Co Streiff

ICH HABE AUCH WEGE ZURÜCKGELEGT

Warum es so lange gedauert hat, bis die Schweizer Alt- und Sopransaxofonistin Co Streiff die erste CD unter ihrem Namen veröffentlicht hat, soll hier weder gefragt noch erörtert werden. “Für mich ist es extrem unwichtig“, betont sie, „nur in der Medienwelt heißt es eben etwas anderes.“ Und das muss sie akzeptieren, denn sie will ja nicht, dass ihre Musik – obschon sie ihr Spiel und ihre Person darin dezentriert – einfach so untergeht. Wir auch nicht.

Ihr Spiel ist warm und klar, ohne unnötige Verzierungen und Details, und tendiert zu einem direkten und immer noch leicht ungeschliffenem Ausdruck. Gleichsam schätzt sie ein überlegtes und präzises Klangbild und weiß genau, wie etwas klingen soll. Ihre Musik ist lebhaft, farbenfroh und impulsiv, und doch will sie eine Struktur, ja einen Raum – und der kann durchaus eine Landschaft sein – darum haben, in dem sie sich entfalten kann. Als Mensch schätzte sie jahrelang das nomadisierende Unterwegssein, doch mittlerweile weiß sie, dass es manchmal gut ist irgendwo anzukommen, um später wieder weggehen zu können.

Tradition über Bord!

In Jonem, einem kleinem Dorf im aargauischen Reusstal aufgewachsen, erhielt die später (und bis heute) in Zürich lebende Musikerin sehr früh eine musikalische Förderung via Rhythmusschulung sowie zehnjährigem Blockflötenspiel. Mit 15 wechselte sie dann auf Querflöte, hatte extrem Pech mit dem Lehrer und verlor auch das Interesse an der klassischen Musik, denn durch ihren Freund, einem professionellen Bass- und Tubisten, trat König Jazz bzw. Free Jazz in ihr Leben. “Da war ich 17. Ich bin nicht in die Tradition eingestiegen, sondern direkt in den Free Jazz der 60er Jahre…und wenn man so will, bin ich da auch irgendwie geblieben, es hat mich sehr begeistert und geprägt.“ Sie, damals noch Studentin der Soziologie, Psychologie und Ethnologie, stürzte sich in Musik, ging zu Konzerten und mietete später ein Saxofon. „Und als ich mit 22 dann angefangen habe, habe ich die ganze klassische Tradition sofort über Bord geworfen. Ich habe überhaupt nicht von Noten gelernt, sondern ausschließlich vom Gehör und vom freien Spiel her. Dann bin ich ein bisschen an Jazzschulen schnuppern gegangen, 3 Monate in Bern, wo mir das Klima damals viel zu männerdominiert und wettbewerbsorientiert, einfach zu unfreundlich war. 1982 bin ich dann nach St. Gallen gezogen, wo ich 1 1/2 Jahre bei Art Lande studiert habe. Ich habe nie einen richtigen Lehrer gefunden, von den Bands und Projekten habe ich am meisten gelernt, übers Spielen halt.“ Und das Musik hören: Archie Shepp sehr und ausdauernd, Coleman, der Sie sehr vom Improvisationsfluss und vom Spiel-Denken her geprägt hat – hier muss Co lachen, als ob es eine Theorie wäre, sagt sie, dabei geht es doch vielmehr um den intuitiven Umgang und die Art zu improvisieren -, später Coltrane, Louis Sclavis, Andrew Cyrille, auch deutsche und österreichische Freejazzer, es kam die Mingus-Phase, die Sun-Ra-Phase, die Art-Ensemble-of-Chicago-Phase…so erarbeitete sie sich eine eigene Welt, mit der es die andere zu erforschen galt. Gleichsam hatte sie früh sehr großes Interesse an Weltmusik und sich, verglichen mit anderen Jazzmusikern, sagt sie, eine relativ breite Kenntnis der authentischen Volksmusik von arabischen, tibetischen, balinesischen, weniger südamerikanischen, aber vor allem afrikanischen und osteuropäischen Musik angeeignet. Und ab 1981 spielte sie dann endlich in einer Band.

Energie und Struktur

Arkadas“ orientierte sich sehr an „Oriental Wind“, interpretierte und verjazzte türkische Traditionsmusik, spielte auf türkischen und linken Festen in der ganzen Schweiz und war sehr erfolgreich. Sechs Jahre dauerte das, dann wollte der türkische Sänger und Sazspieler wieder in seine Heimat. Der Rest machte als „Kadash“ weiter, gab den klaren Bezug zur türkischen Musik auf und arbeitete mehr in Richtung experimentelle Volksmusik, teils mit Eigenkompositionen, aber auch sehr am Konzept der von Sclavis begründeten Lyoner ARFI, der Suche nach einer Folklore Imaginaire, orientiert. “Ich würde schon sagen, dass sich da relativ konstant etwas durchgezogen hat. Das Art-Ensemble-of-Chicago hat auch diese Bezüge auf die traditionelle Musik, und die freie Musik ist ja auch geprägt durch einfache Muster.“ Weitere Beispiele wären Shepps und Cecil Taylors Bezugnahmen auf afrikanische Traditionen oder Colemans wichtige Begegnung mit Jujuka-Musikern. Von all dem aber erfuhr Co Streiff erst später, doch es macht Sinn, wenn etwas in Kreisen wieder bei einem ankommt. „Kadash“ hielt sich unglaubliche 17 Jahre bis ins Jahr 1998, dann aber hatte sich das Projekt erschöpft und zwei Musiker hatten gar Interesse an Techno gefunden. Co hatte indes schon parallel zur Band in der Frauengruppe Canaille gespielt oder dem Sextett „Tobende Ordnung“, wo es um die Verbindung von Improvisation und Formen aus dem Jazz ging. Ging es bei „Kadash“ durchaus mehr um Konzepte, standen hier die Stücke im Vordergrund, und so lassen sich hier bereits die beiden Pole festmachen, um die es bei Streiffs Musik geht: hier Impulsivität und Energie, dort Struktur und bindender Charakter, um das Fest nicht im Amorphen versanden zu lassen.

Art Orchestra und Federlos

Dann kam das Vienna Art Orchestra. In der Jazzschule St. Gallen unterrichtete Mitgründer und Pianist Uli Scherer, hörte sie solo spielen und empfahl sie Matthias Rüegg, der sie vom Fleck weg für den charismatischen Wolfgang Puschnigg, der gerade ausgestiegen war, engagierte. „Total heavy“, so Co heute dazu, “denn ich war total anders“, doch der Zeit von 1988 bis 1994, ab 1991 auch in Rüeggs Swiss Art Orchestra, drückte sie ihren Stemple auf. “Das Vienna habe ich sehr gerne gemocht, hab da extrem viel gelernt, Jazz und Bigbandmusik zu spielen, denn technisch“, stapelt sie bewusst tief, „bin ich sicherlich am unteren Level. Das Vienna war am Anfang ja auch ein wilder und persönlicher Haufen, doch über die Jahre wurde die technische Seite immer wichtiger.“ Streiff indes lehnte die Steigerung von Technik und Virtuosität bewusst zugunsten des Erlebnisses, des Abenteuers ab – und das hieß damals für sie „Zirkustheater Federlos“, wo sie seit 1988 zeitgleich zum Art-Orchestra spielte. „Als Rüegg mich mal vor die Wahl stellte, voll mitzumachen, lehnte ich zugunsten einer Federlos-Tournee ab.“ Ihr langjähriger Mitspieler und jetziger Lebensgefährte Tommy Meier hatte 1987 die „Federlos“-Leitung von Omri Ziegele übernommen, ein Jahr später kam Co, und man spielte bis 1996 zusammen. Hier führte Streiff ein recht nomadisches leben, war die Hälfte des Jahres auf Tour, und alle anderen Projekte mussten warten. Zumeist im Quintett spielte man Eigenkompositionen im Stil von Jazz, New Orleans und freier Musik. Der Zirkus, eine halbe Laientruppe, angeführt von zwei Zürcher Clowns, entwickelte sich aus der Energie der mittlerweile totgelaufenen alternativpolitischen Bewegung der 80er. Wie viele alternative Projekte dieser Zeit war er Fluchtpunkt und Orientierungspunkt und wurde bald zur Großfamilie. Ein Zirkus ohne Tiere und Klischees, die ein Zirkus sonst immer mitträgt, sehr poetisch, witzig und frech, doch für die Protagonisten Selbstausbeutung und auf Dauer ermüdend. Das Projekt starb, als viele von ihnen eine Familie gründeten und eine andere Existenzgrundlage brauchten, vorher jedoch gelang noch ein Coup, indem man kopfüber nach Afrika zum Gastspielen ging und insgesamt drei mehrmonatige Tourneen in Nigeria, Namibia und Ghana machte.

Man muss eine Form finden

Ging es in deiner musikalischen Entwicklung auch um die Aneignung von Differenzierungen, damit nicht so ein pittoreskes Klischeebild von arabischer oder afrikanischer Musik entsteht? „Ich arbeitete eigentlich nie an einer authentischen Wiedergabe der Musik. Mir ging es immer um eine Art von Intensität und Klanglichkeit, die mich berührt hat, die wollte ich erreichen, um ein Transportieren von spezifischen Qualitäten in unsere Musik hinein, zum Teil aber auch um die jeweilige Aussage und das Gefühl. Kann ich über unsere Tradition die Aussage von Pygmänenmusik erreichen? So ein sich ewig drehendes und eigentlich liebevolles Klanggebilde, oder diese Sprödheit und Kargheit der arabischen Musik, wo oft nur Perkussion und Blasmusik zu finden sind?“ Irène Schweizer sagte, dass sie von den europäischen Musikern eigentlich kaum etwas gelernt habe als vielmehr von den Schwarzafrikanischen. Gilt das für dich auch? „Ja, durchaus. Ich habe schon gerne das emotionale und impulsive Spiel gehabt, das ohne Rücksicht auf Verluste den Ausdruck sucht, die frei werdende Energie war mir wichtiger als ausgefeilte und präzise Skalen…das eruptive und angreifende Element, wie bei Archie Shepp. Und klar habe ich da Anleihen an Tonfolgen und Rhythmik, dieses afrikanisch-triolische Gefühl, der „Dreier in den Vierern“. Doch heute mag ich auch die coole und überlegte Musik, den Westcoast-Jazz…ich habe auch Wege zurückgelegt.“ Heute mag Co Streiff es, gewisse Strukturen zu haben und wenn sie genau weiß, wohin sie die Musik fokussieren kann. Das ganz freie Spiel begann sie irgendwann etwas zu langweilen, weil sie stets die gleichen Improvmuster erkannte, damals aber noch nicht so weit war, diese zu sprengen, oder die Gefahr zu erkennen, wann man Unsicherheiten besser nicht mit nervöser und ruheloser Expressivität überspielt. Man muss eine Form finden, wie man improvisierte Musik strukturieren kann, weiß sie heute, und ihr aktuelles Album „Qattara“ auf Intakt-Records bezeugt genau das. Das sehr kompakt klingende Spiel des Sextetts bezeugt hier ihren Hang zu Stücken und Liedern: noch nie hatte Co Streiffs Musik so wenig freie Momente und soviel Struktur wie hier, und doch spürt man die Einflüsse frei atmen.

Aus dem Bauch

Die Werkstatt für Improvisierte Musik war auch für Co Streiff wie für viele Zürcher Musiker ein zentraler Fokussierort, heute eher ein Arbeitsort: hier spielt sie schon sehr lange und gibt seit 1984 – natürlich mit Pausen – Unterricht. Auch neben dem Sextett ist sie aktiv, seit 1986 arbeitet sie, die klar aus der Zürcher-Improv und Fabrikjazz-Szene kommt, mit Irène Schweizer in verschiedenen Projekten zusammen, spielt mit Worch, einer Grossformation der WIM Bern, und seit 1999 mit Pianistin Gabriela Friedli, Drummer Dieter Ulrich und dem Bassisten Jan Schlegel als „Objets Trouvés“. Seit einiger Zeit hat sie Zwillinge, sie wird stationärer. Sie macht feste Workshops. „Früher dachte ich, Jazz sei nicht diplomierbar, man muss einfach spielen und gut sein. Heute sehe ich auch das etwas anders, gebe meine Erfahrungen weiter und versuche die Vorteile der Ausbildung zu vermitteln. Es hat sich schon was verändert.“ Hast Du das früher mehr aus dem Bauch heraus gemacht, oder ins Blaue? Konsequenter gar? „Schon aus dem Bauch: es ist mir etwas begegnet, und ich bin dem gefolgt, ich fragte mich nur: wie lange kann ich das tun und vereinbaren mit dem, was ich gut finde? Die Dinge sind mir so zugefallen, Zufälle, die mich in bestimmte Richtungen gelenkt haben. Ich habe nicht gedacht: ich will Zirkusmusik oder das machen. Im Nachhinein macht das aber sicherlich Sinn. Die Intuition führt einen schon zu den Sachen, um die es einem letztlich geht.“

(Jazzthetik)

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