Faust

SCHNELLER WERDEN DURCH LANGSAMERES ARBEITEN

Faust – welch mythischer Klang. Nach wie vor raunt man sich den Namen einer der stilbildendsten und radikalsten Bands zu, die als die Erfinder des Krautrock gelten und sich auch selber augenzwinkernd so bezeichnen. Und da „Faust“ 1999 immer noch ein vielbeachtetes Modell und mancherorts sogar noch als DER traditionelle Blueprint für improvisiernde Rock- bzw. Postrockmusik, Feedback- und Lärmcollagentechniken und atemberaubende performative Bühnenpräsenz gilt, kann es wahrhaft nicht schaden zu schauen, was ganz nüchtern zum musikalischen state of the art dieses enorm wichtigen und liebgewordenen Mythos zu sagen ist. Zudem im bandeigenen Studio in Dürmentingen, wo auch das eigene Label „Klangbad“ zu Hause ist, die neue Platte „ravvivando“ über den Zeitraum von nahezu über einem Jahr entstanden ist. „Faust“ 1999 sind vor allem Hans Joachim „Jochen“ Irmler und Zappi Diermaier, beide aus der Kernbesetzung der seit 1969 bestehenden Formation, die seit Mitte der 70er Jahre mehr oder weniger getrennt war und die 1990 reunierte. In der Zeit, in der „Faust“ sozusagen physisch nicht anwesend waren, brachte Chris Cutler, ein alter Freund der Band, das Material auf „Recommended“ heraus. Nachdem Jeff Hunt vom „Table Of The Elements“-Label dann 1994 eine USA-Tour für sie organisierte, auf der sie u.a. mit Thurston Moore, Tony Conrad, Jim O‘ Rourke und Keiji Heino auftraten, bekamen „Faust“, nicht zuletzt im Zuge der Krautrock-Wiederentdeckung, nachträglich endlich auch international den Respekt zugesprochen, den sie zweifelsohne verdienen. Mitte 1997 stieg dann Urmitglied Jean-Herve Peron aus – ein Grund war, dass er teilweise von alten Stücken nicht lassen wollte, wogegen sich Jochen und Zappi eher passioniert in neues Material begeben wollten – , und es gab eine Frischzellenkur mit Musikern, die der Band schon seit einiger Zeit nahestehen. Zuerst ist hier Steven Wray Lobdell zu nennen, der sie bereits auf diversen USA-Konzerten begleitete. Lobdel, in Portland zuhause und dort in einer eigenen Band und diversen Projekten tätig, kennt „Faust“ schon von Anfang an, zumindest vom Hören. Jochen und Zappi charakterisieren ihn als „sehr einfühlsam und mit eigenem Charakter“. Lobdel ist ein Einzelgänger, auch in seiner Art, Gitarre zu spielen, seine oft halbstündigen Gitarren-Dronings erinnern mitunter an die urbanen Zerdehnungen des ländlichen Blues eines Loren MazzaCane Connors. „Für Steve ist das spannende“, so Jochen, „dass er diesen Boden hat und ihn für uns verlassen muss.“ Den Bassisten Michael Stoll kennen „Faust“ seit Juli 1997, wo er beim Herzberg-Festival fest zur Band stösst. „Er kam und spielte, ohne vor einer Sekunde zu wissen, was er überhaupt machen sollte – also genau wie wir vor 30 Jahren“, sagt Jochen, „man muss aber sagen, dass er nach einem komplizierten Auswahlsystem gefunden wurde. Er hat zugehört, hat sich zurückgehalten und ist immer mehr eingebunden worden.“ Lars Paukstat ist seit einiger Zeit schon der Pyrotechniker von „Faust“, der auf der Bühne bestimmte Lücken mit Detonationen und ähnlichem füllte. Zudem bearbeitet er einen Klangbaum aus Metallteilen oder auch mal den Presslufthammer. Auf der Platte wird ihm kurz und bündig das Segment „Noises“ zugeschrieben. Als „Faust“-Vokalistin hat sich mittlerweile die Performancekünstlerin Ulrike Helmholz etabliert. Die professionelle Stimmkünstlerin, die sich u.a. mit japanischen und tibetanischen Gesangstechniken befasst hat, entsprach dem Wunsch von Jochen und Zappi, eine Frauenstimme über dem Musikmaterial zu haben, die aber keinerlei Pop-Klischeehaftigkeiten entspricht. Die auf „ravvivando“ benutzten Texte bestehen aus japanischen Haikus, jenen 3 bzw. 5-zeiligen gedichtartigen Sprachminiaturen, die nach Roland Barthes ein „Ereignis der Sprache“ sind. Die Aufnahmen im dreiräumigen bandeigenen Studio kann man sich als einen längeren Prozess des Suchens, Findens, Dekonstruierens, Variierens und wieder Zusammensetzens des Materials vorstellen. Im ersten Raum Jochens Orgel und Elektronik, im zweiten, sehr hohen, fast kubischen Raum, Zappis Schlagwerk, und im Dritten, einem kleinen Vorraum, Stevens Gitarre. „Steven wollte nicht in einem quadratischem Raum Gitarre spielen, er wollte einen „Beschleuniger“ – also einen schlauchartigen Raum.“ Den Wünschen nach physischer Präsenz der Klänge kommen „Faust“ immer nach – auf die Idee, etwa ein Plug-In zu benutzen, würden sie nie kommen. Doch dazu später. Vorerst ist noch zu vermerken, dass sich die Musiker beim Zusammenspiel nicht gesehen, sondern nur gehört haben. Und da gab es, so Jochen, oft ein ziemliches Durcheinander, um diesen Aufnahmestatus beizubehalten. Was für ein Kuddelmuddel!

schneller werdend, bewegend, wiederbelebend

So die Übersetzung des italienischen Wortes „ravvivando“. Die erste Arbeit an dem Album begann bereits Dezember 1997. Zu diesem Zeitpunkt stand kein Konzept, es wurde probiert und tief im Material musiziert. Ab Mitte 98 dann entwickelte sich dann soetwas wie ein Konzept, und es wurde klar, dass es erneut eher songorientiertes Material im faust’schen Sinne geben würde. Man entschloss, 30 Stücke aufzunehmen, für faustsche Verhältnisse schon relativ viel. Dazu kommen nämlich noch unzählige Variationen mit teilweise minimalen Änderungen, die man nur hört, wenn man als Musiker selbst im Material drin steckt. Jedes Stück wurde in allen Variationen nocheinmal durchgehört, wurde kartographiert und katalogisiert. Bei improvisierter Musik heisst das, bekanntermassen, dass dieser Prozess mindestens so wichtig ist wie das Spielen selbst. Bei „Faust“ entstehen so hunderte Stunden von Musik, man beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Bandmaterial, macht diverse Mixe mit manchmal nur geringfügigen Abweichungen, man hört wieder, verwirft, probierte etwas Neues, hört erneut, entdeckt etwas Anderes, möchte auf einmal eine ganz bestimmte Richtung ein bisschen besser vertreten haben, und die „Urversion“ ist auf einmal nur eine abstrakte Form in 1000 potentiellen Varianten. Improvisierte Musik zu kartographieren ist mitunter ein Dilemma, das bekannt ist, dem man sich aber zwangsläufig stellen muss, wenn man improvisiert, aber den Wunsch nach Stücken hat. „Eigentlich bräuchte man für all das schon ein „Faust“-Büro“, lacht Jochen. „Es war auf jeden Fall ein äusserst produktives Jahr“, ergänzt Zappi, „zudem Jochen die Stücke wirklich lange am Mischpult nachbearbeitet hat.“

Wie fühlt sich das jetzt an, Faust 1999? Hat sich etwas geändert, hat sich der gasförmige Zustand und die vormalige Klangbandbreite etwas kompakter materialisiert? Jochen: „Ich bin sehr optimistisch, was die neue Platte angeht. Im Gegensatz zu „You know us“ ist sie sehr fliessend und wirklich sehr kompakt, es passt alles zusammen.“ In der Tat sind die neuen Stücke, bei aller Komplexität und Weite, auch recht kurz gehalten. Es gibt keine endlosen Improvisationen, die Klangauschweifungen sind sehr dicht und die charakteristischen Einzelelemente der Bandmitglieder sind schlüssig in einen homogenen Bandsound überführt worden. Für die Liveumsetzung sollen die Stücke sogar noch mehr an Struktur und Kontur gewinnen, so dass man sie auch von aussen besser wiedererkennen kann. Bei „You know us“ wurde nicht so zielgerichtet gearbeitet, dort war die Intention vielmehr, eine Palette und Bandbreite darzustellen. „ravvivando“ ist zwar auch eine Reise durch verschiedene Welten, aber, da sind sich „Faust“ einig, mehr aus einem Guss. Und dieser neue homophone Klang stand lange Zeit nicht fest, so Jochen. Aber mit einem Mal sei es gewachsen und es sind klare Strukturen entstanden. „Wenn man sich zum 1000sten Mal mit etwas beschäftigt und darüber grübelt, macht es plötzlich „Boing“ und dann wird alles klar.“ Hier ist sie vielleicht, die Charakteristik von „Faust“: tief verwurzelt und määndernd im nahezu mystisch wirkendem Material, und dann mit einem comic-haftem Befreiungsschlag alle Klischees der teutonischen Sinnsuche präventiv selber zersprengen. „Es ging ja auch darum, gewisse Klischees zu verarschen“, so Jochen, „auch das ist ja bei uns so eine höhere Gewalt. Formen, die bekannt sind und es doch nicht sind, Harmoniestrukturen zb.. Da haben wir so eine kleine sarkastische Ader.“ Bei einem Stück zb.gebe es eine Frau, die wird erdrückt, führt Zappi todernst aus, „die haben wir dann auf den Bauch gedrückt und die schreit dabei. Das haben wir dann aber von den 30 Stücken nicht reingenommen, denn das hätte diesen Fluss gestört.“ Durch die Arbeit am Album entwickelte sich auf Dauer das Konzept von mehreren Stücken, die einen richtigen konstanten Rythmus haben, so Zappi. „Nicht bei jedem Stück, aber es sollte nicht allzu sehr davon abweichen. Es sollte vorwärtsgehen, es sollte ein bisschen kreisen. Die Rythmik sollte nicht ungerade sein und nicht stören, sie sollte im Fluss gehalten werden.“ Es sollte klar sein, dass „Faust“ es sich dabei nicht allzu einfach machen und einfach „gerade“ werden, als Beispiel dafür sei auf den Track „four plus seven means eleven“ verwiesen: hier spielt Zappi einen sehr komplizierten Rythmus. Er „marschiert“ zwar ein bisschen und eigentlich auch ganz gut, aber dadurch, dass Zappi eben „elf nur ein achtel weniger als zwölf“ spielt, entsteht dadurch ein kleiner Sprung, der fast nicht wahrzunehmen ist, im Verlaufe des Stückes jedoch klarmacht: irgendetwas hakt und springt hier. Thematisch haben „Faust“ das Material der Platte suitenartig aufgeteilt, wobei die Titel bestimmten Themenzusammenhängen folgen, die beim Hören erschlossen werden sollen. Ein Thema, soviel verrät Jochen, sei zb. „menschliche Laute“, die im Gesamtzusammenhang wiederum den bestimmten Sinn haben, deren ganze Bandbreite in Kurzform zu präsentieren. Die enorme Klangvielfalt von „Faust“ ist wohlüberlegt, geprüft und gebündelt. Dann, erst dann, wird den einzelnen Stücken im Gesamtkontext auch noch eine bestimmte Rolle gegeben. Der Opener „Ein neuer Tag“ hat durch die Introduktion der einzelnen Instrumente und Klangquellen die wirklich klassische Funktion, die Hörer zur Musik hinzuleiteten. Im Gesamtbild entsteht so eine Klangpalette, die gerade durch ihre opulente Kraft und die lebendigen Instrumentalschichtungen eine bewusstseinserweiternde Klarheit erzeugt, die mit gutem Grund „psychedelisch“ zu nennen ist. Vieles auf „ravvivando“ entwickelt sich auf jene altbekannte hypnotische Art und Weise zu etwas Anderen und Neuen, dies wird jedoch in einer Dichte vorgeführt, die anzieht statt abstösst, die wirklich voluminös kompakt und nicht määndernd langweilig ist. Das Schlusstück „T-Electronique“ ist so ein faust’scher Klassiker, in dem innerhalb des ureigenen Bandsounds Blitze aufzucken, die sogar Konturen von „Neu“ und den frühen „Pink Floyd“ aufscheinen lassen, bevor die hypnotisierende Dunkeleit eines psychedelischen Faust’n Roll in all ihren Farben wieder wellenhaft durch den Kopf rollen. Dass diese Stücke durchaus geeignet sind, ebendort dauerhafte Signale zu setzen, bestätigt Zappi: VIVA hat den Track als Hintergrundmusik für die Werbung zur „Tausend Plateaus“-Veranstaltung benutzt, und das kam sehr „gut und angenehm“ rüber.

psychedelik & krieg

„Faust“ demnächst als Popstars in den alternativen Charts? Wer die legendären Liveperformances der Band kennt, darf zurecht skeptisch sein. Das Kapitel „Faust live“ ist eines für sich und zudem ein Unentbehrliches für das Bandverständnis. Denn hier sind „Faust“ nocheinmal etwas anderes. Auf der Bühne wird das mühsam und sorgfältig erarbeitete Material mit einer Vehemenz und fulminanten Penetranz präsentiert, die das Publikum nicht unbeteiligt lässt und es stattdessen radikal in die Performance mithineinzieht und -fordert. „Wir sorgen dafür, dass es nach bestimmten Sachen riecht“, erklärt Zappi sanft-kategorisch und charmant wie immer. „Zb. haben wir mal Kuhmist gestreut, oder mit einer Kanone Heu ins Publikum geschossen. Und dann die Showeffekte: die Pyrotechnik ist ja nicht so sehr als Show gedacht sondern ist wirklich Teil der Musik.“ Die multiple Zertrümmerung von Fernsehern auf der Bühne ist daher auch nicht als Absage an TV oder gar Medienzeitalter zu verstehen, sondern es ist einfach der Klang, der fasziniert und benötigt wird: das Klirren, das Splittern von Holz (Zappis Aussage zeugt von liebevollem Anachronismus – denn gibt es heute etwa noch TV-Gehäuse aus Holz?), egal, ob Kreis-, Kettensäge oder Flex – all das wird selbstverständlich in die Musik eingebunden. „Faust“ waren in dieser Radikalität die Ersten, und sie werden nicht die Letzten sein. Obschon: gerade bezüglich dieses enormen Aufwands bei den Bühnenshows stellt sich doch die Frage, ob dieser Aufwand die Mühe lohnt. Ein kurzes Nachdenken. Formal gesehen sei es vielleicht sogar peinlich, so Zappi, aber: „Es ist niemals dasselbe. Es ist einfach aufregend, wenn Du mit dem Vorschlaghammer vor 10 Fernsehern stehst. Du kannst dich verletzen, die Bildröhre kann dir ein Splitter ins Auge schiessen, und es ist eine Aufregung da, die auch beim Publikum rüberkommt.“ Es scheint klar, dass die deutliche Bejahung von physischer Präsenz und Performance zur Zeit eine Art Renaissance der Körperlichkeit innerhalb von Musikstilen einläutet, gerade entgegen der kategorischen „Körperlosigkeit“ vieler elektronischer Musiken, die leider allzuoft in Farblosigkeit und Blässe umschlägt. Aber wäre es nicht allein vom „rein“ musikalischen Material einfacher, man würde mit Samples arbeiten, anstatt zb. eine Betonmischmaschine mit Holzklötzen auf die Bühne zu stellen? Und Autobahnbrücken live zu sprengen geht ja auch eher schlecht. „Schade“, meint Zappi, und: „Nein. Der Aufwand lohnt sich auf jeden Fall!“ Im Betonmischer klingt es nunmal anders, wenn man statt Steinen oder Metall eben Holz hineintut – eben weicher. Jochen sagt, dass die Aufregung über die Jahre noch gewachsen sei, da es beim Livespiel so auch persönliche Engpässe gebe, die einfach durchschritten werden müssen. Und das sei immer wieder ein Erlebnis. Und dann stellt er kategorisch fest: „Wir sind Handwerker. Wir arbeiten mit analogen Instrumenten, die wir natürlich mit modernster Studiotechnik aufnehmen. Aber nur so macht es uns einfach Spass. Es ist einfach wichtig, es ist wie ein Maler, der mit Computer oder mit Farbe und Pinsel arbeiten kann – und der braucht das Rumschmieren einfach!“

Gerade bei „Faust live“ wird die Verwurzelung der Gruppe in der anarchistisch-konzeptuellen Ästhetik der ausgehenden 60er Jahre deutlich, wo Aktionstheater und radikale Performance den Hang zum bourgeoisen Kunstgenuss stören sollten. Als explizit politische Gruppe sehen sich „Faust“ 1999 aber nicht, obschon Jochen einen dahinwirkenden Impetus erkennt, der sich jedoch nicht an Parolen, sondern an Wirkung festmacht, in diesem Sinne trage man auch eine Meinung nach aussen. Zappi sieht dies auch so, er denkt nicht darüber nach, aber wahrscheinlich sei er politisch. Und dann schwingt sich Jochen auf und erläutert: „Ich meine, es bedeutet natürlich schon etwas: warum zerstören wir bestimmte Sachen auf der Bühne? Warum ist es wie im Krieg, was wir dort machen?“ Zappi macht es einfach Spass, das so darzulegen. Und er erzählt von einem Auftritt in London – „das war wirklich Krieg!“ Gegen Schluss fing man mit heftigen Metallsachen an, das hat sich dann elektronisch ausgeweitet, bis schliesslich die berüchtigten Rauchbomben und Nebelkerzen gezündet wurden. Dieser spezielle Rauch war jedoch derart heftig, dass man irgendwann nicht mehr atmen konnte – von einem Zentimeter sehen ganz zu schweigen. Zappi war völlig allein auf der Bühne und fand den Ausgang nicht mehr, niemand war mehr zu sehen, und so legte er sich auf die Bühne und dachte: „Ich weiss nicht mehr – was soll ich machen?“ Schliesslich kam ein Roadie und hat ihn gerettet. Und dann kam die Feuerwehr. „Das war wirklich ein Erlebnis…“ schwärmt Jochen, und Zappi nickt versonnen.

(Jazzthetik)

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