SYMBOLISCHER KRIEG
Von Marcus Maida
Aufstand gegen Deutschland. Krieg im Kinderzimmer. Revolution im Medialand. Können Mittelstandsweissbrote durch zuviel Theoriesampling zum Glühen gebracht werden? Ein fiktiver Dialog realer Theorien zu Geschichte, Strategie, Wirkung und Widersprüchen bei Atari Teenage Riot und Digital Hardcore Recordings.
AUFTRITT DER STELLVERTRETER
EINS: Hast Du mal Feuer?
NULL: (Pathetisch) Und wenn es sie nicht gäbe, müssten sie doch erfunden werden, zumindest von denen, die dem schwammig definiertem Fetisch-Antifetischbegriff „Pop“ als medialer Sichtbarmachung kapitalistischer Kultur-Antikultur früher, damals, dann und auch noch jetzt und heute aus dem ökonomischen Tautologiezwang im Markt der Inhalte heraus eine bewegende Kraft zuschreiben. Und wenn sich diese auch nur in purem Vitalismus äussert, egal, es wird bewegt, oder?, es findet doch ein Prozess statt, oder?, den es zu verfolgen gilt, oder?, und es findet doch ein Diskurs statt, ja?, mit „Modellen“, „Vorschlägen“, „gegenkulturellen Designs“, oder? Was auch immer für Projektionen von Pop-Intellektuellen auf Poppolitik gemacht werden sollten: – SIE müssten dafür geradezu am Reissbrett entworfen worden sein, diese vier wahren Popkämpfer, zwei Frauen und zwei Männer mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Romantiker, die nicht resignieren und vor allem nicht nur analysieren wollen, und die hoffen, als eine Art Pop-RAF, oder doch wenigstens als Rebellen in der gernegrossen Welt der Popmusik einer Utopie vom gerechten politischen Aufbegehren und Kampf nahezukommen, und zwar mit einem Label, das linksanarchistische Essentialismen und Universalismen so dreist und grosskotzig in die poppigste Popwelt trägt, dass ihnen schon selber davon schlecht wird – ATARI TEENAGE RIOT und DIGITAL HARDCORE RECORDINGS, dieses virtuell-materialisierten Medienfleisch, das sich selbstquälerisch vermarktet und in eine Spirale aus Provokation und Kritik von allen Seiten gerät, und dabei den Medien und ihren Vertretern und Prozessen in strukturell bedingter Hassliebe zutiefst verbunden ist – müsste man sie nicht machen, wenn es sie nicht schon gäbe, auch, wenn sie falsch wären oder vielleicht auch sogar sind?
Und wenn sie nun doch gut sind?
Scheissegal.
Ich kann das Wort „Pop“ nicht mehr ertragen.
Was soll der ganze Pathos eigentlich hier?
Wir haben es doch nur mit Musik zu tun. Was sonst?
EINS: Ende Juni 2000. Keine besonderen Vorkommnisse. Alles ruhig im Westen, keine Regierungswechsel, keine Diskussionen ausser zum Zeitvertreib oder aus Profession, kein Aufstand schon mal gar nicht, das Wetter aber wechselt wie meine Launen. Die üblichen Leichenberge im Park und die gewöhnlichen Zombies im Supermarkt. Greift das Bild noch? Ist es nicht schon wie so vieles aus den Kulturarchiven alt und grau geworden, um noch zu treffen? Sag: wie schlau kann und muss eine Analyse sein, dass sie nicht trifft mitten ins Zentrum der Gefühle, die im ruhigstem und dauerbetäubtem Amoklauf immer mehr Geschwür im verstehenden Hirn ansetzen? Uncodierte Warenwelten auch in den Worten. Heute im Supermarkt: keine Ware nachgekommen, die Regale auf einmal beängstigend leer, ein Schulterzucken an der Kasse, der Laden an der Ecke hat gar nicht erst aufgemacht. Wie lange bleibt das noch ruhig? Ist das überhaupt vorstellbar für Euch in diesem Wohlstandswahnsinnsschlaraffenland, dass auf einmal die wirklich wichtigen Quellen versiegen? Paranoiatag, am Wochenende Krieg im Privaten, auf dem Markt, auf der Strasse, im Hausflur, ein archaisches Brüllen, eine unglaubliche Verrohung, eine zeitgemässe Egozentrik, die jegliche Kommunikation von vorneherein unmöglich macht. Zurückbrüllen, wenn egokapitalistische Choleriker, die ihre Sinnesjalousien schon lange heruntergelassen und versiegelt haben, anfangen, im Wahn des eigenen nationalstaatlichen Denkens und Empfindens zu brüllen. Dann auf einmal noch lauter zurückbrüllen, bis sie überhaupt reagieren, sich angstvoll verziehen, oder es kommt schliesslich, Geifer vor dem Mund, zu einem gnadenlosem Schlagabtausch mit regelrechtem Dschungelbuchcharakter. Schliesslich, zitternd auf den Stufen sitzend, versuchst Du, Antworten ohne erneute unnötige Fragen in das Hirnvakuum zu treiben. Die Machtdemonstration ist vollzogen, der Feind hat sich vorerst verzogen, aber es macht nichts besser, die Welt bleibt in einer kranken Spannung, der vermeintliche Sieg war auch hier eine klare Niederlage, Krieg ist immer eine Niederlage, ausser für die, die stoisch auf der anderen Seite der Geschichte Kapital daraus abklopfen. Und ich sitze auf den Stufen und höre das zeitgemässe Blubbern und will nur noch weiter abwärts gehen und meine Ruhe haben. Stattdessen muss ich nach Osten.
NULL: Ob nach Osten oder Westen ist in diesem Fall völlig egal. Und es herrscht immer Krieg, auch jetzt, nicht nur konkrete kontextgebundene Kriege, sondern: Mensch gegen Mensch, Lebenskontext gegen Lebenskontext, alles andere ist Lüge, Schönfärberei, Fassade. In einem System, welches auf die Geduld und Lethargie seiner Unterdrückten baut, und sie über die Jahrzehnte immer perfekter konditioniert und darauf abgerichtet hat, seine Ökonomie und die damit verbundenen sozialen Machtgefüge als das einzig Mögliche und wirklich Richtige und Wichtige anzuerkennen. Das, verbunden mit unterstützenden biologistischen Verhaltensweisen, die kulturalistisch angepasst sind und umtransformiert wurden, und teilweise gar nicht mehr als solche erkennbar sind. Dies garantiert die Effizienz und den starken Kontrollcharakter einer „natürlich gemachten“ Struktur. Der Kapitalismus erneuert sich gerade, durch äusserst effiziente Technologien, die von keiner Seite mehr ernsthaft abgewertet werden, durch mediale Images, deren Wirkung viel zu oft unterschätzt wird, neue ökonomische Zwangslagen, und aus all dem resultieren systemkonditionierte Alltags- und Verhaltensweisen, die sich permanent und perfide in das gesellschaftliche Leben einschleifen. Die kapitalistische Ökonomie gibt sich als derzeit einziger Masstab, der überall mehr oder minder perfide beworben und propagiert wird – Status, Geld, Macht und deren Symbole -, dazu eine systematische kulturelle Sedierung und politisch-ökonomische De-Stabilisierung von kritischem Bewusstsein und bewusster Solidarität unter den Ausgebeuteten – das ist der Krieg, der tägliche Angriff durch das Normative des Systems, und das alles führt zu einem bewusst toleriertem und forciertem Krieg in der Gesellschaft, innerhalb der Gesellschaft.
Kapitalismus ist permanenter Krieg, diese Tautologie ist die Basis.
Und jeder ist ein Feind. Und Du?
EINS: Freitag vor Pfingsten, im Zug nach Berlin. Der Intercity Express ist gerammelt voll, Stehplätze, 69-Mark-Ticket-Terror. Ich versuche zu lesen. Hitze. Vor mir sitzt ein blutjunger prototypisch arisch-blondierter Jugendlicher im Heinrich-Himmler-Style, insklusive Rundbrille, völlig normal, nett und logisch auch intelligent, auf dessen T-Shirt Homer Simpson einen Hamburger frisst. Der Junge liest auch. Als seine Lektüre auf meinen bag auf den Tisch zwischen uns fällt, sehe ich, dass er einen „Landser“-Sammelband liest – die gibt’s nämlich auch noch, wie Du vielleicht weisst, und die verkaufen zzt. wahrscheinlich mehr denn je –, und ich sehe nur dieses antiquiert wirkende doch in Wahrheit topaktuelle Cover, diese Schwarz-Weiss-Soldatenmännchen, die mit verkniffenen Gesichtern ihre Magazine leerfeuern, und es macht Ding-Dong, etwas spricht, eine Führerhausstimme, es ist das Jahr 2000, kurz vor Pfingsten, und wir sollen doch alle mal Ruhe bewahren, in Hannover, wo der Expo-Wahnsinn wütet, werden auch ausnahmsweise mal ein paar Wagen zugehängt. Der Zug ist pickepackevoll, es ist heiss, keiner kommt mehr durch. Aggression schwelt, Neid macht sich breit, Platzangst verzerrt deutsche Gesichter. Als der Zug in Bielefeld einfährt, ist der Bahnsteig zu den zig wartenden Menschen noch übersäät mit Union-Berlin-Fans. Als die Insassen des Wagons sie erkennen, stöhnen alle entsetzt auf. Die Unioner entern ohne zu Zögern den Waggon und markieren ihr Revier sogleich mit den bekannten tief-heiseren Fangesängen, skandieren zur Melodie von „Blau blüht der Enzian“ in ohrenbetäubender Lautstärke: „Wir sind die geilen Jungs aus der Reichshauptstadt – Ficken oder was? – Ficken oder was?“, wobei sie sich natürlich umgehend die Sympathien vor allen der weiblichen Mitreisenden zuziehen. Du kannst der deutschen Gesangsmaschine, geschmiert mit viril-rassistischer Fröhlichkeit, ja nicht entkommen. Mein kleiner SS-Mann, noch ohne Uniform (aber er arbeitet feste darauf hin), amüsierte sich auf alle Fälle kräftigst und fraternisierte sofort. Die Frau neben ihm, eine völlig alte völlig völlig unpolitische „Bunte“-Leserin, hatte erst die Sorge im Gesicht, aber Heinrich beruhigte sie wissend: die sind so weit gefahren, die wollen jetzt keine Randale mehr machen. Die Hools sind unglaublich laut und gehen mit allen Reisenden gewohnt respektlos um, ohne jedoch explizit körperliche Gewalt anzuwenden. Im Zug herrscht eine in solchen Situationen übliche Spannung und Atmosphäre von tiefstschweigendem Terror, den es zu ertragen gilt. Leute, die leise Töne geradezu benötigen, um hier nicht verrückt zu werden, haben jetzt ein sehr grosses Problem. Union kämpfte um den Aufstieg, verkackte aber gegen Bielefeld. Das letzte wichtige Aufstiegsspiel vor dem Sommer. Dann ist Kampfpause. Wie war das nochmal mit dem Fussball als Kriegsersatz? Ich weiss schon, ich seh das alles viel zu verbissen. Aber für mich ist Fussball mittlerweile nur noch dummbeuteliger viril-machohafter Spackenscheiß, über den „wir Männer“ in der Frühstückspause bei der Arbeit, ob in der Walzstrasse oder im Büro oder wo auch immer, sich unterhalten dürfen-sollen-müssen. Mich hat dieser Gruppenzwang immer schon abgestossen. Und das erzählt dir kein weltabgewandter Idiot oder Sportfeind, sondern einer, der einen nicht geringen Teil seiner Sozialisation in der Südkurve des Fussballstadions und auch selber auf dem Bolzplatz erfuhr. „Wir sind die geilen Jungs aus der Reichshauptstadt “ – die ganze Fahrt geht es weiter, und auch andere witzige Nazi-Sprüche werden unters Volk geworfen. Der erlaubte Hitlergruss wird gerne zu anderen auf den Bahnsteigen und im Zug entboten. Was für eine massive und deutliche Ansammlung von virilem Rechts-Tum! Und das alles in Deutschland 2000.
Im ICE 947 Alice Salomon.
NULL: Mit Menschen zugequetschte Züge haben in diesem Land eine grausame Geschichte. Zweckentfremdete Sportarenen auch. Und in den Medien bekommt man via Fussball-EM derzeit sowieso die nationalen Interessen gnadenlos in den Arsch geblasen. „Unser Stürmer ist weg, was sollen wir tun? Und dann fliegen wir auch noch raus, haben keine deutschen Helden mehr!“ Wieder ein paar andere Andere abklatschen, es finden sich immer welche. Krieg – wir haben ihn jetzt, wir haben ihn immer. Es ist immer irgendwo Krieg, heisst es. Frieden ist die Abwesenheit von Krieg, heisst es. Dabei haben wir, historisch verglichen, jetzt doch erst 1925, oder 26 … der wirkliche schwarze Freitag steht hier noch ein paar Jahre bevor, und wenn es dann krachen und die gewohnten basics aus dem Ruder laufen sollten, rennen alle garantiert noch schneller auf die alten frisch modernisierten Werte zu, auf die sie sich ja jetzt schon hinbewegen. Und was machst Du Leidensknüppel gerade in Berlin?
EINS: Alec Empire-Originaltöne einsammeln. Und weisst Du was? Kurz bevor ich losfahren will, ruft mich ein Freund an und sagt: Alec hat diese Woche in Osnabrück einem Typen eine aufs Maul gegeben, der ihn ständig offensiv beim Auflegen angenöhlt hatte. Gewalt an den Decks. Krieg in der Disco.
Was fällt Dir dazu ein?
NULL: Musik: Comic. Politik: Comic. Krieg: Comic. Leben: Comic. DHR-Artists: sowieso Comicfiguren. DHR-Kritiker: erst recht Comicfiguren. Oder was willst Du hören? Die Frage ist: was erwartest Du von Popprotagonisten überhaupt? Joe Strummer von den Clash hat mal gesagt, alles was er von Marx gelesen hätte, war dieses kleine Comicbuch von Riuz, „Marx für Anfänger“.
EINS: Und trotzdem: wie viele Leute, unpolitische Landeier-Punks, haben The Clash auf den allerersten Polit-Trip geschickt?
NULL: Und was ist davon geblieben? Alles so wie immer, wenn nicht noch schlimmer. Schlimme Lieder. Fette Konten für Clash. Levis-Werbespots. Und die Landeier-Punks haben irgendwann auch ihre langverdienten subversiv-dissidenten Bausparverträge abgeschlossen. Und in den Werbespots läuft demnächst vielleicht sogar der Sound von Atari: „Ist doch cool, WIR im Herzen der Bestie“, heisst es dann, „erreichen ganz andere Schichten!“ Nicht mit dem Soundtrack die Verhältnisse zum Tanzen bringen, nono, die Verhältnisse selbst bringen den Sound zum Tanzen! The revolution will be televised. Nein: The revolution Is Television! Oder Internet. Oder irgendwas, egal: Politik verschwindet IMMER gerne in irgendwelchen Kulturkanälen. Wird Kaugummi. Und das ist dann angeblich wichtig. Darüber wird gerne geredet. Same as it ever was. Wie früher. Wie immer. Oder war das früher etwa anders?
EINS: Entscheide selbst. Ich spiel dir mal was vor.
WERBEBLOCK 1: FRÜHER WAR ALLES ANDERS GLEICH, HEUTE IST ALLES GLEICH ANDERS
„DHR gibt es seit 1994 und ist damals tatsächlich mit dem Geld der britischen Phonogram, dem Vorschuss, den sie uns für das erste Atari-Album gegeben haben, gegründet worden. Atari gibt es seit 92, da war schon klar, dass wir ein eigenes Label haben müssen, wegen der Kontrolle und wegen der Nichtakzeptanz durch Andere. Für das Technoumfeld war das zu hart und noisy, und das war, bevor die ganzen Technostars in den Charts waren. Auch die Punks waren extrem konservativ. Für uns war klar: wir machen erstmal Show, machen Geld, und pressen dann die erste Platte. Doch schon bei der zweiten Show gab es ein derart grosses Interesse seitens der Major, das wir nicht erwartet hätten. Techno bewegte sich schon 1991 auf die Kommerzialisierung hin. Leute wie Westbam trieben die Sache voran, jegliches revolutionäres Potential der Musik ging dabei verloren. Es wurde dann schnell klar, dass die Majors Techno nur benutzten, um noch schneller Produkte auf den Markt zu werfen und viele Leute bereitwillig mitmachten. Für uns hiess das damals: wir müssen Aussagen machen, zur neuen Dimension von Deutschland und zur Wiedervereinigung. Jeder hatte zu der Zeit starkes Interesse an einem Nationalstolz, auch und gerade in der Musikszene: „Deutscher Punk“, und Techno sowieso. Uns war es damals wichtig, mit den Platten statements zu veröffentlichen, denn die Leute hörten sich irgendwelche Whitelabel an, und arbeiteten dann weiter in der Werbeagentur. Bei Atari standen damals verschiedene Majors Schlange, denn sie wollten Techno per Band, also mit Gesichtern dahinter, so richtig verkaufen. Die englischen Majors wollten damals schon soetwas, was sie Jahre später dann mit Prodigy gemacht und verkauft haben. Wir dachten damals: Ok, das ist ne gute Chance. Ein Plattenfirmenvorschuss ist nicht rückzahlbar, wir machen das. Auf diese Idee kommt in der Regel so richtig keiner, also in die Maschine hineinzugehen und mit Selbstzerstörung sozusagen wieder hinauszugehen. Wir haben die ATR-Sachen früher mit Atari, Sampler, Drummachine und Vierspur gemacht, jetzt kamen wir in superteure Rockstudios, weil die Firmen es vom Budget damals gar nicht anders gewöhnt waren. Es ist dann eskaliert, der Phonogram-Manager warf uns vor, wir hätten Monate verschwendet, und wir sagten: Ok, die Platte wird sich nicht verändern, die Stücke bleiben so, die Aussage auch, seht zu, was ihr damit machen wollt. Der Typ ist sich total verarscht vorgekommen und flippte völlig aus. 94 haben wir dann DHR gegründet, wir dachten, viele Leute würden uns deshalb als unglaubwürdig ansehen, das war aber nicht so. 93 kam das Spexcover, und ein halbes Jahr später wurden alle möglichen Leute aus der Technoszene gesignt, Sven Väth hat da seinen Deal gekriegt, Westbam, Marusha, Scooter – der Typ rannte komischerweise mit der gleichen Lederjacke und den blondgefärbten Haaren wie ich herum –, und viele andere. Wir dachten, dass viele sagen: Atari ist nur ein Hype, und wir müssten uns wieder neu beweisen. Doch 94 gab’s wieder andere Leute, die gute Sachen gemacht und gehört haben, und für die konnte man was machen.“
NULL: (Gähnt) Ähnliche Strategie wie Sex Pistols – ein Punk- also Kulturbegriff, der nur mittels der Medien wirksam sein kann, ob bürgerliche oder sogenannte gegenkulturelle ist schon mal völlig egal, das ist komplementär, ergänzt und bedingt sich. Die Medien sind wie immer Verstärker und werden in kürzester Zeit selbst zu Imageproduzenten, egal, auf welcher Ebene. Und DIESE Geschichte mit der Phonogram ist natürlich für einen Mythos prädestiniert. Und NATÜRLICH ist DHR ein Underground-Business, das weiss jeder, vor allem Alec, und das braucht auch gar keiner mehr zu entlarven oder zu enthüllen, das ist offenkundig und auch so gewollt. Aber was ist denn daran nun so interessant?
EINS: Dass sich an einem Underground-Popphänomen wie ATR und DHR generell grundsätzliche Strategien oder Widersprüchlichkeiten für politische und gegenkulturelle Positionen nachvollziehen können – ob das überhaupt geht, wenn ja, wie, und ob das Ergebnis dann sinnvoll und weiterführbar ist.
NULL: Ich glaube, Du überschätzt da was. Und machst ja selber schon die Trennung zwischen politisch und gegenkulturell…
EINS: Eben nicht, ich stelle diese beiden Begriffe nur als dialektische Ausdrücke eines interdependenten Netzwerkes von gesellschaftlichen „multitudes“ nebeneinander. Als ob sie sich diese Begriffsfelder ausschliessen würden, oder als ob ich hier universalistischen Begriffsmythologien die Tür aufhalten würde! Popmusik ist nur ein Strukturfeld von Phänomenen, die klassifiziert und beschrieben werden können – und dann muss mensch verdammt da raus, aus der Analyse, ins Leben, in die soziale Praxis! Mit wachem Auge auf die wirklich wichtigen Prozesse direkt vor deinen geschlossenen Augen, hinter denen dein Hirn noch über die Bedeutung von Wörtern nachsinniert. Und in diesem unschuldigem Leben, mein Lieber, passiert einiges Unglaubliches!
WERBEBLOCK 2: ERSTMAL NE ANDERE PLATTE AUFLEGEN
„Nach unserer ersten Platte „Delete Yourself“ hatten wir mit „Start The Riot“ 1995 den Kampf gegen das System im System eröffnet. Wir wollten Messages in die Musik packen, weil Techno inhaltsfreie Musik war. Angeblich. 95 war ja Dr. Mottes persönliche Message für die Loveparade, die Juden sollten mal ne andere Platte auflegen, die hätten schon genug Geld bekommen. Ich hörte das dann auch im Radio und dachte: das kann doch nicht wahr sein! Die Musik hatte sich wirklich geoutet als eine, die einen faschistoiden Lifestyle propagiert Es gab da vor der Parade diese Diskussion im Radio Fritz, wo Motte und William Röttger von Low Spirit waren und Leute anrufen konnten. Wir hatten ein Atari-Konzert als Anti-Loveparade-Statement organisiert, und dann rief ein Typ an und sagte: „Ich hab eure Statements gelesen, ihr seid Nazis, fuck you, ich geh nicht zur Loveparade, ich geh morgen zu Atari!“ Motte hat sich dann heftig verteidigt für seinen Spruch, bis William Röttger ächzend dazwischensagte: „Ich glaub, der Motte meint das nicht so“, und Motte krähte: „Doch, ich mein das doch so!“ – es war unglaublich! Und dann als ich die Bilder sah, wie Motte an der Siegessäule stand, die Hand ans Herz hält und in die Sonne sieht – unfassbar! Nicht zu glauben! Das kam ja auch von der Frankfurter Trance Scene her, Marc Spoon hatte Connections zu den Böhsen Onkelz und hat ne deutsche Flagge tätowiert, so ging immer das Gerücht. Ich hab das selbst nicht geglaubt, bis ich’s dann mal selbst gesehen habe. Einige DJs aus dieser Szene sind so drauf, und auch die Goa-Szene ist total unterlaufen von Esoterikern, die Dir soziale und politische Prozesse als „natürliches Kharma“ erzählen wollen, zb. dass die Leute in Afrika deshalb AIDS bekommen. In der ‚Face’-Ausgabe vom Januar ist ein Interview mit so einem Supermodel, die sagte tatsächlich: „Das war Kharma, das die Juden im dritten Reich alle starben“ – das ist schon so ne gängige Elitenhaltung. 96 wurde es dann immer schlimmer, wir haben uns zunehmend isoliert gefühlt, und keiner hat kapiert, wo das hinführt. Innerhalb der linken Szene waren zum erstenmal viele begeistert von Techno, die schlimmsten Vorurteile von rechts wurden bestätigt, das also, wenn eine Marketingfirma sich was ausdenkt, es acht Jahre später endlich auch in der Hausbesetzerszene ankommt. Es war wirklich grauenhaft. Die Leute kamen an und sagten (raunt): „Techno – ist – wirklich subversiv!“ – und da war Techno schon 4-5 Jahre alt. Und da haben wir dann die „Future Of War“ rausgebracht“.
EINS: Eins darfst Du nicht vergessen, Schlaumeier: ATR und DHR entstanden in direkter Konfrontation mit konkreten Situationen in der Polit- und Musikszene und dem Musikbusiness. Da ist nichts vordergründig Konstruiertes oder Marketingmässiges, kein Sigue Sigue Sputnik-Masterplan. Ausserdem sollte es im Popbusiness einen einfacheren Weg geben, als den, mit politischer Dissidenz seine Brötchen zu verdienen!
NULL: Wie naiv muss einer eigentlich sein? Wo soll ich denn hier anfangen? Die Politik ist bei ATR doch nur Zuckerguss zwecks Distinktionsgewinn! Deine romantische Sehnsucht nach politischer Unmittelbarkeit und vielleicht sogar Authentizität nervt ja wirklich. Und den ausgerechnet in popkulturellen Ausdrücken und Zusammenhängen zu suchen, ist völlig outdated, geradezu reaktionär! Also nochmal einige Basics: Die postmoderne Kultur ist eine Kultur der Indifferenz, Beliebigkeit und der Gleichwertigkeit, und je beliebiger sie wird, desto grösser ist die Sucht nach Authentizität, oder das, was die Leute dafür halten. Deutschsprachiger HipHop zb. baut immer noch 1A eine Musik nach, die irgendwann mal aus den schwarzen Ghettos der US-Metropolen kam und mittlerweile zu einem sehr grossen Marktsegment für Adoleszente geworden ist, wo Undergroundcredibility DER unverzichtbare Marktwert überhaupt ist. Und die ist auch tatsächlich nicht so ganz einfach nachzubauen, deswegen gibt es popkulturelle Mythenmaschinen und Imagekonstrukteure, die hart arbeiten, 24 h am Tag. Wie heisst es so schön: Real Is The Deal! Alec Empire und seine drei Leute sind auf jedenfall auch klar derartige authentische Role-Models, wie Action-Spielpuppen (wieso gibt’s diesen Set eigentlich noch nicht?), nur widersetzen sie sich sowohl dem Trend zum vulgären Massenpop, der nach und nach die einst herrschende elitistische bürgerliche Kultur totalverdrängt, als auch dem geschmäcklerisch-amtlichen intellektuellen Popbegriff, der diesen bürgerlichen Kulturkanon durch einen quasibohemistischen Zerrspiegel wiedergibt. Sie bedienen einfach eine völlig andere Klientel: politisch hungrige und aufbegehrungswütige Pubertierende, ich schätze mal, in der Regel Mittelstandsweissbrote, die den Verlust von authentischer Politik, also der sogenannten „Politik der Strasse“ – die Strasse ist ja bekanntlich das allerreinste Medienkonstrukt überhaupt – nicht verschmerzen können oder gar nicht erst wahrhaben wollen. Heutzutage wird auf dem kulturellen Sektor sehr viel mit dem Widerhäkchen der Ironie gehandelt – der Notbremse. Latetalker Harald Schmidt zb. ist der Intellektuelle, der sich populistisch gibt und dann auch irgendwann wird – ein Rolemodel für Intellektuelle, die nie und nimmer diese Popularität erlangen werden, aber wünschen. ATR dagegen verweigern sich einer populistischen postmodernen Ironie und stilisieren sich zum ernsthaften Rolemodel für einen authentisch codierten Politikbegriff. „Revolution Action“ ist der Titel einer ihrer EPs, – nur findet die in den ehemaligen Industriegesellschaften und kapitalistischen Hi-Tech-Kulturen mittlerweile nirgendwo mehr statt, ausser eben als Popbegriff. Nochmal die Gebetsmühle: Underground ist nicht mehr als ein stilisiertes und durchdesigntes Marketingsiegel für „Zwangsmarginalität“ und „Anderssein wollen“, und meistens eben auch für die wichtigen Pop-Gefühle „Pubertät“ und „Aufbegehren“, ein Siegel, das den Weg zur Ware besser weist. Aufbegehren können jedoch die wenigsten der ATR-Fans im wirklichen Leben: entweder haben sie mittelständisch gesicherte Langeweile, oder reale gesellschaftliche Institutionen und Kontrollinstanzen halten sie fest, und sie lassen sich auch darin festhalten, sonst würden sie ja dagegen in realiter und nicht nur symbolisch revoltieren. ATR bietet ihnen dafür ein Ventil oder besser: eine radikale Sedierung, das Gefühl, dass sie durch harten und aggressiven Sound eine Krieg gegen das System führen, wenn sie nur die Stereoanlage laut genug hochdrehen. Diesen Effekt gibt es, seitdem es Popmusik gibt. Und es gibt unpolitischen oder auch explizit rechts-reaktionär codierten Härtesound, der das auch tut, ATR bedient eben die linksanarchistische Klientel. Wach auf, denn ATR ist kein Krieg, sondern ein Kriegsspielzeug.
EINS: Ich bin baff. So einfach wie Du mache ich mir das nicht, und diesen arroganten Zynismus des eiskalten Analytikers leiste ich mir angesichts der politischen Verhältnisse erst recht nicht. Und mir geht es auch nicht um die immerstimmige Korrektheit eines Ausdrucks, sondern um eine konkrete Strategie, die letztlich einen politischen Effekt hat. Und Sound und Vision von ATR vermitteln ganz klar politische Issues. Aber sie sind keine Sozialarbeiter, sondern benutzen den Gestus von Punk und Pop, mit dem sie sehr bewusst umgehen. Und ausserdem: Kriegsspielzeuge bereiten die Kinder auf Kriege vor, da stimmst Du mir zu, oder? Ist es dann nicht irre, dass der Kapitalismus selbst die Waffen und Images heranzüchtet, die ihn angreifen, schwächen und auf lange Sicht vielleicht zu Fall bringen werden?
NULL: Oder die ihn qua seiner supertoleranten Absorbierungskraft noch stärker, unverwundbarer und immuner machen werden. Und kapitalistische Action und gegenkapitalistische Action erscheinen dann als gleichwertig und komplementär, wie Underground und Mainstream. Das ist ATR aber insofern egal, denn sie codieren ihre Pop-Politik auf Nachfrage zwar als linksanarchistisch, ihnen geht es aber im eigentlichen Sinne nur um „Action“ –
deswegen: „Revolution Action“. Für oder gegen was eigentlich?
WERBEBLOCK 3: DER KLANG MACHT DIE POLITIK
„Die Intention von DHR auf einen Punkt gebracht ist ganz klar seit 92 formuliert: Riot Sounds Produce Riots – darum geht es in der Musik. Es geht um Frequenzen, die die Leute hysterisch oder auch euphorisch machen und aufputschen, so dass man sie dann in eine politische Richtung lenkt, in eine linke natürlich, eine anarchistische – das ist die ganze Idee. Natürlich ist damit auch ein ganzer Komplex bestehender Sachfragen verbunden. So ist zb. gerade die Popmusik der letzten 15 Jahre zu einer völligen Stillhaltesache verkommen, zu Hintergrundmusik, es ist wie im Kaufhaus eigentlich. Man soll es nicht wirklich wahrnehmen, es ist auch nicht wirklich begeisternd, sondern es soll den Alltag einigermassen angenehm untermalen. Bei DHR-Sound geht es darum, das absichtlich zu stören, auch zu zerstören, wenn man es schafft. Denn seit ein paar Jahren ist es ja so, dass es weltweit ganz viele Leute gibt, die so ne Musik machen und mit Begeisterung hören. Man muss so einen Sound entwickeln und auch eine Technik, wie das immer besser funktioniert. Es ist im Grunde funktionale Musik, die wirklich nur darauf ausgerichtet ist, das zu schaffen. Natürlich kann es auch Leute so begeistern. Aber man kann nicht im Club zu „Start The Riot“ oder „Destroy 2000 Years Of Culture“ tanzen und sich dann nicht bewusst sein, wozu man eigentlich tanzt. Natürlich gibt es Leute, die schon verschiedene Hintergrundinformationen haben, und andere nicht. Und wenn ich jetzt 15 jahre alt bin, und das zum ersten Mal höre, dann assoziiere ich nicht das Gleiche wie jemand, der andere Erfahrungen gemacht hat. Aber es funktioniert trotzdem fast immer, denn es sind solche direkten Aussagen, da kann man nicht einfach darüber hinweggehen und die nebenbei laufen lassen, ohne das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das ist auch unsere Erfahrung nach den Jahren. Anfangs war’s nur eine Theorie, aber das hat sich bestätigt über die Jahre. Die Platten, die wir sampeln, haben eine revolutionäre Energie, die wir auf heute übertragen wollen. Aber wir lassen damit kein Stylebewusstsein raushängen, sondern bearbeiten sie so lange, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen sind. Das ist das musikalische Konzept, das wir immer weiter perfektionieren. Und natürlich auch ganz wichtig: Dekonstruktion – ein Stück muss einen Überraschungseffekt haben – wenn sich Leute in ein Stück einklinken, muss es sich ändern.“
NULL: Das ist in etwa der zeitgemässe Update der Rolling Stones. Deren Sounds empfanden die Youngster damals auch als „Riot Sounds“, zu denen sie symbolisch die Fäuste schütteln durften und am nächsten Tag ihre Levis gekauft haben, die heute eben durch Clubwear ersetzt ist.
EINS: Der Vergleich mit den Rolling Stones ist völlig daneben, schon strukturell falsch. Kannst Du nicht genau hingucken? ATR und DHR sind selbstkontrollierte –
NULL: Kleinunternehmen –
EINS – Künstler- oder Produzentenverbünde, die sich explizit und mit radikalem Anspruch auf Politik eingelassen haben, was heutzutage, wo reaktionäre Rolemodels sowohl Mainstream wie auch Underground bestimmen und völlig normal sind und zunehmend normaler ergo faschistoider werden, eh immer seltener wird. Und ATR sind sich des komplexesten aller Widersprüche einer linkspolitischen Kunst bewusst, nämlich: innerhalb eines als falsch erkannten kapitalistischen Systems, eines als falsch erkannten Lebens, in dem es logischerweise immer noch kein selbstgerecht-richtiges geben kann, trotz alledem eine real geerdete Homebase, in diesem Falle im popkulturellem Feld, aufzubauen und zu erhalten, und darüber politische Inhalte zu vermitteln.
NULL: How deep is your dream?
WERBEBLOCK 4: HOW DEEP IS YOUR DANGER?
„Wir können als Label nur wirklich gefährlich sein, wenn wir durch den Mainstream angreifen, das heisst, an so viele Leute herankommen wie möglich. Deswegen machen wir ja auch Videos. Wir könnten ja auch überhaupt keine Interviews geben, aber diese Verweigerung ist in Wahrheit nur elitistisch. Leute, die nicht in der Stadt neben dem „coolen Plattenladen“ wohnen, wie sollen die damit in Berührung kommen? Das ist unsere Strategie, auch bei unseren Shows. Leute kritisieren uns, dass wir vor zwei Jahren auf einem Festival gespielt haben, wo auch Rammstein aufgetreten ist. Da sage ich: für mich persönlich geht es nur um Konfrontation. Ob ich auf dem 1. Mai spiele wie 99 oder auf einem kommerziellem Festival, es ist trotzdem immer das Gleiche. Auch bei anderen Festivals: wir haben ja nichts mit den anderen gemeinsam. Die machen meist Musik, um Geld zu verdienen und zu entertainen, und das ist tatsächlich genau das Gegenteil von unserer Intention: Verbreitung von anarchistischem Bewusstsein, unterstützt durch Sound. Bestimmte Festivals sind für die Kids einfach eine Institution heute, natürlich sind die nicht „neutral“ in dem Sinne, dass sie natürlich Unternehmen sind, aber mit einer totalen Boykotthaltung kommt man da nicht weit. Vor allem, weil die Rechten überall hinkommen, sie besetzen tatsächlich immer mehr Felder. Und ich finde, wenn Atari da spielt, hat das nach aussen eine Signalwirkung. Nächstes mal spielt da vielleicht eine rechte Band, und denen wird dann aus den eigenen Reihen vorgeworfen: „Ey, ihr könnt doch nicht da spielen, wo Atari gespielt haben!“ Ich finde, da muss man weiterdenken heutzutage. Im Kapitalismus ist es auf der einen Seite so: wir wollen mit diesem System nichts zu tun haben, aber bewegen uns in System- und Sachzwängen, und um da überhaupt vorzukommen und zu wirken, geht oft nur mit Parolen und Slogans. Früher oder später versucht man immer, etwas aufzubauen, eine Alternative, die die kreative Freiheit bietet, die man braucht. Einen kapitalistischen Schutzwall, haben wir früher gesagt. Natürlich befinden wir uns mitten im System, und wir und die Leute vom DHR-Vertrieb sind ja nicht naiv. Wir sagen denen: geht da superkapitalistisch ran. Weil: die ganzen Majors verdienen daran, und ich find’s ziemlich beschränkt, wenn Leute von Musikern sagen, dass die alles umsonst hergeben und sich ausbeuten lassen sollten. Das ist genauso wie die Diskussion um MP3-files – warum sollen Musiker alles umsonst hergeben? Solange andere Geld mit meiner Arbeit verdienen, ist es eine Ausbeutung. Ich kann von Arbeitern in einer Fabrik auch nicht erwarten, dass sie dort umsonst arbeiten. Wir können viele Leute motivieren, und dass geht weit darüber hinaus, dass Leute nur konsumieren und unsere Platten kaufen. Gerade in Amerika waren derart viele Leute an unseren Aussagen interessiert, das haben wir vor allem in Brasilien erfahren.“
NULL: Bestätigt nurmehr, wie gleichwertig die Dinge sind. ATR und Rammstein auf demselben Festival, zwei Waren auf einem Tisch, und je ausgeprägter und feiner die Eigenschaften geschnitzt sind, desto besser finden die Leute zur Ware. Vergiss es – politische Projektionen auf Popphänomene funktionieren nicht, egal, von welcher Position her. Sie etablieren nurmehr ein Subkulturbusiness, das einen immerwährenden Mythos von Dissidenz weiterraunt. Und sogar Du, als Aufgeklärter, fällst darauf rein.
EINS: (laut) Und nochmal: das ist keine Wunschprojektion, sondern eine kulturpolitische Realität, die sich aus einer gesellschaftlichen Realität ableitet! Die ganze komplette Negation von politischer Kunst ist hilfloser Zynismus, möglicherweise resultierend aus einer unpraktischen Überaufgeklärtheit und der Erkenntnis, dass mit einer radikal aufgeklärten Kritik nichts zu verändern ist in einer realen gesellschaftlichen Situation, die mit der Mehrzahl ihrer Protagonisten einfach noch nicht so weit ist wie die fortschrittlichste Analyse. Und ATR bringen explizit etwas in den politischen Diskurs, das bei vielen bestenfalls als unschick gilt, ansonsten aber diskreditiert oder gar komplett tabuisiert wird: Gefühle, und zwar von Wut und Hass, auf das falsche gesellschaftliche System – und das ganz bewusst, was man ihnen ungerechterweise auch noch als Kalkül vorwirft. Ich denke, dass ist ein Hauptpunkt, ein blinder Fleck, den viele professionelle DHR-Kritiker gar nicht mehr sehen können! Dann gibt es noch die Bigotterielotterie bei Kritikern: was bei den einen Artists sofort und schlauvereinsmeiermässig in Grund und Boden kritisiert wird, geht bei den Buddies aus dem vollgefurztem Kumpelnest als völlig ok oder „interessantes Modell mit errweiternder Diskursanbindung“ durch. Du kennst das: da wird dann tatsächlich mit Geschmack argumentiert. Und noch eine ganz simple Tatsache: viele der DHR- Kritiker sind einfach viel zu alt, um diese Prozesse überhaupt noch sehen und verstehen zu können und argumentieren nur vom Schreibtisch aus! Sie laufen als vermeintlich Aufgeklärte selbst in eine biologistische Falle, indem sie sich selbst und ihre Analyse qua ihrer altersbedingten Abneigung objektivieren, aber nicht mehr fähig sind, ihren Kritikstandort zu orten und zu dezentralisieren. Was bei einem derart komplexen analytischem Abstraktionsgrad nahezu fatal ist. Bist Du denn sicher, dass Du die Sachen, die Du kritisierst, überhaupt kennst und mitbekommst?
WERBEBLOCK 5: CRITIC’S CHOICE
„Die Hauptkritik an DHR kommt immer noch von den Altlinken. Auf der einen Seite finden die natürlich die Musik nicht gut. Diese Diskussion war in Deutschland immer schon da. Die intellektuelle Linke hat sich immer schon gegen alles, was hart, aggressiv und noisy war, regelrecht gewehrt – weil es zu emotional ist, und sie Angst haben, dass die Emotion vielleicht missbraucht wird. Das führt dazu, das viele Linke heute Minimaltechno gutfinden – weil sie glauben, dass wäre politisch korrekt und könnte nicht missbraucht werden –(lächelt süffisant) – das kann auch nicht gross missbraucht werden, weil es von der Ausgangsposition schon mal total limitiert ist. Das führt auch nicht gross weiter, weil es seit 6 oder 7 Jahren auf der Stelle steht. Wir hatten am Anfang ja auch die Kritik, die sagte: so Hamburg-Bands, die machen ja wirklich Aussagen, aber ihr? Bis wir merkten: die Leute hatten die englischen Texte gar nicht gelesen, da hatte die Altlinke wirklich Probleme, das zu verstehen. Eine weitere Kritik ist die, dass Atari eine Band ist, wo Persönlichkeiten dahinterstehen. Da kommen dann Leute an und sagen: Techno ist doch unhierarchisch, der Tänzer übernimmt doch die Kontrolle usw. – also all die Klischees und Lügen, die Techno ausmacht. Viele Altlinke kommen an und kritisieren das, ohne die Musik und ihre Szene überhaupt zu kennen oder jemals mit Leuten gesprochen zu haben, kennen’s tatsächlich nur vom Fernsehen her, und haben keinerlei substanzielle Erfahrung mit der Realität. Oft wird Kritik an uns herangetragen, die auf völlig falschen und naiven Tatsachen basiert, zb. über das Musikgeschäft. Oft ist die Kritik ja, wenn unsere Videos mal auf MTV oder VIVA laufen, das sich das dann vereinbaren würde mit dem Rest. Was mir dabei wichtig ist: Wir gehen natürlich davon aus, dass man so eine Struktur verändern kann. Und ich hätte nichts dagegen, wenn MTV ständig am Tag – weil’s gerade so angesagt ist – Videos von politischen Bands spielen würde. Dann hätte sich schon was in der Struktur verbessert, dann wäre Musik nicht mehr nur nette Tapete. Eine Titelstory über die Single „Revolution Action“? Ok, würden wir sofort machen. Aber wir glauben, dass es Selbstmord für die Struktur wäre, wenn sie zulassen würde, dass sie uns derart total vermarkt.“
NULL: Muss ja auch nicht. In Häppchen vermarkten reicht ja. Immer dieses Pathos. Und sonst? Ist Hardcore, normierte Härte, etwa keine Tapete? Das scheinen viele HardcorehörerInnen stets zu vergessen. Es wäre jetzt aber auch völliger Blödsinn, einen selbstinstallierten Bruch im Musikkonsum, der ja hier nurmehr die Vorstufe für Politik- oder Theoriekonsum ist, als womöglich aufgeklärtes Gegenmodell zu favorisieren, das wäre auch nurmehr intellektuell angemalte Tapete, postmodernes Patchwork ohne festen Bezugspunkt, nomadisierende und systemstabilisierende Phänomenologie, welche die kapitalistischen Prozesse nur noch effektiver macht, da dieses Aufsplitten in Vielheiten das ökonomische System nicht verwirrt oder gar destabilisiert, sondern ungleich besser hypertrophiert. Der Endverbraucher – ein herrliches Wort, nicht? – , braucht aber semantische Lackierungen, um sich seiner falschen Identität sicher zu sein.
EINS: Das ist eine bequeme indifferente soziologische Strukturanalyse, die sich mit politischem Theorieslang objektivistisch tarnt und in Wahrheit einer völligen Passivität den Boden bereitet. Denn es ist der reale politische Effekt, der zählt. Jeder weiss, dass keine Glatze jemals einen Track wie „Deutschland Has Gotta Die“ auch nur ansatzweise gutfinden kann. Es geht einfach nicht. Und „Hetzjagd auf Nazis“ – wie Alec selber sagt: wie soll man das hinsichtlich dieser spezifischen Aussage noch toppen? Soetwas greift direkt an! Ich finde, eine derartige linke Kritik am Modell ATR und an politischer Popmusik überhaupt ist völlig unbrauchbar und irrelevant angesichts solcher Tatsachen. Es geht nicht darum, politischen Projektionen auf Popmusik einen generellen Freifahrtschein zu erteilen, aber einer Kultur, die sich explizit in linksanarchistischen Zusammenhängen verortet, Respekt zu erweisen und deren mögliche Effektivität anzuerkennen. Es sind einfach politische Issues, die da vermittelt werden, und es ist nicht egal oder gleichwertig, wie das geschieht. Revolten bei ATR sind stets als herrschaftsfeindliche Gemeinschaftsbegriffe von Unterdrückten formuliert, und dieser Begriff ist egalitär und antiherrschaftlich und richtet sich gegen jede Zumutung von Staatlichkeit! Und wenn sich die Antifa zu diesen Sounds mobilisiert, ist ein weiterer Schritt erreicht – und darum geht es. Und wenn 15 jährige zu „Your uniform does not impress me“ bei einer Polizeikontrolle Widerstand leisten – dann ist wieder ein Schritt erreicht. Oder auch, wenn sie zu „Start the riot“ anfangen, tatsächlich Barrikaden zu errichten.
NULL: Tun sie aber nicht. ATR ist pubertäre Aggressionsbefriedigung für Mittelschichtler. Bourgeoiser Kriegsersatz für die, deren Krieg nurmehr im Denken tobt. Und wenn soetwas tatsächlich mal in realiter passiert, dann ist es eben genau das, was eine Revolte ausmacht: nicht zielgerichtet – amorph, unkontrolliert – mobgesteuert – und schlimmstenfalls mit völkischem Akzent versehen.
EINS: Das Ding ist ja, dass man ATR eine linksnationale Intention eben nicht unterstellen kann. Höchstens eine linke Politik des Spektakels, die sich mit der Zerredung und Zerfaserung von notwendiger Aktion nicht mehr zufriedenstellen will. So ist es kein Wunder, dass die Antifa sich mit ATR solidarisiert hat, ihren support annimmt und hocherfreut war, als sie zb. beim letztjährigem 1. Mai die Kreuzberger Krawalle auf einem Wagen begleiteten –
NULL – , medienwirksam verhaftet wurden, und dass dabei prima Riot-Footage-Material für ATR-Videos bei rauskam. Dieses Material, dass vor Authentizität nur so strotzt, lässt sich weltweit 1A verkaufsfördernd einsetzen, auch und gerade in Ländern, wo der äusserst problematisierungswürdige Kontext der linkstraditionalistischen 1. Mai-Krawalle überhaupt nicht erwähnt, geschweige verstanden wird. Gerade dieses ATR-Engagement bei Demonstrationen ist doch völlig zu problematisieren, da Demos auch nur eine Form symbolischer Politik sind. Zwar wohnt ihnen vordergründig mehr Risiko inne als anderen Formen politischer Aktion, aber eben nicht mehr „Wahrhaftigkeit“, „Aufrichtigkeit“ oder „Folgerichtigkeit“! In den USA zb. lässt sich dieses ATR-Video als klasse „Hauptsache-Riots“-Video zeigen, ohne jeden Kontext und Hintergrund.
EINS: Sollen sie dann ein Buch dazu nachliefern? Die Probleme haben ATR im Ansatz erkannt, dieses Jahr gab es am 1. Mai nur noch eine DHR-Solikonzertparty im SO 36, dessen Gesamteinnahme komplett an die Antifa ging –
NULL – wieder eine prima Werbeaktion mit 1A Imagetransfer –
EINS – und zudem die Aufforderung, dass sich verschiedene Antifas wegen Solikonzerten melden können. Und was deine Aversion gegen unkontrollierte Aufstände betrifft – Du vergisst, dass Revolten immer Vorstufen zu Revolutionen waren.
NULL: (enttäuscht) Jetzt hast Du das Unwort doch gesagt! Denn gerade das Gerede von der Revolution ist doch DER typische weiße Mittelklasse-Mythos überhaupt. Wo ist denn in diesem Land überhaupt die revolutionäre Situation, die eine Revolution erforderlich machen würde? Vielleicht gibt’s die ja auch und gerade von Rechts? Schon mal darüber nachgedacht? „Die Revolution“ ist eine im linken Kontext heute unvertretbare und wirklich progressiven linkspolitischen Bewegungen unzumutbare Mythologie und Eschatologie, die, wie man mir letztens sagte, nichts anderes als ein Aufruf zur Schlacht und letztlich ein anderer Name für den totalen Krieg ist! Und die 1. Mai-Demos sind nichts weiter als ein nahezu autistisches linkstraditionalistisches Spektakel und ein unsinniges romantisches Kräftemessen mit der staatlichen Ordnungsmacht. ATR als Bewohner des tiefen Tals der ungeführten Diskurse passen da natürlich 1A rein. Und in hochdifferenzierten kapitalistischen Mediengesellschaften, das solltest Du wissen, geschehen sowieso keine unkontrollierten Revolten, von denen Du ja so gerne als Vorstufen schwärmst, mehr – schon allein deshalb, weil Revolten eben genau jenen unterhaltsamen Charakter haben bzw. von den Medien zugewiesen bekommen, und den sie brauchen, so dass daraus resultierende Ansätze für eine mögliche Veränderung effektiv in den Kanälen der Medien- und Kulturindustrie verschwinden kann. 1. Mai-Demos, Reale Terroranschläge, Geiselnahmen, spektakuläre Umweltaktionen, was auch immer – all part of entertainment. Soziale Bewegungen werden zu Sopa Operas, und selbst temporäre autonome Zonen zu Theme Parks. Und das musikalische Gelaber von der Revolution oder den revolutionary movements, wie es in Reggae und Dub einen festen und jetzt völlig entleerten historischen Kontext hatte, ist seit Begin des 21. Jahrhunderts fester als je zuvor als unverzichtbarer Teil der kapitalistischen Pop-Folklore eingeschrieben. Und „die Strasse“ ist der allerletzte und dümmste ästhetische und mediale Mythos. Wie auch der ganze Politikbegriff bei ATR ästhetisch ist, und dazu völlig antiquiert. Vielleicht greift er noch in im politischen Sinne archaischen Gesellschaften, aber nicht mehr in ökonomisch, politisch und kulturell komplett hochausdifferenzierten Gesellschaftsformen des Hyperkapitalismus. Nochmal im Klartext: Popmusik ist IMMER stabilisierende Begleitmelodie zu den Verhältnissen, niemals Auslöser für eine Veränderung.
WERBEBLOCK 6: CHANGE YOURSELF, THEN CHANGE THE WORLD
„Es ist ziemlich naiv zu denken, Musik könne nichts verändern. Weil: jeder in der obersten Etage weiss, das Musik alles verändern kann, weil sie Ideen formulieren kann, oder Visionen, auf einer ziemlich emotionalen Ebene, die jeder verstehen kann, und deshalb ist Musik so mächtig. Türlich kann ich nicht einfach ne CD anmachen, und dann verändert sich die Welt – obwohl sich schon da die persönliche Welt verändern kann. Das ist wirklich Ansichtssache. Aber wir finden, wenn ab einem bestimmten Punkt eine Masse von Leuten motiviert ist, dann kann das umkippen. Viele Leute, die Musik machen, lassen sich von uns beeinflussen, machen mit oder unterstützen uns, Kathleen Hanna, viele Leute aus dem HipHop-Bereich, oder selbst Leute wie Björk, Beastie Boys oder Foo Fighters. Wir machen auch keine Kompromisse, um im Radio gespielt zu werden. Die Leute richten sich Schritt für Schritt immer weiter nach uns, das haben wir festgestellt. Wir benutzen verschiedene Vertriebswege, sowohl Underground- als auch Majorvertriebswege. In Frankreich zb. geht es über einen Major, denn die Untergrundlabel fanden uns unhörbar, der Major aber hatte interesse – ok. In Japan wäre es mit einem Major dagegen unmöglich, da macht es überhaupt keinen Sinn, da ist man überhaupt nicht mehr flexibel – also no. Wir überlegen genau, wo wir uns positionieren. Strategie und Bewusstsein sind enorm wichtig für uns – einfache Lösungen gibt es nicht.“
NULL: So einen kulturlinken Sermon hätte ich hier an dieser Stelle nicht mehr erwartet. Ich dachte, diese Projektionen von Pop auf Politik und umgekehrt könnten wir mal langsam zu den Akten legen …
EINS: Dann öffne die files eben nochmal neu, Besserwisser! Denn eine veränderte Situation braucht bei aller nötigen Analyse und radikalen Kritik der Mittel vor allem konstruktive Impulse! Und die Kritik an ATR und DHR bleibt nach wie vor viel zu oft an der Oberfläche hängen. Mich interessiert, wie sich, nachdem die Kritik an derartigen Phänomenen verstanden, gegessen und verdaut worden ist, mit den neuen Erkenntnissen im kulturellen Sektor zu neuen und wirklich anderen Formen des symbolischen und dann natürlich auch aktiven Widerstands kommen lässt.
NULL: Ächz. Verlasse die Struktur! Es gibt keinen anderen Weg.
EINS: Geht nicht! Wir brauchen ein Weiter!
NULL: Du leidest an etwas Unmöglichem, denn Du suchst etwas, wo es nichts mehr zu finden gibt. Und ich habe kein Interesse, mir für deine diskursiven Updates jetzt eine zeitgemässe Flexibilität und Dienstleistermentalität anschaffen. Und dieses „Weiter“ findet sich bei diesem traditionalistischen Polit-Verständnis von ATR sowieso nicht. DAS als Modell für die Zukunft? Was für einen Hintergrund haben die Konzepte von ATR denn überhaupt?
WERBEBLOCK 7: ICH GLAUBE, ICH ERZÄHLE NICHTS NEUES
„In „The Future Of War“ geht es darum, dass Länder wie die USA, Deutschland / Europa anderen Ländern Waffen verkaufen, um dann einen Grund zu haben, sie anzugreifen. Es geht darum, wie der Krieg, genauso wie im Dritten Reich, als Instrument benutzt wird, um Geld zu machen. Es ging noch nie um „humanitäre“ Gründe. Die Nazis haben auch aufgrund „humanitärer“ Gründe andere Länder angegriffen. In „The Future Of War“ geht es darum, dass diese Gesellschaft, der Kapitalismus, eine Zukunft hat, die schlimmer ist als der Faschismus, weil a. die modernen Kontrollmechanismen die Freiheit immer weiter zerstören werden, wie zb. elektronische Pässe, der genetische Fingerabdruck, und b. Menschen umgebracht werden, um ein System aufrecht zu erhalten, das keine Zukunft mehr hat. Die westlichen Länder haben ein starkes wirtschaftliches Interesse am Genozid in der Dritten Welt. In „The Future Of War“ geht es darum, dass wir Organisationen wie der RAF, Bewegung 2. Juli und zb. den Black Panthers den höchsten Respekt entgegenbringen, weil diese Menschen ihr Leben für eine politische Veränderung eingesetzt haben. Und es geht darum, dass unsere Regierungen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen, in dem sie jede linksradikale politische Bewegung vernichten, Menschen zu Unrecht einsperrt oder sogar tötet. Es geht um Zensur durch Institutionen, die das klare Formulieren und Aufzeigen der Probleme aufhält.
Wir glauben nicht an Verschwörungstheorien. Wir wissen, dass dieses System eine Struktur etabliert hat, die einer Minderheit zuviel Macht gibt. Eine Gesellschaft, in der es nur um Profit und Effezienz geht, wird immer unmenschlicher. Es geht darum, wie die Presse nur noch ein kleiner Finger der Industrie ist, und somit objektive Berichterstattung, zb. aus Kriegsgebieten, unmöglich ist. Das wird auch sehr deutlich in der Musikindustrie. Anzeigenschaltung ist Bestechung. Keine der Medien finanziert sich heute unabhängig, Manipulation, wenn auch indirekt, ist die Folge.
Es geht darum, dass wir dieser Gesellschaft den Krieg erklärt haben. Auch, wenn es sein muss, mit Gewalt. „Destroy 2000 Years Of Culture?“ Die Werte, Traditionen, die „Wurzeln“ dieses Systems müssen zerstört werden. Es ist so offensichtlich, wie zb. die Kirche versucht, krampfhaft ihre Macht zu erhalten, eine Religion, die Frauen Menschenrechte aberkennt – zb. Recht auf Abtreibung –, ein Papst, der in Ländern gegen Verhütung predigt, obwohl er weiss, dass dadurch Millionen an AIDS sterben werden. Es geht um das Infragestellen alter Feindbilder, die so nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Die Macht ist anonymer geworden. „The Future Of War“ ist ein Aufruf zum Kampf gegen dieses System. Die Platte wurde 96 aufgenommen und kam 97 raus, darauf auch der Titel: „Deutschland has gotta die“. Seitdem ist es noch viel schlimmer gekommen. International bedeutet Krieg den Krieg der stärksten Länder gegen die schwachen, Länder benutzen Krieg, Corporations benutzen Krieg – ich glaube, ich erzähle nichts neues … Aber es muss den Leuten bewusst sein, dass die Gesellschaft immer faschistoider wird. Und viele Leute diskutieren immer noch: Was gibt’s für Konzerte? Was für Musik? Oder: Darf man sich bei Techno auf eine Bühne stellen? Wir dachten: Leute, ob Techno oder nicht Techno ist völlig egal!!! Soldaten hören Popmusik, wenn sie Bomber fliegen. Und diese Dinge gehen auch noch Hand in Hand zusammen mit dem ganzen New-Age-Kram, der gesellschaftliche Verhältnisse als „natürliche Prozesse“ behauptet und überdeckt. Keiner denkt mehr über die sozialen Strukturen nach – das ist der Prozess, der bei „Future Of War“ im Hintergrund steht. Die Platte wurde in Deutschland stark angegriffen – „Deutschland has gotta die“ – so weit darf man nicht gehen, hiess es. Diese weltweiten Reaktionen hatten wir allerdings auch nicht erwartet, es war sozusagen der Durchbruch von Atari, in Japan, den USA und Australien. Und viele Jugendliche haben gesagt: Ok, es stimmt, es ist so sick, endlich sagt es mal jemand. Und dann kam Atari an einen Punkt, den wir uns mal vorgenommen hatten. HipHop-Leute kamen, oder Leute, die von Techno angekotzt waren –
und das war ne grosse Chance. Viele Jugendliche kamen zum erstenmal mit radikalen linksanarchistischen Aussagen in Berührung, z.B. in den Südstaaten der USA. Natürlich sagen da viele Jugendliche „Die Politiker sind alle korrupt und wollen immer alles verheimlichen“, so X-Files-mässig halt, aber dann hört’s auch auf, das haben wir gesehen. Und das war deren erster Kontakt mit anarchistischen Ideen.Und zu den Shows sind Kids mit durchgestrichener oder umgedrehter USA-Flagge gekommen.“
EINS: Ich bleibe dabei: es ist prinzipiell möglich, durch Popmusik, abseits von Attitüde – und Pop läuft im Grunde immer Gefahr, Attitüde zu sein, denn Haltung und Bewusstsein muss erst ausserhalb davon ge- und erklärt werden, und dafür kann Pop nur Anstossgeber sein –, politische Ideen und politisches Bewusstsein zu vermitteln. Ein Song, der wie Fugazis „Bulldog Front“ mit der Zeile „Ahistorical – you think this shit just dropped right out of the sky“ beginnt, konfrontiert die HörerInnen, die sich völlig ausserhalb von politischen Diskursen bewegen, unmittelbar mit einer linken Behauptung, zu der sie sich verhalten müssen – und das auf die leidenschaftlichste und intensivste Art!
NULL: Sie können ja weghören, oder der geilen Bassline folgen. (Verärgert:) Fugazi! Ist das etwa keine Attitüde? Träumer! Diese Bewusstmachung funktioniert in der Theorie, die Praxis verkauft Einheiten. Political Credibility Pays! Es ist eine mehr als fragwürdige Tendenz, wenn von linker Seite seit langem schon die Produkte der Kulturindustrie auf „Modellhaftigkeit“, „Subversion“ und „Diskurs“ hochfrisiert werden. Der militante Gestus von DHR-Produkten führt zudem in eine völlig oberflächliche Richtung, wo nurmehr die Sensation und der pure Aktionismus eine Rolle spielt. Politische Zielrichtungen sind nurmehr Tarnung, um von dem medienwirksamen reinen Showeffekt der Produkte abzulenken.
EINS: Es gibt keinen „reinen Showeffekt“, weil der Effekt des Spektakels und die Wirksamkeit der Images, und das ist den meisten DHR-Produzenten bewusst, expliziter Teil der Strategie ist. Das bewusste Hineingehen in die hyperkapitalistischen Medienverhältnisse, ohne Kompromisse zu machen, ist ja genau das, worum es geht!
NULL: Sie brauchen ja auch gar keine Kompromisse einzugehen, denn ihre Radikalität ist ja schliesslich hochwillkommen. Denn die kapitalistische Kulturindustrie braucht Radikalität um jeden Preis. Was aber ein weiteres unangenehmes Problem bei ATR und vielen DHR-Acts ist, ist die unreflektierte Verwendung von Krieg, Härte und Gewalt-Images.
WERBEBLOCK 8: GUT BÖSE GEGEN
„Atari benutzen Symbole von politischem Widerstand und nicht generell Images von Krieg, Härte und Gewalt. Wenn wir eine Kalaschnikow abbilden, steht das für Widerstand, und nicht für eine militärische Symbolik. Wir haben keine Panzer und Helme oder so, sondern nur Waffen, die z.B. gegen die Staatsmacht gerichtet sind. Wir hatten zb. bei der „Future Of War“ ne Uzi drauf, die gegen die Staatsmacht gerichtet ist, in den USA aber wurde das Cover geändert, weil das da nicht so eindeutig definiert ist. Die Platte hiess dort auch „Burn, Berlin, Burn“, es waren auch Stücke von der ersten drauf wie „Start The Riot“. Wenn man uns den Vorwurf macht, wir gehen nur von einer Position aus, dass Politik auf und von der Strasse gemacht wird, kann ich nur auf „Delete Yourself“ verweisen, wo es stark um Kontrolltechnologien geht. Technologie wird natürlich benutzt, um Leute zu kontrollieren, und das ist auch für Musik wichtig, zumal wir unseren Sound nur mit digitalem Equipment produzieren. Die Firmen aber bringen Equipment auf den Markt, das genauestens strukturiert ist, und die Leute verfolgen dann auch genau diesen Weg, der für sie vorgezeichnet ist.
NULL: Diese Universalismen von Widerstand und Revolution sind wahre popkulturelle Leuchtfeuerchen, die von den wirklich wichtigen kleinen und konkreten politischen Problemen letztlich komplett wegführen. Denn die sind nämlich klar völlig unsexy und unfunky und taugen zur generellen Mobilmachung, zu der man am besten noch tanzen oder rumpogen kann, herzlich wenig. Das Problem ist nur, dass genau DAS Politik ist – nämlich die Details, der Kleinkram. Das andere ist diese Waffenromantik: linksanarchistisches Ballermanngetöse, auf das schon Andreas Baader, der gerne in Westernfilme ging, abfuhr. Von Leuten für Leute, die unfähig sind, sich auf nervige, aber notwendige explizite Sachproblematiken einzulassen, und das ist nämlich Politik mit einem realen Effekt, und keine bürgerliche Politromantik! Die Faszination für Krieg, Gewalt und Terrorismus in der Popmusik blieb und bleibt jedoch, wie sollte es sich je anders verhalten, immer nur an der ästhetischen Oberfläche hängen und benutzte diese Symboliken, um der Musik ein politisches Imagetransfer zu bereiten, von der die Musiker letztlich profitieren. Um es erneut auf den Punkt zu bringen: Politik hat bei DHR letztendlich einfach die Aufgabe, die Produkte besser zu verkaufen. Das ist der Boden jeglicher Popanalyse!
EINS: (Überlegt länger) Völlig weltfremd. Als kritische Analyse tauglich, aber untransformiert in einer weiterführenden Praxis einfach absolut unbrauchbar. Symbole und Zeichen kommunizieren doch seit jeher Inhalte, ohne diese zu ersetzen. Es ist eine bewusste und explizite Markierung von Politik als Ware, nicht aufoktroyiert von Kritikerseite her, sondern freiwillig von Produzentenseite her gewählt, die sich absichtlich in einen gesellschaftlichen Diskurs einbringt. Und der ökonomische Diskurs ist auch ein gesellschaftlicher Diskurs. Man könnte sogar provokativ sagen: der bewusste Verkauf von Dissidenz ist in einer derart fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft eine angemessene und vielleicht sogar die einzig wirkungsvolle Form, sich in einen gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.
NULL: (Stöhnt auf) Und dieser spitzfindige Rückfall in 80er Jahre-Pop-Politiken soll etwa nicht zynisch sein? Kapitalismus als Dissidenz, womöglich mit dem alten Phantasma, das System durch Überaffirmation zu kippen, nur jetzt mit explizit politisch codierter Semantik? Jetzt bewegst DU dich auf komplett weltfremdem und übertheoretisiertem Terrain! Erst willst Du mir Atari als Pop-RAF mit authentischen Intentionen verkaufen, und nachdem ich diese Oldschool-Mythen Stück für Stück viviseziert habe, sollen sie auf einmal auf einer Metaebene für Bewegung und Erdbeben im Strukturbetrieb des zeitgenössischen Kulturkapitalismus sorgen?
EINS: Warum nicht? Politischer Widerstand wird als symbolischer Widerstand codiert, mittels traditioneller Härte und politischer Symbolik, funktioniert aber real innerhalb der Medienstrukturen ganz anders, und erscheint am Ende auch ganz anders. Was letztlich jedoch zählt, ist die explizit linkspolitische Signalwirkung und der daraus resultierende Effekt auf ein gesellschaftliches Aussen, und das ist konkret nachvollziehbar. Auch innerhalb der Band.
WERBEBLOCK 9: NUR DER TOD IST STILL
„Atari macht harte aggressive Musik, klar, ich komm vom Punk her. Der Gefahr, dass das zu männlich wirkt, versuchen wir natürlich allein schon als gemischte Band entgegenzuwirken. Wir haben da so ne Theorie, das ist ziemlich komplex, aber simpel gesagt heisst es: „Je weiblicher die Musik ist, desto weniger läuft sie Gefahr, faschistoid zu sein“. Weiblich in dem Sinne, je stärker die weiblichen Einflüsse sind. Jetzt werden die typischen Atarikritiker wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber wenn man es sich genau überlegt, stimmt es. Der Schrei von Hanin am Ende von „Deutschland has gotta die“ symbolisiert sehr viel. Weibliche Schreie gibt es sehr wenig in der Popmusik. Weibliche Schreie gibt es, um Vergewaltiger abzuhalten. Und es gibt keine Skinheadbands, wo Frauen schreien. Und diese Frauenschreie klingen auch nicht faschistoid im Vergleich zu vielen Leuten aus der amerikanischen Noise-Szene, wie Whitehouse z.B., wo sie totalitär und nach Bestrafung klingen … Images über Autoritäten gibt’s ja in der Industrialszene zuhauf. Die Idee bei uns ist ja: wir wollen Euphorie schaffen und nicht die Leute bestrafen. Abgeleitet von Lebendigkeit, denn nur der Tod ist still, finde ich. Und alles, was lebendig ist, ist halt noisy oder macht Lärm und Krach, ne Menschenmenge, wenn Leute was fühlen – egal wie glücklich sie sind“.
NULL: Na super – „Nur der Tod ist still“. Und das, wo Stille in einer hyperdrehten Medienterrorgesellschaft geradezu revolutionär ist. Alec will doch immer die Revolution – dann soll er doch mal darauf achten! Ich bleibe dabei: die angeblich so klaren ATR-Statements sind hohl und nichtssagend, werden durch Überbenutzung zu purer Bewusstseinsstaffage und gerinnen zu amorpher Widerstandsfolklore, deren Königsprinzip nach wie vor dieses heilig-dämliche „Underground Resistance“-Ding ist.
EINS: Denn klar gibt es einen kulturellen Widerstand aus dem Untergrund, und das auch und erst recht in Kulturprodukten wie Pop. Man darf nur nicht den Fehler machen, sich dabei womöglich in einem gesellschaftlichem „Aussen“ zu verorten. Ein „Innen“ aber impliziert bei auf Kampf ausgerichteter Intention klar eine Guerillalogik. ATRs kulturelle Definition davon ist radikal aus den Härtecodes politischer Widerstandsbewegungen abgeleitet. Und Kultur ersetzt zwar nicht Politik, ist aber stets komplementär zu politischen Veränderungen. Und in den derzeitigen Verhältnissen, in denen die Sensibilität für kritisches Bewusstsein immer subtiler weggeätzt wird, geht es darum, die Leute dafür ersteinmal zu mobilisieren.
NULL: Aber doch nicht mit dem Holzhammer!!! Und ich frage dich: ist einer emotional aufgewühlten Menschenmenge nicht grundsätzlich immer zu misstrauen? Das Problem ist doch nichtzuletzt: in welche Richtung läuft die Menschenmenge? Es geht nicht um den Wunsch nach Führung, sondern um kreative Organisation und bewusste Des-Organisation. Ansonsten bedient eine emotional aufgeputschte Menge nurmehr die Klischees eines anarchistischen Mobs, der jegliche soziale Verantwortung und Zurückhaltung verloren hat. Denk an die LA-Riots. Die richteten sich gegen das eigene Viertel und, nichtzuletzt, andere Ethnien, die eine ökonomische Konkurrenz darstellten. Und die Images von Krieg und Gewalt, die DHR in seinen Platten benutzt, triggern letztendlich ein in der Gesellschaft anerkanntes und wohlwollend toleriertes Gewaltpotential, auch wenn die offiziellen Verlautbarungen natürlich anders laufen. Die Gewaltspirale aber, die natürlich auch durch die Medien immer höher geschraubt wird, entlädt sich dann aber nicht immer zwangsläufig derart, dass die „Verursacher“ der Misere abgestraft werden können. Die Politikvorstellung von ATR bezieht sich jedoch auf einen essentialistischen Begriff von „Ausbeutung“ oder „Kontrolle“, der, gerade, weil er nicht explizit ist und auch nicht weiter definiert ist, hochgradig Gefahr läuft, in ebendie falsche Richtung zu führen, die er gerade angehen will. Gerade die Allgemeinheit der symbolischen Aussagen macht diese bekanntermassen so gefährlich – der komplexe, tiefergehende Diskurs wird abgeschaltet, die angestrebte Revolte ist prädestiniert, in traditionellen Bahnen zu verlaufen, linksnational oder anarchokapitalistisch.
EINS: Falsch! Auch die Identitätspolitik von ATR ist bei allen vordergründigen Universalismen geprägt von keinerlei sicherer und fester Identität. Die Positionen sind dort deswegen so allgemein und rudimentär angedeutet, dass sich an den Diskurs nicht Angekoppelte trotzdem an politischen Prozessen anschliessen können, ohne eine feste hierarchische Position übernehmen zu müssen, sondern vielmehr aufgefordert werden, diese zu brechen. Der Sound von DHR deklariert Wut und Hass auf ein System, das zunehmend nicht mehr greifbar ist, das ist richtig, versucht aber darüberhinaus die Symbolik der Auseinandersetzung real zu überschreiten. ATR und DHR-Sound ist Ausdruck eines „strategischen Essentialismus“, der sich von der nur-diskursiven Praxis einer möglichen Widerstandspolitik verabschiedet hat, ohne deren Inhalte zu verleugnen. Postmoderne und soziologisch basierende linkspolitische Ansätze analysieren oft sehr gut, aber kehren nicht in eine materielle Praxis ihrer spezifischen historischen Bedingungen zurück, wie auch schon Stuart Hall, als Vertreter einer avancierten Cultural Studies-Richtung, kritisierte. Und die Kritik am Universalismus und Essentialismus von ATR / DHR ist grösstenteils oberflächlich, süffisant, von selbstgerechtem Rigorismus geprägt und meistens definitiv unkonstruktiv. Stattdessen verrennt sie sich gerne in einer linksradikalen Esoterik und dem schon lange anhaltendem innerlinken Trend zum Distinktionsgewinn. Krieg – auch in der Theorie!
NULL: (laut) Du phantasierst! Und deshalb sollen wir jetzt alle DHR-Sound hören, dann klappt’s auch mit der Revolution? Du spinnst echt gehörig! Ich erkenne in diesen Kulturindustrieprodukten nur eine symbolische Aufforderung zu situationistischen Guerillakriegen ohne Zusammenhang. Zudem wird hier mit Mitteln der Provokation gearbeitet, die einfach nur noch daneben sind, so die neueste Platte von Patric Catani, dessen Innencover eine echt witzige Nazi-Collage darstellt, über die sich jeder rechte Jugendliche kaputtfreuen wird! Da ist er dann wieder, dieser DHR-Stil von einigen Leuten, die derart vom „Bazillus Provokantus“ befallen sind, dass ihnen jegliches Mass verlorengeht. Schon Platte und Textbooklet zu Bomb 20’s „Field Manual“ bot genug provokante Reibungspunkte, die zwar einen offenen Willen zum linksanarchistischen Aktionismus bewiesen, gleichsam aber, dass hier einige Punkte tatsächlich nicht zu Ende gedacht waren.
EINS: Manchmal kommt ein Stein aber erst dann ins Rollen, wenn einer etwas lostritt. Die Sache mit Patric Catani dagegen ist tatsächlich nicht zu verteidigen, das sieht selbst Alec als misslungen an. Das von Gina von Ec8or angefertigte Cover sei das erste mal, so Alec, dass die künstlerische Freiheit des DHR-Artworks, für das jeder Künstler selbst verantwortlich ist, das Statement der Platte zerstöre.
NULL: Das ist aber noch sehr wohlwollend ausgedrückt bei diesem Nazi-Comic-Schrott, der als Provokation völlig nach hinten losgeht. Die Frage ist, warum da bei DHR keiner mal Kopfnüsse verteilt oder den Daumen runterhält.
EINS: Klar ist Patric kein Nazi und auch nicht doof. Aber diese Sache lässt an der politischen Ernsthaftigkeit von DHR tatsächlich zweifeln.
NULL: Es gibt da noch so Fälle –
WERBEBLOCK 10: OK, DA GIBT’S IRGENDWO NE GRENZE
„Die Kollaboration mit Slayer, darf nicht fehlen, klar. Ich wusste, dass ich mich da angreifbar mache und das erklären muss. Ist ja auch ok. Ich seh’s so, und das ist wirklich ne Meinungssache: im Vergleich zu anderen Metalbands passt Slayer da schon musikalisch nicht rein. Die Energie, die sie verbreiten, ist ne andere, als eine schwerfällige, faschistoide Ideologie. Ok, da gibt’s irgendwo ne Grenze, die jeder für sich zieht. Ich will sie auch nicht verteidigen. Ich habe ihnen gesagt: wenn man aus Deutschland kommt, kann man das missverstehen, und dann muss man das klarstellen, und das gleich am Anfang. Mich hat das total interessiert, mit denen zusammenzuarbeiten, aber vor der Kollab musste das erstmal klargestellt werden, und wenn sie da jetzt anderer Meinung gewesen wären, wär’s nicht gelaufen. Sie sagten mir, sie haben in Deutschland eigentlich keine Neonazis gesehen bei Shows, und ich: naja, die fallen dann auch nicht unbedingt sofort auf. Aber sie meinten, wenn sie das mitbekommen würden, würden sie dazu auch was anderes sagen. Das hätte ich gerne auch mal gesehen, ist aber nicht passiert (lacht). Naja, ich seh im Gabba ganz andere Beispiele, und die DJs da sehn, was abgeht und machen nichts dagegen. Die haben aber die Verantwortung. Wie Slayer auch. So war das für mich klar. Und der Track, der dann rausgekommen ist, ist eigentlich auch klar.
NULL: Klar wie Flitzekacke, keine Frage. Warum sagt Alec nicht einfach: Ja Ja stimmt, kein Thema, aber hier warn halt alte Heroes, und da vergess ich schonmal alles? Die Verteidigungsreden sind ja auch superstrange, denn: seit wann ist denn die faschistoide Ideologie heutzutage schwerfällig? Das sind doch uralte Fascho-Klischees, die längst nicht mehr greifen. Faschismus ist dumpf, aber nicht langsam. Und Slayer sind Faschisten. Comic-Faschisten, aber eben Faschisten. Kalifornier zudem, und hier brennt die glühendheisse Sonne sowieso das Hirn gerne zu einem verkohltem Etwas in Walnussgrösse zusammen, das dann den Körperrest zum lebendigen Politikmachen in die Umgebung schickt. Meistens ist da auch noch Satanismus mit im Spiel, siehe Charles Manson. Adorno hat gesagt, Satanismus ist einfach die Metaphysik der dummen Kerle.
EINS: Adorno hat viel gesagt. Und Adorno taugt als ewiger Schutzheiliger für reale politische Prozesse herzlich wenig. Als moralisches Imperativ unverzichtbar, muss er gegen sich selbst immer wieder verbogen und praktikabel gemacht werden, sonst endet diese Art von Politikauffassung im Nihilismus. Das als statement, das Du dir an die Mütze hängen kannst. Und bevor Du jetzt dein „Faschist!“ hauchst, gebe ich Dir recht, dass die stoischen Hardcorecodes bei ATR tatsächlich lange Zeit ein Problem darstellten, und zwar auch als möglicher Ausdruck einer maskulinen Härte, die stets ein gleichförmiges Publikum anzog. Aber was sollen sie denn tun? Freejazz spielen? Elektroakustik? Sichere musikalische Orte und Horte, in denen sich linkes Bewusstsein prima ausleben lässt, keine Kontroversen mehr ausser in der eigenen Szene eingeht und wo die musikalische Struktur und der Klang nicht von Rechts vereinnahmt werden wird? Und sich dann in Kellerclubs über Wirkungslosigkeit beschweren? In letzter Zeit transformiert sich auch der ATR-Sound – die letzte Liveplatte „Live At Brixton Academy“, das letzte Konzert einer einjährigen Welttour, ohne die hochschwangere Hanin, ist ein 27minütiges totales amorphes Noiseinferno, das die Kids dazu brachte, der Band ihre zerrissenen Atari-T-Shirts vor die Füsse zu werfen. Sie sind nicht schick, und sie sind nicht smart, aber sie haben den offensiven Willen, wirklich politisch UND physisch zu wirken. Als Thema der Musikpresse gelten sie natürlich als völlig durchgehechelt und unhip, und doch polarisieren und bewegen sie nach wie vor.
NULL: In etwa so stark wie die Einstürzenden Neubauten. Ich wette: spätestens, wenn die Band die 30 überschritten hat, tritt der übliche musikalische Ausdifferenzierungsprozess ein – dann kommen dunkle Torchsongs mit linksradikalen Texten … oder sowas wie „Rauch-Haus-Song“ auf dem Mac produziert …
WERBEBLOCK 11: WIR SIND IMMER AUF KONFRONTATION AUS
„Die maskulinen Images über aggressive Musik versuchen wir klar anders zu handeln. Sogar ich und Carl Crack sind ja nicht die maskulinen Typen … bei den US-Shows, wo wie zusammen mit Ministry spielten, wollten uns viele aus dem Publikum lynchen, Rednecks brüllten vor der Bühne herum: „Schwule!!!“… Man muss das Bild sehen, das die Band verkörpert. Atari hat ein starkes Image, aber es hat sich tatsächlich so ergeben, wir haben gar nicht am Anfang darüber nachgedacht. Jetzt ist es ein Statement – einmal von der Herkunft: Nik ist Halbjapanerin, Carl kommt aus Südafrika und Hanin ist Halblibanesin. Auch das Image der Mädchen ist wichtig: auf der Bühne verwaltet Nik das gesamte Equipment, und Hanin hat eine Vorbildfunktion, die man natürlich ständig hinterfragen muss. Wir sind immer auf Konfrontation aus. Und man hat eine Verantwortung. Entweder wir bringen es den Fans bei, was wir wollen, auch wenn manche nicht wiederkommen, oder es hat keinen Sinn. Die Entwicklung geht ja weiter, DHR-Fatal zb., wo nur Frauen veröffentlichen. Das hat nicht notwendigerweise ausschlieslich was mit DHR zu tun, wie Hanin sagte: Fatal-Sachen können auch auf anderen Labeln erscheinen. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Leuten, Remixe für Björk, oder auch etwas mit Rage Against The Machine, die ich am Anfang immer ziemlich gehasst habe, auch wegen des MTV-Images, übrigens. Seitdem ich jetzt aber in den USA die Shows gesehen habe, weiss ich, dass es eigentlich ne ganz andere Band ist, und eine wichtige auch. Musikalisch ist es nicht unbedingt mein Ding, aber die Aussagen sind mir total wichtig. Und darum geht es.“
EINS: (Atmet erschöpft tief ein und aus) Ich bin am Ende. Ich kann mich nur noch samplen und loopen.
NULL: Ich bin wie Du. Wir sind wie Sand und Meer. Lass uns einen Abgesang wagen.
EINS: Fest steht, dass ATR / DHR in der heutigen Kulturhölle der Indifferenz und der Wiederholungen Akzente setzen konnten –
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die sie aber schleunigst selbst dekonstruieren und erneut kontextualisieren müssen, so festlegbar und identifizierbar ist ihr Auftreten geworden.
EINS: Die Rave-Kultur, die die Jugend auf die totale Spassgesellschaft vorbereitete, ist schon lange nicht mehr der Hauptfeind, heute könnte es zb. die HipHop-Mittelstands-Kopfnicker-Mannschaft sein, die kapitalistische Werte wie Sexismus, Konkurrenz- und Konsumdenken unhinterfragt übernimmt und weiterreicht.
NULL: (grinst) Da wirst Du erstmal wieder „Spassbremse“ heissen. Auf jedenfall: POP ist heute als zukünftige Staatskultur endlich angekommen und hat sich als totaler Katalysator für die derzeitigen Verhältnisse erwiesen. Was einst theoretisches Modell war und subversiv wirken sollte, hat sich zum staatstragendem Paradigma transformiert und illustriert nurmehr ratlos und hysterisch den Ist-Zustand. Sowohl das Wort, das Modell als auch das Faktum sind überholt, zu entsorgen und zu recyclen. Die einen machen’s früher – die anderen eben später. Doch allgemein werden wir uns noch einige Jahrzehntchen mit dem derzeitig heranwachsendem Pop-Moloch herumschlagen müssen.
EINS: Die nächsten „Revolutionen“ werden selbstverständliche und unspektakuläre, aber auf Dauer effektive Aufstände gegen die Pop- und Medienkultur sein. Gegen den täglichen Krieg, den die Schwachsinnsmaschine Pop jeden Tag gegen Dich führt, wenn sie dich mit ihren Geschossen beballert. Die Popisten werden brüllen: „Nein – Pop hat uns doch damals gerettet!“ Wir sagen: Töte Deine Idole und Fetische. Wie sagte Bueno: „Macht ist eine Illusion. Sie verschwindet, sobald wir aufhören, an sie zu glauben.“
NULLEINS: Eine Revolution gegen Pop – das hört sich doch gut an. Das wird wieder schick werden. Lass uns gehn. Yeah Yeah Yeah.
ABGANG DER STELLVERTRETER
SCHLUSSCHORAL DER UNION-HOOLS:
Wir sind die geilen Jungs aus der Reichshauptstadt … Ficken oder was … Ficken oder was …?
(Testcard)