FEEL THE FLOW –
DIE MUSIKALISCHEN WEGE DES THOMAS FEHLMANN
Da fiel ein Ton wie ein winziger spitzer Regentropfen ins Ohr des Halbschläfers und weckte ihn. Es war der erste von Vielen, die noch folgen sollten. Und die graumetallzugeschweisste Wolkendecke über der Stadt riss seltsamerweise für einen kurzen, aber bedeutsamen Moment auf, und man konnte aus der Bauchhöhe die Anderen erkennen. Es war nur ein Eindruck, aber ein richtiger.
Ist Thomas Fehlmann ein Impressario? Er war und ist auf jedenfall stets mit sehr vielen Menschen verbunden, die elektronische Musikgeschichte geschrieben haben. Einer, der elektronische Musik in Club- , Experimental- und Ambientstilen von Anfang an verfolgt und mitgestaltet hat. Und hat das alles etwas mit Jazz zu tun? Ja, sehr, und mit mehr. Es geht in eine selbstverständliche Zukunft der elektronischen Musik hinein, oszillierend zwischen stetigen Momenten von Aufbruch und Gewöhnung, auch jetzt, in diesem Moment, wo dies hier steht. Thomas Fehlmann klassisch: Geboren 1957 in Zürich und lebte da die ersten 18 Jahre seines Lebens lang, besuchte eine „komische private Kunstschule“, deren Eigenart war: sie war eigentlich eine Klasse der staatlichen Kunstschule und wurde insklusive Lehrer alsbald komplett gefeuert, etablierte sich aber als genossenschaftsähnliche Privatschule. Aber das reichte nicht: 2 Jahre später haute Fehlmann nach Hamburg ab, studierte dort an der Akademie 10 Semester, und fing ab den letzten zweien an, Musikgeschichte zu schreiben. Kennt jemand Palais Schaumburg? „Wir haben in der Kunsthochschule eigentlich die erste Platte gemacht, ‚Das ist Schönheit‘. Sie ging auf die Initiative von Konrad Schnitzler zurück, damals ‚Cluster‘-Mitglied, der wurde als Gastdozent an die HdK geholt, hat dann für 2 Wochen mit Instrumenten und Tapemaschinen Quartier bezogen und die Studenten mehr oder weniger angeregt, sich anders zu äussern. Das habe ich dann übernommen, als er wegging, und es wurden Experimente gemacht…“. Fehlmann war mit Albert Oehlen, Werner Büttner und der ganzen Bande in der Klasse von Sigmar Polke und hatte seine Freude. Auf Anregung von Robert Fripp, der damals Hamburg als Stützpunkt nutzte, um seine ‚Frippertronics‘ vorzustellen, und den er kennenlernte, kaufte er sich einen Synthesizer und fing an, mit Holger Hiller zu experimentieren. Hiller, erster Sänger der späteren ‚Schaumburg‘, war damals noch gar kein Student, erst später, und dann sehr kurz: nach einem halben Jahr wurde er exmatriukuliert, weil er sich nie blicken liess. Wahrscheinlich hatte er besseres zu tun: die erste Single der bis heute unerreichten Avant-Popband hiess ‚Rote Lichter‘, erschien 1980, natürlich bei Alfred Hilsbergs ‚Zick Zack‘-Label, 1000er Auflage, handgemaltes Cover des Malers, Dichters und späteren ‚Schaumburg‘-Sängers Walther Thielsch. Eine bunte Bande damals, keine Frage. Andreas Dorau wurde später auch noch HdK-Student, Oehlen, mit dem sich vor allem Hiller gut verstand, sollte sogar Saxophonist der Band werden, deren Name übrigens tatsächlich von Diedrich Diedrichsen stammt: Überbleibsel einer gezielten Auflistung möglicher Namen während einer langen Nacht in der ‚Marktstube‘. Das sind Geschichten. Wie konnte diese Band so aufregened neu klingen damals? Die Idee und das Konzept der Gruppe definiert Fehlmann heute vor allem in dem, was man sich verboten hat: Riffs zu spielen, die an anderes erinnern, oder bestimmte Melodielinien. Dieses ‚Konzept ex-negativo‘ führte innerhalb der Band mitunter zu sehr schmerzhaften avantgardetypischen Prozessen: wenn dieser Part derart ‚gut‘ klang, aber an dies oder das erinnerte, musste er amputiert werden. „Wir hatten immer eine sehr starke Kulturkritik in der Band, und nur sehr sehr wenige Gruppen in Deutschland wurden damals von uns als adäquant anerkannt. Dazu gehörten ‚Malaria‘ und die ‚Neubauten‘ in Berlin und ‚Kraftwerk‘ und ‚Der Plan‘ in Düsseldorf, vielleicht noch ‚DAF‘, aber auch mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen.“ Altlasten abwerfen war überaus wichtig zu dieser Zeit, und sich nicht gross mit der Sosse zu vermengen, die als ‚Neue Deutsche Welle‘ – der Begriff stammt ursprünglich von Alfred Hilsberg – allmählich einen grauenerregend-schleimigen Medienoverkill erfuhr. Die Entwicklung von Techno und elektronischer Musik ab 1990 lässt sich eine Dekade später diesbezüglich paradigmatisch vergleichen. Die Originalität und der Impact von ‚Palais Schaumburg‘ kommt nicht zuletzt auch von den Texten und dem Gesang Holger Hillers her. „Es war eine dadaistische Cut-up Methode. Holger brachte von Schönberg zu Cage alles zusammen und liess wenig Kritik von aussen zu.“ Warum ging er schliesslich? „Er hat sich verabschiedet unter dem Eindruck, dass wir jetzt zu kommerziell würden. Er bekam die ’negativen Seiten des Demokratieverständnisses‘ zu spüren. So hat sich das entzweit – zu unserem Unglück -, und bis jetzt noch nicht richtig geflickt. Was ich sehr bedauere.“ Hiller ging Anfang 82. Es folgte eine Platte ohne sein Charisma, ‚Lupa‘, die Fehlmann heute nicht mehr so sympathisch ist. ‚Lupa‘ ist ein Versuch, den neuen Weg weiterzugehen, aber in gesicherteren Positionen. Das ist hörbar. Es gab neue Leute: Walther Thielsch stieg endgültig fest ein, dazu kam ein junger Schlagzeuger namens Moritz von Oswald, der später im Berlin der 90er anfing, auf dem eigenen Label ‚Basic Channel‘ die Essenz von Dub und Techno zu fusionieren und unter dem Namen ‚Maurizio‘ eine jetztzeitige Produzentenlegende ist. „Damals war er Schüler und hat unsere Konzerte besucht. Er machte sein Abitur und stieg bei uns ein. Seitdem haben wir alle einen mehr oder weniger engen Kontakt miteinander.“ Mit ‚Palais Schaumburg‘ war 1984 Schluss. Die 83er Maxi ‚Hockey‘ legt Zeugnis von einem Endpunkt ab: was vormals wild und knatternd klang, war jetzt ziemlich slick und geglättet. Die Flipside hiess übrigens ‚Stan Kenton‘. Es war die Zeit des sogenannten nach-82er-Pops, als in England Bands wie Heaven 17, ABC, Human League, Spandau Ballet, Soft Cell und Scritti Politti Popvarianten veröffentlicht hatten, deren ’subversive‘ Durchschlagskraft auf viele Konzeptionalisten und Avantgardisten überaus faszinierend wirkte. In Hamburg wie auch anderswo wurden viele musikalische Stränge strategisch neu verlegt. Das Ende von ‚Palais Schaumburg‘ aber markiert auch das Ende von Thomas Fehlmanns Hamburger Zeit. Gareth Jones, der Produzent der letzten ‚Schaumburg‘-Platte ‚Parlez-vous Schaumburg‘, damals u.a. mit aufsehenerregenden Klangproduktionen für die ‚Einstürzenden Neubauten‘ und ‚Depeche Mode‘ tätig, überzeugte ihn, dass Berlin ein gutes Pflaster für avantgardistische Popmusik sei. Und genau dorthin zog er.
Musikalisch war Fehlmann von Robert Fripp ziemlich auf den Weg geschickt worden, in diesem Zusammenhang natürlich auch von Eno, den er übrigens, ein running Gag schon, bis heute nicht persönlich kennengelernt hat. Dafür andere: Arto Lindsay und James Chance, der ihn bei einem Konzert netterweise mit einem Mikroständer attackierte – „es war eines seiner Showelemente, ich war halt der Ausgeguckte.“ Jazz war schon damals für Fehlmann ungemein wichtig, ihn interessierten von Anfang an stets Elemente, die nicht so richtig zu seinem Umkreis passten, der Anfang der 80er die Pole zwischen einem vertretbaren Begriff von Pop und einem unprätentiösem Avantgardismus oszillieren liess. Jazz beschäftigte Fehlmann halt schon mit 14, als er Miles‘ Elektrophase in Montreaux erlebte, eine späte Frucht dessen war die ‚West Musik‘, 1980 auf ‚Zick Zack‘ erschienen, auf der er zum ersten Mal jazzmässig Farbe bekennt. Eingespielt wurde sie mit Saxophonist Peter Gordon, den er über David Cunningham, den Produzenten des ersten ‚Schaumburg‘-Albums, in New York kennengelernt hatte. „Ich war in New York, und David sagte ‚Geh einfach vorbei‘, und das tat ich. Dann war Peter auf Tournee hier, und wir haben 2 Tage im Studio gearbeitet.“ 84 in Berlin hingegen folgte Fehlmann zunächst einer anderen Fährte: Experimentaldisko – denn das Wort ‚House‘ gab es noch nicht. „Man frickelte mit simplen Instrumentarien herum, um den Track vorzubereiten – im grossen Studio machen wir es dann später richtig, war die Devise – dieses Ammenmärchen ist mittlerweile grösstenteils gestrichen.“ Fehlmann kam mit Mute-Gründer Daniel Miller zusammen, der ihn wiederrum mit dem ‚Rythm King‘-Labelmacher Martin Heath zusammenbrachte. Und hier hörte er zum ersten Mal House, jene neue Musik aus Chicago, die ihm, dem experimentellen Soundtüftler, denselben Kick versetzte wie einst der UK-Pop von 1982. Es folgten dann die sogenannten ‚Readymade‘-Projekte, Pop-orientierte experimentelle Danceflooracts, die zwar gut liefen, aber nicht so gut wie eben ‚Bomb the Bass‘ und ‚S-Express‘ damals. Über die Jahre merkte Fehlmann relativ schmerzhaft, dass man seinen eigenen Rythmus und sein Selbstverständnis finden muss, gerade auch innerhalb dieser Szene. Mittlerweile hatte er die Seite des Schreibtisches gewechselt, entdeckte und betreute diverse durchaus erfolgreiche Acts, produzierte weiterhin viel – u.a. ‚Erasure‘ und ‚Associate‘ Billy Mackenzie -, bis er merkte: „Es läuft zwar, aber die Suche nach dem eigenen Rythmus ist wichtiger“ – und wieder wurde selber produziert. Es folgten die für hiesigen Techno bedeutsamen ‚Teutonic Beats‘-Projekte, es kamen Compilations im Majorrahmen, wo schnell klar wurde, dass dort Verständnis und Innovation auf der Strecke blieben. Ein englischer A&R namens Alex Patterson jedoch lizensierte einen ‚Fishermans Friend‘-Track für England und brachte damit einen ganz anderen Stein ins Rollen: durch die direkte Förderung entstand ‚Sun Electric‘, das Projekt von Tom Thiel und Max Loderbauer, bei dem Fehlmann bis heute assoziiertes Mitglied in beratender Funktion ist. Fehlmann bekam zunehmend Verständnis, wie man mit einer innovativen experimentellen Clubproduktion umgehen musste, und er gewann Gelassenheit und Vertrauen, zwei unschätzbar wichtige Faktoren, wenn man eigenwillige musikalische Visionen nicht nur umsetzen, sondern auch noch unters Volk bringen will. Er entdeckte ab dort ein neues Level für sich selbst, das im Grunde von 89 bis heute reicht: er wusste nun, wie man etwas selber machen musste. Aufmerksamer Zuschauer- und -hörer bleiben ist unabdingbar. Zum Beispiel bei Dr. Alex Patterson. 1989 fing der ‚The Orb‘-Gründer an, DJ-Soundexperimente zu machen. Das ‚Land of Oz‘ war seine Plattform dafür, der Clubmontag, den ihm DJ-Legende Paul Oakenfold im Londoner ‚Heaven‘-Club gab. „Alex fing mit seiner Devise ‚Weglassen!‘ an: Wir machen DJ-Sets ohne Beats – und ab da hat sich dann etwas entwickelt.“ Es war das, was in den folgenden Jahren, in Anlehnung oder Abarbeitung an Enos Konzept und diverse ‚Cluster‘ / ‚Harmonia‘ – Produktionen, ‚Ambient‘ genannt werden sollte. Fehlmann, zu dieser Zeit in London lebend, war Zeuge dieser Klangentwicklung. Der Gedanke, mit Patterson zusammenzuarbeiten, wurde bald selbstverständlich, auf der ersten ‚Orb‘-Platte machte er ein Stück, auf der zweiten zwei, auf der dritten, der Liveplatte, spielte er dann komplett mit. Es folgte die ‚Orb‘-Kollaborationsplatte mit Robert Fripp, ‚FastForWarD‘, und Fehlmann war als Mitglied integriert, wurde als ‚floating member‘ geführt. Die Clubabende im ‚Heaven‘ beschreibt Fehlmann als eine sehr schöne Entwicklung des Ambientbegriffes. „Es war natürlich sehr von den weichen, soften Teppichdrogen durchtränkt. Es gab auch Keyboards für Livespiel, damals noch ungewöhnlich. Nichts wurde vorher geprobt. Alex hat diese BBC-Soundeffect-Serie gehabt, Monoplatten aus ihrem Soundarchiv, und die mischte er unter. So kam es, dass aus einem Eno-Track auf einmal ein Flugzeug abhob, oder sich in einem Steve Hillage-Stück ein komplettes Freibad tummelte. Meistens gab es mehr als zwei Plattenspieler, und dazu kleine portable Fernseher – es ist etwas passiert.“ Zu dieser Zeit waren Raves klar der bestimmende Moment der elektronischen Szene, und als Fehlmann / Patterson morgens nach dem ‚Rave-Spotting‘ nach Hause kamen und noch keinerlei Lust zum Schlafen verspürten, überlegten sie, was für Musik jetzt spielbar sei. Chilliges, aber auch avantgardistisches, auf alle Fälle vorwärtsgerichtete Musik. Was für Klänge aber waren das, entdeckte man damals bereits die 5 Jahre später so angesagte und zur Erneuerung von technoiden Musiken notwendige Elektroakustik oder gar Musique Concrete? „Letzteres war gar nicht so leicht zu kriegen, dafür aber Terry Riley, La Monte Young, Reich und Glass – die ganzen Nummern halt. Ich fand das immer besser als Alex. Er fand zwar auch zb. ‚Penguin Cafe Orchestra‘ gut, aber seine Vorlieben waren immer etwas leicht poppig, teilweise war es mir sogar zu kitschig, wie die Steve Hillage-Sachen. Der kam dann aber mal in den Club, und es hat sich dann eine Zusammenarbeit ergeben zwischen den beiden, und Steve war auch auf den ‚Orb‘-Platten.“ Jetzt innehalten. Die Zeit bedenken: 1989. Acid over. Detroit war wirklich nur ein relativ dunkler Fleck auf der Landkarte ‚for those who know‘. „Trotz all der Aktivitäten um ‚The Orb‘ habe ich gemerkt, dass ich in London meine Wurzeln vermisse. Und habe entschieden: OK – Berlin bleibt. Und bin wieder dagewesen.“
Anfang der 90er dann ging es in Berlin mit Techno richtig los. Ein wichtiger Punkt, so Fehlmann, war eben die Maueröffnung, es taten sich die für die neue Kultur so wichtigen adäquaten Locations auf. Vorher traf man sich im alten UFO-Club, wo noch ziemlich unbekannte DJs wie Motte, Jonzon und Westbam das Vinyl legten. Fehlmann, involviert in all das, nahm auf alle Fälle immer mehr Abstand zu der Business-Seite von Musik, es ging ihm dann doch letztlich mehr um das Machen. Die eigenen Stücke entstanden bereits in dieser Zeit, erst sporadisch, dann konzentrierter. Er zog mit Moritz von Oswald das 3MB-Projekt auf und man intensivierte die Achse Berlin-Detroit, was sich in Zusammenarbeiten mit Juan Atkins, Eddie ‚Flashin‘ Fowlkes und Blake Baxter ausdrückte – wie der legendären „Jazz is the teacher“. Zudem wurde Fehlmann, mit Ex-‚Malaria‘ Gudrun Gut, Initiator und Messenger des ‚Ocean Club‘, einem Gesamtkonzept aus Club ohne festem Ort, einer fliessenden Fusion aus Clubnacht, Livemusik- und Lichtperformance und nicht zuletzt Radio Show, in der er ab 1997 selber auflegt. Bedingt durch die Radioarbeit kam der Anreiz, die eigenen Stücke endlich einmal zu sammeln, einige von 8 auf 3-4 Minuten herunterzukürzen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die aktuelle Sammlung „Good fridge – Flowing: ninezeronineight“ legt Zeugnis davon ab. Fehlmann begibt sich in seiner Musik auf unterschiedliche Abstraktionslevel, die ihm alle gleich wichtig sind: sowohl leichte und verspielte Stücke mit einem starken Hang zu Harmonien und jenem berühmten ‚flow‘, als auch etwas härtere und abstraktere Strukturen, die aber klar in der Unterzahl sind. Vielleicht ist Juan Atkins ‚Model 500‘-Arbeit wirklich der adäquate musikalische Vergleichsrahmen für die aktuelle Musik Fehlmanns. Nicht gar so ausgetüftelt, aber nimmt man den altehrwürdigen ‚Detroit-Originator‘-Bonus nicht so ernst, ein tatsächlich angemessener Vergleich. Hier wie dort gibt es diese jazzbeeinflussten leichten, filigranen und bewegten Strukturen. Fehlmann hat viel gelernt von Simplizität, und dass es nicht auf die Quantität des Equipments ankommt. Es ging immer um Lernen, um ein Erfahren von Verständnis vor Ort. Es ging immer darum, Leute nicht anzuhimmeln, sondern mit ihnen zu reden, sie zu verstehen und an der Musik weiterzuarbeiten. Das war die Essenz des Techno der frühen 90er Jahre, & das war das, was man von da mitgenommen hat.
Der Schläfer schläft. Dann wacht er auf und träumt weiter.
(Jazzthetik)