Patrick Pulsinger

EIN PORTRAIT DES PRODUZENTEN ALS BASTLER

Patrick Pulsinger, jener umtriebige und seit langer Zeit schon aus Wien agierende Produzent elektronisch basierter Musik, hat immer wieder die Grenzüberschreitung zwischen den Subgenres dieser Musik wie auch generell die Erweiterung ihrer Stile gesucht. Dabei ist er bei aller Freigeistigkeit immer in einem gewissen Pop-Rahmen tätig geblieben, den er aber stets wieder mit gehöriger Abenteuerlust aufgebrochen oder ironisiert hat. Pulsinger mag definitiv keine Beschränkungen oder gar Dogmen in seinem Tun. Er liebt Spaß, hat einen intuitiv sicheren Geschmack, er braucht die Suche nach Neuem, aber auf gelassene, nie hysterisch Art. Insgesamt ist er locker, aber letztlich eben auch sehr genau im Umgang mit dem musikalischen Material. Einmal neugierig geworden, und das passiert oft, widmet er sich mit aller Energie und Leidenschaft dem neuen Projekt. Und so ist er mittlerweile naturgemäß beim Jazz angekommen.

Musikalische Genresprünge und Entdeckungsfahrten skizzieren Pulsingers unterschiedliche Projekte, die von einem Techno- und Housebegriff ausgingen und schließlich in einen elektronischen Eklektizismus- und Freestylekontext führten. Dazu kommt noch sein mit Produktionspartner Erdem Tunakan betriebenes Label „Cheap Records“, das 2003 bereits 10jähriges Jubiläum feiern kann. Das letzte Mal, als Pulsinger/Tunakan’s – letzterer betreibt übrigens auch den „Cheap“-Plattenladen in Wien – Musik Aufmerksamkeit über die elektronische Szene hinaus bis in die auf Popinjektionen versessenen Feuilletons erregte, war das „Schwanensee“-Remixed-Projekt. Diese zeitgemäße Inszenierung des Tschaikowski-Klassikers bescherte der Wiener Volksoper den größten Erfolg seit ihrem Bestehen und war 1 ½ Jahre lang ausverkauft. Die Arbeit mit einem derart großem Ensemble aus der E-Kultur war Pulsinger jedoch insgesamt etwas zu stressig („Eine Auftragsarbeit. Es war ok, aber insgesamt zu mühsam.“). Heuer soll es also Jazz sein. Das „Easy to assemble, hard to take apart“-Projekt war bereits lange geplant, ergab eine 12“ und dann eine sehr lange Pause, denn es ergaben sich Verzögerungen, die nicht vorgesehen waren. „Die Idee dazu ist so alt wie meine Entdeckung des Jazz, also erst ca. fünf Jahre. Vorher hatte mich die Musik weniger interessiert, aber über Freunde fand ich vor allem an der Periode von 1965 bis 1975 gefallen. Dies definiere ich für mich als Jazz, der meinem persönlichem Geschmack am meisten taugt, von den Stilen davor und danach habe ich wenig Ahnung.“ Favoriten sind Klassiker wie Sun Ra, Coltrane, Pharao Sanders, vor allem auch Big-Band-Jazz á la Don Ellis. Pulsinger bleibt bescheiden auf dem Boden und spielt sich nicht als Cool Cat mit Fachwissen auf. Während die Machart und Stimmung elektronischer Musik für ihn nach 10 Jahren extrem durchschaubar geworden war, stellte sich ihm der Jazz als etwas sehr Undefiniertes und Spannendes dar. Also wollte er dieses noch unbekannte und für ihn undurchdringliche Terrain erkunden und das Material ausloten, indem er sich einfach ein paar Musiker einlud, um deren Spiel und Energie mit den heutigen Mitteln der digitalen Produktion zu bearbeiten. „Das Projekt verzögerte sich extrem, weil ich lange keine Musiker gesucht habe, und dann, als es intensiv wurde, auch keine fand, die gewillt waren, dieses Experiment mitzumachen. Es gibt in Wien sehr viele und sehr gute Jazzmusiker, aber ich kannte mich einfach nicht in der Szene aus“, bekennt Pulsinger. Letztlich kam er aber doch an die Leute ran, denn natürlich gab es Schnittpunkte. Vor allem Christof Kurzmann vom „Charisma“-Label und Bassist Werner Dafeldecker, Jazzer der alten Schule, die aber immer wieder Kontakt mit zeitgenössischen Formen der Improvisation (Dafeldecker zB. mit Fennesz oder dem Polwechsel-Projekt), wie sie in Wien beispielsweise auf dem Mego-Label geschehen, vermittelten Impulse und Kontakte, und irgendwann war die Combo tatsächlich zusammen. Am Piano saß Josef Novotny, die Drums spielte der klassische Vollblutjazzer Paul Skrepek, und als Soloinstrumentalisten fanden sich Sessioncrack Boris Hauf und Bernhard Spahn am Sax, Richard Klammer und Franz Hauzinger an der Trompete (bzw. Vierteltontrompete), der Frankfurter Christoph Reimann an der Klarinette, Radu Malfatti an der Posaune und Flip Fillip am Vibrafon ein. Pulsinger mietete sich für zwei Wochenendsessions im alten Wiener „Feedback“-Studio, seit den 70ern ein traditioneller Jazz-Aufnahmeort, ein, ließ die Profis einfach machen und nahm einfach alles, auch die Aufwärmsessions, auf. 24 Spur Analogmaschine, alte Naumann-Mikrofone…der Produzent wollte genau den traditionellen Jazz-Sound haben und instruierte den Tontechniker auf eine Aufnahme im Klanggestus „Ende der 60er Jahre“.

So dauerte es also schon mal sehr lange, bis es überhaupt zur Session kam, doch die mühsame Hirnarbeit vorm Computer hatte Pulsinger dann noch mal komplett unterschätzt. „Man hat da ja mit unglaublichen Datenmengen zu tun. Wenn ein Track in der Sessionversion zB. 20 Minuten lang ist – mit 5 Instrumenten, davon jeweils in 24 Bit Stereo, dann sind das 1 bis 1 ½ Giga pro Track, die ich allein an Daten herumzuschieben hatte. Bei dieser Produktion stieß ich tatsächlich an meine technischen Grenzen, aber das war mir egal. Ich habe extrem viel über die Musik wie über mich selbst gelernt, und das ist allemal besser, als mit dilettantischen Mitteln zu versuchen, einen „stimmungsvollen Jazztrack“ aufzubauen.“ Die schnellste Produktion eines Tracks dauerte eine Nacht, die längste aber – übrigens bei „These precious days…“ – ganze zwei Monate, wo Pulsinger eine ganz spezielle Stimmung erzeugt wissen wollte. Und so saß der Produzent, der parallel natürlich noch andere Projekte verfolgte, jeden Abend in regelrechter Heimbastelmanier ein paar Stunden an seinem 266 MgHz G3 vor seiner virtuellen Jazzband. „Hochstarten, bisschen Fernsehen schauen, und dann 2,3 Stunden an dem Track arbeiten“ – so erklärt sich auch, dass der musikalische Prozess von der Aufnahme bis zum Veröffentlichungstermin ganze 2 ½ Jahre gedauert hat. Was sich Pulsinger als Grundidee für das Projekt selbst auferlegte, war, auf keinen Fall Material – wie etwa Beats – dazuzuproduzieren, sondern strikt zu re-arrangieren. „Es war viel Material, das kann spannend, aber auch ein Fluch sein…man läuft Gefahr, irgendwann den Überblick zu verlieren.“ Und so gab es Momente, da fühlte sich der Produzent fast verloren im Material, verlor aber nie den Gesamtüberblick, und der Endspurt zum Album verlief dann relativ schnell, als Pulsinger, der nebenbei noch Louie Austen, die Church Of Carbon und weitere Projekte produzierte, die letzten fünf Tracks in 1 ½ Monaten nebenbei im Studio abmischten konnte. Das Jazz-Projekt erwies sich dabei letztlich als Ruhepol und gar als Energietankstelle, die abends immer noch spannend genug war. “Vielleicht auch knapp an so einem Punkt“, bekennt Pulsinger, „wo ich ein bissl müde geworden bin, was elektronische Musik anbelangt.“

Das musikalische Basismaterial kommt natürlich zur Gänze von den Wiener Jazzprofis. Pulsinger, der weder Noten lesen noch ein Instrument spielen kann, stand hier naturgemäß vor der Frage, wie er diesen Musikern etwas instruieren sollte und ihnen klarmachen konnte, was er überhaupt möchte. „Ich hab ganz einfach gewedelt, gesungen, gesummt, hab ihnen irgendwelche Musikzitate aus Filmen erzählt und lautmalerisch vorgeführt, aber ihnen extra keine Platten gespielt, weil ich nicht wollte, dass sie anfangen, etwas nachzuspielen, das ich gleich selbst hätte samplen können.“ Denn Pulsinger, der eben kein Samplejazzalbum wollte, ging es an erster Stelle darum, dass die Musiker völlig frei agieren konnten. So stand er als offener Dirigent hinter der Studioscheibe und führte die jeweiligen Instrumentenkombinationen live zusammen. Denn soviel sollte klar sein: an keiner Stelle spielt die Band von „Easy to assemble, hard to take apart“ jemals live zusammen! „Ich wollte nicht, dass sich die einzelnen Leute zu sehr aneinander orientieren, denn dann wäre es schwierig gewesen, die Struktur später wieder zu brechen.“ Steht die Struktur zu fest, hat der Produzent extrem wenig Möglichkeiten, die Musik stimmungsmäßig zu verändern. So versuchte Pulsinger immer wieder, Kombinationen von Instrumenten zu finden, die entweder sehr eng beieinander oder eben ganz weit auseinander liegen. Wird zum Beispiel ein Teil der Rythm-Sektion weggenommen, reagiert ein neu hinzukommendes Melodieinstrument ganz anders und neu auf die Musik. So dirigierte Pulsinger verschiedene kleine Sessions, deren Teile es später in einem äußerst aufwändigem und mühevollen Prozess zu einem klingendem Ganzen zu Re-Kombinieren galt. Zunächst wurde da am Sequenzer alles an Gittern und Quantisierungen weggeschaltet und zunächst nur optisch gearbeitet: wo gibt es leise Stellen, wo lässt sich etwas kombinieren? So kam der Produzent schliesslich immer tiefer in die Struktur der Stücke. Und so gibt es bei den fertigen Tracks letztlich mehrere Schichten eines Eingriffs: Schnitte, die nahezu plakativ wie die Faust aufs Auge gearbeitet sind, und dann solche, die erst beim mehrmaligen Hören deutlich werden. Manche Schnitte im Material sind mitunter kaum hörbar. „Gerade beim ersten Track „man sitzt bequem“ zB. ist extrem viel gecuttet worden, und nun klingt es, als ob ein Trio lustig vor sich hinspielen würde, was selbst die Musiker später total verblüffte“. Pulsinger will, dass es auf mehreren Ebenen interessant bleibt, genau wie bei dem Jazz, den er selbst schätzt. Wann kann sich ein Produzent schon diesen unglaublichen Luxus leisten, hervorragendes Ausgangsmaterial komplett neu zu kombinieren und selbst die Stimmungen und Dynamiken zu gestalten, wie er es möchte? Sofort fällt einem Carl Craig ein, dessen Arbeitsweise beim „Innerzone-Orchestra-Projekt“ Pulsinger jedoch gar nicht so genau zu kennen beteuert. Auch Craig dirigierte die Musiker und re-arrangierte das Material anschließend neu, nun knüpft Pulsinger aus einer okzidentalen Sicht auf eine uramerikanische Musik daran an – und diese Sichtweisen auf den Jazz haben dem Genre bekanntermaßen schon öfters sehr eigenwillige und wichtige Akzente gegeben.

Alle Musiker waren begeistert von dieser Spielweise, so Pulsinger, nur einer vermisste seine gewohnten Spiel- und Aufnahmemuster. Insgesamt ergab sich aber eine Jazzsession, „wie ich sie mir früher bei John Coltrane vorstellte – auch, was das ganze Drumherum im Studio betraf“. Und am Ende kamen 13 Tracks zusammen, von denen drei jedoch wieder hinausgeschmissen wurden. Zwar waren sie fertig bearbeitet, aber vom Ansatz her zu ähnlich, und Pulsingers Ziel war es, dass jeder Track ziemlich unterschiedlich in Stimmung und Atmosphäre sein soll. Das fertige Produkt überzeugt einfach durch die Mischung aus bewusster Aktion, überlegter Dramaturgie zwischen Toleranzfreiheit und Kontrolle und, niemals zu unterschätzen im Improvisations- wie Produktionskontext, intuitiver Zurückhaltung im Umgang mit dem Material – man darf auch Respekt dazu sagen. Doch auch auf der Bühne, vor allem auf dem Saalfeldener Festival, hat sich das Projekt mittlerweile bewährt – und hier liegt Pulsingers Rolle in der des klassischen Live-Dub-Mixers, der zwischen Überblick und Spontanität vermittelt.

Jazz ist für Patrick Pulsinger maximale Freiheit. Ein bisschen Kontrollfreak ist er schon, war er immer schon, bei aller Lockerheit. Seine intuitiven Produktions-Skills hat er sich autodidaktisch angeeignet, das ist das einzige, das der ehemalige Videotheken- und Tankstellenangestellte, Friseur und Student der Elektrotechnik nun schon seit 10 Jahren ausschliesslich macht. Und seine Wiener Jazzer wollen mit ihm weitermachen – der Produzent kann also weiterbasteln.

Projekte, an denen Patrick Pulsinger – neben seinen Soloaktivitäten beteiligt ist, sind u.a. Sluts N Strings & 909, Love the Machines, Restaurant Tracks, The Private Lightning Six, Showroom Recordings (mit dem Saxofonisten Florian Sokol), Church of Carbon (mit Gerhard Potuznik) oder die Musikproduktion für Louie Austen (mit Mario Neugebauer).

Remixe von ihm unter anderem für Lamb, Antipop Consortium, Cornershop, David Holmes, WIT, Die Goldenen Zitronen.

Easy to assemble, hard to take apart. The album. In the shadow of ali bengali.

ist bei Form & Function / Zomba erschienen.

(Jazzthetik)

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