Ekkehard Ehlers

V.A.

BLUTBAD-JAZZ UND DAS GROSSE LERNEN

Es gibt kein Experiment, das Du nicht dem einfachsten Leser spannend verständlich machen kannst.“

Hubert Fichte, Detlef’s Imitation „Grünspan“

Denken wir uns die Leser als einfache Hörer. Ekkehard Ehlers hat sich in relativ kurzer Zeit zu einem der avanciertesten und ambitioniertesten Produzenten innerhalb der Schnittstellen von digitaler und improvisierter Musik entwickelt, wobei er darin seine mannigfaltigen Interessen, die von House bis zu neuer Musik reichen, nie verleugnet, aber auch nie plakativ überbetont hat. Eines seiner interessantesten Projekte, die „Ekkehard Ehlers plays…“-Serie, die auf drei 12“es auf dem Kölner Label Staubgold und zwei 7“es auf dem niederländischen Label Bottrop-Boy erschien, ist nun, ebenfalls auf Staubgold, endlich auf einer CD zusammengefasst und ergibt ein faszinierendes Klangkonzeptgesamtbild, das die Frage unumgänglich macht, wie jemand zu diesen disparaten Produktionsweisen gekommen ist, und was für eine Geschichte dahinter steht.

Geschichte

Ehlers wurde 1974 in Frankfurt geboren , wo er heute noch lebt. Mit 11 Jahren kaufte er sich dort die ersten Platten – die erste Single war Queen’s „Radio Gaga“ -, kam dann aber rapide in die experimentelle Musik hinein. Zuerst hiess es Punk und New Wave, aber die Dead Kennedys verliess er ziemlich schnell, wechselte zum SST-Label über und landete schliesslich mit 16 voll im Free Jazz. Die erste Begegnung mit der Musik von Albert Ayler geschah also Anfang der 90er, und dann lernte Ehlers jemand kennen, der sehr viel Neue Musik gehört und früher auch Free Jazz gespielt hatte. Abends ist er zudem häufig tanzen gegangen, als Frankfurter also auch viel durch House sozialisiert worden, und so kam eine Menge Musik zusammen. Dann fing er an, sich gezielt dementsprechende Platten zu kaufen, sehr viel Platten, und später, beim Philosophiestudium, studierte er naturgemäss vornehmlich die Philosophie der neuen Musik. Sein Studium hat Ehlers mittlerweile mangels Zeit auf Eis gelegt, zwar hat er alle Scheine, aber die Abschlussarbeit fehlt noch, und das nötige Jahr Auszeit dafür geht derzeit einfach nicht. Wie aber kam das Angebot zustande, als freier Dozent an der Merz-Akademie in Stuttgart zu lehren? Sein Freund Andreas Brandolini – ihm ist die „plays…“-CD gewidmet – holte ihn vor 1 ½ Jahren an die HBK Saarbrücken, wo er Design lehrt, als Lehrbeauftragten für Sounddesign. Ehlers hatte zuvor bereits im Fachbereich Philosophie eine Neue-Musik-AG gemacht, das war ihm also nahe und machte ihm Spass. „Dann lud mich Diedrich Diederichsen zu einem Vortrag in die Merz-Akademie, und direkt danach ging das dann Knall auf Fall“ – schon beim anschliessendem Essen bot man ihm quasi die freie Dozentur an, die er nun seit Wintersemester 2001 innehat. Ein bis zwei Tage die Woche macht er nun Veranstaltungen wie Einführungskurse zur Musik des 20. Jahrhunderts und hat mittlerweile eine gesunde Routine darin gewonnen. Als Künstler ist Ehlers seit 1998 tätig, wobei er erst 1999 anfing, zu produzieren. Schon vorher sass er mit einem Freund, der mit einfachen Sharewareprogrammen wie Cool Edit angefangen hatte, vor dem Rechner, doch zu diesem Zeitpunkt kam er überhaupt nicht auf den Gedanken, selbst Musik zu produzieren, vielmehr hatte er sich eher im Bereich der bildenden Kunst verortet, wo er seit längerem bereits tätig war. Doch als er dann mit der Software arbeitete, war ihm das wie eine Initiation, und plötzlich ging alles sehr schnell. Aus der Zusammenarbeit mit dem Freund, Sebastian Meissner, entstand das Projekt „Autopoesis“, und Ehlers stürzte sich ein Jahr lang in die Software und verband das mit seiner musikalischen Vorbildung. „Ich habe mich ganz intuitiv vorgetastet und bin mittlerweile drin. Die technische Seite ist ja auch nicht so schwierig, vielmehr sind das ja die Ideen.“ Ehlers weiss, dass es eben nicht um coole Plug-Ins und die „amtliche“ neue Software geht, sondern nach wie vor um Ideen und die damit verbundenen konzeptionellen Strukturen und künstlerischen Verhaltensweisen.

Und Ekkehard Ehlers spielt

Ich produziere gar nicht so viel, vielleicht so drei, vier Tage im Monat. Das wirkt nur immer so, weil die Sachen gleichzeitig rauskommen. Die „plays…“-Serie war z.B. im Sommer 2000 abgeschlossen, das waren zwei Jahre Arbeit. Es scheint zwar immer so, aber de facto mach ich gar nicht so viel“, hält Ehlers den Ball bewusst flach. Angefangen hatte das Projekt mit der Trennung von „Autopoesis“. Man hatte vorher eine Platte über Hubert Fichte machen wollen, und aus diesem Material machte Meissner später sein Projekt „Jerusalem“, und Ehlers hatte einen 30-Minuten Track seines Projekts „Betrieb“ als Brocken herumliegen, und das war der Grundstein für „…plays“, die spätere A-Seite der „Cassavetes“-12“. „Betrieb“ war ein geschlossenes Album gewesen, nun wollte ich etwas verteilteres machen, und dann lag da auch noch Ayler im Hinterkopf herum…so hat sich das ganz langsam und gemächlich herauskristallisiert. Für Fichte war ganz lange R.D. Brinkmann im Gespräch, und für Cardew, bis kurz vor Schluss, noch Mayo Thompson. Die „Ayler“ war zuerst fertig, und ich gab sie Georg Odijk von a-musik, der sich vielleicht auf drei Mini-LPs nicht einlassen wollte und das Material an Markus Dettmer von Staubgold weiterreichte – und der war begeistert.“ Das Bottrop-Boy-Label hatte Ehlers eh nach einer 7“ angefragt, so erschienen die Teile „Cardew“ und „Robert Johnson“ dort, und die komplette Serie passt nun auf eine CD von 76 Minuten Spieldauer.

Nun ist das Material keinesfalls ein biografischer Umgang oder eine dementsprechende musikalische Hommage bezüglich Ehlers „Lieblingskünstlern“. „Die „plays“-Serie ist Konzept. Schade, dass Konzepte langweilig sind“, lässt der Produzent präventiv heisse Luft aus dem Ballon, was der Gesamterscheinung des Projekts sicherlich gut tut. Überhaupt geht es Ehlers bei aller ernsthaften Arbeit vor allen Dingen auch um den Spass und die Lust an Konzepten, die eine Sache weiterbringen. Schliesslich werden die Protagonisten dieser Serie in einer spezifischen Audioform dargestellt, deren Klang letztlich eher ein allgemeines Symptom für etwas ist, das es in Erweiterung ihrer Arbeitsgeschichte im Hier und Jetzt zu betrachten gilt. Die Serie behandelt das Überkomplexe von Emotionalitäten, und dies wiederrum im digitalen Referenzprozess, wobei Ehlers alles vordergründig Eruptive und Plakative zu vermeiden versucht. So ist es ihm möglich, zu ungleich tieferen Schichten in diesen Arbeiten zu finden, und so gelingt es ihm letztlich auch, die nach seiner Ansicht nach untröstlichen Verstimmungen und Verlorenheiten darin auf zeitgemässe Art durch Musik zu interpretieren. „Die Protagonisten haben etwas gemeinsam, und die Leute sollen herausfinden, was es ist.“ Von Zuschreibungen wie „subversiv“ hält sich Ehlers dabei eher fern. Vielmehr waren die Künstler untereinander austauschbar: Brinkmann für Fichte, oder Fassbinder für Cassavetes, das hätte auch gepasst. Aber zweifelsohne bestehen hier ja Interdependenzen, und wenn es nur ex negativo ist. Ehlers bestätigt dies: „Robert Johnson hat die Musik gemacht, die Cardew, zumindest später, immer machen wollte. Musik der Strasse und des Fliessbandes, Johnson ist hier also genaues Gegenteil von dem, was Cardew gemacht hat. Das „Waisenhaus“ von Fichte in einer Cassavetes-Verfilmung wäre auch sehr interessant und durchaus vorstellbar, oder späte Live Aufnahmen von Ayler hören und Fichte lesen, das passt auch sehr gut zueinander, dieses Emotionale, das Suchen und das Verlorene…jeder sieht da einen anderen Verweis.“ So konturiert sich die Serie als bewusst angelegtes Spiel, darin intersubjektive Referenzflächen in einer Matrix bereitstehen, die individuell verbunden und ausgetauscht werden können. Ehlers fände es super, wenn der nächste Künstler die Reihe fortsetzen würde. Durch die „plays“-Serie definiert sich der altbackene Begriff der Coverversion neu und transformiert sich in ein Referenzmodell, das die Konstruiertheit von Musiken und den damit verbundenen Biografien deutlicher macht. Ehlers verweist auf die „Fennesz plays“-7“: „Dieses ganze Referenz-Ding ist ja eh so präsent. Und das ist ein Vorschlag, wie man es vielleicht nicht ganz so plump macht, oder eben interessanter, wenn man eh schon immer referrieren muss.“

Muss man?

Blutbad-Jazz und das grosse Lernen

Das Projekt ist komplett an und in Ehlers Computer entstanden. Dort arbeitet er mit der unterschiedlichsten Software, „eigentlich alles, was es gibt, am meisten mit Logic Audio.“ Wie gestaltete sich in diesem Prozess der jeweilige Umgang mit dem Material? Bei „Johnson“ zum einen durch Ehlers selbst an der Table-Top-Guitar, die einzige Art, wie er die Gitarre überhaupt spielen kann (evtl. demnächst auch auf 12“), zum anderen durch ein knochentrockenes House-Skelett, in dem ein hochgepitchtes Johnson-Sample „if you have a good friend“ singt, – eine Interdependenz von Schwarzer Musik, zudem eine Referenz an den gleichnamigen Offenbacher House-Club. „Cardew hingegen ist beidesmal komplett gesampelt, und beides mal nah am Original dran, und da war die Idee einfach nur, dass die Leute Cardew-CDs kaufen sollen, der muss gefeatured werden. Nach wie vor ist seine Musik sehr unbekannt, aber jetzt kommt fast monatlich eine neue CD raus.“ Ehlers, der schon mit 20 auf ihn aufmerksam geworden ist, rannte dem Zyklus „The Great Learning“ des 1981 durch einen Unfall gestorbenen linksradikalen britischen Komponisten jahrelang erfolglos hinterher. Georg Odijk hatte die das Material auf Platte und nahm es ihm endlich auf, vorher schon las Ehlers bereits zahlreiche Bücher über Cardew, ohne die Musik jedoch kennen zu können. Bei „Ayler“ war das Prinzip die prozessuale Improvisation des Cellospiels von Anka Hirsch (vrgl. Plattenkritik in Jazzthetik 6/01), fehlt noch Cassavetes: die A-Seite war ja schon fertig und ist ein imaginärer Soundtrack des „Love Streams“-Films von 1984 und bildet das total Aufgedrehte und Euphorisierte im Spiel von Gena Rowlands und Cassavetes, das dann zusammenbricht, ab – das verwickelt sich ständig auf beiden Seiten miteinander. Die B-Seite, die das Euphorische abbildet, wurde von Stephan Mathieu produziert, der von Ehlers Dilemma, kein passendes Pendant zu finden, hörte. „Als das da war, bin ich drei Tage durch die Wohnung gehüpft, weil das so gut passte.“ Sehr symphonisch und orchestral erzeugt ein Gute-Nacht-Loop der bekanntesten Band der Welt einen alltagsmajestätischen Moment der Rührung, der gut zu den unplakativen Verausgabungen passt, die Cassavetes Filme, die ja oft Erlebnisse emotionaler Erschöpfung sind, auszeichnet. Die Fichte-Platte sollte auf jedenfall mit Gitarren sein, daher gab es eine Kollaboration mit dem in Köln lebenden freien Gitarristen Joseph Suchy, der diverses improvisiertes Material schickte. „Bei Fichte gibt es diesen Begriff des Blutbads, vor allem in den Berichten über die Trancereligionen. Fichte versuchte das dreimal zu fotografieren und zu beschreiben, fährt mit Leonore Mau drei mal nach Brasilien und riskiert mehrere Krankenhausaufenthalte, weil er vorher irgendwelche Kräuter schlucken muss, er schafft es aber nicht, an diesem Ritual teilzunehmen. Und insofern ist die Fichte-Platte „Blutbad-Jazz“, lacht Ehlers. Soweit zum Hintergrund der Einzelstücke. Insgesamt geht das Projekt in Richtung einer „gefühligeren Musik“, sagt Ehlers, und verweist abermals auf die letzten Sachen von Fennesz. Viele Protagonisten in der Computermusik seien es mittlerweile leid, irgendwelche Datenräusche in ihren Laptops zu zerschreddern oder Clicks’n Cuts zu machen. Das heisse nun nicht, dass man hier gleich unbedingt den Begriff des Songs anstatt des Tracks einbringen müsse, das sei vielleicht zu verfrüht oder zu einfach, aber es gehe darum, dass die Inhaltlichkeit nicht mehr über die blosse Klangfarbe und Klanggestaltung, sondern eben auch über harmonische und melodische Elemente deutlich werden könne. Bezieht sich das auf die potenzielle oder auch angestrebte Selbstreferentialität des Formalismus? Die Grundfrage, antwortet Ehlers, ist ja, wie man heute überhaupt noch Musik machen kann, über die Oval- oder die über Thaemlitz-Schiene. Die Ethik der Software und die medientheoretische Seite vertritt hierbei Oval, bei Thaemlitz geht es dann mehr um kunstpolitische Ansätze. Obwohl die Ansätze sich nicht stören, verortet sich Ehlers jedoch nicht dazwischen, sondern klar auf Thaemlitz’ Seite, was alleine schon die Analogie zu dessen „Rubato“-Serie nahe legt. „You don’t have to be unique anymore”, zitiert er Thaemlitz, und wie dieser hat Ehlers im Bereich des Materials nicht den Anspruch, etwas superneues machen zu müssen. Er will, dass es anders oder gut klingt, aber es geht ihm nicht um die ganz neuen Klangsynthese-Sachen. Thaemlitz, den er im Gegensatz zu sich als „postmodernen Künstler“ bezeichnet, verorte sich allerdings explizit, ihm jedoch bereite dies sehr grosse Schwierigkeiten, im Gegensatz zu Thaemlitz nämlich bezieht sich Ehlers sehr wohl auf die klassische Avantgarde. Ehlers Argument gegen die Medientheorie-Position schliesslich ist simpel wie lakonisch: Theorien seien nicht das, was Leute letztlich an Musik interessiert, wenn sie sie hören. Was aber meint er, wenn er das „..plays“-Projekt zwischen dem Für und Wider des digitalen Erinnerns, mit einem Blick auf die andere Seite des Codes und jenseits der Medien, verortet? Sollen so die medialen Konstruktionen bezüglich der Künstler und ihres Materials exklusiert werden? „…plays“ untersucht ein Gewebe, sagt er, daher gehe es auch um Protagonisten jenseits der medialen Zuweisung als Musiker. Der Musikaspekt bei Cassavetes z.B. wird nicht 1:1 untersucht, also anhand von Filmscores wie Jazz (“Shadows“) oder Easy Listening („Faces“). Durch die Transformation des ästhetischen Ausgangsmaterials wie den tiefen Zugriff darauf gelingt Ehlers so ein transmedialer Zugriff auf verborgene ästhetische und darüber hinaus eventuell sogar gesellschaftliche Symptome.

Fehler improvisieren Maschine

Und wie steht es dann mit dem verbindenden Aspekt des Improvisatorischen, der ja bei allen fünf Protagonisten zu finden ist – welchen Status hat dieser darüber hinaus für Ehlers Musik? Hier müsse er doch medientheoretisch länger ausholen, sagt Ehlers, und spricht zunächst das Manifest von Matthew Herbert an, in dem dieser die zeitgemässen Samplingmethoden angreift. „Nach meiner Sicht gibt es seit längerer Zeit etwas, das ich „Scannen“ nenne: improvisierende Instrumente in den Computer eingeben, wo diese erneut improvisiert werden – das ist ein völlig anderes Vergleichssystem, als wenn ich eine Disco-Platte sample. Und ich halte diese Methode des Scannings vielleicht für die, die dieses Jahrzehnt eventuell retten könnte. Dass man aus diesem ewigem Referenzwirrwarr und Revivals, den Coverversionen der Coverversion – also das, was teilweise in den Charts passiert – herauskommt und Vorschläge für einen anderen Umgang mit dem Material macht. Dieses Scannen trifft natürlich im Rechner auf die sogenannten Intermetenzen, die jeder komplexe Algorythmus hat. Bei einer einfachen trivialen Maschine ist Input-Prozess-Output immer identisch, während bei non-trivialen Maschinen der Output kollabieren kann. Einfaches Beispiel: du öffnest 100 mal dein E-Mail-Programm, und beim 101. mal stürzt es ab, unerklärlich, es ist Chaos. Und genau dasselbe passiert ja beim digitalen Musikmachen, sogar wesentlich öfter, da die Algorythmen noch nicht mal so komplex und ausreichend vernetzt sind, wie bei einem standardisiertem Mailprogramm. Es gibt zB. Software, die bewusst die Algorythmen offenlässt – da kann irgendwas passieren. Und das im Zusammenspiel mit improvisierter und gescannter Musik ergibt ein interessantes Mischmasch. Eine basale Struktur von digitaler Musik ist Referenz, und die andere basale Struktur sind Fehler, die aus der Intermetenz heraus führen. Es gibt natürlich mehrere Strukturen, aber dies sind zwei sehr wichtige.“ Fehler anerkennen und damit arbeiten ist ein ein altbekanntes, doch kein explizit konzeptuelles Prinzip, auf das Ehlers hier insistiert, denn Fehler passieren einfach, und nichts wäre dümmer, als sie in hysterischem Perfektionismus vermeiden zu wollen. Und Fehlervermeidungs- und Eliminierungsprogramme können genauso wieder Fehler haben – die Fehlerstruktur als Perpetuum Mobile. „Die ganze Clicks’n Cuts-Ästhetik ist schliesslich aus Fehlern entstanden. Das schönste für mich ist, wenn der Computer irgendein Audiofile ausrechnet, und es klingt komplett anders – das sind richtige Glücksmomente. Es gibt ein Stück von mir auf der ersten „Betrieb“-Maxi auf „Klang“, das A2-Streicherstück, wo einfach nur ein Delay ausgerechnet werden musste. Und es kam ein derartiger Schrott raus“, lacht Ehlers, „- das Stück war fertig. Hatte nichts mit dem zu tun, was geplant war, ein völliger Wirrwarr – und das war natürlich perfekt.“ Der Fehler war in der Musikgeschichte – von Blue Notes bis zur verzerrten Gitarre bis zur Roland 303, um griffige Beispiele zu nennen – halt immer schon sehr beliebt. Und im digitalen Audioprozess, ergänzt Ehlers, ist das eben auch etwas ganz alltägliches, so wie Saitenwechseln, man kann das als organisch betrachten, andere Leute dann machen so etwas wie Datenmetaphysik daraus, weil es wirklich chaotisch und nicht nachvollziehbar ist. Ehlers nennt das Beispiel eines ?etriebssystems, das nie gelaufen ist, und an dem 1500 IBM-Programmierer herumdoktorten, weil auf Page 238 von 100.000 Seiten ein O statt einer 0 stand – die Subgruppe einer Subgruppe einer Subgruppe im Gesamtkontext, doch die Auswirkungen waren damals nicht erklärbar. Komplexität nimmt einfach so stark zu, dass der Komplex aufgrund dieser Überstrukturiertheit nicht mehr nachvollziehbar ist. Deswegen, schliesst er, ist dieses Fehlerhafte auch die einzige schlüssige Antwort: man lässt sie stehn, oder man freut sich sogar drüber.

Weiter: einfach

Vielleicht ist diese Überstrukturiertheit auch ein Grund dafür, warum Ehlers sich in letzter Zeit sehr intensiv mit naiver Musik befasst hat. Zwar kommt zuerst auf „Staubgold“ noch eine Fussnote zur „…plays“-Serie heraus, die noch „trauriger und schwieriger“ wird und drei Kompositionen für Bassklarinette, Samplemusik für Ballett und ein Celloquintett enthält, das noch einige Schritte weiter geht als die „prozessierte Improvisations-Methode“ der „Ayler“-Platte. Das Quintett basiert auf Schönbergs erstem Quintenakkord, der als Geburt der modernen Musik gesehen werden kann (3.Satz, 2. Streichquartett), und erarbeitet sich so erneut, diesmal etwas unplakativer, eine Referenzmusik, die sehr durchdacht und dekonstruiert ist. Doch danach will Ehlers Musik für Kinder komponieren – viel mit echten Instrumenten, ein bisschen digital vielleicht, vielleicht auch mit Kindergesang, vielleicht zeichentrickmässig, auf alle Fälle ganz reduziert und naiv. Derzeit überlegt sich Ehlers gerade mal die ersten Schritte und fängt mit den ersten Researches für das Projekt an, unter anderem auf der Basis von Nobukazu Takemuras Musik, von der er ein grosser Fan ist. Und verbindet sich das nicht wieder mit Cardew, werfe ich ein, dessen Musik auch immer einfacher wurde?

Kann eine Musik, die sich durch ein komplexes Konzept konstituiert und dasselbe dann zum Zweck einer angestrebten Simplizität intern wieder extrahiert, anschliessend auch ohne dieses Konzept bestehen? Anders gefragt: Ist diese Musik auch für Hörer ohne Diskursanbindung reizvoll und verständlich? Noch einfacher gefragt: Nimm das Konzept weg – bleibt die Musik spannend?

Das sollten die – einfachen? – Hörer entscheiden.

Projekte und ausgewählte Diskographie

März: Digitales Folkprojekt mit Albrecht Kunze. „Liegt mir sehr am Herzen, ein Quasi-Bandformat, das auch zeitlich ein sehr langes Potenzial hat“.

One from the heart”, Mini-LP (Karaoke Kalk, 2001)

Love Streams”, LP und CD (Karaoke Kalk, 2002)

Heroin: Projekt mit Stephan Mathieu (ex-„Stol“), den er über Kit Clayton kennenlernte. „Hier ist der Fokus das „Scannen“. Der Begriff kommt von Stephan, der gerne seine improvisierenden Freunde aufnimmt und somit scannt.“ „Heroin“, CD (Brombron, 2001)

Auch: Abgeschlossenes humoriges Click-Techno-Projekt. „Ich habe derzeit kein Interesse an technoiden Strukturen, das kommt aber vielleicht wieder.“

Betrieb: „Betrieb“, CD/2LPs (Mille Plateaux, 2000), neues Material auf dem Offenbacher „Klang“-Label

Ekkehard Ehlers: „…plays“-Serie, drei Mini LPs auf „Staubgold“, zwei 7“es auf Bottrop-Boy

Whatness: Ehlers Label, das er mit dem Grafiker Markus Weisbeck macht. Weisbeck gestaltete die „…plays“- sowie die aufwendig produzierten „Whatness“-Cover. „Hier laden wir gerne unsere Lieblingskünstler ein.“ Alle bisherigen drei Whatness-Releases, die Grenzbereiche im Bereich von Digitalität und klassischem Improvisationsgestus ausloten, zeichnen sich durch eine hohe Originalität und Stildiversivität aus, die jegliche überstrapazierte Experimental- und Improvisationsklischees vermeidet und durch ihre unprätentiöse Art und einen gewissen eigensinnigen Humor überzeugt.

Whatness 001: “Liam Gillick meets Scott Olson in Japan”. Seven Tracks by Liam Gillick, selected from exhibitions at the Kunsthaus Glarus (ch) in 1998 and the Frankfurter Kunstverein in 1999, one long track by Scott Olson from 2000.

Whatness 002: “Joseph Suchy – Canoeing Instructional”. Drei Stücke des aus dem Süddeutschen exilierten und in Köln lebenden freien Gitarristen, gespielt auf der „Harfe“, einem hölzernen Kanu, das durch die Berliner Künstlerin Kirsten Pieroth in ein Saiteninstrument verwandelt wurde.

Whatness 003: „Mein Kopf verlor ein Dach – Marc Ushmi meets Reverend Galloway on Ernst Busch“. Der Performance-Artist, Ballettänzer und Nicht-Deutsch-Sprecher Stephen Galloway sang sich auf Ernst Busch ein, Ehlers gab das Material an Marcus Schmickler weiter: „Daraus musste man House machen!“ Grandioser Groove und politischer Witz, man stelle sich sehr seltsam durch die Wand gestiefelte Houseversionen von Phil Minton’s Interpretationen von Arbeiter- und Schubertliedern vor.

Coming soon: Whatness 004: Olafur Eliasson meets Frank Bretschneider on Island Images

Mehr unter: wwwhatness.de

Schreibe einen Kommentar