Despentes / Houllebecq

VIRGINIE DESPENTES

Wölfe fangen

MICHEL HOUELLEBECQ

Suche nach Glück. Gedichte

MICHEL HOUELEBECQ

Lanzarote

Das Cover vom Buch ist bekannt? „Ich bin die böse Buh-Frau & muss ballern“ – supereklig und -dumm grabscht es scheinbar nach der neuen popfeministischen Zielgruppe: bewusstseinslose MittelklässlerInnen, die in der Literatur von heute vitale Kicks und weibliche Eier vermissen und/oder meinen, Feminismus via kulturindustriell vorgefertigter hyperkapitalistischer Starke-Frauen-Images artikulieren zu müssen, das alles aber nicht im Ute-Ehrhardt-Hardtranceremix, sondern in komplett muffelig abgehangener Pankrockästhetik. Dann der Film: erstmal müssen die Frauen vergewaltigt werden, damit die Schlechtigkeit der Männer und der Welt im Groben zu begreifen ist, und sich die Kaputten aus diesen Verhältnissen endlich mal locker rausballern. Kapitalismus als solcher reicht dafür ja schon lange nicht mehr aus, es muss einem schon die Schokolade / der mieser Job / die Lieblings-CD / Kuschelteddy / Droge X oder die gehassliebten Images vom Hochglanzleben, das doch irgendwann in dieser sozialen Wüste noch mal kommen muss, weggenommen werden. Und da Frauen immer noch die Nigger dieser Welt sind, machen sie jetzt einfach mal wieder auf extrem weisse selbstinszenierte Hardcorekunst? Genau das nervt an Baise Moi: dieser rotzige, an einer fixen Idee von nihilistisch-bekifftem Punk – Songzeilen beenden die Kapitel – stilisierte Rebel-without-a-brain-Gestus, genauso wie das irgendwann zum vitalistischem Krampf werdende Anti-PC sein und das Glorifizieren von richtigen weiblichen Arschlöchern. Die Standardfrage an die penetranten Auswüchse des hyperkapitalistischen Pseudofeminismus lautet ja: warum sollten wir das, was wir schon an Männern definitiv scheisse finden und komplett ablehnen, nur etwa deshalb gut finden, weil es von Frauen kommt? Sind killende Frauen ohne Bewusstsein ein kulturgesellschaftlicher Progress, ein Regress oder eine zynische Untermalung dessen, was im Hyperkapitalismus als Gleichberechtigung propagiert wird? Love & a 45: für den Fim ist vor allem die Drastik der Sexdarstellungen genreverschiebend. Die Morde sind gespielt, der Sex ist echt (ein Gedanke schleicht sich unterschwellig ein: eines Tages könnte auch das anders sein: der gesteigerte Authentizitätswahn der kapitalistischen bodypolitics rechtfertigt letztlich alles – true crime oder gar snuff als sich konsequent gebender art-move, der jede artifizielle überschreitung als weitere „forderung der realität“ begründet, vor allem den wahn, kunst und leben letztendlich komplett im Vitalismus der zu Tode ökonomisierenden Verhältnisse zu vereinigen), die beiden Schauspielerinnen Raffala Anderson und Karen Bach sind aus dem Hardcore-Geschäft ausgestiegene Frauen. Ihre Figuren – im Film noch unkonturierter als im Roman – erscheinen bloss als zwei unterprivilegierte bad-ass girls, die keinerlei moralischen Bezug als sich selbst und ihre Triebe haben, was dem Wertekonsum eines durch eine intensivierte autistisch-hedonistische Ego- und Konsumkultur geschulten Publikums auf bigotte, aber nicht unbedingt widersprüchliche Weise natürlich entgegenkommt. Aber ein auf krude Weise disparat erscheinender Lerneffekt mit ironischen Brüchen, wie bei „Clockwork Orange“, der damals genresprengend war, gibt es hier nicht. Klar wird nur: diese Frauen sind in keinster Weise Feministinnen, Manu ist apathisch a-politisch, Nadine plappert ihrem Typen nach, beide sind fotonegative „Warhol-Factory“-Figuren mit der Patina der Retrobiologie, die hier eine krude Renaissance in Blut erhält. Heisst unter anderem: diese Figuren leben vor allem durch ihre todbringenden Gefühle und Instinkte, jede Verbindung mit Reflektion wird dabei tunlichst vermieden, und das soll dann mal wieder realistisches Leben auf Zelluloid und Papier sein. Leben, Alte! Der performative Gewalt-Akt soll einmal mehr die erdrückenden Verhältnisse sprengen. Leider schimmert durch die Zeilen immer wieder eine unterdrückte Intelligenz durch, die aber einfach nicht sein darf. Von einem Mann wäre Baise Moi ein Skandal für die aufgeklärte Pop-Intelligenzia gewesen, etwas Normales jedoch für den reaktionären Mainstream. Und so befasst sich die Kritik ratlos mit diesem Phänomen einer Frauenschreibe, die gegen alle Errungenschaften einer Conscience-Kultur im wahrsten Sinne des Wortes querschiesst: gegen Männer, gegen Kinder (wer interessiert sich denn auch für die!!!) – und gegen Frauen. Des Rätsels Lösung findet sich einmal mehr ausserhalb einer werkimmanenten Analyse, ganz banal in der Sozialbiographie der Autorin. Sie ist 32, wuchs in Nancy als Tochter von Beamteneltern auf, die vor allem militante Sozialisten waren, wie sie sagt. „Zuhause gab es keinen einzigen Roman, dafür 1000 Bücher über Marx. Ich bin mit Demonstration, Polizei und Klassenkampf gross geworden.“ Daher ihr Hass auf Reflexion, PC und Bewusstsein – alles bourgeois, alles sinnlos. Sie studierte in Lyon, verliess angekotzt die Uni, um in einem Plattenladen zu jobben und gründete eine Band (bös gesagt: normierte Teilnahme an den Abnabelungsprozessen von bürgerlich Dahinpubertierenden). Dann jobbte sie als Stripperin (verarbeitet im 2. Roman „Die Unberührbare“), in der Hoffnung, „das Leben“ dort irgendwo auf dem Fussboden zu finden. Nicht gefunden, nur authentischen Schimmel, schade. Kassiererin, Telefonistin. Ohne Erfolg, kein Bewusstsein. „Ich ertappte mich dabei, ein Drecksleben zu führen“ – voller Frust schrieb sie sich zu Hause (?) am Computer ihres Vater (!) ihre Geschichte von der Seele. Baise Moi, als Film in Frankreich vom Staatsanwalt verboten, hierzulande ungeschnitten in die Diskussionskinos gerutscht, ist letztendlich ein postfeministisches Missverständnis, ein interessanter, aber nicht überzubewertender Markstein auf dem Irrweg der kulturellen Vermarktung feministischer Inhalte. Der Lerneffekt, der durch die Aktionen der bewusstseinslosen Antiheldinnen entsteht, ist bekannt: Politik ist sinnlos, Vitalismus alles, beides will wie immer nichts miteinander zu tun haben, und das Endergebnis wird klasse transportabler Underground-Pop, der irgendwann auch gerne politisch vermarktbar wird (Abtlg. Hyperkapitalistische „Starke-Frauen-Pre-Sets“, übernehmen sie). Der crucial point von Baise Moi ist bekanntlich, dass die Frauen sich genauso stumpf verhalten wie wildgewordene Scheissmänner, das aber ist keineswegs ein progressives und schon gar kein neues kulturelles Verhaltensparadigma, sondern ist durch diverse Auswüchse vor allem des weissen 80er US-Postfem-Underground bis zum Gähnkrampf durchexerziert worden. Diese beiden Frauen kommen über ihre Wut auch nicht hinaus und werden ergo am Schluss unschädlich gemacht. Die Gesellschaft bestraft halt immer noch am besten. Das nächste mal bitte einen Schritt weiter, wie wäre es denn mit, wenn es denn nu mal sein muss, conscience Killers? Oder sind wir da schon wieder bei Terroristen? Identität Moral: Skip now! Denn die andere Schrift aus Frankreich, die in letzter Zeit ein grosses Publikum gefunden hat, kommt natürlich von Meister Houellebecq. Dessen „Suche nach Glück“, bereits letztes Jahr erschienen, erweitert die Palette der durch „Elementarteilchen“ bekanntgewordenen Theoreme über das Leiden durch den Individualismus und dessen mögliche Abschaffung über den Weg der genetischen Klonung durch den ungleich intimer wirkenden Blick der Gedichtform (Unbedingt erwähnenswert ist die hervorragende Arbeit seines Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel). Houellebecq ist ein mindestens so interessantes zeitgenössisches Phänomen wie Despentes. Er hält sich spöttisch für einen moralisch vollkommenen Menschen, vergleicht seinen Ansatz gerne mit dem vom Tugendterroristen Robbespierre und wendet sich illusionslos und offensiv gegen den „unangemessenen genetischen Individualismus“, der Verursacher aller Leiden der Menschheit sein soll. Temporäre Erlösung bietet höchstens der Geschlechtsverkehr an, den man zb. durch den Besuch von Swingerclubs – „Das ist eine schöne Form der Lebensgestaltung!“ – als vernünftige Reaktion auf das abnehmende Verlangen in einer Beziehung ruhig öfter betreiben sollte. Philosophisch bezieht er sich gerne auf den bürgerlichen Positivisten Auguste Comte, der als besessener Erzrationalist mit einer breitangelegten Systematik allen Dunkelheiten der Existenz mit ausschliesslich wissenschaftlich fundierten Tatsachen und einer rigorosen Durchrationalisierung des Lebens entgegentreten wollte – ein gegen gewisse Auswüchse des schwärmerisch-ästhetischen Mystizismus des damaligen fin de siecle gerichtetes Unternehmen, das Houellebecq nun ein fin de siecle später wieder für uns aufwärmt, um die Gesellschaft zeitgemäss, patent und praktikabel umzuwerten. Dafür wurde er schon mal als „rechter Beatnik“ bezeichnet, als Variierer der Thesen Sloterdijks, oder, tres charmante, wie in Frankreich, gleich als Faschist. Ob die Genetik ein Mittel zur Überwindung des Menschen ist – Nietzsche streng banalisiert, rationalisiert und technisiert also -, weiss er selber nicht zu sagen, aber: „Es ist eine Möglichkeit, die es vorher nicht gab, und das sind zuerst einmal gute Aussichten.“ Die daraus resultierende Herrschaft der Tugend – der Kult des höchsten Wesens-Rmx? – sei notwendig, da es heutzutage keine Religion oder andere gesellschaftlich ordnende soziale Wertesysteme mehr gebe, was der Autor als sehr unangenehm empfindet. Er selber habe jedoch leider auch keine Religion – noch unangenehmer. Die Gedichte nun bieten via Poesie einen differenzierten und auch gleichsam offenen Zugang zum Denken Houellebecqs. Der leidende Künstler an der Normalität und der Banalität der Menschen ist hier keine lächerliche Schiessbudenfigur, sondern erwächst durch seine rasiermesserscharfe Illusionslosigkeit zu einer überraschenden moralischen Instanz, die zwar flanierend und nomadisierend auftritt, aber fest in der Welt ist und auch da bleibt – mit steter ernstgemeinter tröstlicher Suizidoption. Keine Romantik diesbezüglich, aber auch kein fader Zynismus. Aber natürlich: bisschen Cioran, bisschen Celine, bisschen Benn – alles da, klar. Humor gibt’s nicht, dafür Demagogie a-go-go. Alle anderen Poesieprotagonisten sind Idioten, Lebefleisch, Existenzprotein, dass seine eigene Existenzproblematik nicht erkennen kann und dafür im Club-Urlaub in beneidenswerter Stumpfheit leben darf, oder Liebespartner, mit denen eine Verständigung durch die misslungene „grande illusion“ kaum mehr möglich erscheint. Die Gedichte lassen sich grob in vier Themenkomplexe unterteilen: Die Anderen / Die Aussenwelt, Die Liebe / Die Beziehungen, Die Philosophie / Die Gesellschaft und Die Romantik des Nihilismus / Die Transzendierung der rigorosen Rationalität. Houellebecq ist, es muss wiederholt werden, kein Kritiker der zynischen Vernunft, eher ein Suchender, der, und diese Spuren lassen sich hier versteckt auffinden, sogar vor dem Begriff „das Gute“ nicht erschreckt. Das Poem „Le Corps de l’Identité Absolute“ greift hier überraschend ein in die „waste lands“ der Einkaufszentren und Club-Urlaube, oder die Notiz „Vendredi 11 Mars 18 H 15“, wenn er schreibt: „Mit anderen Worten, ich bleibe ein Romantiker, fasziniert von der Idee des Flugs (des reinen Flugs, des geistigen, vom Körper gelösten). Keuschheit, Heiligkeit, Unschuld schätze ich hoch; ich glaube an das Geschenk der Tränen und an das Gebet des Herzens. Der Buddhismus ist intelligenter, er ist effektiver; trotzdem kann ich mich ihm nicht anschliessen.“ Houellebecqs Gleichung „Effektivität = Intelligenz“ weist ihn jedoch letztlich als beinharten eurozentristischen Rationalisten aus, der sich jedoch in umherschweifender illusionsloser Sinnsuche aus der Esoterik der instrumentalisierten Vernunft zu lösen beginnt. Diese unmarkierte Romantik hat sich jedoch leider historisch schon zu oft als gefährlich erwiesen, und fraglich bleibt zudem, ob diese durchaus als maskulin zu bezeichnende Suche von innerweltlichem Trostpunkt zu Trostpunkt (aka von Swingerclub zu Swingerclub) in ihrer kreisenden Bewegung nicht kongruent wieder da ankommt, wo sie bei Ausgangsbeginn schon war. Wie schrieb Mirjam Schaub im „Freitag“ vom 12.12.00 so richtig: „Eine Frau würde mit Houellebecqs Thesen statt Verständnis höhnische Kommentare ernten.“ Ihr Vorwurf, dass er anstatt Thesen nurmehr Affekte und Attacken darstelle, bezeichnet sie als feige Ausflüchte für ein zu kurz greifendes Denken.

Das neue Buch „Lanzarote“ könnte dieser symptomatischen Kritik Auftrieb verleihen, bezieht seine absorbierende Energie jedoch eher aus einem gelassenem Rückzug von der Gesellschaft in ein überschaubares Interimsarreal, das zwischen endzeitlicher Archaik und zeitgemässem postmodernem Delirium pendelt. Die 75-seitige Erzählung führt den Helden in das bizarre Ambiente der hitzigen Vulkan- und Urlaubsinsel Lanzarote, wo er dem leidenden Individuum in Gestalt eines belgischen Polizisten und dem temporärem Glück in Gestalt zweier deutscher part-time-lesbians begegnet. Die Beweisführung der houellebecq’schen Theoreme gelingt durch eine ansprechende karge Epik, der ein gelassener Humor, der zwischen Zynismus und Mitleid oszilliert, zu eigen ist. Eine sehr populistische und gelungene Einführung in des Dichters Denken, zudem unterstützt durch den zweiten Band, einem dillettantisch-plausiblem Fotoessay über diese endzeitlich-heitere Landschaft von Lanzarote, in der die Spiele je nach Gemütslage neu gespielt werden können.

(Virginie Despentes. Wölfe fangen. Rowohlt TB. Reinbek 2000. ISBN 3499223317. 24,- DM / Michel Houellebecq. Suche nach Glück. Gedichte. DuMont. Köln 2000. ISBN 3-7701-5357-x. 32,- DM / Michel Houellebecq. Lanzarote. Erzählung und Fotografien. 2 Bände. DuMont. Köln 2000. ISBN 3-7701-5550-5. 49,90 DM)

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