Fehlfarben

EINDEUTIG IM HIER UND JETZT

Sie waren die ersten Deutschpunks in Anzügen. Statt stumpfer Punkrock-Bierseeligkeit und ebensolchem Bewusstsein profilierten sich die Düsseldorfer „Fehlfarben“ als Nachfolgeband der legendären „Charleys Girls“ und „Mittagspause“ 1980 mit ihrem – übrigens 20 Jahre später als Longseller vergoldetem – Debutalbum „Monarchie und Alltag“ durch ein geschliffen scharfes, an die Mods der 60er Jahre erinnerndes Stilbewusstsein in Sachen Musik und Auftreten, changierten gekonnt zwischen herumtollender Kumpels-Spaßband und ernsthaft-profihaften Herausforderen der gesamten Plattenindustrie und setzten der bald auftretenden „Neuen-Deutschen-Welle“ (NDW) ein für deutschsprachige Popmusik damals wie heute einzigartiges Musikmodell einer Haltung zwischen sarkastischem Witz, visionärer Poesie und handfestem Realismus voraus. Die „Fehlfarben“ waren klare Charakterköpfe. Druckvoll, energetisch, präzise und punktgenau genauso wie gedanken- und gefühlsverloren fanden die Sieben Töne und Worte für eine Zeit, die damals noch zwischen der bleiernen Schwere der 70er Jahre und dem zwangshedonistischem Aufbruch der 80er Jahre zu hängen schien. Doch nach der ersten Tour stieg der charismatische Sänger und Texter Peter Hein aus – ihm wurde der ganze Rummel zuviel, und er hatte keine Lust, seinen ganz spezifischen Lebensstil für ein Herumkaspern auf der Bühne für falsche Freunde zu opfern. Schon damals wurde ihm dafür vorgeworfen, sich dem flächendeckenden Erfolg gezielt zu verweigern, doch Hein war das egal: lieber behielt er seinen Job als Sachbearbeiter bei einem großen Kopiermaschinenhersteller und begeisterte sich als Nichtautobesitzer, aber ehemaliger Carrerabahnfahrer, an der Klasse vornehmlich älterer Sportwagenmodelle. Die Heinlosen „Fehlfarben“ hielten sich als Hoffnungsträger aller damaligen Neue-Welle-Begeisterten mit Geschmack und Bewusstsein wacker mit noch zwei Alben, aber 1985 war die Luft raus, die Deutschpunklegende am Ende, und die publikumswirksamen Spaßmacher der NDW wie Hubert Kah und Markus längst in die Charts eingestiegen.

2002 geschieht das Unglaubliche: nach 22 Jahren haben sich die „Fehlfarben“ wieder in Originalbesetzung – nur Schlagzeuger Uwe Bauer wollte nicht mehr – vereinigt und mit „Knietief im Dispo“ ein Album vorgelegt, das so frisch und klar wie ehedem und doch punktgenau auf der Höhe der Zeit klingt, ohne sich einen Jota an diese anzubiedern. Auch spielt der Albumtitel weder auf Geldnöte der Protagonisten an, noch sind die „Fehlfarben“ je im Verdacht, auf den immer noch medienmassiven wie plumpen 80er-Jahre-Retro-Zug aufzuspringen, wie ein stilvoll älter gewordener, aber immer noch spitzbübischer Peter Hein und ein professionell und mit leidenschaftlicher Gelassenheit agierender Kurt Dahlke, Chef der legendären Düsseldorfer AtaTak-Studios und musikalischer Masterminds des Comebacks, versichern. Und auch „Verschwende deine Jugend“, Jürgen Teipels letztjähriger erfolgreicher Doku-Roman zu den Anfängen der wahren Neuen Deutschen Welle, war keinesfalls Anstoß zum Comeback. „Wir sind ja eigentlich DAF“, kann sich Hein da einen ironischen Seitenhieb auf das jüngst reformierte Ex-Starduo der NDW, die „Deutsch Amerikanische Freundschaft“, nicht verkneifen. „Ernsthaft: wir hätten diese Platte auf jeden Fall gemacht!“, sagt der Sänger bestimmt, der wie jede andere „Fehlfarbe“ noch seine eigenen Bandprojekte verfolgt. „Was hier zählte“, ergänzt der auch als Synthesizer-Spezialist „Pyrolator“ bekanntgewordene Dahlke, „war der Kick beim Musikmachen, an den jeder im Bandkollektiv anknüpfen kann“.

Was ist das – langer Atem? Durchhaltevermögen? Dahlke: „Spaß und uralte Freundschaft. Da ist nichts von außen gesteuert.“ Hein: „Du machst sowieso immer was, und das ist einfach eine andere Form des Machens.“ Mit ihrer Musik stehen die „Fehlfarben“ eindeutig im Hier und Jetzt. Die Stücke bestechen durch klare wie clevere Arrangements und Zeilen, in denen sich aufrechte Eleganz und spöttischer Biss kraft- und gefühlvoll paaren. So singt Hein vom einzigartigen Club der erfahrenen, unbequemen und vor allem schönen Mütter: „Sound nach Wahl, Musik von Geschmack, Raconteure und Flaneure trotzen dem Pack.“ Im Lied von der „kleinen Geldwäscherei“ hingegen wird einem befreundetem Lebemenschen Tribut gezollt, der einen einst auf den Weg brachte. Die „Fehlfarben“ haben Punk immer jenseits aller Klischees verstanden und gelebt. Ihre ganz bestimmte „Haltung der Gesellschaft gegenüber“ habe, so Hein, viel mit dem klassischen Mod-Motto „Clean living under difficult circumstances“ zu tun: sauber und stilvoll zu leben, auch unter schwierigen Bedingungen. Nur so können eigener Stil, Klasse und Bewusstsein entstehen. Sehen die Punk-Pioniere vergleichbares in der heutigen Jugend- und Popkultur, gibt es eine neue Kultur der Strasse? Hein:„Ich weiss nicht, wo die sich rumtreiben, wenn die so OK sind, wie wir uns damals vorkamen. Ich seh’ sie nicht auf der Strasse derzeit, sie zeichnen sich nicht durch etwas aus. Oder sie sehen nicht so interessant aus, dass ich mich frage: Oh, was machen die bloß?“ Und die abgehakten Revivals interessieren eh nicht, befindet der stilsichere Düsseldorfer Punk-Dandy und schließt kategorisch: „Keine Anbiederung.“

(Vogue)

Dieser Text wurde für die deutsche Vogue geschrieben. Ich konnte die Kulturredaktion tatsächlich noch von der Wichtigkeit der Fehlfarben überzeugen. Als die damalige Chefredakteurin dann allerdings die ersten neuen Bandfotos der Düsseldorfer Band sah, tobte sie ihren Unterredakteur an: Diese Band sei zu alt, die Fotos unmöglich! Der Typ rief mich zerknirscht an, der bereits gesetzte Text flog aus der Endredaktion. Das Honorar wurde trotzdem gezahlt, aber die Vogue verpasste mal wieder ein interessantes Thema. Frühere Themenvorschläge von mir wie P!ink oder Kylie Minogue (vor ihrem Erfolgs-Comeback) hatten sie auch schon schnöselhaft abgelehnt und knirschten danach ziemlich rum. Nun gab’s also noch nicht mal Nachhilfestunden in Sachen stilvoll gealterte Deutschpunklegenden, und die LeserInnenschaft musste sich einmal mehr mit irgendwelchen Eintags-R’n B-Heulsusen oder den neuesten Stilmumifizierungen Brian Ferrys abfinden.

In der ersten Version des Fehlfarben Videos zu „Club der schönen Mütter“ war tatsächlich irgendwo ein Plakat mit der Aufschrift „Zu alt für die Vogue“ zu sehen. Tragikomisch. Logischerweise passte auch der letztliche Titel des Albums „Knietief im Dispo“ nicht wirklich zum Selbstbild der Vogue … als ich diesen erst wenige Wochen vor Drucklegung erfuhr, ahnte ich schon: geht nicht gut.

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