TAPE REC
Von Nico Haupt
Unsere Audio-Kassette! Ein unliebsames Relikt aus den 70er Jahren oder einfach nur eine eiserne coole Scheiblette? Die meisten Mitmenschen betrachten den kleinen Flachmann ja als rudimentäres Mysterium oder lästigen Hosentaschenverknautscher. Gelangweilte Musikpsychologen zaubern jedoch durch dessen Existenz unvermeidbare Charakterstudien hervor. So dissen sie Prinzipchaoten, ‚je siffiger desto toller‘, genauso wie schwierige Girlie-Sorten, die mit einer so beeindruckenden wie unnachvollziehbaren Systematik dann doch das richtige ‚Mix-Tape‘ aus dem unbeschrifteten Haufen neben der Anlage oder dem Handschuhfach ziehen, nicht ohne vorher mal wieder einen Bandsalat zur Aschenbecherdiät zu befördern. Meistens werden diese Musikpsychologen jedoch selber zu resignierten Bosshemdenbesitzern, die plötzlich auf irgendwelche MD, DAT oder DVD schwören; liegen die Kontaktlinsen zu Hause, reicht auch DDT, LSD oder LTU. Zu einem absoluten Gedenktag gerät ausserdem der Moment, wenn man zuweilen auch auf den abgehalfterten Pädagogik-Studenten trifft, der sogar noch die gute alte Agfa-Ferro 90+6 hervorzaubern kann. Die echten Kenner beten jedoch die Tape-Historie von Legendary Pink Dots bis Harald Sack Ziegler herunter und wissen von der Professionalität wie z.B. Drone oder anderen Verteilern. Und was macht der pedantische Dauerbeschrifter? Er freut sich über diese Zeilen hier und pusht das Klassiker-Medium genauso wie die Umschlaggleise Dublate und Zip. Denn auch trotz digitalem Zeitalters passt es gerade jetzt den Machern von Tape Records in den Kram, endlich endlos lange Experimental-Freestyle-Elektronik-Schleifen dort unterbringen zu können. Denn ‚ohne Veränderungen der mikropolitischen Strukturen‘, so ihre Devise, ‚gäbe es auch keinen Wechsel in der Makrostruktur‘.
Die Köpfe von TR sind Elektronikmusiker und nebenher auch noch erfahrene Journalisten: Claas Morgenroth und Marcus Maida. Letzterer ist der Interviewaholic bei dem teils überregional erscheinendem Magazin „Seven“, welches sich mit grossen Vorbereitungen vorgenommen hat, ab 1998 zusammen mit TR im Doppelpack online zu gehen. In diesem Sommer verging nämlich kaum ein Tag, an dem man Marcus Maida nicht wieder mit blutunterlaufenen Augen irgendwo traf und er erstaunliche Namen aus dem Ärmel zaubern konnte. So etwa Boymerang, Krust, Unit Moebius, Mego Rec. und Pulsinger innerhalb von drei Tagen. Manchmal musste er auch zwischen Begabtheit und Handicap pendeln, wenn er hintereinander Arto Lindsay und Station 17 befragen musste und mal wieder das Diktiergerät gehakt hat. Seine eigenen Kreationen kamen deswegen bislang zu kurz, doch seit einer Weile sind die Marketingmixturen nun auch bei TR abgeschmeckt: Das Design bzw. Coverart übernimmt der Artist selber, für die klassische Promotion und Distribution sorgen TR, Endpreis: etwa 7 DM. Ihr Verteilungsnetz wird zur Zeit noch stärker aufgestockt, im Gespräch sind A-Musik, weitere Mailorder und die holländische Tapeszene. Unter bislang 11 Veröffentlichungen können natürlich auch mittlerweile ihre eigenen Produktionen bestellt werden. Das gesamte Angebot ist reichhaltig und ziemlich konträr. Unbequeme Zufallselektronik liefert dabei den Schwerpunkt, doch der Reihe nach:
‚Hotel Discipline‘, ein Maida-Projekt, fördert etwa stoisch industrielle Ambient-Strukturen, die mal hier an Throbbing Gristle, dort an frühe SPK erinnern. Das Motto: Play + Product! Tritt er live zusammen mit ‚B 500‘, einem anderen TR-Artist auf, muss er seinen Korg MS-20 und die gute Polysix schon mal den zufällig eingeworfenen Gabba-Sequenzen oder reduzierten Ink-Stilitäten unterwerfen, welche fein säuberlich durch ‚Minigurke‘ und seinem 8Bit-Sample Modul eingefädelt wurden. Dann ertönt aber auch schon spontan Marcus‘ Akustikgitarre oder seine Trompete als Antwort. ‚Ufer 1‘ (die Nummern laufen aufwärts!) alias Claas Morgenroth unterwirft sich dagegen ganz der Eingeschränkheit seines 4-Spur-Geräts. Die einzelnen Stücke entstehen dabei scheinbar nach zufällig situativen Einlegmomenten. So lösen sich dort hektische Momente ebenso wie ruhige Klangschleifen ab und die Stringenz entsteht dadurch, daß die vorgewählte Hyperstruktur zwei Parallelrhythmen plötzlich ineinander verschmilzt. Und dann gibt es da noch ‚Karoshi‘, ein reines Free Jazz-Unternehmen, nach der alten Albert Ayler- oder Anthony Braxton-Schule. Seine Inspirationen holte sich Marcus Maida dabei von seinen früheren Sessions in Budapest zusammen mit den dortigen Heroes ‚Mc Ribbentrop‘. Solange hier die renomierten FMP Rec. aus Berlin nicht anspringen, muss halt auch dieses Projekt unter TR laufen. Bei Karoshi besitzt der MS 20 vorläufig nur eine reduzierte Funktion, um die sequentialisierten Strukturen in Ruhe aufbauen und wieder zusammenfallen zu lassen. Zu den (vielleicht doch zufälligen?) Fans der live Acts von Tape Rec scheint übrigens auch Heike Makatsch zu gehören. Bereits bei ‚Möller/Morgenroth:Lünkern‘ und ‚Hotel Discipline‘ ist sie aufgetaucht und auch der ein oder andere Späher von Earache zückte schon mal sein Notizbuch, wenn sich nach Negativland-Manier dutzende von Krachcollagen an scheinbar implodierende Elektronikgeräte aneinander reihten. Und deswegen planen TR im nächsten Jahr auch ihre erste CD-Compilation. Mit dabei weitere Acts wie ‚Faun‘, ‚Blender‘, ‚Jünnecke‘ oder der Mandolinensynthetiker ‚Schmidt‘.
In der Zwischenzeit gibt es zahlreiche Seven-Parties, wo unter anderem auch Sitzgruppe (mit dem Kölner Bob Humid) mitmischt. Natürlich werden weiterhin rund um die Uhr innovative Elektroniktüftler und stilistisch ungebundene Eigenbrötler gesucht. Und Tape Rec gehen auch ungewöhnliche Wege. So platzierten sie sich neulich mitten auf dem Flohmarkt, ‚wo die Leute uns nicht haben wollen‘. Neben weissbesockten Schnauzbartträgern oder abgegriffenen Nintendospielen bauten sie ihren Stand auf, legten die Paincore-Artisten ‚An-L Intrude‘ auf und warteten ab. Kaum einer störte sich jedoch an dem synthetischen Krach, alle wollten aber trotz fettem Schild ihren Kassettenrekorder kaufen. Sämtliche Erklärungsversuche schlugen fehl. Schliesslich kauften ihnen dann zwei MTV-Girlies Marcus‘ Kurt Kobain-Gedächtnisperücke, Claas‘ altes U-Rohr seines Chemielehrers und ein Tape von ‚Ufer 1‘ ab. Und als die meisten schon zur Mondfinsternis schielten, kam dann doch noch ein Interessent vorbei und stellte sich ihnen als ‚die Infotschechen‘ vor. Tja, wenn schon Street Floor, dann sollte man vielleicht auch Schlemihl von der Sesamstrasse aktivieren, denn in seine Taschen passte schon immer mehr rein als nur Vinyl und CDs.
Kontakt:
Tape Records
Marcus Maida, Wielandstr. 54, 40211 Ddorf, Tel: 0211/362990
Claas Morgenroth, Langerstr. 28, 40233 Ddorf, Tel: 0211/7336033
(Nico Haupt in De:Bug 06 / 26.01.2000)