Terre Thaemlitz

„DIE MINUTE, IN DER DU DIE KLAPPE HÄLTST, IST IN WAHRHEIT EIN VÖLLIGER KONTROLLVERLUST“

– EIN GESPRÄCH MIT TERRE THAEMLITZ ÜBER GESCHLECHT, KUNST, MUSIK UND TECHNOLOGIE

I. DEFINITION

Terre Thaemlitz, Avantgardist? Auf alle Fälle kein Retrogardist, der sich eine futuristische Intention zusammenphantasiert. Aber die Begriffe „Avantgarde“ und „Experimentalität“ sind im Jahr 2000 AD ausser zu kurzen Schubladenorientierungen eines Stils eh nicht mehr zu gebrauchen. Doch auch das Tonmaterial von Terre entgeht einer Benennung natürlich nicht, und so wird es im aufmerksamen öffentlichen Bewusstsein vornehmlich unter „Elektroakustik“ abgespeichert.

Terre Thaemlitz codiert seine elektroakustischen Collagen jedoch politisch, stellt sie explizit in diesen Zusammenhang, im Gegensatz zur meisten Elektroakustik, die oft im „blossen“, reinen Musik-Klang hängenbleibt und dadurch unbewusst und vielleicht auch ungewollt die klassische Tradition der Kunstavantgarde, oder im übertragenen Sinne, der bürgerlichen Kunstmusik, weiterführt, und die sich trotzig an die „reine“ sonische Materialität klammert, ohne deren Flottieren und Verhandelt-werden nach jeweils aktuellen sozialkulturellen Standards, kulturdistinktionellen Kursen und kulturdienstleisterischem Marktwert im Hyperkapitalismus beachten und schon gar nicht thematisieren zu wollen. Derartige Modelle wollen sehr oft gar nicht mehr kommunizieren, sondern schotten sich in bürgerlicher oder auch anti-bürgerlich-bürgerlicher Tradition von dem zugegebenermassen irritierend brutalem Terrorcharme der kapitalistischen Musikindustrie und deren Ausläufern ab, sind aber auch oft im historischen Bezug ablehnend oder ignorant gegenüber allen „artfremden“ Musikmaterialien wie zb. bestimmten Spielarten der Popmusik, die sie ob ihrer Kommerzialität oder ihrer Simplizität für ihr streng isolationistisches Kunstschaffen verwerfen.

Für Terre aber ist die Tradition der elektroakustischen Avantgarde nurmehr ein weiteres bewusst zu nutzendes Material, auf das er sich allerdings nicht referenz- und grundlos bezieht. Vielmehr stellt diese Musik für ihn ein relativ geschlechtsneutrales Feld dar, das nicht durch genderspezifische Codierungen belastet oder schon extrem „versaut“ ist – wie zb. die Rockmusik. Und keineswegs transformiert er andererseits etwa die gehypte „schöne Lüge“ von der „Androgynität“ elektronischer Musik auf seine Klangcollagen, um damit nicht jenen verheerenden humanistischen Idealismen Futter zu geben, ein kultureller Ausdruck, der von einem ganz konkretem Kontext geformt und genormt wird, könnte ebendarin eine klassische politische Erlöserrolle bekommen. Die Utopien, die aus einem Musikmaterial hindurchschimmern könnten, müssen vielmehr skeptisch, subtil und ironisch freigelegt werden, um sich dann, wenn sie schockartig gebrochen werden, abermals ihren eigenen Voraussetzungen zu stellen. Zu oft sind fahrlässige Projektionen von Politik auf Popmusik getätigt worden, gleich, ob von Seite der Produzenten, Distributoren oder der Konsumenten, als dass eine explizite politische Intention so salopp, eindimensional und einfach zu behandeln sei – wenn man sich schon darauf einlässt. Einfach zu sagen „Das ist Politik!“ ist dabei das Dümmste.

Und bestimmte Wahrheiten müssen eben immer wiederholt und bestimmte Selbstverständlichkeiten immer wieder hinterfragt werden. In jedem aktuellen Kontext immer wieder neu. Auch und gerade in der „sprachlosen“ Musik.

Es gibt nichts, was jedeR weiss.

Neben der Anbindung seines Materials an einen Diskurs, der sich auf produktive Widersprüche innerhalb der Felder von Politik und Kultur einlässt, sucht Terre aber auch einen Umgang mit den für unabdingbar erachteten Interessen und Voraussetzungen innerhalb der Musik selbst. Am Modell Ambient zb. lässt sich die Frage nach der Funktion von aktivem und passivem Musikhören mitunter sehr deutlich herausarbeiten. Terre Thaemlitz-Klang ist diesbezüglich, ähnlich wie Oval-Audio, auf jeden Fall mehr Modell als Musik. Das für Novizen.

Der normativ-konventionelle Heterosexualismus der Musikindustrie hat die schwullesbische Zielgruppe noch nicht wirklich entdeckt. Zwar werden Nischen gerne bedient, aber vor allem die normativen Sexformen der Gesellschaft, die oft mit Vorliebe aus dem normativem System der Ökonomie abgeleitet werden, werden weiterhin brav wild gezüchtet und medial als das Mass aller Gender-Dinge vermittelt. Das mit überspitzten, mitunter archaisch, dann wieder bizarr fake-futuristisch anmutenden Formen, die es durchaus genauer zu beachten gilt. Aber nicht hier.

Terre Thaemlitz betreibt als umherschweifender schwuler Produzent jedoch auch keinerlei Augenwischerei. Den „guten Schwulen“ gibt es bei ihm nicht. Wie in vielen politisch-idealistischen Zuschreibungen auf marginale Gruppen oder Ethnien lässt Terre logisch auch das traditionelle „Gender-Unterdrückungsmodell“ – die Unterdrückten sind qua Unterdrückung immer die Guten – nicht gelten. Unterdrückten und marginalisierten sozialen Gruppen werden gerne zum Zwecke der besseren Instrumentalisierbarkeit eine latent dissidente oder gar rebellische Haltung untergejubelt, als ob diese Gruppen aufgrund ihrer politischen Unterdrückung ähnliche Interessen teilen würden. Die Ausgangssituation – gesellschaftliche Nichtakzeptanz bis hin zu massiver staatspolitischer und gesellschaftlicher Repression – sind logisch stets dieselben, ansonsten jedoch ist innerhalb dieser (noch) marginalisierten Gruppen der Wunsch, sich mindestens ebenso regressiv wie ihre Unterdrücker zu verhalten, nicht eben selten zu finden. Eine der Aufgrund einer konstruierten biologischen Identität wie Ethnie oder Geschlecht abgelauschte Fake-Solidarität taugt eben herzlich wenig zur Bewusstmachung für komplexe politische Prozesse, wenn letztendlich doch wieder nur die vordergründige Biologie als Sinnstifterin herhalten muss. Diese Identitäts-Rechnung ging und geht selten auf. Zu oft wurde zb. der „Verlust der Arbeiterklasse“ in der Geschichte der traditionshumanistischen Linken ja deswegen auf Gruppen, die über gesellschaftlich konstruierte biologische Identitäten wie Ethnie oder Geschlecht beschreibbar waren, umtransformiert, um dort Bewusstsein oder Solidarität zu finden. Mit fatalen Verkennungen der konkreten Realitäten. Die Unterdrückten treten nun einmal oft gerne noch weiter nach unten anstatt nach oben. Das ist eine ernüchternde Spielverderberanalyse, die wenig freundlich, progressiv und hauruck-linkspolitisch erscheinen mag. Aber dafür einfach nur notwendig ist. Kein Hurra-Getöse, keine Pre-set-Solidarisierung. Terre unternimmt diese Analyse mit seinen eigenen bescheidenen Mitteln innerhalb seiner very own peer group: auf der 1998er Platte „Love For Sale“ thematisiert er die bizarre Kommerzialisierung der Gay Comunity, die hierzulande auch immer krasser und deutlicher zu beobachten ist. Hyper und flashy kehrt eine überdrehte medial konstruierte queer-identity eine dem Hyperkapitalismus sehr kompatible Haltung hervor, die sich in nichts von dem heterosexuellen Leistungs- und Kompetitionswahn in neoliberalen Zeiten unterscheidet bzw. diesen scheinbar oft noch übertreffen will. Dass Schwule dabei in realiter, nicht nur hierzulande, immer noch aufgrund ihrer Geschlechtsidentität genau wie andere wegen ihrer Hautfarbe real „abgestraft“ aka zusammengeschlagen werden, darf diesbezüglich logisch nicht unerwähnt und vergessen bleiben. Terre Thaemlitz, der seine Aussenseiterlektion als schwuler Jugendlicher in einer Kleinstadt in Missouri insklusive Strassenseitenwechseln wenn die Rock’n Roller kamen eh gelernt hat, geht es aber nicht darum, billige und ausgelutschte „gay pride“-Formeln unter die Leute zu werfen. Die Zeiten und die dazugehörigen Diskurse haben sich schnell und sehr komplex geändert, und ein oberflächliches eventartiges „come together“ sind dem Massenbewegungen misstrauendem Analytiker sowieso suspekt. Ihm geht es hingegen um die Dekonstruktion der medial vermittelten kapitalistischen Essentialismen, die sich mit aller glänzender Falschheit auch in den schwulen Diskurs einfressen. Bei seiner Elektroakustik schmoren deshalb die Kabel durch, es gibt Störtöne galore und überraschende extreme Lautstärkeschwankungen machen das Hören von Terre Thaemlitz-Klang wenig entspannend. Die Entscheidung zum Hören ist immer wieder eine bewusste. Ein (nicht nur) schwules Partypublikum kann der geübte Deephouse DJ, der in Clubs auf der 42. Strasse in NY auflegte, aber Anfang 91 gefeuert wurde, weil er sich trotz Publikumsnominierung als bester Club-DJ des Jahres weigerte, Major-House zu spielen, allerdings trotzdem erfreuen. Und das nicht zu knapp.

Terre ist nicht nur Spiel- und Spassverderber. Das für alle Anderen.

Während seines Kunststudium an der New Yorker Cooper-Union-School begann er, sich einigen aktivistischen Gruppen wie ACT-UP, einer HIV-Awareness-Gruppe, anzuschliessen. „Ich hatte damals eine Menge Idealismus über Gemeinschaft, Kollektiv und einen Sinn für Identität. All das wurde sowohl genährt wie auch gebrochen durch meinen Aktivismus“, sagte er heute darüber. Seine Erfahrungen mit dem von vielen seiner Protagonisten immer noch als elitistisch verstandenem Modell „Kunst“, seine immer stärker ideologiekritisch ausgerichteten kulturpolitischen Analysen und der erneut erfahrene Bruch der Struktur „Kollektiv“, ein Modell, das nur bestehen und weitergehen kann, wenn es seine Gefahren, seine jeweilige kontextuelle Eingebundenheit und sein eigenes mögliches Scheitern darin explizit thematisiert und angeht, liessen Terre vom Modell „Kunst“ immer mehr Abstand nehmen. Und dieser Prozess beeinflusste seine Art Musik zu machen entscheidend. Konkret äusserte sich das so, dass er bei seinen Produktionen den Rythmus und die strikte Klangordnung vernachlässigte, um mehr unterschiedliche, gegensätzliche und zufällige Klangquellen zuzulassen. Auch Musik hören verstand sich bei Terre zunehmend als ein aktiver sozialer Prozess. Ambientöse Texturen, auf die er sich anfanglich mit den Projekten „Tranquilizer“ und „Soil“ einliess, sollten von den komatösen Zuständen, die Mutterbauchambient normalerweise herbeiführt, hinwegführen. Ambient definierte sich bei Terre vielmehr als ein potentieller Moment der Verstörung und letztendlich als eine „Explosion der Politik der Passivität“.

Das Presseecho, das Terre Thaemlitz mittlerweile erfahren hat, ist beeindruckend, steht aber, nebenbei bemerkt, in keinerlei Relation zu den Verkaufszahlen seiner Platten. Das Interessante an Terre Thaemlitz-Klang ist aber stets, dass sich daran und an seinen Strategien, Analysen und seinem sehr konkret formuliertem Mitteilungsbedürfnis, zb. in den textreichen Booklets seiner Platten, aktuelle und darüberhinausgehende Diskurse anknüpfen und weiterspinnen lassen, ohne dass ein ganzer Kanon muffiger bourgeois-akademischer Fäden oder ein halbes Klebebandpaket wirrer digitaler Hipness-Codewörter darum gewickelt werden muss. Diese Art von Musik zelebriert keine leeren Gesten in einem abgestecktem und als avantgardistisch proklamiertem Rahmen. Vielmehr geht es Terre Thaemlitz darum herauszufinden, welche Strategien zur De-Naturalisierung von sozialen und kulturellen Prozessen entgegen den medialen Vermittlungsprozessen der Technokapitalistischen Gesellschaft sich innerhalb eines musikalischen Materials, das explizit an einen politischen Diskurs angebunden ist, finden lassen.

Terre Thaemlitz-Klang ist eine Sprache, es sind zu Klängen gewordene Diskurse.

„Aber ich bin kein Medien-Faschist“, sagt er, „ich arbeite mit dem, was in das jeweilige Projekt passt.“ Tres bien. Kein Diskurs-Addict mit „Ich-bin-Klassenbester“-Vokabular und kein Lätzchenschwenken in „unserem digitalen Eigenheim“ bzw. „Die Elite“-RMX davon. Seine Arbeit versteht sich als offene Kommunikation, jedoch ohne humanistisches Einheitsbreigesäusel und permanentes Händereichen. Und stets transformiert sie den „reinen“ musikalischen Produktionsprozess und geht mit Lust und Bewusstsein konzeptuell darüber hinaus.

So spielte Terre nach einem Auftritt der kalifornischen Vinyl-Bearbeiterin Marina Rosenfeld anstelle eines erwarteten Live-Sets ausschliesslich ein DJ-Set mit einer superben Auswahl von Deep-House-Platten. Das ist für Terre natürlich „live“, und fast ebensowichtig für ihn wie das Produzieren. „Das ganze Performer-Publikum-Paradigma ist völlig ausgereizt und interessiert mich kein bisschen“, sagt er. Er weiss nur zu gut, dass die meisten Leute unter „live“ den elektronischen Fetisch des Knöpfchendrehens oder auch Softwareskippens am Laptop erwarten – „das wollen die Leute heute sehen, wenn ein elektronischer Live-Act angekündigt ist, machen wir uns nichts vor“, sagt er. Stattdessen spielte er, all dressed up in drag – denn auch das wollen die Leute von ihm sehen -, auf der „Mille Plateaux“-Herbst-Tour seine dort erschienenen CDs ineinander, collagierte sie in unbequemen stetigen Brüchen und schuf damit kein düsteres, aber ein dunkles unmythisches und unglamoröses Requiem für amorphen Mutterbauchambient und alle verwandten wohligen Essentialismen. Darüber hinaus erteilte er damit all jenen sich rigoros und aufgeklärt gebenden Pop-politischen Idealismen und gemütlichen linkshumanistischen Pre-sets, die sich aufgrund ihres hohen Konsensfaktors wunderbar vermarkten lassen, eine resolute Absage, da diese medial konstruierten und kommunizierten Modelle qua ihres Mangels jeglicher progressiver Kontroversität und interner Reflexion gut zur Sedierung widersprüchlichen kritischen Bewusstseins taugen und, auf einen weiterführenden Diskurs bezogen, letztlich unwirksam sind, denn wenn die Betäubung nachlässt und die Realität ein wenig kribbelt, tragen diese „Inhalte“ ausser zum sattsam bekannten Distinktionsgewinn für ihre medialen Träger nichts bei.

Jetzt das Stöhnen. Jetzt das Knurren. Jetzt der vorgefertigte Schrei.

Demnächst auch auf ihrer Werbefläche.

Nicht? Schade.

Hier hätte IHR Spruch stehen können.

Im Folgenden ein Ausschnitt aus einem Gespräch mit Terre in Köln im Oktober 1999.

II. O – TON

Marcus Maida: Was interessiert Dich am Gender-Komplex innerhalb der elektronischen und elektroakustischen Musik?

Terre Thaemlitz: Ich denke, dass jede Form von Musik gender-bezogen ist und verschiedene gender-Verwicklungen beinhaltet. Manchmal ist es wirklich offensichtlich, zu sagen: elektronische Musik ist mechanischer oder auch maskuliner, aber dann hat sie in einem anderen Zusammenhang genau das Gegenteil davon. Dieser gender-Bezug ist auf alle Fälle immer da, und daran war ich immer interessiert. Denk an meine aktuellen Gary Numan-Paraphrasierungen: früher war ich derart fasziniert von diesen schwuchtelig-ambigen Texten über die Mensch-Maschine.

MM: Wie gehst Du mit diesem Interesse innerhalb deines musikalischen Materials um?

TT: Das ist eine der Schwierigkeiten. Musik ist für mich ein Medium der Kommunikation, sie ist wie Sprache. Mir geht es um die Idee, dass den jeweiligen Klänge kein „angeborener“ Inhalt innewohnt, sondern dass sie benutzt werden können, um Ideen auszudrücken. Diese Grundlage transformiere ich in Kontexte der Produktion, Distribution oder dem kommerziellem „Playback“. Konkret verbinde ich zb. die die Verpackungen von Texten und Images miteinander, oder arbeite mit Originalklangquellen, die in einem ziemlich offensichtlichen Kontext stehen, entweder spoken-words, Mediensamples oder Musiksamples, die eine bestimmte Geschichte haben. Aber für elektroakustische Musik gilt auch noch etwas anderes: es ist offensichtlich der beste Sound, um mit Gender-Themen umzugehen, gerade wegen seiner Geschichte und seiner Struktur.

MM: Aber warum hast Du diese Form gewählt, die doch auch vor allem auf die klassische Avantgarde verweist?

TT: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Feld der Elektroakustik und der Avantgarde. Ich denke, dass es eine Geschichte der Musique Concrete gibt, die jenen utopischen Impuls hat, den ich ja völlig kritisch betrachte. Es war genau die Musik, die mit einem bestimmten politischen Moment assoziiert wurde, und für mich ist diese Idee eine Metapher dafür. Dann in den späten 70ern gab es dann diese musikalischen Formen von Kakophonie und Peripherie, die wiederrum eine Metapher für eine politische Kultur sein sollten. Diese Inhalte können in meiner Musik benutzt, aufgezeigt und diskutiert werden, aber zugleich muss man sich der Tatsache stellen, dass das im grösseren Zusammenhang auch im Gegensatz zu jeder Form von tonaler Musik steht, die von jeglichem Kontext wegführen will. Aber was wäre die Alternative für mich? Rock’n Roll? Oder Disco? Ich mache ja auch Housemusik, meine Sachen auf Comatonse gehen schon in eine diese Richtung.

MM: Dein G.R.R.L.-Projekt baut ja verschiedene elektronische Musikstile nach, die ein Signifikant für Identitätskonstruktionen aus diesen Sparten für ihre Konsumenten sind. Wie würdest Du deine stilistischen Vorlieben in diesem Bereich beschreiben?

TT: Ich habe eine Vorliebe für jazzigen, improvisationsähnlichen House, so ein bisschen Jazz-Fusion-mässig…ich liebe diese Musik, sie hat diesen improvisatorischen Impuls, der auch Teil der elektroakustischen Musik ist. Meine Pianosolos dagegen sind sehr formale Gesten und Texturen, welche die Illusion einer formalen Improvisation vermitteln, das aber eher in einer Art Andeutung als einer Reflexion eines inhärenten Talents oder von Fertigkeiten. „G.R.R.L.“ aber ist eine Art schwuchteliger Fusion-Jazz, gemixt mit House.

MM: Es ist der House-Pendant zu den V-Effekt-Störtönen, die man in deinen Ambient-Texturen findet. Das Material funktioniert nicht innerhalb der vorgegebenen „amtlichen“ Form, die es soeben dekonstruiert. Es gibt also keine sichere „Homebase“ für deine Musik, trotzdem wird Dir natürlich eine Identität zugeschrieben: man verbindet Terre Thaemlitz mit Elektroakustik.

TT: Ja, weil ich die und die Piano-Solos unter meinem Namen veröffentliche. Für andere Projekte benutze ich andere Namen, da es mein Ziel ist, in vielen verschiedenen Genres zu veröffentlichen, um die Idee des Künstlers mit einem festgelegtem Medium zu zerstören, wie zb. ein „reiner“ Maler oder ein „wahrer“ Bildhauer oder Pianist. Mir geht es mehr um den Versuch, Repräsentation strategisch zu benutzen, verschiedene Stile als eine Strategie zu benutzen.

MM: Wie beurteilst Du die Reaktion und das Interesse des Publikums darauf ? Gibt es eine verständige Reaktion, oder sind deine Collagen nurmehr der Zuckerguss auf einem obskuren als „postmodern-culture-deconstructed-ambient“ verstandenen Kuchen, soetwas wie ein „queer-exotika“-Sound?

TT: Gerade in Deutschland werde ich als soetwas wie ein Protagonist der „Queer-Media-Art“ verstanden. Dabei war der „Queer Media Art Series No.1“-Sticker auf „Love For Sale“ tatsächlich nur ein Witz über die Überkommerzialisierung von schwuler Identität: eben stylish und flashy. Und die Presse hier nahm es dann oft derart für bare Münze und benutzte diese Art von Sprache, um darüber in einer sehr simplizistischen, unkomplizierten Art zu kommunizieren…derart simplifiziert, dass es wieder ein kommerzieller Ausdruck wird. Und die Ironie dabei völlig verloren geht.

MM: Wie sind die Reaktionen in den USA?

TT: Kein Vergleich zu hier, allein schon was meine mediale Sichtbarkeit betrifft. „Love For Sale“ war die erste Platte von mir, über in der US-Schwulenpresse etwas geschrieben wurde, in etwa: „Wir müssen das unterstützen, wir müssen darüber schreiben“ – und dann lasen sie den Text im Booklet und waren komplett abgeturnt. Die Platte bekam dann wirklich schlechte Kritiken. Ein bekannter Rezensent aus San Francisco schrieb: „Ich hörte, dass diese Platte wichtig sei, also ging ich raus und kaufte sie mir, und jetzt, wo ich sie besitze, kann ich sagen, dass Terre Thaemlitz ein technischer Invalide ist.“ Und das war exakt die präzise Reaktion, über die ich gesprochen hatte, diese Absicht, seine Identität zu konsumieren, oder ein Wissen über darüber Homosexualität zu konsumieren. Es war völlig daneben.

MM: Fühlst Du dich durch dieses Publikum begrenzt? Auch durch die mangelnde Akzeptanz deiner Musik und das Missverstehen deiner Intentionen? Warum wirst Du nicht „offensiver“ durch Formen offensichtlicherer Popmusik? Falscher Weg? Einbahnstrasse?

TT: Ich denke, die Schwierigkeit für mich ist: ich stand zu keiner Zeit auf kommerzielle Musik, daher weiss ich überhaupt nicht, wie ich soetwas reflektieren oder repräsentieren sollte. Ich denke, ich wäre immer noch viel zu sarkastisch oder sardonisch, das würde immer bei mir durchbrechen. Ausserdem würde das meine Zeit viel zu viel vereinnehmen und mich von meinen wirklichen Interessen wegbringen. Ich weiss nicht. Vielleicht komme ich demnächst zu einem Vocal-Projekt, zu dem ich die Idee von einem elektronischem Countryalbum hatte. Das würde ich sehr ernsthaft angehen – ich bin immerhin damit aufgewachsen, meine Mutter spielte Folk Musik -, daran habe ich wirklich Interesse, aber zugleich weiss ich nicht, wie ich’s machen sollte, und vielleicht käm dann nur eine Parodie dabei raus. Vielleicht würde es wie diese Kraftwerk und Gary Numan Pianosolos werden: es gibt ein Level, wo sie als Pianosolos funktionieren, und dann eines, dass nur lächerlich ist.

MM: Einige Leute erzählten, dass es diese Platten waren, die sie zum erstenmal von Dir „hören“ könnten – sie benutzten sie wirklich als Backgroundambient! Aber zurück zum Punkt: durch den kommerziellen Erfolg eines Projektes könnte das Interesse der Öffentlichkeit doch auf deine anderen gelenkt werden, wenn auch nur für kurze Zeit.

TT: Ja, aber ich denke, die Art diese Aufmerksamkeit würde so dermassen von der Business-Seite des Projektes vermittelt und medialisiert werden – in der Musikindustrie gibt es wirklich soviel bürokratische Infrastruktur, die Anwälte haben Anwälte -, dass die Idee hinter einem kommerziellem Projekt wahrscheinlich untergehen würde. Und wenn die Leute dann zu meinen anderen Projekten geführt werden würden, sie würden sie antesten und wären abgeturnt. Und am Ende heisst es dann: warum das alles? Wenn soetwas durch Zufall passiert, ok, ich meine, jeder braucht Geld.

MM: Die Strategie wäre: raus aus dem selbstbezüglichem Ghetto auf ein anderes Level, zu einem anderen, vor allem grösseren Publikum – dessen Aufmerksamkeitsspanne natürlich ungleich geringer ist, aber diesen Effekt zu testen wäre es wert.

TT: Ich sehe den Mainstream-Musik-Marktplatz nicht als diesen freien Outlet, überhaupt nicht –

MM: Ich auch nicht –

TT: Ja. Er ist keine Lösung. Ich weiss nicht, was die Lösung wäre, um meine „Unsichtbarkeit“ zu verändern, aber ich sehe sie nicht im kommerziellem Erfolg.

MM: Also arbeitest Du weiterhin auf den Levels und Plateaus, die Du kennst -?

TT: Ja, ich arbeite mit dem, was ich tun kann, mit meinem Budget und mit meiner Erfahrung.

MM: Von Strategien zu Analysen: Rockmusik steht, besonders in den USA, für Homophobie, HipHop, als eine mögliche Form von Rockersatz, der zunehmend attraktiver für ein sehr breitgefächertes weisses Mittelstandspublikum wird, ebenfalls. Techno wurde einst als eine Kultur der Androgynität ohne Vorurteile propagiert – damit sind wir heute durch. Politische Projektionen auf kulturelle Phänomene funktionieren nicht. Techno ist genauso sexistisch und macho, wie Rock jemals war. Um das übliche Bild zu zeichnen: die Jungs kümmern sich um die Plattenspieler, die Mädchen um die Bar. Und das ist nur das äussere Bild.

TT: Ich habe elektronische Musik nie als etwas besonderes betrachtet, an dem sich etwaige Prinzipien aufhängen liessen, was zb. Androgynität angeht. Schon bei Kraftwerk kann man über homoerotische Untertöne reden, was ich ja mit „Die Roboter Rubato“ thematisiert habe – nur weil es die gibt, bedeutet das übrigens nicht, dass diese queer-positive wären! Aber vor allem Techno-Musik, finde ich, ist superstraight. Und superweiss. Und trotz der vielen afroamerikanischen Produzenten ist das Publikum in den USA fast ausschliesslich weiss, total straight, keinerlei Drag-Queens (lacht). Ich denke, das ist wieder eines dieser humanistischen Ideale, die der „Techno-Community“ zugeschrieben werden: „Wir sind alle eins“ – dieser Pluralismus ist völliger humanistischer Schrott.

MM: Und diese der Technoszene zugeschriebene „Androgynität“ war ein kompletter Fake, um sich kulturdistinktionell und pseudointellektuell aufzuwerten, ohne diese Diskurse jemals geführt zu haben. Aber als Slogan, der via „stille Post“ weitergereicht wurde, machte sich das natürlich ganz gut.

TT: Ich denke, dass genau diese Idee Teil des Humanismus ist, der versucht, jeglichem sozialen Kontext zu entfliehen, dem Kontext von dem, wodurch wir qua zugeschriebener Rasse, Geschlecht oder Ethnie kontextualisiert werden. Genau diese Idee der „Einigkeit“ drückt sich im Ideal der Androgynität aus. Und das kann sogar zurück in die 70er Jahre verfolgt werden, diese ganze Post-Glam-Sache.

MM: Wie stellt sich das in den USA dar, wo Techno immer noch marginal ist?

TT: Komplett marginal, würde ich sagen. Diese Sachen auf MTV hier – keines von diesen Rave-Videos – Leute auf Surfbrettern oder auf Ibiza -: dieser Mist wird niemals auf MTV USA kommen, in einer Million Jahren nicht! USA ist total Rock’n Roll, und ich denke nicht, dass sich das in nächster Zukunft ändern wird. Das sind die Grundbedingungen für meine Musik, und auch dafür, wie ich über elektronische Musik rede, das geht manchmal unter hier im europäischen Kontext. Elektronische Musik ist in den USA einfach so weit weg vom Mainstream.

MM: Ein anderes Phänomen hierzulande ging ja nicht nur in die Breite, sondern in die Höhe, und das war ein oft zu beobachtender gewisser „elektronischer Elitismus“: Szenen, die oft sehr eng an bildende Kunst angebunden sind und von daher immer noch eine bedauerliche latente Elitenhaltung vertreten, insklusive Hipness-Codes und akademischer Anbindung. Sowas wie eine Art Kunstschulen-Techno, der sich stets für etwas besonderes hielt, einen Purismus vertrat und der seine Mitglieder fast Geheimbundmässig ein- und ausschloss. Als ob es eine „Schule“ oder soetwas wäre, oft ging es aber nur um die bekannten Geschmackshirarchien und deren Abgrenzung. Hast Du sowas je erfahren, und wenn ja, wie gehst Du damit um?

TT: Das ist definitiv etwas, mit dem ich auf meinen eigenen Releases spiele, indem ich akademische Diskurse für meine Elektroakustik und die Pianosolos regelrecht benutze, und für meine jazzy Housesachen benutze ich kurze Gedichte mit offenem Ende oder auch lange narrative Erzählungen. Die Idee ist, diese Sprache zu adaptieren, um mit bestimmten Assoziationen des jeweiligen Musikstils zu spielen, um Referenzen zu diesen Systemen der Hirarchie aufzuzeigen, von denen Du gesprochen hast. Und hoffentlich kann ich durch diese Texte genau das ein wenig dekonstruieren. In Europa findet immer noch soviel Investition in Kunst statt, und den Wert von Kunst – und ich gebe wirklich einen Scheissdreck auf Kunst. Das ganze Paradigma des Künstlers ist derart uninteressant für mich, da es sooft um Hirarchie und Elitismus geht, genau wie Du gesagt hast. Es ist absolut langweilig für mich.

MM: Aber viele Leute stellen Dich genau in diesen Kontext…

TT: Genau, ich bin der Protagonist der „Queer Media Art“. Ich möchte das gerne umändern und richtigstellen: ich bin der Antagonist der „Queer Media Art“.

MM: Aber wie kannst Du dieser Form von Repräsentation entkommen?

TT: Vielleicht nicht entkommen, aber es verkomplizieren, deterritorialisieren. Eine Möglichkeit ist über Texte, die ich meinen Platten beilege, und Inhalte, und vor allem die Bereitschaft, über Inhalte zu reden – das ist wirklich wichtig. Visuelle Künstler haben dasselbe Problem, viele denken: „Tja, meine Kunst spricht für sich selbst“ – tut sie nicht, denn dann tun es die anderen. Und wenn es wirklich auf den Punkt kommen soll, wissen sie einen Scheissdreck, was sie da eigentlich machen. Keine Absichten – ausser vielleicht abzuspritzen. Also denke ich, dass es wirklich wichtig ist, darüber reden zu können, sogar wenn Du dann oft in Kreisen der Logik gefangen bist, wie ich selbst (lacht), aber ich denke, es ist wichtig, Inhalte zu entwickeln, die tatsächlich Leute auf einem bestimmten Level interessieren und engagieren können, alles andere wäre nurmehr Esoterik.

MM: Und um falsche Interpretationen und Kontextualisierungen zu vermeiden.

TT: Genau, denn in der Minute, in der Du schweigst, spricht nicht etwa dein Kunstwerk für dich, oder vielleicht deine Seele, sondern ein kultureller Kontext nimmt sich der Sache an und überschreibt ihn, er schreibt den Inhalt in deine Arbeit ein. Die Minute, in der Du die Klappe hälst, ist in Wahrheit ein völliger Kontrollverlust.

MM: Erneuter Themawechsel. Wieso gibt es deiner Ansicht nach so wenige Frauen, die elektronische Musik produzieren? Dies ist eine grundsätzliche Frage, die wir uns in einem anderen Artikel für die TESTCARD gestellt haben.

TT: Ich denke, es gibt offensichtlich nicht eine Einzelantwort, aber ich würde sagen, der offensichtlichste Grund ist die Sozialisation. Jungen wachsen auf, indem sie mit Maschinen spielen, Mädchen wachsen auf, indem sie mit Puppen spielen. Und wenn es dann zur Elektronik und Technik kommt, sind die Jungs üblicherweise gefragt. Und soviel Techno-Zeug ist einfach „butch“, es ist hart, und Jungs sind eher auf harte Klänge konditioniert (von oben setzt gerade ein ohrenbetäubender Techno-Soundcheck ein). Es sind Konventionen der geschlechtlichen Konditionierung. Natürlich gibt es auch Frauen, die produzieren, aber nicht viele. Jedoch: zu fordern, dass es genauso viele produzierende Frauen geben sollte, wäre lächerlich, genauso könnte man sagen: um die Malerei besser zu machen, müssten mehr Frauen malen. Das gibt dem Ding allgemein eine unangemessene Wichtigkeit, eine Quotenregelung wäre forciert und konstruiert. Es ist unsinnig, immer ein geschlechtliches Equivalent künstlich aufzubauen oder danach zu suchen, genauso könnte ich fragen: Wo sind die Transsexuellen (lacht)?

MM: Das sind die üblichen liberalen multikulturellen Gleichmachungsspielchen –

TT: Genau. Wenn Du über kulturelle Spezifikation und die Kontextualisierung von Musik sprichst, und dann gleichzeitig das Bedürfnis spürst, eine Art Gleichstellung der Geschlechter einzufordern, eher als vielleicht die jeweiligen exklusiven Tendenzen kritisch herauszuarbeiten, bringt dich das ultimativ weg von der Produktion elektroakustischer Musik. Geh vielmehr kritisch damit um, sei so offen, zu sagen: dieses oder jenes bestimmte Modell ist völlig am Ende, und versuch nicht, eine seltsame liberale Theorie zu entwickeln, in der alle vorkommen und beteiligt sein sollen, irgendwas, das für alle da ist – denn offensichtlich sind die Dinge nicht so.

MM: Die Abscheu von Frauen, machistische Bandrituale auf der Bühne zu reproduzierten, ist wirklich nachvollziehbar, aber wenn man versucht, das Material zu betrachten, mit dem elektronische Musik produziert wird, lässt sich doch nicht so auf den ersten Blick verstehen, warum Frauen hier nicht aktiver sind. Das Image der technischen Androgynität war hier offenbar nicht so erfolgreich.

TT: Weil dieses Image genau so androgyn ist wie die Unabhängigkeitserklärung: „All Men Are Created Equal“. Es ist eine Androgynität für Idioten, die den Willen haben, blind zu bleiben.

MM: Würdest Du die technischen Voraussetzungen bereits als männlich codiert betrachten?

TT: Ja, die Geschichte der Technik bestätigt diese Vorraussetzungen. Zur Zeit lassen sich radikale kulturelle Veränderungen erkennen, die zb. die elektroakustische Musikproduktion für Frauen viel bedeutsamer machen könnten. Aber es gibt auch noch genügend Beispiele, die zeigen, welche Rolle die Rock’n Roll-Gesellschaft Frauen in einer sogenannten Technokultur zuweisen würde. Nimm den Film „Modulations“, das ist ein gutes beschissenes Beispiel: die Regisseurin interviewte vielleicht 8 weibliche Produzentinnen, und nicht eine einzige schaffte es in den Film. Und die einzigen Frauen, die wir in diesem Film gesehen haben, waren kleine Teenagermädchen, die mit ihren Boyfriends auf Raves gegangen sind. Und von den Veranstaltungen, die ich besucht habe, kann ich sagen, dass das eine sehr zutreffende Repräsentation ist. Ich denke zwar auch, dass das eine beschissene Repräsentation von Frauen in dem Film ist, aber gleichzeitig ist sie auch sehr ehrlich.

MM: Das Material für die Produktion, die Technik also, ist ja auch nie „rein“, sondern stets prädestiniert. Seltsamereise wird aber die Geschlechterbezogenheit der Kultur, oder sagen wir auch gleich der „Kunst“, seit einiger Zeit oft thematisiert, nicht aber die der dafür verwendeten Technik. Das führt uns zu Themen wie „Künstliche Intelligenz“ oder „Künstliches Leben“, zwei seit Anfang des letzten Jahrzehnts sehr gehypten Bereichen, die letztenendes doch nur wieder schwerste Ausdrücke einer männlich codierten Technodominanz sind.

TT: Und dazu kommen noch Themen wie Klassenzugehörigkeit und Ökonomie ins Spiel, die nicht davon getrennt werden können, beide bezüglich der Wirtschaftsinteressen, die hinter der technischen Entwicklung steht, genauso wie die grundlegende soziale Ökonomie der Männer, die das Einkommen der Frauen bestimmt und regelt. Das ist nicht ganz unwichtig, wenn es bezüglich elektronischer Musik ums Equipmentkaufen geht. Mir ist dieser ökonomische Hintergrund stets wichtig, denn er führt über die blossen kulturellen Ausdrücke hinaus und die Frage, ob die nun einen männlichen oder weiblichen Ausdruck haben. Mein Interesse an Elektroakustik rührt ja eben daher, dass sie etwas ausdrückt, das unumwunden schwul ist, und wirklich ambig ist. Aber diese Ambiguität ist etwas völlig Anderes als jene Androgynität, über die wir sprachen. Und ich denke, dass man über all diese wichtigen Fakten wie Ökonomie, Ethnie und Kultur nicht so einfach reden kann, wenn man nur über Gender redet –

MM: Völlig richtig. Und wie beurteilst Du dann die These, dass die Gender-Diskussion tatsächlich eine Verschwendung von Zeit und Energie in gegenkulturellen und politischen Prozessen ist, weil massgebliche Technisierungsprozesse wie Virtual Reality und Artificial Intelligence und deren ökonomische Durchsetzungsstrategien viel wichtiger, aber undurchsichtiger sind?

TT: Ich denke, die ganze Idee der Künstlichen Intelligenz geht gar nicht so sehr um ein „Leben in einer anderen Welt“, sondern um eine programmierte Ausweitung eines kulturellen Moments. Die Leute, die diese Intelligenz programmieren und die Parameter für die Begrenzungen und Kapazitäten setzen, handeln völlig aus ihrem jeweiligen Kontext heraus. Nichts geschieht hier aus Zufall. Und es bedient grundsätzlich einen Industriesektor.

MM: Die meisten technischen Investitionen gingen aus der Intensivierung kontrollgesellschaftlicher Strukturen und der Entwicklung der Militärtechnik hervor.

TT: Ja, da gibt es Geld zu gewinnen.

MM: Bist Du überhaupt noch interessiert an Themen wie Virtual Reality und Artificial Intelligence?

TT: Ich finde diese Themen, wie auch gerade das Internet, mittlerweile wirklich „cheesy“ – langweilig und „schlocky“, billig. Es ist völlig lo-fi, weisst Du, was ich meine? Es ist überhyped, und ich sehe da überhaupt nichts Glamoröses. Wenn Du dir Netscape oder Explorer anschaust, das ist, als ob man wieder Videospiele macht, zurück zu „Space Invaders“. Es ist völlig billig, sieht yuppiemässig aus, hässlich, und kein bisschen sexy.

MM: Sexy Internet (Lachen)!

TT: Von wegen. Jede Menge Sex nur in den Sexlinks, aber das ist nicht Sex.

MM: Wie denkst Du über Theorien und Bestrebungen, welche den Fortschritt der künstlichen Intelligenz und des künstlichen Lebens als eine Transformation des Biologischen, das hier mit dem Kapitalistischen gleichgesetzt wird, zum Hyperkapitalistischen hin begreifen? Und weiter noch: Unterscheidungen und Definitionen des Geschlechts, sogar in Begriffen wie Cross-Genderism und Anti-Essentialismus, bezüglich dieser Prozesse als völlig uninteressant bezeichnen, da sie jegliche politischen Bestrebungen, die sich dem widersetzen, um ihre Effizienz bringen.

TT: Du meinst diese Ideen einer utopisch-idealistischen Zukunft, in der das Potential, sich selbst durch virtuelle Mittel zu transformieren als der kulturelle Kern von heute begriffen wird? Das wird nie geschehen, niemals. Wenn ich eine Sache garantieren kann, dann die.

MM: Siehst Du diese Utopien als männlich-weisse Mittelstandsphantasien?

TT: Ich denke, es sind Gemeinschaftsphantasien, die sowohl von männlicher wie von weiblicher Seite getragen werden. Sie reflektieren diese Form von Bereitschaft, der Gegenwart zu entfliehen, ohne die kulturellen Verhältnisse aufzulösen, die Vorurteile und Diskriminierungen hervorgebracht haben. Die Idee ist: „wenn wir die Möglichkeit haben, uns zu transformieren, machen wir es“ – aber wer wird uns die Möglichkeiten geben, und wie werden wir das bezahlen? Ich habe das Gefühl…wenn ich herausfinde, dass mein Nachbar in meine virtuelle Realität als zwei Meter grosse Kröte kommt und mich in den Arsch fickt, weil ihn das erfüllt (Lachen), und zugleich versuche ich ein Professor im Weltraum zu sein oder so – wie soll uns das alles ausfüllen und glücklich machen? Es ist verrückt. Was ich sagen will, ist: die Leute teilen nicht ein allgemeingültiges gemeinschaftliches Interesse. Und es geht um die Anerkennung dieser Verschiedenheit. Es gibt nicht diese Gesellschaft, die zusammen in diese wundervolle Zukunft zieht, sondern es geht darum, sagen zu können: Hey…wir kommen wirklich nicht immer untereinander klar. Das gilt es zu aktzeptieren. Und wir müssen herausfinden, wie wir unsere Unterschiede mässigen können und uns gegenseitig respektieren können.

MM: Hälst Du es dann überhaupt für politisch nützlich, innerhalb dieser Felder Strategien zu entwickeln?

TT: Ich denke, diese Dinge sind nützlich als eine Metapher. Aber der Grossteil der Entwicklung wird auf einem derart hohem wirtschaftlichem Level stattfinden, das derart durch die Industrie medialisiert und vermittelt wird, also dem Verlangen und den Wünschen der Industrie, dass Leute, die die Idee eines besseren und helleren Morgen kaufen, einfach entäuscht sein werden. Als Metapher finde ich es nützlich, als kulturelle Strategie ist es Blödsinn.

MM: Und auf die Gender-Kontexte bezogen siehst Du das Verhältnis genauso?

TT: Ich denke, dass Transsexualität ein gutes Beispiel ist, wie Technik benutzt werden kann, um Geschlecht zu transformieren, und das Ergebnis hat nichts zu tun mit einer Überwindung der Geschlechterdifferenz. Tatsächlich kehrt es die Geschlechterdifferenz in vielem erst heraus. Transsexualität hat nichts mit diesem virtuellen „Oh, wir kommen alle zusammen“ zu tun, wofür viele Leute es halten, vielmehr lassen sich dadurch vorgefasste Meinungen über Geschlechter überhöhen. Wir spielen nicht mit einem „wirklichem“ Geschlecht, denn es gibt kein wirkliches Geschlecht. Geschlecht ist durch unsere Erfahrungen der Interpretation davon vermittelt, natürlich gibt es biologische Unterschiede zwischen den Leuten, aber der einzige Weg, diese Unterschiede produktiv zu diskutieren, ist durch den vermittelten Inhalt. Und zu denken, dass wir irgendwie Inhalte produzieren können, die diesen Inhalt überwinden könnten, so dass wir irgendwie an diesen perfekten Punkt in der Geschichte kommen würden, wo wir alle Unterschiede überwinden werden – das ist unmöglich. Ich denke, all diese Technologien werden vielmehr die Widersprüche herauskehren, wie unsere Gesellschaft Geschlecht erzeugt, und wenn es uns gelingt, diese Widersprüche kritisch herauszubringen, gelingt es uns vielleicht, dass die Dinge sich zum Besseren wenden.

MM: Die Mythen dekonstruieren und die Prozesse verstehen.

TT: Ja, und es dadurch ermöglichen, die verschiedenen Kontexte herauszubringen, die Geschlecht formulieren und konstruieren. Zu versuchen, zu analysieren, was geändert werden könnte, um die Leben der Leute einfacher zu machen. (Nach einem kurzen Moment der Stille:) Macht das Sinn?

III. DISKOGRAPHIE – TON

Tranquilizer (Instinct Ambient / 1994)

Soil (Instinct Ambient / # 7 in a series / 1995)

Couture Cosmetique (Caipirinha / 1997)

Die Roboter Rubato (Mille Plateaux / 1997)

Means From An End (Mille Plateaux / 1998)

Love For Sale (Mille Plateaux / 1998)

Institutional Collaborative (with Jane Dowe / Mille Plateaux 1998)

Replicas Rubato (Mille Plateaux / 1999)

A-Muzak (7″ / a-musik 1999)

COMATONSE

000 – Terre Thaemlitz – Raw Through A Straw (12″)

001 – Erik Dahl – Anti-Instrumentations (12″)

002 – Chugga – Theme For The Buck Rogers Light Rope Dance (12″)

Lester Fuero und Jeff Hanes aus Memphis

003 – G.R.R.L. (Album)

004 – Terre’s New Wuss Fusion (12″)

005 – Ultra Red – Ode To Johnny Rio (12″)

006 – DJ Sprinkles – Sloppy 42nds (12″)

Noch zu empfehlen:

Ultra Red – Second Nature (Mille Plateaux 1998)

Ultra Red – Structural Adjustments (Mille Plateaux 1999)

IV. REQUIEM

DJ Sprinkles „Sloppy 42nds“

In november of 1991 a friend told me they were looking for a dj at sally’s II located in the ballroom of the carter hotel on 43rd street in manhattan. The current dj, a straight and homophobic kid playing freestyle, couldn’t take it no more. It was a tranny sex working scene and not much else, until showtime. Then, for maybe about an hour, a few of the girls became stars to themselves and each other. Some of them belonged to sally’s „house of magic“, or „house of tragic“ as it was more common known by outsiders. Sally, the house mother, was often to lazy to get dressed up and usually settled for lipsynching to barry manilow tunes when it was her turn to take the stage. Most of the girls were latina and african american – the white girl scene was over at club eidelweiss. Where they catered to a different type of john. I had brought a casette of north-jersey and loisaida deep house with me to give to kimmy, the manager, whom i walked in on while he was getting head from a pair of silicon-injected lips gone wrong. Kimmy asked me to wait while he went to his room in the hotel to check out the tape. He came back a few minutes later asking „you did this tape? You’ll spin this kind of music? You’ll bring your records here? When can you start?!!“ I was hired for thursday, friday and saturday nights from 10pm to 4 am. I was paid $ 60 per night. I knew the money was shit, but I figured that meant I could spin whatever I liked, besides, dorian corey hosted shows on thursday and saturday. Dorian said she wasn’t used to a dj who could actually read her playlists. She was always sweet to me. At first a lot of girls thought my music was too deep, but when they heard junior vasquez play the same tracks at the sound factory, usually several weeks after me, a few got the idea that I was a fuckin‘ genius. Some of the rich johns, on the other hand, didn’t agree. In particular, one tacky bastard like tatto from fantasy island was upset because i refused to play gloria estephan every time he sat his fat ass down in the ballroom, and he pressured sally to fire me. In march of 1992, after the trannies had voted me best dj of 1991, sally told me i had to start playing major label tracks or leave. She said the trannies didn’t pay for the club – the johns did – and the grammy meant nothing. I was devastated and quit that night. Despite sally’s name on the grammy, in my heart it has always been the trannies who gave it to me. This wasn’t the first time I had lost a gig by refusing to play major label tracks, but it was the last. Unable to find a place to spin the music I loved, I decided to become one of the invisibles who made the tracks I so often bought. Time quickly moved my emphasis to types of audio production other than deep house, but I was the turmoil of that time that instigated any type of production at all. I 1997, sally’s II was forced to close because of Walt Disney’s buyout of Times Square / 42nd Street – adeal in which the city of New York sold Disney control of the morality of the area. Disney and the city offivals began shutting dwon all aspects of the mid-town sex industry. Some might say the city told sally what she told me…Trannies don’t pay for the city – the corporate johns do. But the loss of the mid-town drag scene breaks my heart. The city has been censored. Peoples‘ lives have been censored, this 12″ is dedicated to all of those beauties searching for their livelihood’s next stage.

I hope you are safe.

Love, Sprinkles.

V. DANKE.

An Turgut Kocer für Verständnis, Information & Kommunikation.

Terres E-Mail: terre@comatonse.com

Terres Website: http: www.comatonse.com/

Dort finden sich auch noch weitere schöne Sarah Kay – Bilder.

(first released in „testcard – beiträge zur popgeschichte # 8: gender“)

Schreibe einen Kommentar