Die Goldenen Zitronen

DIE RÜCKSEITE EINER ROCKERJACKE

Die Goldenen Zitronen, was sind sie 1998? Hamburger, Kosmopoliten, Internationalisten? Kurz gesagt: nach wie vor eine aktive, integre & immer noch spannende Schnittstelle zwischen Pop, Punk & Politik. Sie bewegen sich immer noch & intensivieren Berührungen mit Ähnlichgesinnten, suchen den Austausch mit neuen alten Musikformen, Lo-Fi-Art-Kontexten & Freeform-Kollektiv-Experimentalformen & nehmen in regelmässig unregelmässigen Abständen interessante Platten auf. Ansonsten: genausoschlau sein wie du & ich. Prinzip Weitermachen, Weitergehen, Haken schlagen beim coolen Flanieren in harten Zeiten, sich dabei ohne grosses Brimborium & ödig schillernde Hypes neu erfinden & dabei sich selbst treu bleiben. Hört sich seltsam komisch selbstverständlich an & ist genau so.

Sind die Zitronen eigentlich noch eine Band, oder ein temporäres Projekt, oder sind sie mittlerweile soetwas wie ein alternatives mediales Ereignis, das tatsächlich Interviewanfragen von der BILD-Zeitung bekommt (& ablehnt) & dessen Popkomm-Auftritt von MTV mitpräsentiert wird? Dass wir uns hier nicht missverstehen: es geht weder um den Room Sevice im Hotel zum ehrlichen Underground, noch eine paranoid-integre Nischenmania, noch um Versteckspielen im gegenkulturindustriellen Sandkasten. Diese Band, klar ist es eine, begann zu einer Zeit Musik in einem gesellschaftlichen Raum zu machen, als viele, die meisten von uns, in den Konstrukten der Gegenkultur und der zunehmenden politischen Bewusstmachung derselben eine vertretbare & integre Plattform sahen. Heute sehen die Probleme nicht anders aus als vor 10 Jahren, sie sind nur blankgewienert, noch bunter & hüpfen auf 40 Kanälen herum, das simuliert Entertainment & stimuliert den Konsumtrost. Problembusiness hier, Besserwissbusiness da. Die Zitronen bemühen sich, inmitten der schleichenden Lethargie wie auch der zunehmenden Schreibtischradikalität in linker politischer Kultur Kommentare anstatt Parolen in Material, Präsentation & Textlichkeiten entgegenzusetzen. Dabei ist eine partielle Hinwendung zum politischen Kunstlied unüberhörbar, aber das ist bei ihnen authentischer & vertretbarer as could be. Hier eine länger belichtete Momentaufnahme, um zu erfahren, wie mensch in den Zeiten der Dekonstruktion des Bandprinzips als eine solche überleben kann, wenn man sich stilistisch und auch inhaltlich immer weiter aus dem Fenster lehnen kann, ohne dabei aus den als richtig erkannten Kontexten herauszufallen. Ein Gespräch mit der Band, die seit der letzten Platte die Unkündbarkeit eingeführt hat.

Schorsch & ich unterhalten uns über Fussball (die ätzende WM läuft noch) & Free Jazz, während wir auf Ted warten. Da das zu lange dauert, fangen wir schon mal an zu reden.

WIE SIEHT DIE BANDSTRUKTUR ZUR ZEIT AUS, UND WIE IST DAS VERHÄLTNIS UNTEREINANDER?

Schorsch: Eigentlich haben wir ein künstliches Problem geschaffen, dass 3/5 der Band nicht mehr in Hamburg wohnen, bei der letzten Platte war das noch so. Enno lebt jetzt in Nürnberg, das hat private Gründe, Hans ist nach München gezogen, er hat Städte & Länder ja schon immer oft gewechselt, & Ted ist jetzt auch fast immer in München, auch private Gründe. Das bringt natürlich Probleme mit sich, mal eben so in den Proberaum gehen ist nicht. Obwohl, das war nie so bei uns, wir sind immer so eher projektorientiert an unsere Sachen herangegangen, jedenfalls seit gut der Hälfte der Bandgeschichte. Da wurde immer gesagt: Ok, dann & wann sollte man ein neues Album haben, oder wir haben jetzt bestimmte Ideen, um wieder etwas zu machen. & dann trifft man sich eben. In München haben wir uns ein paar mal im Proberaum der Merricks getroffen, & da haben wir schon angefangen, das Zeug zusammenzubasteln. & das geht ohne weiteres. Man muss natürlich darauf bestehen, dass alle dabei sind, ansonsten hast Du diesen Bandmoment überhaupt nicht mehr. & das ist natürlich immer noch die Idee, auch in der Musik. Ansonsten kann man auch zuhause alleine am Computer sitzen & das Zeug zusammenbasteln, so aber entsteht die Musik immer noch gemeinschaftlich. WIE IST DAS MIT DEN PRIVATEN ZUSAMMENHÄNGEN? Privat sehen wir uns auch, aber nicht mehr so oft wie früher. Wir hängen nicht ständig miteinander ab, das war eigentlich nur während der ersten 1,2 Jahre so, als ich mit Ted zusammengewohnt hab. Danach war das schon immer so gezielt. Wir müssen uns unter Druck setzen, anders geht das nicht. Von alleine passiert gar nichts. Es gibt auch nie einen Überschuss an Stücken, wir können also auch nie auswählen. Es ist ganz knapp bemessen – mehr schaffen wir nicht. Mir persönlich geht das auch so, dass ich eigentlich auch nie mehr als 5 Texte oder so im Jahr schreib, die ich dann auch veröffentlichungswürdig finde. WAR DAS FRÜHER MAL ANDERS? Nee, eigentlich auch nicht. Bei Hans wunder ich mich auch, wie schnell der manchmal mit was kommt. In einer Nacht kam er zb. mit diesem französischem Stück, „on y va“, das hat er getextet. & ich find den Text sehr gut, das Stück funktioniert am besten, knallt am besten…da ist alles mögliche dran…jugendlich, hat so ne Einfachheit…ist schon gross. &, natürlich, wenn man sich trifft, da hat man schon was vorbereitet. Das war aber auch schon immer so. Ich kann mich zb. jetzt Heimstudiomässig besser vorbereiten. & dann fangen wir im Raum tatsächlich an zu improvisieren. Diesmal war die Idee: wir wollen kein freies Spiel, so wie teilweise bei der letzten Platte. Free Jazz ist zb. nicht so sehr vertreten. WIE WÜRDET IHR DIESEN STIL DENN DEFINIEREN? IST DAS ÜBERHAUPT EIN STIL? WAS IST DA FÜR EIN SCHRITT PASSIERT? Also, produktionsmässig ist es schon mal ne ganz andere Herangehensweise, diesmal den Sound also nicht Frei-Overhead aufzunehmen, alle spielen live zusammen, sondern was ganz neues, komprimiertes, noisegatiges…ja, also unsere Idee war Wave. Von Visage bis…härteres, was so bei DAF aufhört. Das waren so unsere Anleihen, und über diese Vergangenheit haben wir uns zb. unterhalten. Auch, was Soundhaftigkeiten angeht, & das dann in Bezug zu moderneren Sachen gesetzt, bei mir ist das zb. so elektro-minimal, vielleicht sogar bis zu Köln-Sound. DAS KOMMT AUF DER PLATTE ABER NICHT SO DURCH. Es gibt da so ein paar Sachen, wo das schon auffällig ist, da könnte man es erklären. „Einverstanden“ hat zb. wirklich diesen Wave-Sound, also etwas krachiger, dann gibts diese Robbespierres Coverversion (Der Wiederholer), da ganz sicher – das ist so ein komischer fester Elektro…es gibt da schon ein paar Stücke. MIR FÄLLT ZU DEM, WAS DU SAGST, EIGENTLICH VOR ALLEM „ICE BERTHOLT BRECHT“ EIN. Aber das ist schon eher wieder so punkig, oder? DAS FINDE ICH EHER NEW-WAVIG, DIESE ABGEHACKTE CLEANE GITARRE, MANISCH-AGGRESSIV ANGESCHLAGEN, LOGISCH UNVERZERRT. GANG-OF-FOUR-MÄSSIG. Schorsch (zögernd): Aber sind Gang-of-Four denn new-wavig? FIND ICH AUF JEDEN FALL, DIE ERSTEN PLATTEN HABEN FAST SCHON EINE PARADIGMATISCHE NEW-WAVE-ÄSTHETIK, DAS IST AUF JEDEN FALL KEIN PUNK FÜR MICH. Ted meinte auf jedenfall, das sollte wie „Abwärts“ sein. JA, DANN WÄR’S DAS JA. DENN ABWÄRTS WAR FÜR MICH NE MENGE, ABER DEFINITIV KEIN PUNK. Ich behaupte mal, dass man Anfang der 80er noch gar nicht so verzert gespielt hat, weil man’s nicht wusste. NÖ, SONDERN WEIL VERZERRT EBEN IMMER NACH ROCK KLINGT. HIER UNTERSTELL ICH NATÜRLICH HALTUNG FÜR DILETTANTISMUS. Wie auch immer, wir haben für einen anderen Sound eben auch Sampler benutzt, teils digitale, dann aber auch Bandloops, so richtig um den Besenstiel rum, wie früher. Beispiel „Ketten bilden“, da läuft so ein Loop. Das ist ein kompletter fertiger Mix, & dann kommt noch Gesang oben drauf. & bei Schlagzeugsachen haben wir noch einiges nachgespielt, was wir uns vorher überlegt haben. Wir haben zb. Enno teilweise die Hi-Hat weggenommen, dass er nur noch kick & snare spielen durfte, & auf der snare waren Plastiktüten drauf oder so, das ist schon sehr künstlich alles. Die letzte Platte sollte noch „echt“ gespielt sein, sollte noch ein richtiges Instrumentarium haben. KÖNNT IHR EUCH VORSTELLEN, DASS IHR DAS NOCH MEHR ZUSPITZT? NUR KICK & SNARE, DAS IST JA SCHON SEHR DRUMCOMPUTER-MÄSSIG. Wir haben das imitiert, ja, so wie eben DAF, die ja auch wie Drumcomputer klingen wollten. Aber die auch noch echt gespielt haben, also Maschinenmusik zu machen, ohne sich der Maschine zu unterwerfen. Und wir ersetzen ja die Menschen nicht. DAS IST EBEN DIE FRAGE, WENN MAN DAS KONSEQUENT ZUSPITZT, SITZEN VIELLEICHT NACHHER NUR NOCH 2 MENSCHEN AM COMPUTER. DER REST DER BAND KANN ÜBERTRIEBEN GESAGT „WEGRATIONALISIERT“ WERDEN. Das war bei zwei Stücken so, die wir in Hamburg aufgenommen haben, & in München sassen dann 3 Leute am Computer & haben das zusammengebaut. Die Sounds, die es dann gibt, die sind aber von allen, zb. ist unser Schlagzeuger gesampled. Es ist eine Produktionsform, ob Du ein Instrument ganz auf eine Bandspur ziehst, oder Du ein Teil aus ihm herausnimmst. Aber wir haben nicht versucht, Leute zu ersetzen. Deswegen kann ich’s mir nicht vorstellen, um deine Frage zu beantworten. Dann wäre der Kollektivcharakter verloren, dann könnte man auch gleich so arbeiten wie bei den Soloprojekten, wie Hans & ich das zb. tun. DIE SOLOPROJEKTE LAUFEN TEILWEISE SCHON GEFAHR, DASS SIE DIE BAND ZITRONEN ÜBERDECKEN. Ja, das stimmt. Aber es ist trotzdem so, dass wir für die Solosachen nur soviel Zeit in Anspruch nehmen, wie die Band erlaubt. Also kann da eigentlich nicht soviel passieren. Die Band ist schon das wichtigere, mindestens für Ted & mich. Also Thomas, der ja auch noch bei den „Sternen“ spielt, hat da eventuell sogar mehr Arbeit als bei uns. Ich, für meinen Teil, sehe mich bei meinen Solosachen auch immer als Repräsentant des Bandgefüges der Goldenen Zitronen. Das ist mir sehr wichtig, schon als Behauptung. & nach der letzten Platte haben wir eine Unkündbarkeit eingeführt, also Du kannst nicht mehr raus, wenn Du drin bist – Ah, da kommt Ted. Also, man kann nur neu dazukommen, aber nicht mehr verlassen. Keine Chance. Als unser letzter Herr dann ausstieg, haben wir gesagt: jetzt ist Schluss (Ted wird begrüsst). ZUM NEUEN LABEL VIELLEICHT EIN PAAR WORTE: ANSTATT SUB UP AUS MÜNCHEN JETZT COOKING VINYL AUS LONDON. WESHALB? Ted: Das kam eigentlich, weil wir keine Lust mehr hatten, nur in diesem Laufstall Deutschland aktiv zu sein. Wir machen das seit 14 Jahren, & jetzt hat sich die Möglichkeit gegeben, international zu releasen, „Cooking Vinyl“ hat 40 Vertriebe weltweit, so dass man „bekommbar“ ist, zudem besteht die Möglichkeit, mit Bands des Labels in verschiedenen Gegenden zu touren. Wir sind nicht unzufrieden gewesen mit Sub Up, aber so hat man zum ersten Mal zumindest die Chance, international präsent zu sein. HABT IHR DENN SCHON MAL IN ENGLAND ODER DEN USA GESPIELT? Wir haben in USA gespielt, weil Big Cat USA die ‚Punkrock‘ releast hat, 5 Jahre später, wir wissen bis heute nicht, wieviel sie davon verkauft haben – Schorsch: Ich hab mal 2000 Stück gehört – Ted: – wir haben auf jedenfall in New York gespielt, & in Chicago in Zusammenhang mit anderen Hamburger Bands. Die Erfahrung in NY war auf jedenfall extrem angenehm, es gab auch recht viel Interesse, im East Village kamen ca. 150 Leute, & das war schon gut. Dann haben wir noch Touren gemacht im Baskenland & in der ehemaligen Tschecheslowakei, Roskilde waren wir mal, in Jugoslawien in einem Fussballstadion (lacht), Holland…das war’s ungefähr international bislang. DIE OBLIGATORISCHE FRAGE ZUM TITEL DER PLATTE: „DEAD SCHOOL HAMBURG“? Ich hab schon gemerkt, dass der gar nicht so gut ankommt oder blöd gefunden wird, oder überflüssig – Schorsch: Aber auch überfällig – Ted: Die Absicht ist eigentlich: periodisch ist es längst an der Zeit, dass der grosse Angriff geblasen wird, nach einer Periode der Bewunderung & des Hochhebens kommt immer das Herunterdrücken, von soetweas wie Schulen – & DANN MACHT IHR ES LIEBER SELBER? Genau. Es geht eigentlich darum, den Inhalt zu schützen. Uns & all den anderen Bands, für die ich jetzt mal mitspreche, war es nie um diesen Titel gelegen. Jede Band hatte klar eigene Wege & Ausdrucksformen, das einzig gleiche war jedoch der Kontext, in dem es passierte, das korrespondierte. Mir ist nach wie vor sehr daran gelegen, was ‚Hamburger Schule‘ heisst, ich seh da auch keine Krisenerscheinungen. Unabhängig von popmodischen Kriterien, weil mich diese schon lange nicht mehr interessieren. Was mir an dem Begriff jedoch missfällt, ist das Wort ‚Schule‘, denn ich konnte Schule noch nie leiden, persönlich, & auch als System nicht. ‚Give me a Vollzeitarbeit‘ heisst dann auch, dass man das endlich relevant so halten will, also aus dem Image & den Assoziationen mit einem modischen Titel heraustreten will, zu einem realen Intervenieren, oder was auch immer. So ist das gemeint. Vielleicht ist das blöd, das so regionalistisch zu halten. Klingt auch wie ‚Dead Heads‘ oder so, wie die Rückseite einer Rockerjacke – Schorsch: Toller Bezug! – JA, ROCKER, DIE VOLLZEITARBEIT WOLLEN (Gelächter). Ted: ‚Vollzeitarbeit‘ auch deswegen, damit man den anderen nicht was vorstöhnt oder sich distanziert von all dem. DU SIEHST DAS EIN BISSCHEN ANDERS, SCHORSCH? Schorsch: Ich mein, mit dem Begriff können wir schon sehr leichtfertig umgehen, weil er eben nicht von uns kommt, da geb ich Ted insofern recht, dass das ein Popbegriff ist, der so dasteht & den man handelt, solang er das wert ist, & danach kann man ihn wegwerfen. Da kann man schon sagen: Ok, wir schmeissen den jetzt selber weg, seht zu, was ihr davon habt. Ansonsten muss ich widersprechen, da das auch schon wieder ein Popvorgang ist. & ich bin selber sehr in Tune mit Popvorgängen, & tatsächlich geht dieser Titel meiner Meinung auch damit um. Ansonsten finde ich, dass wir nicht mehr oder weniger in den Zusammenhängen drin sind als vorher, wobei ich so ein bisschen intern kritisiere, dass der Austausch oder der sogenannte Diskurs meiner Meinung recht schwach ist, so, wie man sich das vorstellt…. IST ES NICHT? Weiss ich nicht, also ein wirkliches Hin- & Herschieben von Meinung & miteinander Umgehen & sich beziehen & so, ist es eher nicht. Es ist in erster Linie Freundschaft mit anderen Bands, untereinander. Ted: Klar, das sind private Bezüge. Zum Beispiel Jochen (Distelmeyer) hat bei der letzten Robbespierres Platte die Reihenfolge der Stücke gemacht, weil wir da nicht so weiterkamen. Schorsch: Klar, das ist wichtig, & sowas funktioniert ja auch. Ted: ‚Hamburger Schule‘ ist ja auch kein nur regionaler Begriff dafür, das geht ja auch darüberhinaus, Lassie Singers gehören genauso dazu, wenn man Egoexpress noch dazuzählt, mindestens genauso wie FSK. ES GIBT DIE ÜBLICHEN INZUCHTVORWÜRFE, WIE AUCH HIER IN KÖLN. Schorsch: Finde ich langweilig. Wenn wir schlau sind, halten wir ja selber unsere Augen offen, um sozusagen ‚modern‘ zu bleiben. Es gibt ja in Hamburg zzt. dieses HipHop-Ding, am populärsten sind eben 5 Sterne de Luxe & Fischmob & so, auch mit denen haben wir jetzt erstmal zu tun. Was da so inhaltlich läuft, da weiss ich noch nicht so genau. HAB ICH AUCH GROSSE PROBLEME MIT. Schorsch: Ja, mittlerweile auch eher als vorher, aber erstmal ist eine absolute Offenheit da, ganz klar, das kann auch nie schaden. Ted: Das Problem wäre ja eher, wenn man so gönnerhaft Sonic Youth-mässig draufkommt. SO ALS DER NETTE MENTOR VON NEBENAN? Ja, andererseits hat man relativ wenig Einfluss auf die Aussensicht von so einer Szene. Durch den direkten Kontakt zu den anderen aber bleibt der Mythos wenigstens klein, so dass das nicht als eine ganz dubiose Szene von lauter kleinen Genies oder Schlaubergern erscheint. Wenn aber zb. Schorsch mit Jochen am Pudels-Thresen steht, können sie natürlich nicht beeinflussen, was irgend ein Typ, der meinetwegen frisch aus Freiburg nach Hamburg gezogen ist, sich zusammenreimt. Ich kenn das von mir selber, ich mein, wir sind ja alle mehr oder weniger Landeier. Meine Lieblingsband war früher Abwärts, & natürlich hab ich damals ein Riesenbild gehabt von Mufti & Frank Z, sowas relativiert sich dann aber sehr schnell. THEMAWECHSEL: ALS ICH GESTERN JEMAND VON EUCH ERZÄHLTE, SAGTE DER: „ZITRONEN? DIE WERDEN JA IMMER MEHR ARTSY!“ (Gelächter). Ted: Ich weiss nicht, was man dazu sagen soll. Das geht mir auch schon am Arsch vorbei. Heisst ja, dass man nicht macht, was von einem erwartet wird – zb. einigermassen gute Punkstücke schreiben, oder direkt sein, oder was auch immer. Aber gerade, wenn man noch als Band arbeitet, mit „echten“ Instrumenten, ist es einfach verdammt langweilig, in der alten Kontinuität zu stehen. Deswegen spielt auf dieser Platte auch jeder alles, weil festgenagelt oder zurückgeworfensein auf sein Instrument zu sein einfach langweilt. ER BEZOG DIESE KRITIK AUCH MEHR AUF DIE SOLOPLATTE VON SCHORSCH, DIE JA TEILWEISE SEHR „KÜNSTLERISCH“ WAR. Ja, das fand ich auch, und würde es als Kritik auch teilweise unterschreiben. Schorsch: Ich mein, artsy, was ist daran denn ein Vorwurf?! Ted: Artsy-fartsy, heisst es ja auch (Lachen). Schorsch: Die Frage ist natürlich: wie definiert sich Art? Anscheinend ist dann Kunst oder der ganze Zusammenhang mit Langeweile verbunden, & hm,…das sehe ich eigentlich eventuell auch so. ICH BEZIEHE MICH JETZT LOGISCH AUCH AUF DEN KLASSIKER „KUNST & / VS. POLITIK“-DEBATTE, DER JA DURCH DIE NEUE BEUTE AUCH NOCH MAL AUFGEGRIFFEN WURDE. Ted: Wir sind gar nicht so theoretisch, wir gehen gar nicht theoretisch an Dinge heran, also grundsätzlich nicht. Wir gehen an Politik heran wie an Politik, & nicht wie an Kunst, also, das interessiert mich nicht so richtig. Das konnte man an der Geschichte der Wohlfahrtsausschüsse ja so schön sehen: es funktioniert eben doch nicht so einfach, aus Politik eine Mode zu machen. & deswegen finde ich es schon interessant, da doch eine gewisse Ernsthaftigkeit mit dem Inhalt an den Tag zu legen, der vielleicht die nächsten zehn Minuten überleben kann. Deswegen führen wir diese Debatten intern nicht. Wir haben sowas immer schon mehr praktisch diskutiert, also sagen wir mal ‚unkölnerisch‘. Das war auch oftmals der gegenseitige Vorwurf an Köln oder von Köln, also der jeweils zu aktionistische oder zu wenig aktionistische Umgang damit. Das liegt vielleicht auch an unserer Tradition, wir kommen ja aus einem Kontext von Szene, Volksküche, Hafenstrasse usw., wir sind politisiert durch einen Aktionismus, oder durch ein reales Empfinden von Zugehörigkeit zu einer Szene oder einer politischen Gruppe, die sich so äussert. & das ist bei vielen etwas anderes, zb. bei Blumfeld oder Cpt. Kirk &, die haben eine andere Erfahrung, wir sind da auch schon ein bisschen älter. WIE WÜRDEST DU DENN BEI DENEN DEN POLITISCHEN SOZIALISATIONSFAKTOR BESCHREIBEN? Es war dort nicht so automatisch, so selbstverständlich, eine kollektive Praxis zu gestalten. Wir haben mit diesen Bands schon am Anfang immer diskutiert, was für ein theoretisches Bild von Kollektiv sie haben. Was sich natürlich logisch erklärt mit der Zeit, weil sie oft keine Erfahrung damit haben. Für uns war das Kollektiv da, bevor wir es überhaupt definiert hatten, also durch sowas wie Punk, als Idee, der man sich zugehörig fühlte. Als ich Anfang 20 war, in einem Kaff, hab ich mich einer Idee zugehörig gefühlt, die vielleicht irgendwann mal in Berlin passiert ist, aber ich war dabei, & das war bei dieser Nachfolgegeneration, die ja mehr so ein Smith-Pop-Verständnis hatte, etwas anderes, & das schlägt sich auch entsprechend in den Texten nieder. Wir hatten mehr so den praktischen Punk-Standpunkt, von unserer Ausgangslage zu argumentieren. ICH FINDE DAS AUF DER NEUEN PLATTE AUCH CLEVER AUSGEDRÜCKT ODER WEITERENTWICKELT, CLEVER IST DAS FALSCHE WORT, ZUFRIEDENSTELLEND, DAS IST AUCH DAS FALSCHE WORT (Gelächter), JETZT NICHT MIT POPULÄR WIRKENDER POLITISCHER PAROLENHAFTIGKEIT WIE ZB. „STELLA“ AUFZUWARTEN. Die haben zb. das Problem, das da eine auffällige Diskrepanz zwischen Behauptung & Handlungsebene besteht, aber das ist ja nicht ihre Schuld, weil Elena erst 20 ist & nicht so alt wie wir alte Säcke. SCHORSCH, DU WARST JA MIT DEINER BAND AUF DEM PRÄSENTATIONSABEND DER NEUEN „BEUTE“ IN BERLIN, WAS WAREN DEINE EINDRÜCKE? ICH HABE NUR DAVON GEHÖRT. Was denn? OK: ES WAR ALSO ERSTMAL EIN SEHR SCHICKER ABEND, MAN HAT SICH FESCH GEZEIGT, DANN WURDE EINE KLEINE DISKUSSION GESTARTET, ES WURDE AUF DIE „JUNGLEWORLD“ ABGEMOSHT? Schorsch (lacht): Das stimmt so nicht, eher umgekehrt, die „Jungleworld“ hat in etwa geschrieben ‚Wir wollten eigentlich nur Tanzen gehen, dann geht man dahin & dann reden Typen, die nicht reden können, & danach spielte ne Punkband‘ – das waren wohl wir – Ted: Das wurd auch ziemlich lustig geschrieben in der „Jungleworld“ – Schorsch: Ja, ich fand’s auch super, das so zu bringen, wenn man eh schon so eine Wadenbeisserei laufen hat, wie es bei den Parteien ist, war das genau richtig. & ansonsten: Ich fand, dass die „Beute“, wie sie sich präsentiert hat, nicht so richtig an irgendeinem Thema dran war, die fühlten sich natürlich in so einer Position: wir haben die neue Beute, neue Folge, wir stellen das mal vor, aber wir haben kein echtes Thema, an dem wir uns zzt. abarbeiten, ausser dann eben Kunst & Politik, worauf sich dann ja auch mehr so in eine Kunstrichtung geöffnet werden soll, oder auch Pop mehr zuzulassen. Was ja nicht unbedingt verkehrt ist, wenn man in andere Kreise eindringen will, wenn man meint, dass da so ein Stoff hingehört. & dann war’s aber so, dass da eine Diskussion losging, die war Wahsinn teilweise: Wer hat jetzt den richtigen Faschismusbegriff und wo sind die Faschisten, sind sie in Bonn, sind sie auf der Strasse, darüber hat man sich erstmal gestritten, ich hab recht, nein ich hab recht, & das führte wirklich zu gar nichts. Also, das war nicht fruchtbar. Aber wenn Du sagst „schick“, das fand ich nicht verkehrt, der Ort war schön, es war nicht zu teuer. Man wollte Party an diesem Abend & hat bestimmte Dinge einfach nicht ausgeklammert, & das ist auch gut gelaufen, finde ich. DAS HABE ICH AUCH GEHÖRT, ABER DIE THEORETISCHE AUSSEINANDERSETZUNG SOLL ZIEMLICH MAU GEWESEN SEIN. Die Form ist eh schwierig, sich also so podiumsmässig da vorne hinzusetzen, ohne einen echten richtigen Anlass, ausser ‚Wir stellen ein Produkt vor‘ – also, das kann so nicht gehen. Ted: Also, mir geht das schon seit Jahren so, dass ich bei Podiumsdiskussionen das komische Gefühl habe, es läuft hier gar nichts. Dabei wäre soviel nötig, aber das Problem ist, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll. Schorsch: Es ist ja auch nicht verkehrt, aber die Leute nehmen das so hin, sie haben nicht das Gefühl ‚Hier brennt irgendwas‘ & sie müssen jetzt über das Feuer reden. & von daher degeneriert sowas auch zu so einem Pop-Ding: wir haben da ein Format, & das stellen wir jetzt vor. Funktionieren tut das nicht wirklich. Man hat nicht das Gefühl, hier ist etwas nötig, weil hier eine Veränderung hermuss. ICH BIN AUCH SEHR SKEPTISCH GEGENÜBER DIESER FORM VON POLITISCHER KULTUR, AUCH IM BEZUG AUF EINIGE TEXTE, DIE ICH IN DER NEUEN BEUTE GELESEN HABE. Ted: Ich habe ziemliche Schwierigkeiten mit einigen Texten, da gibt es manchmal sehr abgehobene Urteile, die vom Schreibtisch abgeschossen werden, so aus der Hüfte. Was mich nervt, ist diese Schreibtischkultur, weil Diskussionen finden dann nicht mehr von Angesicht zu Angesicht statt, sondern geschehen letztendlich nur noch von Schreibtischen aus. Man bombardiert den anderen aus dieser Position, weil man da auch mutiger ist, weniger kontrolliert. Das gilt generell für viele Journalisten, die einen kritischen Anspruch haben, die stehn bis zu den Knien in den Schützengräben, kämpfen & versacken da. & dadurch verliert sich dieses Solidarische. In diese Paranoia oder Vornwarnstellung ist auch die Beute ein bisschen gefallen. Man wittert Intrigen, wo vielleicht auch welche sind, aber reagiert dann auch unangemessen uncool darauf.

(Seven)

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