Dynamite Deluxe

JEDE ZEILE ZÄHLT!

Mittag im Hamburger Schanzenviertel. Die Altbohemisten schlurfen zwangsvergnügt und zweckoptimistisch aus den Cafes, aber ihre Vergangenheit scheint ihnen heimlich zu folgen wie die Staubwolke von „Peanuts“ Big Pen. Die Youngster sitzen derweil scheinbar desinteressiert auf dem Rinnstein und schnacken wortarm, aber treffsicher über Situationen, Stile und Gestalten, die auf einmal sehr alt wirken. Auf der Susannenstrasse gibt es plötzlich Aufregung, ein Bust der zivilen Drogenfahndung stellt eine schwarze Frau für einige Minuten in den Mittelpunkt des Interesses. Jeder geht seinem Ziel nach. Im Cafe „Gloria“ begrüssen mich Dynamite Deluxe, die derzeitigen Shootingstars des deutschsprachigen HipHop. Letzte Woche war die Releaseparty ihres Debutalbums auf der „Grossen Freiheit“, es waren sagenhafte 2000 Leute da, insklusive der ganzen Familie: Absolute Beginner, Freundeskreis, Ferris MC, Stieber Twins, Massive Töne, Afrob, Main Concept und viele mehr. Der derzeitige Goldrush des hiesigen HipHop ist noch lange nicht zuende, ganz im Gegenteil: alle Kameras richten sich derzeit auf den exzellenten DJ Dynamite, den begnadeten Beatbastler Tropf und den charismatischen Samy Deluxe, der das Zeug hat, einer der ersten wirklichen Rapstars dieses Landes zu werden. Samy schwafelt nicht, er redet, und wenn, ist es auf dem Punkt. Als wir über die neu erreichte Stufe des hiesigen HipHop in Qualität und Aktzeptanz reden, und Dynamite sehr sachlich erklärt, das derzeit das gleiche coole Zeug wie in all den Jahren zuvor passiere, nur eben auf einem weit höherem Level, sagt Samy ruhig dazwischen: „Erste Woche 25.000 Singles verkauft, kann ich da nur sagen, direkt eingestiegen auf 29.“ „Wer, wir?“, fragt Tropf. „Vielleicht ist HipHop in Deutschland ja jetzt erst ein Bruchteil von dem, was da in zwei Jahren geht“, sinniert Dynamite. Dieses Trio gibt es so seit 1995, aber die HipHop-Sozialisation reicht bis in die Kindertage hinein. Und obwohl die Geschichte von Dynamite zwar sehr individuell ist, ist sie eng verknüpft mit anderen HH-Posses und einer Entwicklung, die Rap in der Hansestadt über die Jahre ständig auf neue Level gebracht hat. So werden die Dynamites nicht müde zu betonen, wie wichtig zb. die Absolute Beginner für sie gewesen sind, oder der frühe „Kill The Nation With A Groove“-Sampler des Buback-Labels, dem sie, trotz massivem Majorvertrieb via EMI, heute noch verbunden sind. Das Netzwerk zieht sich über die ganze Stadt: Eimsbush, abgeleitet vom Brooklyner Stadtteil Flatbush, ist ein feststehender Begriff und zudem das Label von „Beginner“ Eißfeldt, mit dem alle irgendwie verbunden sind. Die „Style Liga“-12″-Reihe wird das erneut unter Beweis stellen, wenn sich die Szene freestylend unter Pseudonym demnächst die Mics zureichen wird. Die Dynamites produzieren ihren Kram selbst, viel zum Leben brauche man nicht, und jede Mark wird sofort ins Studio gesteckt. Es geht um autonome Authentizität und gewachsenen Erfolg, ein falsch verstandener Undergroundgedanke kann da nur hindern, genau wie zuviel ungeschriebene Regeln und zuviele Purismusprediger, die ewig die Wände ihres Basements anstarren wollen. Nix für Dynamite Deluxe. Die neue Generation dreht gelassen ihre Blunts und selbstbewusst an ihrem Ding, und macht unstressig, aber trotzig Front gegen die Tabumachung der alten. Deswegen ist man schon mal locker a-PC – nicht anti-PC, wohlgemerkt. Samy: „Wir sind eben nicht die politisch korrekten Hamburger Schule Jungs. HipHop ist viel prolliger und rebellischer, nicht so theoretisch. Wir diskutieren nicht, sondern gehen Nachts eben bomben“, und Tropf: „Wir sind anders, HipHopper, mit ganz anderen Motiven und Hintergründen.“ Die ständige Einforderung von Story-Lyrix nervt die Band, die hauptsächlich durch ihre fixen Battle-Lyrix brilliert, denn auch inzwischen, da man den Aussenstehenden HipHop offenbar immer wieder neu erklären muss. Man will zwar kommunizieren, aber die Nullchecker lässt man irgendwann mal links liegen. „Es geht um jede Zeile!“, so Samy, „Jede einzelne Zeile ist wichtig, ich freu mich über nen derben Reim, den trag ich jahrelang im Kopf rum. Stories können witzig sein, aber entweder vergisst man sie, oder der Stil leidet am Inhalt.“ Mittag im Schanzenviertel. In den Plattenläden skippen sich 12jährige im Halb-Homeboywear schüchtern und begierig zugleich durch massive Vinylstapel. Die neue Generation übt ihre Instinkte.

(Rolling Stone)

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