Thomas Bernhard – Karl Ignaz Hennetmaier


Karl Ignaz Hennetmaier

EIN JAHR MIT THOMAS BERNHARD
Das versiegelte Tagebuch 1972

Von Marcus Maida

Diese Notiz zu einem sehr bemerkenswertem Buch sollte mit einer kleinen medialen Anekdoten beginnen. Falls irgendwelche Leute den Kabarettisten und Boxfan Werner Schneyder noch kennen oder aus sentimentalen Gründen gar noch gut finden sollten, hier ein kleines Schmankerl zum Haiderland. So sagte der Komiker, der sich für Widerstand hält – ein Wort, dass in der Alpenrepublik mittlerweile als runtergeleiertes Pre-set für gar nichts mehr taugt (Vrgl. den C-Movie „Der furchtbare Aufstand der Anständigen“) – letztens einer deutschen Tageszeitung: „Ich halte Thomas Bernhard für einen ungewollten, aber doch für einen Wegbereiter Haiders. Er hat den Faschismus im Denken, in der Disqualifizierung salonfähig gemacht. Er ist der grösste Vereinfacher der zeitgenössichen Literatur.“ Man muss weder Thomas Bernhard, der wirklich alles andere als ein Faschist war, mögen, noch auf Literatur in politischen Prozessen überhaupt allzuviel Wert legen, um den gesengten Schwachsinn dieses und des folgenden Ausspruchs in all seiner tieftraurigen Erbärmlichkeit lachend zu beweinen, als Schneyder dem Fragesteller anvertraute: „Wissen Sie, ich will mein Land nicht von jemand verteidigt wissen, von dem ich weiss, dass er es nicht liebt. Da werde ich tollwütig. Ich will mein Land verteidigt wissen, weil es geliebt wird, weil ich es liebe.“ Unverständlich. Vielleicht sollte sich Schneyder zu Franz Xaver Kroetz in die Populismus-Saukuhle legen. Thomas Bernhard jedenfalls hat das Land von Österreich geliebt, aber nicht das Land –
dieser gewichtige Unterschied gerät nun auch durch das ein Jahr geführte und dann notariell versiegelte Tagebuch von Bernhards Freund und Realitätenvermittler Karl Hennetmair in einen Fokus, der über ein rein biografisches Interesse hinausgeht.

Bernhard selbst wollte kein Tagebuch und verbat sich neben Interviews auch sämtliche persönliche Äusserungen für die Öffentlichkeit. Als typischer Werk-Kommunizierer hielt er sich aus aktuellen Diskursen konsequent und aus Überzeugung heraus, wohl wissend, dass gerade diese Öffentlichkeitsvermeidung seit jeher das Interesse von Funk und Presse am meisten weckt – ein Blick auf Popmusikphänomene bestätigt dies sicherlich. Wie nun aber etwas über den privaten Bernhard erfahren – und wozu überhaupt? „Ohne dieses Buch zu kennen, darf sich niemand mehr über Thomas Bernhard zu äussern wagen“ tönt Rolf Michaelis in der „Zeit“ und macht damit einen erneuten Klogang unvermeidlich. Jedoch sorgte sich schon der jetzt 82-jährige Hennetmair, der insgesamt 10 Jahre mit Bernhard befreundet war, dann zerstritt sich das Paar – eine Versöhnung hätte erst recht ein Zerwürfniss gebracht, mutmasste Bernhards Faktotum wohl zu recht –, dass ohne seine Aufzeichnungen später jede Bernhardforschung ins Leere gehen würde. Nun ja, wenn wir den Ton des üblichen medialen Geklappers mal ganz ruhig und gemütlich auf Null drehen, bleibt immer noch ein äusserst unterhaltsames Buch, dass uns letztlich aber über Bernhard und vor allem sein Werk nicht wirklich mehr verrät, als wir nicht selbst schon wüssten. Dass er sich diverse Zeiten vorm TV vertrieb, dass er ein phänomenaler Geizhals gewesen sein soll, dass er den LKW-Führerschein machte, was ihm gleichwertig zu dem Drehbuch zu „Der Italiener“ war – nun gut, witzig zu wissen, aber, machen wir uns nichts vor, das Gefühl, Mäuschen in der Stube eines der herausragendsten Autoren der deutschen Sprache spielen zu können ist doch der letztlich überwiegende Kaufgrund für dieses dicke Buch. Und dafür lohnt sich die Anschaffung ohne Zweifel, denn man wird natürlich nicht entäuscht.

Hennetmair, der Bernhard alle seine drei Häuser und Grundstücke vermittelte, war für diesen einer der wichtigsten Ansprechpartner seines Lebens. „Du bist der einzige, mit dem ich normal sprechen kann“, bedankt sich der sonst so verschlossene Bernhard dann auch bei seinem Freund, der nach jedem Treffen schnell in die Stube enteilte, um das Gehörte und Erlebte zu notieren. Dabei spricht er stets davon, wie sehr er jegliche Störung des Informationsflusses vermeiden will, und als Bernhards Gefährte musste man da sehr auf der Hut sein – Äusserungen zur Schreibarbeit etwa wurden im Ansatz abgewürgt, ansonsten ist natürlich ein munteres Kirmesschiessen auf Protagonisten des Kulturbetriebes angesagt. In der indirekten Themenführung wurde Hennetmair durch dieses aussergewöhnliche Protokoll zum Meisterspion: „Krampfhaft denke ich nach, was ich mir vorgenommen hatte, nicht zu vergessen.“ Literarische Ambitionen hatte er dabei keine und versuchte dies auch gar nicht, sein Stil ist rein dokumentarisch und extrem unprosaisch, wobei seine akribischen Notizen doch nie langweilig werden. Die äusseren Begebenheiten –
Unfall mit der Motorsäge, Preisverleihungen, Ärger mit dem Verlag, Salzburger Festspiele – sind nurmehr Stichworte, um die zeitlebens gut verborgenen Privatismen des skeptischen Mönches Bernhard ein wenig mehr auszuleuchten. Es gibt jedoch inszenierte Selbstäusserungen von ihm – „Drei Tage“, „Monologe auf Mallorca“ – die weit mehr über Werk und Mensch verraten. Ansonsten hielt er dicht. Hennetmair, ein wirklicher Freund, wusste dies und handelte respektvoll danach. „Denn weiche Menschen sind ihm ein Greuel. Also, die Weichen mag er nicht, mit den Harten verträgt er sich nicht, da bleibt niemand über für ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm. Also nur ein auf Vernunft begründetes.“

(Karl Ignaz Hennetmair. Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972, 592 S., Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000, ISBN 3-7017-1207-7, 68,- DM)

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