Jimi Tenor

BUT WE’VE NEVER BEEN BORING!

“But we’ve never been boring!”

(Jean Seaberg zu Zuckerpappi David Niven in ‚Bonjour Tristesse‘)

Wer sitzt spätnachts noch in verrauchten Klubheimen an den Tasten & croont durch den Vocoder? Wer spielt uns eine unglaubliche abstraktpopulistische acidelectrojazzeasylisteningfunkgniedelfusionmelange vor, die uns tagelang verfolgt & es endlich schafft, daß wir mit ihr ins Bett gehen, dann steht sie auf mit einem ‚War nett, see you again‘ & wir liegen da & fragen uns schwerwiegende Dinge wie: Warum habe ich früher nicht mehr zu meiner Begleitautomatik gejammt? Würde ich jetzt anders leben? Wer weigert sich besoffen, Blondinen zu verlassen & sein Programm fortzuführen? Wer macht nur, was ihm gefällt & sich nullkommmanull Gedanken, ob wir das jetzt cool oder neu oder hip oder sonstwas finden – & ist es gerade darum 99,9%? Wer macht alles alleine, wer bestimmt sein Tempo selber, wer morpht alle Images von TRUE Entertainern in sich zusammen & erschafft damit ein Image seiner selbst? Der Mann, der 5 Minuten nach einem Erdbeben bereits wieder gelangweilt ist. So konnten wir nicht bei unseren Babies bleiben, wir mussten Unterstadt gehen, Geld verdienen, wir riefen uns ein Taxi & fuhren Unterstadt, zu Jimi. Er sagte uns: „I’m just here for the dollarbill – but I like it somehow.“ Unsere lakonische Antwort: „Wir auch, Mann.“

7: Letztens hast Du ja erwähnt, dass Du nicht easy listening bist, sondern mehr Jazz, & deine neue Platte wird das zeigen. &- hast Du das erreicht?

J: Klar, es ist aufregend, oder? Es gibt zwar mellow Tracks, aber kein easy listening. Ich meine, was ist das schon – ein Supermarkt! & das bin ich nicht. Mike Flower Pops oder James Last sind easy listening –

7: Ach komm, hör auf, James Last….

J: Es gibt ein paar gute Sachen…

7: Du hast gestern Interviews mit Spiegel & Zeit-Magazin gemacht?

J: Bin ich gewohnt, in der englischen Presse bin ich eh overexposed –

7: …& dann warst Du in einer Viva-Charts-Show, wie war das?

J: (Lacht) Ein Albtraum! Ich glaub, die anderen Künstler waren nicht halb so professionell wie ich!

7: Wie Dune oder irgendwelche Boygroups…& Du hast den Wilden gemacht & bist auf deiner Orgel herumgesprungen?

J: Yeah yeah, ich hab mich massiv verletzt dabei…

7: Art makes you suffer, right?

J: Oh, ich hab’s gar nicht gemerkt, ich war so aufgeregt. Wie in einem religiösem Koma.

7: Bist Du religiös?

J: Nö.

7: Wegen diesem Kreuz an deinem Ohr. Bedeutet das was, oder ist es nur Comic?

J: Ich denke, es ist mehr Comedy, auf eine Art…

7: Hast Du dich für’s Entertainer-sein entschieden, oder kommt das natural out of you? Denn innerhalb von elektronischen Musikszenen ist das nach wie vor unnormal.

J: (Verständnislos) Nicht normal? Was meint ihr?

7: Ok, paß auf: die meisten Leute dort produzieren ihren Kram & geben es in einen Markt oder was immer ihr Distributionsweg ist, aber sie produzieren sich nicht auf einer Bühne, wie es klassische Entertainer tun.

J: (Erleichtert) Alright…Well, für mich ist das perfekt normal. Aber was ist daran falsch? Es ist lustig!

7: Klar, wir sind kühl mit dem! & genau das ist unsere Idee: Es kommt natürlicherweise aus dir heraus!

J: Oh yeah yeah…aber ich hab’s eigentlich gelernt! So natürlich ist das nicht.

7: Woher?

J: Oh, so einige frühere Arbeiten…Ich musste unterhalten…

7: So als Alleinunterhalter in einer schmierigen kleinen Bar, oder in einem Countryclub voller Rednecks?

J: (Tut geheimnisvoll) Nein, es hatte nichts mit Musik zu tun.

7: Was hältst Du von DJ Vadims Theorie der Vertikalität, Musiker kopieren sich in der Regel horizontal, & nur einige wenige kommen durch Vertikalität auf ein anderes Level – wie z.B. Coltrane oder Sun Ra?

J: (Gelangweilt) Yeah … Ich glaube … Ich meine … jeder, der sich ein Künstler nennt …. wasauchimmer (schläft gleich ein) … da sind so viele … nur boring boring boring … es ist wirklich selten …

7: Was hältst Du denn für die interessantesten Platten der letzten Jahre?

J: (Schläfrig) Fällt mir nichts ein (lacht leise) … vielleicht … Ich … also, ich weiß nicht (fängt sich wieder) … Vielleicht gibt es jemanden, mir fällt nur niemand ein …

7: & was hörst Du zurzeit?

J: Oh, alle Sorten von Musik … alles Mögliche … (Grrrr!)

7: (Leicht genervt) Ja, toll, aber gibt’s vielleicht IRGENDWAS, was dich wirklich berührt, gibt’s da irgendwie kühles Zeug? 1fach großartiges Zeug – gibt’s da irgendwas? Wir wollen keinen Bombenteppich von Namen, aber alles ist nur boringboringboring, Wow, das klingt so indifferent – bist Du indifferent? Nein!

J: (Reißt sich zusammen & antwortet fast subsonisch) Na ja, es gibt schon ein paar nette Sachen, aber ich neige sowieso dazu, immer dieselben Leute zu nennen. & das könnte ziemlich langweilig sein. Die Leute denken dann, ich höre nichts anderes. Tu ich aber.

7: Von Sähko zu Warp – wirst Du das Label nochmal wechseln, zu einem Major sogar?

J: Sähko war ok, aber ist eben ziemlich hoch profiliert, & kann auch nicht so viele Einheiten verkaufen. Ich meine, da ist halt nur Tommi … nein, aber kein größeres Label. Vielleicht eher kleiner.

7: Also willst Du kein großer Star werden?

J: Like a real big? Mmh … ich meine, es muss kein größeres Label sein, ich glaube, wenn es dazu kommt, passiert immer große Scheiße. All dieses Herumgelüge, dieses Verändern … Karriere … und am Ende können sie dich kriegen, & sie werden es tun.

7: Hast Du noch Kontakt mit Leuten wie Khan?

J: Yeah, yeah … ich seh ihn nächste Woche…

7: … aber Du hast nicht vor, mit ihm zu arbeiten?

J: (Total gelangweilt) Nein, nicht wirklich … ich bin sowieso exclusiv.

7: & die Kooperation mit den Rancho Relaxo-Allstars, mit Abe & so? Ich mein, Du hast Credits auf dem Cover.

J: Oh, das war viel früher, kam jetzt erst raus. Ich glaube, meine Kooperation bestand daraus, im Hintergrund des Studios herumzusitzen (Gelächter), ab & an einen Schalter zu drehen … SEHR minimal … & mich im Studio zu betrinken …

7: (Verständnisvoll wie immer): Glaubst Du, dass Du gut für Kooperationen bist?

J: (Schüttelt in slowmotion den Kopf)

7: (Um ihn wieder aufzuheitern) Alright, also bist Du der klassische Soloentertainer!

J: Na ja, kommt darauf an, was Du mit elektronischem Equipment vorhast. Eine Person genügt.

7: (Will es wissen) Kannst Du dir vorstellen, in Las Vegas zu spielen?

J: (Kurz abschätzend, dann todernst & bestimmt) Yeah.

7: Wie Liberace? Who feels like Liberace?

J: (In a Robert de Niro-like-Tone) A lot of crime has to pass until that will happen … (Gelächter).

7: Well, ich könnt mir NUR das vorstellen…

J: (spielt mit dem Gedanken wie mit zwei Silberkugeln) Ich könnte es machen …

7: War er nicht unglaublich?

J: Exzellenter Star, wie er auf der Bühne lag …

7: & hatte 10 verdammte Ringe an! & the ol’ladies would kiss ‚em …

J: (lacht) Yeah, all diese Details … ich glaube, dass er ein wirklich guter Pianospieler war (erzählt irgendetwas völlig unverständliches über Liberaces Pianos) …

7: ‚Intervision‘ erinnert mich an eine Salsoul-Hustle oder Funk-Tradition, stimmt: es ist Salsoul-Hustle-Funk.

J: (Interessiert) Was ist das?

7: Was das ist? Oh, so eine komische Mischung aus Philadelphia-LoFi-Crooning, Shaft-like-styles & Barry White, irgendwie sowas.

J: Alright.

7: Könntest Du zustimmen?

J: Yeah Yeah.

7: Aber, es klingt so original wie das, dass da nur eine Frage bleibt: Wo ist dein eigener Stil?

J: Wo ist mein eigener Stil? … Ich weiß nicht … er ist überall (Gelächter), keine Ahnung … es ist meine Interpretation. Kümmert mich auch nicht, ich mach, wozu ich mich fühle. Jemand bringt was raus, ich klau‘ es.

7: Kennst Du Barry White’s Album ‚White Gold‘?

J: Nein.

7: Das Cover? Seine goldenen Scheiben, Klunker, Uhr, Feuerzeug, Rolls-Schlüssel …

J: Oh nein. Aber das ist gut.

7: Allerdings. Du hast vielleicht nicht das Gold, aber die Images, good as Gold (er lacht), hervorgerufen durch, na ja, eben die Richtung, die wir jetzt gefahren sind: Liberace-Barry White-White Gold (er lacht) – paßt, gelle?

J: Das ist gut! (Endlich taut er auf) Er ist gut. Ich mag wirklich die frühen Sachen, die Instrumentals mit der Band … es geht on & on … diese Lieder … Geigen … (begeistert sich plötzlich förmlich) … & dann dieses fette Orchester, the drums are banging!!!

7: (cool) Besorg Dir die Platte – sie featured ausschließlich das Love Unlimited Orchestra. Könntest Du mögen. Ach übrigens: Hattest Du eine Intention mit deiner Platte? Irgendwelche Ideen?

J: Maximum Income (Gelächter).

7: Hm, das könnte ein ziemliches Problem werden (Großes Gelächter).

J: Ernsthaft, wenn es maximum income gewesen wäre, hätte ich mich mehr an einen Stil gehalten, was die Kids mögen: „Ok, wir machen’s vom ersten Track an SO…“ – aber offensichtlich klingt es ein bisschen wie … Du kannst hören, wo es herkommt. Es ist nicht wirklich sauber produziert. Ich wusste auch nicht genau, wie ich’s machen sollte, damit es wie das real thing klingt … Scheiße … es klingt wirklich ein wenig anders …

7: Allerdings. Ist das Absicht, oder passiert das einfach?

J: (Abwehrend) Neinnein, ich versuch mich zu verbessern!

7: Ok, aber irgendwie klingt das doch wie dein Stil?

J: Stimmt. Ich bleib dabei, es einfach zu produzieren. Keine großen Panikeffekte, kein Hype. Du hörst fast alles. Like play & product. Ein ganz normales Ding tun, versuch einigermaßen präzise in den Arrangements & der Tonlage zu bleiben … das bin ich, eine ganz persönliche Sache. Ich glaub, das ist viel interessanter.

7: Warum beziehst Du dich immer noch auf Suicide & Alan Vega?

J: Warum? Die Leute fragen: Hey, magst Du Suicide? & dann steht das in jeder Zeitung! Was soll ich sagen? Ich mag sie wirklich!

7: (Völlig von der Rolle) Hendrix & Zappa auch?

J: Uh, nie! Ich hasse Zappa! Ich meine, das Zappa-Zeug, das ich gehört habe, ist wie – (macht Kotzgeräusche). Das sollte wohl zeigen, dass ich nicht darüber nachdenke, was andere Leute mögen. Ich könnte natürlich ein cleverer Mann sein, aber…das bedeutet mir nichts.

7: Du stehst mehr auf Elvis?

J: Als auf Zappa, auf jeden Fall! (Lacht) Er ist wie Gott. Ein soziales Phänomen. Oder wie Jesus. Oder wie überhaupt so viele Leute…

7: Er ist wie ein Hologramm, Mann. Magst Du auch die furchtbaren Filme?

J: Nooo, I don’t like!

7: Du kannst 10 Minuten davon ansehen, & dann musst Du aus dem Zimmer gehen (Gelächter). Einfach rausgehen. Du hast auch Filme gemacht, was für welche?

J: Puh, alberne Camp-Filme. Ziemlich blöd.

7: Sehr billig produziert –

J: Oh yeah yeah!

7: LoFi, LoBrain –

J: Very. Das war vor 16 Jahren in Amerika. Sehr billig. Ich hab nicht geschauspielert, ich war der Regisseur. Ein Film hieß ‚Urinator‘. Der andere ‚Dr. Abortionstein vs. the Wrestling Man‘ (Gelächter). Die Titel waren definitiv besser als die Filme. Vielleicht mach ich eines Tages mal wieder ein paar Filme. Ich glaube, es ist besser, jemanden dafür zu bezahlen.

7: Ein Film über dich zu machen?

J: Nein, die Kamera zu machen. Oh, ich habe ja sogar eine Kamera…

7: Was ist mit deinem Film für Sähko?

J: Yeah, das ist ein Dokumentarfilm, über das Label-Leben … ich glaube, es ist witziger, den in 10 Jahren zu sehen. Könnte interessant sein.

7: Wirst Du ein Video für die neue Platte machen?

J: Yeah, es wird von einem Typ namens Vito Rocco gedreht!

7: ??? Vito Rocco?

J: Er ist so ein falscher italienisch-amerikanischer Ex-Alkoholiker-Regisseur … aus Las Vegas (Big Laughs). Aber in der Realität ist er nur Tony Boge, ich glaube, er ist aus Island. Er hat noch nie irgendwas überhaupt gemacht & ich glaube er ist der totale Fake. Aber er hat schon ein Video für mich gedreht. Letztens wurde er im Brit-TV von einem Typen interviewt, der bereits Biographien über Dustin Hoffmann, Sergej Eisenstein & Jean Renoir gemacht hat (Big Laughs revisited), & jetzt macht ER eine Biographie über diesen Typen. Er war auf jedenfall da, um ihn zu interviewen –

7: Wir verstehen …

J: … & sie zeigten einen Film von ihm, den er so 1969 gemacht hat, aber das ganze Filmmaterial war verschollen außer einer Einstellung, also zeigten sie die Anfangstitel, dann diese eine Einstellung, & dann die Endtitel. Es war total lächerlich.

7: Manchmal reicht ja eine Einstellung. Alkoholiker lieben ihn wahrscheinlich …

J: Alle lieben ihn! Diese Biographie hat eine Menge versteckte Botschaften & Symbole …

7: Zurück auf die Erde – Du lebst in Finnland zzt.?

J: Nein, in London. Ich hab mein Haus in Finnland verloren. Ich habe in einem großen Haus gewohnt. Es war ein kommunistisches Haus. Ein Tanzlokal der kommunistischen Partei. Aber jetzt existiert die Partei nicht mehr, weil Russland kollabiert ist, also haben sie ihr Eigentum an eine Bank gegeben, & die haben uns rausgeschmissen.

7: (Kurzes betroffenes Schweigen aufgrund der versteckten Botschaften & Symbole in dieser Geschichte, die das Leben schrieb, dann:) Ok, um dies hier zu beschließen, würdest Du bitte 5 Filme nennen, die Du sehr gerne magst?

J: OK: 1.The long goodbye / Robert Altman

2. Female Trouble / John Waters

3. Sun Ra Filme / Space is the place

4. (grübelt endlos über einem bestimmten Film) Ich glaub ich verlier meinen Verstand … Scheiße … ich kenn das Zeug … es geht über diesen Typen, der seine eigene Kirche aufzieht … er kommt aus irgendeinem Krieg & macht seine eigene Kirche auf, ohne Jesus … (nach langem langem Überlegen & Puzzeln erlöst:) WISEBLOOD! / John Huston

7: Ok, das waren 4 …

J: Oh, ich dachte ich hätte erst 3.

7: Nein, Du hast 4.

J: (In an exactly Warhol-like-Tone, hingehaucht) Great! (Der Geist Warhols war in diesem Moment in Jimi eingefahren) One to go.

7: One more film & you can go.

J: Vielleicht sollte ich dann meinen eigenen Film nennen!?

7: Ach komm, das wär zu offensichtlich!

J: (Grübel grübel) Vielleicht ‚Dog day afternoon‘. Oder ‚Cruising‘. Nein:

Dog day afternoon / Brian de Palma.

7: (ebenfalls erleichtert) Alright. Ach, übrigens – Du stehst doch auch so sehr auf Abel Ferrara, hast Du den letzten gesehen, ‚The Burial‘, Christoper Walken?

J: Nein…

7: Geh rein. Vielen Dank.

(Seven)

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