Koch-Schütz-Studer

Koch-Schütz-Studer

LIFE TIED

Recorded live at Biennale Venedig, Italy (9/03) / Expo 02 Murten, Switzerland (5-02) / Théàtre de poche Biel/Bienne, Switzerland (11-01), Tonic, New York (3-03)

Hans Koch: Reeds / Electronics

Martin Schütz: El.5-String-Cello / Cello / Electronics

Fredy Studer: Drums / Percussion

Daniel Schneider: Live Sound und Recording

Mixed, Edited, Compiled and Mastered by Koch-Schütz-Studer in Biel, Sommer 2004

Produced by Koch-Schütz-Studer

Executive Production by Patrik Landolt

8 Stücke

Spieldauer: 58:26

Intakt Records

*****

Barry Guy / Marilyn Crispell / Paul Lytton

Ithaca

Barry Guy: Bass / Marilyn Crispell: Piano / Paul Lytton: Percussion

Aufnahme: 14. und 15. Januar 2003 Radio Studio DRS Zürich von Martin Pearson

Executive Production by Patrik Landolt

11 Stücke

Spieldauer: 60:29

Intakt Records

*****

Ausgewählte Life-Performances eines der besten und radikalsten europäischen Freeform-Trios. Ob Venedig, Biel oder New York – diese Hardcorekammermusiker schaffen es, Intensität radikal nach vorne zu treiben, unter Spannung zu halten und immer wieder auf den Punkt zu bringen. Die Rasanz, Brisanz und Prägnanz dieser Musik ist mitreissend und atemberaubend, sogar in den Momenten ihrer größten Zurückhaltung. Und vor allem kommt sie sofort zur Sache. Bereits der Einstieg „No time for dinner“ zieht mit konzentrierter, zerfaserter, hypernervöser und dann doch immer wieder hochenergetisch zusammengefahrener Impulsivität in das Zusammenspiel hinein, das über die Gesamtspieldauer der Platte immer hypnotischer wird. Aufbau, Auswahl und Arrangement des Musikmaterials sind hervorragend und für Live-Compilations beispielhaft gut gestaltet, derart, dass es scheint, im nahtlosem Klangfluss eines zusammenhängenden Konzertes des Trios zu baden, das so natürlich nie stattgefunden hat. Die Anordnung und im erweitertem Sinne Collagierung der einzelnen Live-Elemente jedoch lässt den Gesamteindruck eines authentisch-virtuellen Live-Konzerts entstehen, das auf einem exzellentem tontechnischem Level bearbeitet und somit mit höchstem Genuss nachvollziehbar gemacht wurde. Wir hören Reisen. Geografische verbinden sich bei Koch-Schütz-Studer, wie immer, mit akustischen. Dem Reisen und Suchen live zuzuhören ist in der improvisierten Musik nicht immer eine Freude. Wenn aber derart eingespielte Profis ihre Expeditionen derart unbekümmert, risikoreich und immer auch hochbewusst mit den scheinbar größten Momenten der Intensität einspielen, wird klar, dass die Schweizer sich auf ihre Instant-Composing-Trips gut vorbereitet haben und wir als Co-Piloten keine Angst vor Abstürzen zu haben brauchen. Koch-Schütz-Studer haben die Elektronik sehr früh als eine Art vierten Musiker in ihr Konzept integriert, jedoch nicht als modischen Zuckerguss, sondern zur sinnvollen Verdichtung, Transformation und Radikalisierung ihres Klangmaterials. Und sie geben immer 100%, Karate-Zen, stets pocht ein Puls, und immer schläft die Lava unter dem Ausbruch. Das Luzerner/Bieler Trio hat in der Vergangenheit Jazz, Hardcore, Dub, Turntablism, Neue Musik und noch viel mehr fusioniert und dekonstruiert und immer wieder hochqualitative und erweiternde radikale Grenzgänge zwischen diesen Genres vollzogen. Dieses Album bietet die allerbeste Einführung dafür und sollte nun wirklich bitte die allerletzten überzeugen. Hallo, endlich einsteigen!

Ithaca ist ein gewaltiger Brocken. Oder ist es ein flüchtiges Monument? Oder ein nomadisierendes Haus? Es ist, nach der grandiosen Odyssey, die das Trio Guy/Crispell/Lytton als Debut im Jahr 1999 für Intakt einspielte, erneut dekonstruierte Klangkunst auf der Höhe dieser Zeit. Auseinandergefügt in einer Materialarchitektur des scharfen Streichelns und der weichen Schnitte. Rastlos, bewusst zerfasert, abstrakt, sinnlich, uneinsichtig, klar, irrsinnig kalt und mit heißer Vernunft. „Die Resonanz des Verwurzelns, des Heimkehrens und des Teilens ist wichtig für das Verständnis der Musik auf diesem Album“, so Guy, selbst ein geografischer und intellektuell Nomadisierender, der sich seine Räume und Bewegungspunkte stets auslöschen und neu erschaffen muss. Sowohl Odyssey als auch Ithaca gründen in visueller Inspiration auf Gemälden des irischen Malers George Vaughan. Gleichsam sind dem Architekten Guy hier vor allem die architektonischen Konzepte von Zaha Hadid und Daniel Liebeskind wichtige Reflexions- und Bezugspunkte für sein musikalisches Schaffen geworden. Ob Linien, Ecken, Ebenen, Material, Texturen und Kontraste – Guy’s Trio bewegt sich in einer akustischen Architektur der Dialektik. Sich ergänzende und wieder abstoßende Widersprüche und oszillierende Energiefelder zwischen Dichte und Offenheit, Definition und Un-Definition und Realität und Virtualität bestimmen diese elf sehr fokussierten Stücke. Struktur und Freiheit und darin die nimmermüde Agio des Entdeckens: es reicht nicht, dieses weite Spektrum nur theoretisch abzudecken, es muss auch praktisch, ganz im seefahrerischen Sinne eines Sinbad oder Odysseus, „erfahren“ werden. Ithaca ist der Ausgangs- und Endpunkt, an dem sich nach erfolgter Reise die Rest-Differenz zeigt, die das Leben erst als solches definiert und von der puren Existenz unterscheidet. Dazu braucht es Einschnitte und Ausblicke, Linien und Fluchtlinien – warum nicht diese? Wie wäre es mit einem Gang durch’s jüdische Museum mit dieser Musik im Kopf? Doch es braucht kein architektonisches Vorwissen zu dieser Musik, betont Guy. Gleichsam spüren wir die Spannung der dialektischen Parameter von Enge und Weite so deutlich wie selten in dieser Musik. Doch was bedeutsam ist: die Wirkung der Physis ihres Geistes auf unser Gemüt ist von unautoritärer Dringlichkeit geprägt. Guys pointierte, klare und konsequente Resonanzen, Crispells leises Tippen und ihre an Taylor geschulte harsch-abstrakte Akrobatik und Lyttons wissende, nahezu egolose Präsenz führen durch einen Klangkorpus, in dem immer wieder neue (Flucht)Linien aufgezeigt und überraschende (Rest)Räume) geöffnet werden. Die Transformation der Odyssee gerät unter diesen sechs Händen zu einer mitreißenden Reise, deren Abstraktion und Surrealität nahezu greifbar erscheint. Ein postmoderner Maelstrom, ein Meilenstein der Fragmentation, die erst in Buxtehudes Klaglied zu einem kleinem Tod findet.

(Jazzthetik)

Schreibe einen Kommentar