DASS ES GRÖSSER KLINGT ALS ES TATSÄCHLICH IST
Lars Horntveth hat sich in musikalischer Vergangenheit vor allem als Mastermind des 10köpfigen norwegischen Ensembles Jaga Jazzist profiliert. Die „vom Jazz gejagten“ waren durch ihren eklektizistischen Mix aus Freistil-Elektronika und Jazz-Hop-Idiomen nicht nur einem Fachpublikum, sondern auch dem britischen Ninja Tune Label aufgefallen, die folgerichtig letztes Jahr das Album „The Stix“ veröffentlichten. Horntveth ist nun mit seinem Solo-Debut „Pooka“ zum Osloer Label „Smalltown Supersound“ zurückgekehrt, das vor geraumer Zeit das Debut von „Jaga Jazzist“ veröffentlichte.
„Pooka“ besticht in acht Stücken durch eine bisweilen nostalgisch anmutende orchestrale Produktion, hauptsächlich geprägt durch ein von Horntveth arrangiertes und dirigiertes Streich-Oktett aus Mitgliedern des philharmonischen Ensembles Bergen. Den Double-Bass zupft Jaga-Mitstreiter Mathias Eick, ansonsten sind sämtliche Instrumente, und das sind nicht wenige, vom 23jährigen Wunderkind selbst eingespielt. „Pooka“ ist ambitioniert, wirkt aber zugleich äußerst entspannt, leicht und im besten Sinne unterhaltsam. Durch den gezielten Einsatz von Pizzicati, in die Horntveth regelrecht verliebt ist, wird eine Dynamik erzielt, die an klassische Musicalproduktionen erinnert. Die Elektronik, nach der zweitägigen Studioaufnahme in Bergen von Horntveth postproduziert, gibt zwar lebendige Impulse, wird aber grundsätzlich als Beiwerk zum Arrangement verstanden.
Die konkrete Geschichte von „Pooka“ fing im Mai 2003 an. „Smalltown“-Macher Joakim Haugland fragte Horntveth nach einem Soloalbum, und gleichzeitig klopfte das Osloer „Ultima Festival“, eines der ambitioniertesten Festivals Norwegens für zeitgenössische neue Musik, an und fragte nach einer Komposition. Horntveth hatte sich zu dieser Zeit, neben „Jaga“ natürlich, bereits als überaus talentierter Instrumentalarrangeur für norwegische Rockbands wie Motorpsycho oder Turbonegro einen Namen gemacht. So startete das Projekt grundsätzlich, aber Horntveth hatte zu der Zeit noch viele andere Dinge am laufen und fing nicht vor September an, Musik zu schreiben. Da das „Ultima“-Konzert im Oktober war, schrieb er die Musik, mit Ausnahme einiger Skizzen, innerhalb von sechs Wochen. „Das Straffe der Produktion war auch Teil der Idee: nicht zu viele Teile, und nicht zu viel darüber nachdenken, um es flüssig zu machen und die Inspiration der Zeit zu halten. Die Platte war ein großer Schnitt für mich, also brauchte es auch einen so schnellen Wandel. Ich forcierte das regelrecht. Die Streicher wurden in zwei Tagen aufgenommen, auch wegen der Kosten. Ich bin es gewohnt, sechs Wochen an Alben zu arbeiten, aber oft hast du da zu viele Möglichkeiten. Ich wollte, dass diese Platte wie live im Studio klingt, ohne Chance zum Re-editieren, als direktes Abbild eines Wandels. Ich mag den Gedanken, Dinge schnell zu tun, und ich mag den direkten Zugang zu Dingen.“
Horntveth, gebürtig aus Tonsberg, eine Stunde südlich von Oslo, begann die Musik mit sieben, spielte im Schulorchester, startete mit Schwester und Bruder diverse Bands und das Projekt „Jaga“ mit 14. „Ich hatte immer die Idee, Musiker zu werden, solange ich denken kann, spielte immer schon Saxofon, dann Klarinette, auch ein bisschen Gitarre. Die letzten 10 Jahre habe ich hauptsächlich Musik geschrieben, alles notiert, und alles autodidaktisch. „Jaga Jazzist“ waren von Anfang an 10 Leute (kurz 13), alte Freunde und Schulkameraden, die sich oft schon 20 Jahre kennen. Es brauchte viele Jahre, um unseren Stil zu finden, was nicht vor 99 passierte. Wir arbeiteten das aus, nun geht’s weiter.“ Aktuell heißt das eine Produktion mit dem Kölner Musiker und Produzenten Marcus Schmickler aka Pluramon, mit dem sie sich zwei Wochen lang im Weilheimer U-Phon-Studio einmieteten. In Köln, wo ich Horntveth treffe, läuft gerade die Postproduktion: viel Livemusik, fast keine Elektronik, und sehr viel orchestrale, nahezu filmmusikartige Schichtungen. Kein Wunder: als man merkte, dass Schmickler ebenfalls großer David-Lynch bzw. Badalementi-Fan ist, war klar, dass die Wellenlänge stimmte.
Die Liebe zu orchestralen Arrangements, die er schon bei „Jaga“ auslebte, war für Horntveth immer schon bezeichnend. Bald wollten auch andere Bands davon profitieren, als erste 1998 das „Cream“-inspirierte Osloer Rocktrio „Big Bang“. Die Rockbands ahnten, dass er eine ähnliche musikalische Antenne und stilistische Offenheit wie sie hatten. „Ich denke, unsere Herangehensweise ist ziemlich ähnlich. Ich habe keine akademische Ausbildung, aber einen sehr weiten Hintergrund, höre viel Pop und Rock und oldschool 60s und 70s Sachen. Wenn es ums Arrangieren ging, hörte ich jedoch zumeist Jazz-Sachen, vor allem Gil Evans und Charles Mingus.“ Die Angebote häuften sich, so 2003 für die Theatermusik zu Brechts „Baal“ in Bergen. Horntveths Herangehensweise ans Arrangement ist jedoch nicht primär klassisch bestimmt. Zwar schätzt er das Kronos-Quartett oder die klassisch-elektronischen Strukturen von Björk, aber seine Struktur sei viel mehr durch Jazz bestimmt. Obwohl er hier durchaus die fließenden Improvisationen eines Coltrane zu schätzen weiß, bedeutet das für seine Klangästhetik doch vielmehr die dichten Arrangements eines Duke Ellington. Über diese Ästhetik will Horntveth mit einem Hang zum cinematografischen Klang hinausgehen. „Ich versuche Soundtrack-Musik zu machen, wie Ennio Morricone, sogar Burt Bacharach, klischeeisierte Sachen, griffige Meldodien, aber mit einer Soundtrack-Referenz, das ist die Grundidee.“ „Pooka“ erinnerte mitunter sehr an Kurt Weills „Silbersee-Suite“, die Horntveth nicht kennt, den Vergleich aber hochinteressiert aufnimmt, als ich die nahezu Disney-Filmmusik-artigen Züge dieser Programmmusik herausstreiche. In dieser Dialektik – der späte Weil, der sich abseits der Akademie auf dem kommerziellen Marktplatz der Musik mit Willem zum Entertainment bei gleichzeitigem Anspruch positioniert – kann sich Horntveth identifizieren.
Trotz des filmischen Hintergrundes gab es bei der Komposition keine Inhalte oder szenischen Referenzen. „Ich sah keinen Film vor mir, hatte aber eine Grundidee: ein Typ sitzt herum, denkt nach und spielt. Seine Gedanken sind wie die Streicher und all die Dinge um ihn herum, es ist ziemlich abstrakt, durch die Grundmelodien kommt dann das verträumte und romantische Zeugs hinein. Kennst du diese Platten von Tom Waits? Ein betrunkener Mann sitzt da und singt, und hinter ihm spielt ein großes Orchester…das fand ich wirklich cool. Das sind die Gegensätze zwischen den schönen und den vielleicht nicht so schönen Ding. Plus: es sollte nicht perfekt klingen, das war auch so eine Basisidee, der Sound sollte wirklich frei sein. 90% des Double-Bass von Martin (Jazzer, Bassist und Trompeter bei „Jaga“) sind notiert, aber der Rest muss zum Schwingen gebracht werden.“
Zunächst wurden Melodieskizzen gemacht, dann Bögen, und zuletzt kamen die Pizzicatos als Spitzen, welche die Melodien vorantreiben und zum Schwingen bringen. Um den Morricone-Sound hinzubekommen und die Aufnahme so alt wie möglich klingen zu lassen, wurden die Streicher schließlich über zwei Lautsprecher in einer großen Halle aufgenommen. „Ich mag wirklich Bernhard Hermann (US-Am. Meister-Filmkomponist, u.a. für Hitchcock) und diesen String-Sound. Ich wollte es nicht wie zeitgenössische Musik klingen lassen. Und es gibt keine einzige Improvisation auf der ganzen Platte. Es ist eine größere Herausforderung, die Musik vorm Aufnahmeprozess komplett zu machen und nicht erst sechs Wochen daran herumzuprobieren. Bei zwei Tagen Studioaufnahme kannst du die Zeit nicht für Proben verwenden, es muss alles sitzen.“ Wie transformierst du dann den Vibe und die Konzepte von Mingus oder Evans? „Die Interludes sind die ganze Zeit total dicht…es geht nicht um Arrangements mit Akkorden, sondern vielmehr mit Klang. Es geht mehr um eine Sound-Ästhetik: dass es größer klingt, als es tatsächlich ist. Dass es wie ein Orchester klingt, und nicht wie ein kleines Ensemble. Oft spielen die Musiker zwei Töne zugleich, so klingt es bei 10 Stimmen für acht Leute nicht wie ein doppeltes Quartett, sondern dass jeder einen einzelnen Part spielt.“ Und bezüglich der Komposition im Verbund mit der Elektronik – wie kommt das Amalgam hier zueinander, wie wächst es organisch zusammen? „Der Elektronikteil sollte so soft, organisch und undominant wie möglich sein. Vieles in zeitgenössischer Elektronik ist wie Kammermusik. Das liegt mir nicht, ich mag’s nicht prätentiös. Ich lachte beim Komponieren und hatte Spaß.“ Horntveths elektronische Einflüsse sind Musiker wie Aphex Twin, Cornelius, das norwegische Projekt „Magnet“ oder eben Björk. „Sie hat diesen Weg gefunden, Elektronik wirklich einfach und weich klingen zu lassen, und trotzdem konzentriert.“
Der Weg in Richtung Filmmusik ist für Horntveth nun endgültig geebnet. Nach „Pooka“ schrieb er den Score für den norwegische Film „Alt for Egil“ (Alles für Egil), eine romantische Filmkomödie. „Eher eine „happy-go-lucky“-Geschichte. Ich stehe wirklich sehr auf 50er und 60er Jahre Musicals, Audrey Hepburn und Gene Kelly. „Alt for Egil“ ist tatsächlich das erste Musical, das in Norwegen seit 50 Jahren gemacht wurde. Vom Stil her so wie „Moulin Rouge“, aber sie singen wirklich mit ihrer natürlichen Stimme, die sie haben und versuchen nicht wie Musical Stars zu klingen.“ Horntveth will die Filmmusik ausbauen, so arbeitet er derzeit mit Mitgliedern von Motorpsycho und Jaga Jazzist an der Musik für einen Dokumentarfilm, der 2005 anlässlich der Feier zur 100jährigen Unabhängigkeit von Norwegen herauskommen soll. „Filmmusik ist wirklich eine Herausforderung, das habe ich herausgefunden. Du musst total konkret und zubringend sein mit dem, was du schreibst. Nicht Musik um der Musik willen, sondern um die Bilder stark zu machen. Ich finde das wirklich cool zu sehen, wie Musik so funktioniert und die Wahrnehmung beeinflusst und ändert. Zwei Sekunden können bei einem Score enorm viel ausmachen. „Jaga Jazzist“ ist dagegen „catchy instrumental music“. Da gibt es auch schon sehr viele cinematografische Referenzen – aber es passiert in der Musik einfach zuviel für einen Film!“
Aktuelles Album: Lars Horntveth – Pooka (Smalltown Supersound/Roughtrade)