The AntiPop Consortium

DOING WHAT IS HOT

Vielleicht sollte ersteinmal klargestellt werden, was das AntiPop Consortium nicht ist: eben nicht diese futuristische Freeform-Beat-Brause, nach deren Genuss man völlig klar berauscht die popmusikalisch-astronomisch korrekte Supernova-Urknall-Variante des innovativsten HipHops aller Zeiten sich am musikalischen Firmament abzeichnen sieht – das passiert hier mit Sicherheit nicht. Auch wenn im Promogeklapper natürlich gerne damit gearbeitet wird, so far out ist das AntiPop Consortium nun mal nicht. Stattdessen setzen sie sich auf das Fundament der Geschichte, garnieren ihre teilweise erschreckend Old-School wirkenden Vintage-Beats jedoch mit diversen stereophonischen Tricks und elektronischen Effekten, über die sie dann ihre zungenbrecherischen Slam-erprobten Lyrics fliessen lassen, so dass der Gesamtsound, der auf ihrem Album „Arrythmia“ zu hören ist, letztendlich doch mit Sicherheit sehr sonderbar und spannend klingt.

Vor allem über den Kopfhörer des Discmans habe ich während der Zugfahrt zum Gespräch den Eindruck, eine ganz neue Platte zu hören – diese Hörweise sei also allen Interessierten schon mal vorab schwer anempfohlen. Das Trio High Priest, Sayyid und Beans kam 1997 in New York zusammen. Wie empfanden sie die damalige Situation von HipHop und Elektronik? Der impulsive Sayyid läuft sofort heiss: „JETZT gibt es eine Unterscheidung zwischen beiden Stilen, aber HipHop IST elektronische Musik! Die Elektronik kommt vom HipHop, wenn du genau hinsiehst – all die frühen Tracks, die Loops, der Gebrauch von Synths und Samples, das Scratchen…gut, nicht immer, aber um es klarzustellen, sage ich: Elektronik macht dasselbe wie HipHop, nur jetzt ist es anders!“ Der ungleich gelassener agierende Priest ergänzt: „Die heutige Elektronik zieht natürlich auch viel von elektronischen Komponisten mit einem eher akademischen Hintergrund wie Cage und Stockhausen, die im Vergleich zum HipHop der spät70er und früh80er eine sehr konzeptuell angelegte Musik machten. Frühe Elektronik kam aus dieser „klassischen“ Umgebung, und früher HipHop von der Strasse, und beide betraten den Marktplatz zur selben Zeit. Wir beziehen uns auf beide Gebiete, denn wir erlebten beide Stränge als einen grossen Einfluss.“ Sayyid: „Und was war das Ventil für elektronische Musik? Es war das HipHop-Radio! Elektronik existierte nicht vor diesem Radio-Airplay in irgendeiner Form von Mode!“ In New York war HipHop nach dem Entwachsen aus dem Undergroundstatus sehr stark, sichtbar und gegenwärtig, aber Elektronik auch im letzten Jahrzehnt eher klein und speziell, und das ist sie immer noch – trotz eines gut funktionierenden Netzwerks. Was war euer spezieller Anlass damals? Priest: „Zuerst veröffentlichten wir nur Projekte zusammen, dann brachten wir unsere individuellen Sachen in einer festen Gruppe zusammen, damals noch auf Tape. Wir haben einen verschiedenen wie ähnlichen Hintergrund, studierten alle Kunst, aber an verschiedenen Schulen, und trafen uns bei einer „Rap & Poetry“-Veranstaltung.“ AntiPop hat also einen sehr kunstbetonten Hintergrund. Ghetto-Fake-Styles sind kein Thema, und auch Pop-Biz-Gründe sind es nicht. Sayyid: „Musik ist nur ein weiterer Ausdruck – I’m just doing me. Die Einflüsse, Musik zu machen, waren mit Sicherheit dieselben wie bei Kunst.“ Aufwachsen in New York, so der Ex-Graffiti-Writer Priest, heisst: HipHop mitzubekommen, ob von Radio, TV oder Strasse. „Graffiti, Breakdancing & die Musik, das passierte alles zur selben Zeit, aber erst viel später wurde dies historisiert und eine verbindende Linie daraus gezogen, und es wurden die vier oder fünf „Elemente des HipHop“ daraus gebastelt. Damals war das längst nicht so formal, als wie es heute gerne dargestellt wird – aber heute wird die HipHop-Kultur gerne formalisiert.“

Wie arbeitet die Gruppe heute? „Jeder bringt verschiedene Elemente aus dem jeweiligem individuellem Hintergrund ein“, so Priest, „dann sehen wir, wie sie zusammen arbeiten und funktionieren. Es gibt kein festes Konzept, der Kern aber ist definitiv HipHop.“ Sayyid: „Für mich fangen die Tracks immer mit den drums an, dann kommt die Bassline, dann die Sequenzen.“ Alle arbeiten dabei in verschiedenen Formaten: Geräte, Software und Sequenzer werden aber strikt nur als Mittel zum Zweck für die jeweilige Idee gesehen. Manchmal kommt die Idee vor dem Song, manchmal kommen die Lyrics oder ein Konzept nach dem Song – es gibt definitiv kein festgesetztes Format, so läuft es bei dem AntiPop Consortium. Es wird addiert, was in der Vorstellung jedes Einzelnen ist: Ob Bass, Violine oder Cello – die Struktur des jeweiligen Tracks bestehe sehr spezifisch vorher im Kopf, so Sayyid. „Manchmal kommt dabei unser visueller Hintergrund in die Produktion“, ergänzt Priest, „Wir stellen uns die Tracks bildlich vor, und du siehst das fertige Produkt dann als Klang-Bild im Kopf. Manchmal verlangt das zusätzliche Musiker, oder eine andere Software.“ Klare Sache, denn das APC spielt keine Instrumente selbst – sie lernen gerade erst Piano, so Sayyid. Was die Texte angeht, sagt Priest nur ein Wort dreimal: „skills, skills, skills“. Die vier Formate der Texte, fährt er fort, sind Kadenzen, Themen, der Flow und der Inhalt. Früher war man in einem gewissen und eher kleinem Rahmen in der Slam-Szene involviert, hat dort Ausdrucksweisen geformt und die Kapazität der Sprache erweitert. Und alles selbst produziert. Es geht also ganz klassisch um eine musikalische Umsetzung von visuellen und verbalen Vorstellungen. Ihrem Toningenieur Earl Blaze, der bereits für Foxy Brown, KRS 1 oder Pharoahe Monch produzierte, zollt das APC in diesem Prozess den grössten Respekt – er habe intuitives Verständnis für das, was man wolle. Ich erzähle von den Kopfhörer-Klangentdeckungen während meiner Zugfahrt, und Priest nickt zufrieden: „Das ist charakteristisch für das Album – es gibt so viele Details, die man vorher nicht hört, und Earl fügt so viele feine Sachen hinzu, dass es fast wie eine Co-Produktion ist.“ „Wir können ihn nicht kopieren!“, sagt Sayyid, „Er hat zwar nicht das letzte Wort bei uns, aber er formt definitiv unseren Klang – wenn ich etwas ganz bestimmtes haben will, kriegt er’s hin!“ Ob dies dschungelähnliches Gestrüpp und Dickicht als Hintergrund für die sich darin bewegenden Texte oder gar ein „Queen“-ähnlicher minimalbombastischer Höhenflug sein soll – Earl hat immer eine gute Idee, es konkret umzusetzen. Aber wie lässt sich dieser spezifische Klang live präsentieren? Kein Problem: es wird passieren, versichert die Gruppe gelassen und selbstbewusst.

Die Einflüsse des APC sind naturgemäss sehr weitreichend und müssen hier nicht näher erörtert werden. Aber: Joy Division und Bauhaus – wie lässt sich das in dem Sound der Band wiederfinden? „Nicht direkt in der Musik, wir versuchen, nichts von ihrem Klang aufzugreifen“, so Priest, „aber als Inspiration waren auch sie definitiv wichtig“. Sayyid erklärt den grossen Einflussradius sehr einfach: die Radiostationen sind in New York nur Milimeter voneinander entfernt. Und wie geht das futuristische Image, dass ihnen ihre Plattenfirma Warp – das britische Elektroniklabel sprach die Band übrigens direkt an – verpasste, mit ihrem Old-School-Bezügen zusammen? Sayyid: „Ich sehe uns nicht wirklich als Old-School, aber unsere Herangehensweise ist ähnlich, da hast du völlig recht.“ „Wir benutzen diese alten Elemente aber nicht, weil wir davon auf eine romantische Weise berührt sind, sondern nur, um zu etwas Neuem zu kommen“, so Priest. Ist das dieser Typ von Retrofuturismus? Sayyid windet sich, um dies letztendlich klar abzulehnen. Eine Gruppe wie Megatron aus Miami, sagt er, machen dies, aber da geht es um Elekro, wo dieser Akzent noch klar stärker gesetzt wird. Was soll dann dieser programmatisch klingende Name? Sayyid: „Er ist nur eine Art, unsere Musik innerhalb des Marktes auf eine direkte Weise zu umschreiben, es ist ein guter Name für das, was wir tun. Wir sind nicht gegen Pop, vielmehr steht auf unserer Tagesordnung (Sayyid benutzt gerne das Wort „agenda“ für das Konzept des APC): Wie weit können wir unsere Ballonhülle noch aufblasen? Oft passt es einfach nicht, was wir machen. Und diese Agenda ist in diesem Sinne Anti-Pop, sie ist nicht populär, nicht Pop. Das ist“, so Sayyid erschöpft, „die beste und klarste Definition, die ich je dazu gegeben habe. Es geht nur um unsere Agenda, um das nächste Ding.“ Also wieder mal next-level-shit-Folklore? Ihr alter Satz „disturb the equilibrium“ war damals ein griffiger Slogan oder Appetizer, wie Priest sagt, für Leute, die HipHop durch Vanilla Ice oder MC Hammer erfahren hatten. Der APC-Stil hingegen definiert HipHop klar durch eine künstlerische Weiterentwicklung, und da gibt es ja Leute, denen das Consortium hier klar verbunden sein sollte: Freestyle Fellowship, Divine Styler, Del, oder auch Saul Williams, mit dem sie bereits performten – diese Linie wird mit grosser Zustimmung bestätigt. Priest: „Pop funktioniert über Einordnung und Schubladen. Wir hingegen verbinden Elemente. Wir sind gegen die Formate. Keine Grenzen, dafür Konsequenz. We do our thing. Und unser Name ist wie eine hübsche Flagge dafür.“ Wie wichtig ist dann Jazz für euch? Sehr sehr wichtig, bestätigen beide. Als Einfluss? „Wir hatten immer Verbindung dazu, denn Jazz ist Teil unserer Kultur, du weisst, was ich mein“, stellt Priest klar. „Und Jazz beeinflusste HipHop, die Verbindung ist definitiv da. In unserer Produktionsweise schlägt sich das insofern nieder, dass Musik für uns etwas ist, das aus der Erfahrung kommt, und nicht aus der Analyse. Wir setzen uns nicht hin und analysieren herum und sagen: Ok, was machen wir also jetzt?“ Sayyid lacht laut und schallend zur Bestätigung auf. „Nein, wir arbeiten sehr natural“, so Priest weiter, „Meine Plattensammlung enthält viel ECM und ESP-Zeug – fehlende Songstruktur, fehlende typische Formate, sowas formte meine frühe Wahrnehmungsfähigkeit von Jazz. Parker und Coltrane kamen erst später dazu. Diese Leute waren Individualisten!“ Sayyid hingegen bekam den BeBop vom Papa, der damals genauso tief im Jazz steckte wie der Sohn heute im HipHop. Das Coltrane-Tape lief auf Dauerrotation im Kinderzimmer, so Sayyid, aber für ihn gibt es bis heute kein principle of jazz, darauf besteht er: „Doing What Is Hot!“ – Ich habe keine andere Definition von Jazz als das!“ Man hätte es ahnen können. Folgerichtig produziert das AntiPop Consortium demnächst Matthew Ship. Daniel Carter ist auch mit dabei, und das Ganze soll im Herbst rauskommen. Freuen Sie sich drauf.

(Jazzthetik)

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