ausstellung solle trotzdem erheblich von den Vorgaben einer Techno- und Clubkultur abstrahieren und präsentiert, ganz im Sinne Joergensens, auch explizit nicht deren Klänge, Räume, Ästhetik und Sozialität.

Stattdessen bietet sich der elektronische Klang in klassischer, nahezu szientistisch übergrell ausgeleuchteter „white cube“-Manier dar: Carsten Nicolai visualisiert hier mit einer simplen wie effektiven „Versuchsanordnung“ den physischen Ton, Mika Vainio lässt drei Uhren mit drei Basstönen leicht asynchron laufen, Daniel Pflumm zeigt seine gevideoloopten Codes der Werbekultur, Tommi Grönlund/Petteri Nisunens reflektieren im Spiegel zweier Suchscheinwerfer hohe Frequenzen, auf die interaktiv reagiert werden kann, und Carl Michael von Hauswolff zapft auf der Suche nach elektronischen Parasiten das Stromnetz des Gebäudes an. Farmersmanual hingegen visualieren Übertragungsprotokolle und Ethernet-Datenaustausch aus dem Internet, machen dies hörbar und auch interaktiv sichtbar. Andere Installationen werden in die bestehende Museumsarchitektur integriert, wo sie ihren spezifischen Impuls entwickeln können: ebenfalls Nicolai mit einer Blitz-Ton-Installation in der Rotunde, Mark Bain, auch ausserhalb des Gebäudes, mit einem in der Architektur hängenden Resonanzkörper, Ryoji Ikeda mit einem schmalen langen dunklen Korridor, in dem Hochfrequenzsinustöne und Blitz- wie Laserlicht einen präzisen psychedelischen Effekt hervorrufen, Franz Pomassl mit Hochfrequenzen im White Cube und Tiefstfrequenzen in der dunklen Rotunde, und schliesslich Ultra-red mit der Video- und Klangdokumentation „Imperial Beach“: innen Bilder von der amerikanisch-mexikanischen Grenze und aussen Ton von den Protesten gegen den Amerika-Gipfel in Quebec. Dann die Installationen von Ann Lislegaard, die einen grossen roten Punkt im Rythmus des Atmens im orgiastischen Moment zwischen Begehren und Nichtigkeit pulsieren lässt und zum anderen die Schrittgeräusche der Besucher auf der Treppe hörbar macht, und Angela Bulloch, die zum geloopten „Good Times“-Basslauf ein scheinbar simples Podium aus Lichtkästen in 1,6 Mio Farbtönen aufleuchten lässt, und schliesslich von Knut Asdam, der in zwei Darkrooms mit Ausblick auf die Stadt eine Audioerzählung als eine politische Wunschvorstellung sprechen lässt, bilden nicht nur in thematischer, sondern auch in materieller Hinsicht eine Ausnahme: elektronischer Klang ist hier nicht der alleinige Fokus, dafür sind Kontextpartikel einer sozialen Realität inhaltliche Fixpunkte, die unerwartet aufblitzen.

Die Besucher, die mitunter regelrecht in den „Frequenzen“ tanzen und sich in den Schallwellen der Skulpturen bewegen, sollen, so Joergensen, physischen und psychologischen Zuständen ausgesetzt werden, die in soziologische oder gar politische Zustände hinüberführen können. Hollein ist gar davon überzeugt, dass die Ausstellung die Wahrnehmung schärfen und sogar die Sinne reinigen kann – „das klingt zwar etwas spirituell“, versichert er, „aber es ist so.“

Weitere Sinnesreinigung wie -erweiterung verspricht das von Carsten Nicolai zusammengestellte umfangreiche Audio-Rahmenprogramm, das als ein gleichwertiger Ergänzungsteil und nicht etwa als hipness-taugliches „After-Art“-Event verstanden wird. „Cyclo“, sein Co-Projekt mit Ikeda, eröffnete am Vernissagenabend mit einem gelassenem und nichtendenwollendem digital-noise-laptop-act von Ex-Gescom-Mitglied Russel Haswell. Der erste reguläre Konzertabend brachte Nicolai’s Soloprojekt „alva noto“ vor wohlgeordneten tanzenden s/w-Designstreifen in „Bauhaus“-Ästehtik mit einem sehr eigenem knochentrocken-knisterndem Clicks’nCut-Funkgestus. Der Live-Act von Farmers Manual dann wurde zwiespältig aufgenommen: einige lobten die unprätentiöse Konsequenz des Laptop-Fünfers, digitale Information derart chaotisch zu dekonstruieren, vielen war die lärmige Steigerungsorgie jedoch tatsächlich zu altbacken und amorph. Der Klassiker Pansonic hingegen bewegte sprichwörtlich durch spürbares Hören, das seine Kraft aus der reinen Physis des minimalen Klangs zog und maximal wirkte. Besonders beeindruckend ihr gewohntes Spiel vor den sich ständig verändernden Frequenzgrafiken, die eine zweite Ebene bildeten, die sie jedoch gar nicht beachteten. Der zweite Abend bot Hauswolff, der den dunklen Saal, beleuchtet nur von zwei überhellen roten Spots, die direkt ins Publikum schienen, mit einem subtil ansteigendem Noise-Drone füllte. Pomassl dann überbot noch die physische Massage vom Vortag: sein sehr tieffrequenziges Set – mit meteoritischen Erinnerungen an eine Bassdrum – von ca. 40 Minuten war, eine gewagte Analyse inmitten der sich ständig verändernden brummenden und knisternden konzentrierten Improvisation, einer Suite von Strauss mit wiederkehrenden Themen nicht unähnlich. Das als Back projezierte Spektrogram der RT-Analyse war auch hier wichtiger Teil der Performance. Ikeda dann spielte das, was von Struktur und Aufbau einem klassich-technoidem Liveact am nähesten kam, aber mit komplett anderen Klangfarben, Tempi und Dynamiken, ungleich kompakter und treibender als die rythmischen Verhackstückungen und minimalen Monotonien, die man zB. von seiner Platte „O°C“ kennt. Die Visuals dazu bestanden aus Realitätsresten in Hi-Speed, in dehydrierter Rythmik verdichtet.

3. Der Kurator

Jesper N. Joergensen gründet die Auswahl der Künstler zum einen darauf, dass die Künstler Frequenzen in völlig unterschiedlichen Absichten verwenden, was schon ihr differenter Hintergrund andeute. Einige von ihnen kommen aus der Architektur, andere arbeiten in der Kunstszene, andere haben eine direkte Verbindung zu kommerziellen Prozessen, arbeiten als Web-Programmierer oder -Designer, für Werbung oder TV, oder haben ihr eigenen Produktionsfirmen gegründet. Die disparaten Lebensläufe und Tätigkeitsfelder wie auch die Netzwerke seien typisch für die zeitgenössische Kunst und extrem wichtig als adäquate Strategie, um sicht- und hörbar zu werden. Joergensen will neben dem Material der Frequenzen darüberhinaus auf einer abstrakten Ebene vor allem den verschiedenen Umgang damit zeigen, „die dialektische Dynamik zwischen Ideal und realer Ausführung“. Die Auswahl richtete sich nicht so stark nach Einzelwerken, sondern nach einem Konzept, auf das oft quasi hin produziert wurde. Dann musste eine singuläre Position im Raum für jede Arbeit gefunden werden, soundtechnisch und auch innerhalb der Architektur. Nächster Punkt dann sei die dynamische Reaktion auf die Öffentlichkeit: „Frequenzen“ sei kein Rätsel, das zu einer Antwort kommt, aber eine Zurschaustellung des Materials in seinen niedrigsten Komponenten und dem damit verbundenem physischem Erlebnis in den neuen Raumdefinitionen. Zum anderen öffne die Ausstellung einen psychologischen Raum, der sich zudem stark auf die physische Realität der Aussenwelt und des öffentlichen Raumes beziehe, mit Räumen der Erinnerung und Assoziation, in denen Sprache wichtig wird.

Angesprochen auf die Verbindung zu den „utopischen Ideen der künstlerischen Avantgarde“, die die Künstler angeblich ziehen, wiegt Joergensen ab: „Die Ausstellung reflektiert Positionen dieser Tradition, aber bezieht sich nicht direkt darauf.“ Man müsse den jeweiligen Kontext der Künstler beachten, der oft mehr Realität als Utopie enthalte, auch wenn gewisse Referenzpunkte sich auf eine Art der utopistischen Avantgarde beziehen. Es sei immer problematisch, sich zu stark auf ganz bestimmte Traditionen zu beziehen. Die Kontexte und Bewusstseinslagen der Künstler, so Joergensen erneut, sind hierfür viel zu different. Warum dann die Auswahl von Künstlern, die sich auf eine mehr oder minder „ernsthafte“ Weise dem Klang nähern, auf jedenfall nicht mit Popkultur herumhantieren und sich auch nicht auf Clubkultur beziehen? Joergensen sieht zwar die Errungenschaften der DJ-Kultur & der Club-Tradition, will aber eine kleine Grenze ziehen, denn die Clubkultur habe mehr mit einer sozialen und visuellen Ästhetik, die direkt aus dieser Szene komme, zu tun – bis zu einem gewissem Grad mehr als mit Klang selbst, um dessen Erfahrung und direkte Einwirkung es in der Ausstellung gehe. Und das lässt sich im Clubkontext nicht erfahren? Joergensen will die Phänomene bewusst ausgeklammert wissen, ansonsten würde die Ausstellung soziale Reflektionen der elektronischen Musik behandeln, was ausdrücklich nicht ihr Ziel ist. In erster Linie sollen eben die physischen und psychologische Auswirken des elektronischen Klangs gezeigt werden, der nur darüberhinaus soziologische oder gar politische Reflektionen zulassen soll. Und der Impuls, ein sich als politisch definierendes Kollektiv wie Ultra-red einzuladen, war auch nicht zuletzt eine Referenz, um zu zeigen, wie Field-Recordings in die neuen elektronischen Kompositionskonzepte kamen, so Joergensen. Der freie Kurator, früher Mitherausgeber des Magazins „Art Space“, nun Co-Manager der Produktionsfirma onepercent cph und bereits in ähnlichen Repräsentationsprojekten wie „Frequenzen“ involviert, hat elektronische Musik, so sagt er, sehr von der Kunstseite her erfahren. Er interessiere sich aber sehr für Musikszenen und will mehr Leute von dort in die Kunstszene bringen, denn der elektronischen Musikszene fehle bis zu einem gewissen Grad die Reflexion. Sein Anliegen, Reflektionen über bestimmte Kontexte bei „Frequenzen“ auszuschliessen, sieht Joergensen dazu nicht im Widerspruch stehend. Auf die Frage, inwieweit die Ausstellung Gender-Klischees bestätige – nicht nur aufgrund des Verhältnisses 2:11, sondern auch anhand der Art der Arbeiten von Lislegaard und Bulloch, die, zusammen mit Asdam, eher für das Emotionale, Intime und, ja, Warme in einer ansonsten eher männlich-szientistischen Umgebung zuständig zu sein scheinen, gibt sich Joergensen hingegen sehr reflektiert: er wolle nicht, dass „Frequenzen“ aussehe wie ein grosser Boys-Club, doch ging es nur darum, was in sein Konzept passte, eben all diese Facetten zu zeigen. Insofern sei die Künstlerwahl auch von der Nationalität her begrenzt und dementsprechend ausbaufähig.

4. Der Musikorganisator

Carsten Nicolai erscheint sachlich sehr konkret und fachlich äusserst kompetent. Er sieht sich weniger als musikalischer Kurator denn als Organisierer eines integrativen Rahmenprogramms. Er hat diese Erfahrung 2000 schon einmal bei der Leipziger Ausstellung „New Forms“ gemacht, darüberhinaus hat er selbst viel performt. Das Zeigen der jüngere Künstlergeneration heisst für ihn, Labelinhaber und ihre Strukturen, die ein neues künstlerisches Modell bilden, darzustellen. Künstler liefern, nicht wie früher, nur die künstlerische Arbeit ab, sondern verbreiten sie auch selbst. Stets betont er den persönlichen Kontakt. Die Auswahl ist nicht die definitive, sagt Nicolai offen, es fehlen vielleicht auch Namen, von daher sei es nicht unbedingt ein repräsentativer Querschnitt, aber ein guter und stimmiger Einblick in die Szene. Auf den seriösen Hintergrund der Künstler angesprochen, der sich – was bei „Frequenzen“ mitunter regelrecht erfrischend wirkt, wie ich sage – jeglichen Bezug zur Pop- und gar Ravekultur verbietet, antwortet Nicolai, viele der Künstler haben Erfahrung mit dieser Kultur gemacht und Fragmente und Ansätze davon übernommen, Pansonic sei hierfür ein gutes Beispiel. Aber wo diese Ansätze wirklich herkommen, nämlich vielleicht eher aus einem physikalischem oder naturwissenschaftlichem Denken, das gerade versuche diese Ausstellung zu zeigen. Ihre verbindende Sprache sei das gemeinsames Interesse an physikalischem Sound als musikalischem Ton oder Klang. „Und das ist spannend, weil nicht nur die hörbaren Töne reflektiert werden. Die Soundskulpturen sind auf herkömmlichen Musiktransportmedien gar nicht reproduzierbar. Zudem geht es um die Sichtbarmachung der Instrumente und Sounds, es ist wichtig, die Materialität zu zeigen, die Quellcodes offenlegen, was auch eine gewisse Ehrlichkeit beinhaltet – man sieht die Kabel, die von a nach b liegen, es wird nichts mystifiziert.“ Die Utopien sieht Nicolai eher in wissenschaftlicher Hinsicht – Sound ist weitaus mehr als das, was wir hören, und hier werde dargestellt, was im Club sonst nicht hörbar ist. Die Counterparts, die eher psychologisch-soziologische Ansätze konnotieren, findet er gut, damit es nicht hermetisch wirkt. In diesem Kontext wirke eine menschliche Stimme zB. unglaublich, total ungewohnt und erzeuge eine ganz andere Wahrnehmung. Die Frage nach den Gender-Klischees findet Nicolai sehr interessant und auch viel zu unbeantwortet. „Möglicherweise repräsentiert sich dies in der von Männern gebauten Musik-Technik, es gibt definitiv auch eine Männerlogik in diesen Instrumenten.“

5. Die Künstler

Derart differente Herangehens- und Umgangsweisen mit dem Material „elektronischer Klang“ erschweren es natürlich, ein kohärentes Gespräch mit vier der ausstellenden Klangkünstler zu führen. Trotzdem sollen einige Positionen notiert bleiben. Am Tisch: Franz Pomassl, Mika Vaino (auch Pansonic), Mick von Farmers Manual und Leonardo von Ultra-Red. Angesprochen auf die Netzwerke und die Definition der verbindenden Elemente, sieht Pomassl darin durchaus kein Klischee, sondern eine neue international zirkulierende Sprache. Vaino bestätigt, dass sich diese Gruppe von Künstlern schon sehr lange kennt und seit Jahren interagiere, und das auch privat. Doch was ist das verbindende Element, werfe ich ein, der Gebrauch der „Elektronik“ ist doch ein sehr vages Verbindungselement – seht ihr einen weiteren Moment? Vaino: „Ich sehe die Elektronik als Verbindung nicht als so wichtig an, es könnte auch Akustik sein, es wäre kein Unterschied. Ich sehe eher verbindende Ideen, es geht um den Kontakt.“ Mick: „Ja, es geht um Fragen von Sound oder Konzepten, es ist etwas Unsichtbares, nur Hörbares, aber nichts Mystisches – es geht um Kommunikation.“ Pomassl: „Elektronik ist nur ein eyecatcher. Es geht aber eher um den Soundcatcher.“ Und wie steht es mit den utopischen Ideen der künstlerischen Avantgarde, auf die ihr euch berufen sollt – wie verhaltet ihr euch dazu? Pomassl: „Die Arbeit ist nicht aus dem Prozess herausgeschnitten, es gibt historische Einflüsse und Verbindungen. Und wenn du ein „cutting-edge-thing“ machst, musst du wissen, was die letzten 100 Jahre passiert ist, sowohl in der Geschichte wie im Kunstkontext.“ Leonardo: „Wenn ich an Utopien denke…in der 3. Welt stirbt von drei Neugeborenen eines, das andere ist sein Leben lang krank, und das letzte bekommt keinen Job. Ich denke, das „utopische Element“ dieser Tatsache ist eine Herausforderung. Viele Avantgardekonzepte betrachten diese Dinge als etwas natürliches, doch für uns ist es wichtig, diese Tatsachen an die Oberfläche zu bringen. Vaino: „Nun, ich denke nicht darüber nach, ob meine Musik Avantgarde oder „cutting-edge“ ist, es ist mir egal. Aber es ist natürlich wichtig, neue Dinge zu schaffen, doch für mich ist das nicht der wesentliche Impuls. Ich fühle mich utopischen Ideen nicht wirklich verbunden, mein Interesse liegt vielmehr im Bereich von Physik, der Idee von Zeit und ihrem Zusammenhang mit Klang. Die Uhren repräsentieren den Klang, und umgekehrt.“ Mick: „Ich fühle mich auch nicht wirklich verbunden mit einem Kontext, der ins Utopistische verweist, es macht nicht wirklich Sinn, das zu projezieren. Das sind oft nur Images, während das Netzwerk der Leute vielmehr nur bedeutet, dass sie ähnliche Technologie benutzen und sich stark über Technik definieren.“ Wie beurteilt ihr die bewusste Abgrenzung von Club- und Popkontexten? Und: ist die Kunstszene eine „natürliche“ Umgebung für eure Arbeit? Mick: „Die white box ist eine klare Ausnahmesituation.“ Vaino: „Ich will das nicht zu oft machen. Ich will nicht, dass mir langweilig wird, für mich muss meine Arbeit spannend bleiben, ich mache soetwas höchstens zweimal im Jahr.“ Leonardo: „Der Kunstkontext ist definitiv etwas, was wir am Ende unserer Arbeit machen. Wir suchen ihn nicht. Wir kämpfen für die Öffnung der Räume der Gay-Community und gegen den Abbruch öffentlicher Häuser und Einrichtungen in L.A. und behandeln die Situation an der Grenze zu Mexiko, einer der bestbewachtesten der Welt. Hier werden wir uns innerhalb von vier Monaten, wie in den USA auch, mit anderen sozialen Gruppen verbinden und schliesslich auch im Rahmen der Ausstellung integrativ performen – und das wird vom Kampf der Leute in Deutschland gegen das System handeln, und nicht von Kunst.“ Pomassl: „Ich will, dass meine Konzepte und Ideen im grösstmöglichen Publikum zirkulieren, daher agiere ich auch strategisch im Kunstkontext. Ansonsten ist mir die Kunstszene zu engstirnig, (mit leicht verächtlichem Tonfall) meist inzestiös und manchmal sogar mit nationalen Elementen verbunden. Daher will ich in jede Szene, in die ich kommen kann, um meine Projekte zu realisieren.“ Wie beurteilt ihr das Konzept, über die Wahrnehmung des Körpers, des physisch und psychologisch Erfahrbaren, möglicherweise weiter zu soziopolitischen Themen zu kommen? Ich denke, für Ultra-red ist die Sache klar, und die anderen? Pomassl: „Viele Klangarbeiten gehen über das menschliche Ohr, die Zentralidee meiner Arbeit aber ist, den Körper als eine Erweiterung des Ohrs zu sehen. Ich habe sehr viele Untersuchungen dazu gemacht, über die menschlichen Sinne als Erweiterung von Audio.“ Vaino: „Bei mir geht es um die Wirkung auf Bewusstseinsebenen.“ Mick: „Bei unserer Arbeit sind das die interaktiven Projektionen, welche diese Ebenen ins Bewusstsein bringen.“ Etwas zum Nachdenken: Wirkt die Gesamterscheinung der Ausstellung nicht zu formalistisch? Schweigen in der Runde. Ich breche das Schweigen und erläutere, es gehe nicht darum, dass etwa bestimmte konkrete Inhalte fehlen, doch sogar wenn die Inhalte oder Kontexte weg-abstrahiert werden oder untergehen, sollten nicht wenigstens Partikel dieses Untergangs dokumentiert werden? Leonardo: „Technologie ist nicht neutral. Sie ist nicht nur kreativ, sondern eben auch sehr zerstörerisch, für Natur und Menschen. Dieses Thema ist für unsere Projekte sehr wichtig. Mick: „Man muss sich nicht für seine Konzepte rechtfertigen.“ Vaino: „Ich habe dazu keine wirkliche Meinung.“ Pomassl: „Vielleicht war es die Intention, diesen Repräsentationsraum für die ersten wenigen Aussteller, die wir sind, so formal wie möglich zu gestalten.“ Leonardo lakonisch: „It’s the nature of the beast to be like that.“

Interessant dann noch ein spontanes ausführliches Gespräch mit dem aus Norwegen stammenden und in New York lebenden Künstler Knut Asdam: seine Installation enthält keinen elektronischen Sound, sondern nur menschliche Stimmen, die in einem Darkroom mit Ausblick auf das Stadtbild vor der Schirn in einer Sphäre des vermeintlich Intimen die Besucher mit der Visualität des Alltäglichen, Akuten und Mondäne konfrontieren: die Stadt als Wunschmaschine. Asdam, der die puristische Formensprache des Minimalismus meidet, erkennt klar, dass die Ausstellung durch die Beschränkung auf den reinen Klang-Aspekt bisweilen Gefahr laufe, ein formalistisches Klischee zu erfüllen, daher ist seine Installation, die Kontexte nicht nur beachtet, sondern auch bewusst herstellt, ein expliziter Gegen- wie auch Ruhepol. In der US-Kunstszene sehe er den hier häufiger gepflegten Formalismus, der mitunter rigoros wirke, nicht so stark vertreten, dort behandeln zB. profilierte Künstler wie Steven Vitiello und Camille Norment sozial relevante Themen in einer eher surrealistischen denn formalistischen Weise.

6. Der Altmeister

Um den Reflexionshorizont noch abzurunden, noch ein Besuch beim Altmeister. Weil: jemand, der nicht direkt mit etwas zu tun hat, kann doch sehr viel damit zu tun haben. Achim Szepanski, Betreiber der Labels Force Inc, Mille Plateaux, Forcetracks, Position Chrome und Ritornell, hat nach eigenen Angaben nichts mit „Frequenzen“ zu tun, aber einige im Rahmenprogramm performende Acts sind gute Bekannte aus dem Mille-Plateau-Kontext, und: eine derartige Ausstellung in FfM ohne Szepanski, das sollte nachgefragt werden. „Wir hatten informellen Kontakt mit dem Kurator und persönlichen mit Carsten, das ist dann aber eingeschlafen.“ Der bürokratische Weg war dann zu kompliziert, und die Gesprächspartner erschienen teilweise gar zu inkompetent. Ursprünglich waren mehrere Diskussionen und Symposien zu dem von Szepanski und M.S. Kleiner konzipierten Buchprojekt mit dem Arbeitstitel „Medienmusiken“ geplant, aber irgendwann verlief der Kontakt im Sand, da beide Parteien offenbar eine andere Sprache benutzen. „Vielleicht lag’s auch an beiden Seiten“, gibt Szepanski, dem die theoretische Aufarbeitung des Komplexes der elektronischen, besser digitalen Musik, immer ein Anliegen war, offen zu, „auf alle Fälle haben wir uns dann mehr oder weniger von „Frequenzen“ distanziert.“ Die allgemeine Distanz des Labels zu staatlichen wie halbstaatlichen Instanzen, so Szepanski, und auch eine vorsichtige Skepsis gegenüber bestimmten Kunstkontexten trägt sicherlich das ihrige dazu bei. Den Konzertkontext findet er gelungen, die Ausstellung hat er noch nicht gesehen, die Katalog-CD jedoch gehört – sie erscheint ihm zu „old-fashioned und old-school“ und beherberge partiell eine Industrial-Ästhetik, die einfach nicht mehr zeitgemäss sei. Und sich auf Avantgardepositionen, auch auf deren Reflexion zu beziehen, geht für Szepanski ebenfalls nicht d’accord: „19. Jahrhundert – ich wäre sehr vorsichtig mit solchen Begriffen, würde mir da eher Begriffe wie Standardisierung, Systemkontext oder Design anschauen,“ sagt er. Der Sounddesignbegriff ist für Szepanski deshalb relevant, da er abdecke, dass heutige elektronische Musik durch die Software konfiguriert und bestimmt wird. Szepanskis Umfeld ist nun mal ein Anderes: ob er mit HipHoppern oder linken Disco-Aktivisten kooperiert, stets wird die strategisch bewusste Re-Kontextualisierung in der Szene gesucht. Und als „brisant“ kann er das Thema von „Frequenzen“ beim besten Willen nicht bezeichnete, ein im Rotlichtviertel geplanter Force-Inc-Showcase sorge jetzt schon im Vorfeld für mehr Wirbel in der Frankfurter Szene als die Ausstellung. Generell jedoch schliesst das Label, das auch schon bei der Ars Electronica partizipierte, einen Art-Kontext nicht aus, aber wenn, würden sie die Kontextualisierung und Szenenanbindung ungleich erweitern. „Dazu kommt noch diese Zeitverzögerung, bis das im Museum ankommt, von dem, was eigentlich 96 oder 97 up-to-date war.“ Anfang 2003 soll im Zusammenhang mit dem 100. Mille-Plateaux-Release das Buchprojekt bei Suhrkamp insklusive CD mit labelverbundenen Künstlern erscheinen. Hier, so der Frankfurter Altmeister der elektronischen Guerillataktik, sollen dann zentrale Aspekte zeitgenössischer elektronischer und digitaler Musik diskutiert werden.

7. Auf Wiedersehen

Als Ausgangspunkt ist „Frequenzen“ gut und brauchbar. Der Verzicht auf bestimmte Kontextualisierungen der elektronischen Musik ist in diesem Sinne vertretbar, bedarf aber unbedingt der Erweiterung, um nicht zukünftig im formalistischen Sud zu köcheln. Das nicht präventiv zum 100. Mal die Pop- und Clubkultur abgefeiert wird, hat, wenn auch in einem Old-School-Rahmen wie einem Museum relativ vorhersehbar, eben gerade etwas erfrischendes, das tatsächlich den Kopf frei machen kann, so dass sich über Erweiterungen und ergänzende Perzeptionsformen nachdenken lässt. Schliesslich bedarf gerade der Allerweltsbegriff „Pop“, mit dem in den unterschiedlichsten Szenen des Over- wie Undergrounds immer noch häufig sehr unreflektiert hantiert wird, eine erweiternde bzw. letztlich grenzensprengende Dekonstruktion. Trotzdem erscheint die Kontextualisierung der „Frequenzen“ zu sehr auf die Kunstwelt begrenzt, selbst der bisweilen horizonterweiternde Katalog bestätigt das mit bisweilen altbekannten Schreibern (eine Frau, sechs Männer, übrigens), so dass für zukünftige Repräsentationen elektronischer Musik thematische Ergänzungen und Kontextualisierungen nicht nur nötig, sondern geradezu zwingend sind.

(Jazzthetik)

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