GEERDETE KLASSIK IN WELLENFORM
Den in der letzten Ausgabe vorhergesagten Overgrounddurchbruch haben Sun Electric bislang noch nicht vollzogen. Vielleicht sollte aber auch vorher hier noch mal erläutert werden, was das überhaupt zu bedeuten hat, woher sie kommen & wohin sie vielleicht gehen werden. Max Loderbauer & Tom Thiel sind zwei bayerische Immigranten, die seit 1988 in Berlin untergekommen sind & von da an wesentliche Entwicklungen in elektroider Tanz- & Hörmusik mitbekommen & selber geprägt haben. Kennengelernt haben sie sich kurz vor Berlin, die angefragten bayerischen musikalischen Roots kennzeichnet Max so: „Dieser mehrstimmige Gesang war schon ein Einfluss, auch diese Harmonien, die am Anfang vielleicht etwas süßlich erscheinen. Man muss da aussortieren, es ist eine harte Grenze zwischen volkstümlichen guten Sachen & extremsten Scheiß, alles, was man im Fernsehen halt so sieht.“ Frühe elektronische Berührungspunkte waren, neben der üblichen Tangerine Dream/Schulze-Hörsozialisation (Switched on Bach war Max‘ erste Synthieplatte), House, aber die ersten Parties im legendären Berliner UFO, das war eigentlich der Ausgangspunkt. Zu dieser Zeit produzierten sie noch zu dritt, loteten diverse Ambientstile aus, & als es musikalische Differenzen gab – der dritte Mann wollte einen härteren Industrialstil einschlagen – , wurde ihnen 1991 prompt der komplette Proberaum ausgeraubt, inklusive Fairlight &, wenn ich es richtig verstanden habe, einem kompletten Roland Modularsystem, das auch noch Maurizio gehörte … Es war dann klar, dass diese Sache zu Ende war, der dritte Mann zog das längst verblichenene ‚Fishermans Friend‘ -Projekt auf (& produziert heute ‚Such a Surge‘), Max & Tom hingegen blieben Duo & unterschrieben bei Trevor Horns ZTT-Label.
„Es war eine superschlechte Kommunikation mit denen. Wir hatten ein Album, aber sie wollten nur eine Hitsingle. Schließlich entließen sie uns endlich aus dem Deal, & dann stand sofort Renaat vor uns. Er ist halt Fan. R&S war die erste Firma für uns, wo klar war: die verstehn das, die sind da drin. Es ist was persönliches, keine typische Majorstruktur.“ 1993 sind sie dann zum ersten mal live aufgetreten, anlässlich Tom’s Geburtstag in einer kleinen Kneipe. „War ganz leicht eigentlich, alles musste halt im Rahmen des Equipments sein – aber man steht plötzlich im Mittelpunkt, & das war schwieriger als die technische Umsetzung.“ Ein Support Act einer ‚Orb’-Englandtour folgte, & vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch endlich Thomas Fehlmann – der beim Gespräch auch anwesend war – als im Grunde drittes Mitglied erwähnt werden. Max: „Uns geht ’s nicht darum, dass wir auf der Bühne angestarrt werden, deshalb haben wir auch noch diese selbstkonstruierte Lichtmaschine dabei, die davon ablenken soll. Auf großer Bühne & bei schwarzen Wänden verschwindet der Effekt etwas, aber in einem kleinen Raum mit weißen Wänden, wie im Ocean Club während der Popkomm, ist es phantastisch.“ Die Frage, was sie den Leuten live vor allem geben wollen – da sie ja keine ‚reine‘ Clubmusik machen – beantwortet Tom mit „Wellen. Wo man folgen & mitgehen kann. & die Spannung darin.“ „Etwas, was aus diesem reinen Tanz-Fenster rausgeht, dass es vielleicht etwas weiter geht als bei einem normalen Tanzabend“, ergänzt Max. „Es sollte so sein, dass man rausgehen kann & wieder reingehen & sofort die Wellen mitverfolgen kann.“ Tom: „Jeder gute DJ macht ja Wellen. Aber wenn wir live spielen, sollte man keinem Diktat unterworfen sein – man sollte eben auch mal rausgehen können. Aber wir versuchen trotzdem sehr genau zu sein in unserer Musik.“
Den Begriff ‚Intelligent Techno‘ lehnen sie klar ab. Unprätentiöse Erdung ist gefragt. Sehen sie sich als Pioniere für das, was man schon vor Jahren unter ‚electronic listening‘ gelabelt hat? Max: „Eher schon in diesem Kontext. Der Dancefloor funktioniert ja oft so, dass sich die Leute regelrecht im Sound verlieren. Für uns hat das, bei aller vermeintlichen Freiheit, eine gewisse Enge. Bei Goa ist das ja offensichtlich – die reine Funktionalität: Nur der Beat ist das Ding, was sonst passiert, ist egal. & eben da ist so ein Gegengewicht zu bieten, dass es auch außerhalb des Beats viel zu entdecken gibt. Die Leute vielleicht sogar ein bisschen zum Zuhören zu erziehen.“ Allerdings arbeiten Sun Electric nicht bestimmend-didaktisch, sondern eher durch ein ‚Hinein-führen‘ des Publikums in andere Klangmöglichkeiten. Tom: „Diese ganze Entwicklung von Techno, das Funktionale, weiße Label, das war schon gut, aber man darf nicht da stehen bleiben.“ Polystilismus – euer Stil? „Große ideologische Fragen, haben wir mittlerweile festgestellt, sind nicht mehr so interessant für uns. Es war schon mal richtig verbissen. Aber jetzt können wir uns endlich öffnen, ohne groß darüber nachzudenken.“ Wer dieses Statement mit Besinnungslosigkeit verwechselt, sollte vielleicht doch noch mal bei 0 ansetzen. Sun Electric arbeiten reflektiert & integriert, wie es im Grunde selbstverständlich sein sollte, ohne Trends hinterherzulaufen. Große Plattenkäufer sind sie nicht, viel bekommen sie durch Thomas zugetragen. Trotzdem fließen viele Stile durch ihre Filter. Max: „& dann gehen wir nach wie vor sehr viel aus…“. Ich erkläre ihnen, was ich mit ‚Overground-Durchbruch‘ meine – das also ihre Musik prädestiniert für eine breitere Akzeptanz ist. Max dazu: „Moment – ich geb mich zu keiner Zeit der Illusion hin, dass unsere Musik kommerziell so erfolgreich sein könnte wie dieser Deppentechno. Will ich auch gar nicht. Das ist total illusorisch, das ist ne ganz andere Musik. Ich sehe unsere Musik sehr gerne in der Nachfolge von sog. klassischer Musik, nachdem die in die Sackgasse gefahren ist. Als man die emotionale Verbindung vom Zuhörer zur Musik, den Rhythmus & auch die Tonalität, vernachlässigt hat. Soweit etwas tonal oder rhythmisch war, war es für die klassische Avantgarde indiskutabel. & da haben sie sich glaube ich selber ins Abseits geschossen. & ich sehe unsere Musik als nicht-abgeschossene Fortführung von klassischer Musik, also nicht ‚Klassik‘, sondern…“ Max überlegt. Klassische Elektronik? „Klassische Instrumente sind nicht zeitgemäß. Aber es ist eher eine Nachfolge dessen, als von Popmusik.“ Das hieße also, Sun Electric’s unprätentiöse Klangexkursionen als korrektiven Kontrapunkt zu selbstreferentiellen hyperabstrakten Musikformen, die sich in sich selbst erschöpfen (bzw. dem Trugschluß, durch die Form sei alles gesagt), begreifen zu können. & genau da funktioniert sie auch – ohne bloßen Impressionismus anzubieten, keinen Trance-Eskapismus zu zelebrieren & erst recht keinen Pop-Techno-Schleim abzusondern. Sun Electric-Klangmaterial ist im guten Sinne geerdet, unspektakulär große Qualitätsarbeit, die wegen mangelnder Effektkette oder ideologischem Überbau noch ein wenig unterbelichtet bleiben wird.
(Seven)