Schaffhausen 18

18. Jazzfestival Schaffhausen / 9.-12. Mai 2007

Von Marcus Maida

Schaffhausen, Referenz für das vielfältige und stets hochinteressante Schweizer Jazzgeschehen, präsentierte sich heuer als etwas zwiespältige Angelegenheit: ein gewohnt wunderbar brummendes, summendes, lebhaftes und gespanntes Ambiente, gewohnt große Potenziale, aber auch das große Hoffen und Warten. Im Schnelldurchlauf: Pierre Favres acht schwyzer Trommel-Asse eröffneten im Spielkreis inmitten des Publikum: offenkundig hohe Klasse im mitunter Zen-meisterhaften Vario-Kollektiv, trotzdem entging man der potenziellen Percussionskonzert-Langeweile durch weniger Klangpoesie und mehr Dynamikwechsel. Christoph Stiefels Trio beruhigte prompt mit slickem Ambientjazz. Objets Trouvés enttäuschten nicht wenige und gerade die Wohlgesonnenen: diese an sich tolle Quadrat – remember ihr sagenhaftes Auftreten beim Unerhört 05 – verlor sich in Abschweifungen und vergaß das Zupacken. Der Einbau von Frenchhornist Tom Varner war nicht zwingend und konnte auch nicht wirklich plausibel gemacht werden. Öffnungen sind immer gut, aber hier versandete der Fluss bisweilen, es war zu kontemplativ, und es fehlten die Powerstücke sowie die Publikumskommunikation. Bruno Amstad machte danach mit Minimalismus reinen Tisch: nur Stimmbänder, kein Schnickschnack. Sagenhafte Obertöne zwischen Tibetian-Otto-Waalkes-Muezzin-Metal-Drone-Hörspiel-George-Krantz-Gescatte: sehr gut, aber leider wurde die einmal geöffnete Trickkiste dann zu oft auf- und zugeklappt und komplett leergeräumt, das verlor ergo etwas an Intensität, Sog und Spektakel. Trotzdem: Publikumsliebe, 3 Zugaben, und gut so. Das Luzerner Sextett Erb_Gut etwas zu schwelgerisch, auch hier eklatanter Mangel an Powerpaketen und Mitriss, aber wer blieb, konnte letztlich doch faszinierende Intelligenz, Drive und steigende Spannung erleben. Doch ein Eindruck blieb: die Youngsters trauen sich nix, die dürfen doch alles, aber sie blasen nur ins Rohr anstatt das Publikum um! Einen lässigen Kontrapunkt setzte hier der entspannte urig-hinterfotzige Weißwein-Jazz der drei Originale Theus-Bourquin-Francioli aus Lausanne. Die holten einen gleich ab, nervten nicht mit unausgegoren-hektischen Konzepten und blieben humorvoll-souverän, wofür die urwelsch-gemütlichen Hells-Angels-Lookalikes sofort Szenenapplaus ernteten. Scorpio 7’s ultraklassischer Swingjazz-Ansatz des Radiomanns und Saxofonisten Yvan Ischer bot vollen warmen Bandsound, sagenhaftes Ensemblespiel, tolle Einzelstimmen, schwelgerischen Standard- und Dancefloorjazz sowie 1a Arrangements. Sie hielten ihr Energielevel und die Publikumskommunikation – das wirkte: gute Unterhaltung, viele Zugaben. Das Trio Vein um die Zwillingsbrüder Arbenz dann als ein kleiner Favorit mit saustarkem Einstieg: sehr kantig wie straight und auf dem Punkt, federnd und präzise, toll! Eine Entdeckung, am Ende kam Tristano um die Ecke und sogar Ellington winkte. Große Talente mit sehr guten Ansätzen, aber sie sind noch nicht ganz so weit.

Das Quartett Voices um den Berner Multi-Jazz-Aktivisten Daniel Schläppi eröffnete den Samstag: nett, aber way too trad. Zwei Lead-Saxes bringen’s halt seltenst, keine Ansagen außer Titel dito, plus wenig Charisma – dieser Auftritt stagnierte auf hohem Niveau. Erst ihr politisches Metaphernspiel trial and error ließ die Kiste aufgehen – warum nicht gleich so? Dann das Vera-Kappeler-Trio: die Erlösung. Packend und intensiv von Sekunde 1 an. Was beim eindrucksvollen Auftritt am Generations in Frauenfeld erlebbar war, fand hier Bekräftigung: der definitive Festivalhöhepunkt, und Kappeler bleibt die derzeit interessanteste junge Schweizer Pianospielerin mit dem größten Potenzial: lässigste, freie und sehr jazzige wie songbetonte Grooves, eine starke genuine melancholische Kraft, sinnlich-sinnvolle Verdichtungen, offene Geheimnisse ohne Schmuh und Angeberei – das ist eines der spannendsten Zentren des jungen Schweizer Jazz derzeit, und da wird noch mehr kommen. Als Zugabe ol man river und Tom Waits, der Saal ist proppevoll und yells for more. Die Favoritin bleibt die Favoritin. Zum Abschluss die Buebetroim, die Mastermind Stephan Geiser dem Swiss Jazz Orchester in die vielen Köpfe setzte: sich einmal vor opulenter BigBand zu produzieren, das ließen sich auch diverse eidgenössische Rock- und Popstars live in Schaffhausen nicht nehmen. Die Halle ächzte und das Festival nahm Volksfestcharakter an. Das Rahmenprogramm im TapTab hingegen enttäuschte, war völlig belang- und bedeutungslos und bot keinerlei spannenden Alternativen. Wenigstens das Quintett der Vokalistin Lisette Spinnler bot in einem schönem Kellerclub an zwei Abenden ein veritables Ethno-Jazz-Programm als Gratwanderung zwischen gelungener Impulsivität, pittoresker Expressivität und gepflegtem Exotismus – blieb grenzwertig.

Den Staffelstab der Jazzgespräche hatte Intakt-Labelbetreiber Patrik Landolt heuer zum ersten Mal an den Publizisten Christian Rentsch weitergereicht. Die Themen wie Web 2.0 und Jazz oder unterschiedliche Selbstorganisationsformen für Jazz waren gut gewählt und präsentiert, der Bogen jedoch manchmal etwas zu weit gespannt. Es bleib das gute Niveau der Referate und die durchaus übertragbaren Anregungen für hiesige Verhältnisse.
Ein Höhepunkt des Festivals kam übrigens ganz klar von einem Österreicher: Christian Muthspiels Ernst-Jandl-Liveperformance mit anschließendem Live-Interview war einfach nur brillant und eine definitive Sternstunde des erweiterten Jazzbegriffs. Fazit: Der Jahrgang war guter Durchschnitt, mäßig bis rustikal mit einigen Spitzennoten. Ein Eindruck blieb: viele Youngsters kommen struktur- und konzeptgefüttert aus Hochschule und Proberaum und wollen zuviel auf einmal – das war bei Schaffhausen 007 klar zu beobachten! Bei einem so kleinen Land ist nicht jedes Jahr ein Überflieger zu erwarten, und doch: die Qualität und das Potenzial von Jazz aus der Schweiz ist nach wie vor absolut beachtens- und bemerkenswert und, obwohl manche den dortigen Jazz bereits in einer Krise sehen – kein Wunder bei den Höhenflügen der letzten Jahre! – ist die Musik in mancher Hinsicht immer noch weit vorne! Eines steht fest: der jährliche Besuch in der Schaffhauser Unterstadt gehört einfach dazu – Downtown Schaffhuuse eben, wo nicht nur der Rhein brodelt und kocht …

(Jazzthetik)

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