How High is Jazz? Jazz als Hochpopkultur.

1. Introduktion: Themenvorstellung und Fragestellung

Vielen Dank für die Einladung und herzlich willkommen zu meiner Fragestellung. Zunächst möchte ich kurz erläutern, wie ich zu dem Thema ‚Jazz als Hoch-Pop-Kultur’ gekommen bin.

Mai 2008 – Barry Guy und sein reanimiertes London Jazz Composers Orchestra spielen in der Kulisse des Stadttheaters von Schaffhausen ein begeisterndes Konzert, das einen sinnfälligen und adäquaten Rahmen für Guys Musikschaffen bietet. August 2007 – Henry Threadgill konzertiert mit einem üppigen Orchesterprojekt auf dem Jazzfestival Saalfelden, gewidmet dem Festival, weil, nach eigener Aussage, „es sich seit Jahren auf ambitionierte Weise ernst zu nehmender Musik widmet.“[1]

Da ich zu der Zeit mit Abschluss und Schliff einer Promotionsthese zum Thema ‚Transformation und Vermittlung. Zum Wandel ästhetischer Wertungen, Rezeptionen und Formen’ beschäftigt war, stieß ich mich einmal ganz absichtlich an der selbstverständlichen Verwendung des Begriffes ‚ernst zu nehmender Musik’, da diese logischerweise immer noch gebräuchliche Bezeichnung meiner Ansicht nach einen immer noch zu wenig diskutierten ästhetischen Anachronismus darstellt. Offenbar jedoch haben sich die tradierten ästhetischen Wertungs- und Trennungskriterien, nämlich die oftmals hierarchisierende Trennung in die so genannte U- und E-Kultur, mittlerweile fest in Teile des zeitgenössischen Jazzdiskurs eingeschrieben – sogar in die, die sich als progressiv verstehen.[2]

Noch einmal Schaffhausen: Mai 2008, erster Tag der Jazzgespräche: eine angeregte Diskussion über Zusammenhänge und Vergleiche der Genres Jazz und Klassik, die sich vom Podium ausgehend im Publikum ausbreitete und intensivierte, brachte die diskursiv enormste und auch produktivste Abschweifung des Tages. Ich erinnere mich an einen jungen Musiker auf dem Podium, der hinsichtlich der Situation eines Kollegen aus der klassischen Musik im Vergleich zu seiner eigenen Situation als junger Jazzmusiker sagte: ‚Wie schön wäre es, auch im Frack und bestens bezahlt auf die Bühne zu gehen’ – das war vielleicht der Moment, wo es thematisch bei mir hakte und ich dachte: und genau dieser Wunsch müsste im Bezug auf die Situation der aktuellen Jazzkultur endlich einmal konkreter diskutiert werden. Ja, in der Tat wäre das schön und auch finanziell überaus angemessen – aber inwiefern wäre das Ergebnis dann noch Jazz? Darüber wünschte ich mir zunächst eine grundlegende Diskussion.

Und wenn es denn welcher wäre, also hinsichtlich Material und Kontext, also vornehmlich hinsichtlich Rezeption und Distribution – dann sollte sich doch wohl einiges an der strukturellen Aufführungs-, Vermittlungs- und Förderungs-Situation von Jazz ändern. Eine weitere Frage, die sich hier notwendigerweise anschloss, war: Was für eine Art von Jazz wäre das dann in kulturpolitischer Hinsicht? Wäre diese Art von Jazz dann letztlich in der Lage die Hochkultur regelrecht ‚zu übernehmen’? Und zwar in dem Sinne, nicht nur das ästhetische Potenzial zu haben, an deren Spielorten aufgeführt zu werden, sondern auch die selbstverständliche Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft zu haben, die klassische Musik in der Regel – auch aus einer Tradition der Gewöhnung daran – immer noch in der Mitte der Gesellschaft hat. Diese Frage lässt sich auch hinsichtlich einer meiner Thesen stellen, dass nämlich die traditionellen Spielorte der bürgerlichen Hochkultur als zukünftig zunehmende kulturelle Leerstellen (Vacancies) weiterhin mit ästhetischem Material gefüllt werden müssen.

Zunächst lässt sich jedoch die Tatsache feststellen:

Jazz und improvisierte Musik haben sich, gerade betreffs Präsentation und Gestus, teils aber auch vom Material her, nicht selten den Traditionen, Strukturen und Spielarten der klassischen E- oder Hochkultur angenähert.

Die Fragen, die ich daraus ableitete, waren:

Entspricht dies vorrangig einer experimentellen Variation des Genres (Vgl. z.B. Rock und Progressive Rock), einer ästhetischen Notwendigkeit und logisch-innovativen Progression, oder will der Jazz jetzt einfach auch kulturpolitisch seinen verdienten Teil vom Kuchen?

Strebt der Jazz bzw. Teile von ihm explizit eine bestimmte Form von Seriosität im Bezug auf Standards der Hochkultur an, um ästhetisch und gesellschaftlich anerkannt zu werden? Und das womöglich unter Definitions- und Trennungskriterien und Kategorien, die mitunter gar nicht mehr als ästhetisch adäquat gelten können oder zumindest höchst fragwürdig geworden sind? Und hat Jazz in all seiner Geschichte, Tradition und nicht zuletzt auch seinen unterschiedlichen Kontexten (z.B. hinsichtlich der Kontexte in den USA und in Europa) tatsächlich das Potenzial und das Charisma, ein neues Paradigma oder eine transformierte Form der so genannten Hoch- oder E-Kultur zu werden? Oder bewegt er sich nicht vielmehr oszillierend und interaktiv transformierend zwischen den immer noch virulent getrennten Feldern der E- und der U-Kultur und profiliert sich so als eine Art nomadisierende Kunstform?

Viele Fragen. Als Ausgangspunkt für deren Diskussion lässt sich die Jazzkultur zunächst einmal generell als eine lebendige und ästhetisch sehr disparate und divergente Musikkultur zwischen den ästhetischen Systemen Hoch- und Popkultur definieren.

Es ist meine Intention und Hoffnung, dass die heutigen Gespräche Anregungen zu Diskussion geben können, wie die beschriebenen aktuellen Entwicklungen benennbar sind, inwiefern sie künstlerisch und ästhetisch wünschenswert, vertretbar und produktiv sind, und nicht zuletzt, was sich aus ihnen für praktische Folgen in Sachen Vermittlung und Förderung ergeben müsste.

Zum einen hieße es also Fragen zu stellen nach den gegenwärtigen ästhetischen Grundlagen und Ausformungen des Genres, zum anderen aber auch, warum Jazz, so er sich auf ein ähnlich komplexes und avanciertes Niveau wie die klassische Musik begibt, verglichen mit ebendieser niedriger gefördert und subventioniert wird und als gegenwärtig gültige ästhetische Form häufig auch marginalisiert bleibt. Letzteres hieße also die Frage nach der gegenwärtigen Beschaffenheit der Struktur zu stellen, in der Jazz als Kulturform agiert: nach Formen und Möglichkeiten seiner Präsentation, Vermittlung, Distribution, Didaktik und seiner Diskussion, also grob zusammengefasst als Praxis, Präsentation, Politik. Letztere bedeutet im Bezug auf Jazz logischerweise immer Kulturpolitik, also konkrete Impulse und strategische Interventionen zur ökonomische Rahmensetzung und Unterstützung für die Jazzkultur.

2. Von Innen nach Außen. Zu den ästhetischen Grundlagen von Jazz und der Schwierigkeit einer zeitgenössischen Positionierung zwischen U- und E-Kultur

Als Titel zu meinen Überlegungen wählte ich die Frage „How high is Jazz?“, intendiert als Standortbestimmung. Das Motto des heutigen Tages der Jazzgespräche, „How high the Jazz“, indes bedeutet möglicherweise noch etwas anderes, vielleicht nämlich die Frage ‚Wie lässt sich der Jazz erhöhen?’ Das ist nahe am Ausgangspunkt meiner Frage, doch ich würde zunächst einmal zurückfragen: ‚Why high the Jazz?’ Warum ihn also überhaupt erhöhen, und: wo sollte er denn dann hin? Ins Opern- und Konzerthaus etwa, und dann wäre dieser Kulturform genüge getan? Genau das wäre in der Tat eine Frage, und dafür intendiere ich zunächst eine Grundlagendiskussion. Die Frage nach der Erhöhung des Jazz ist in unserem Kontext korrekt, aber bereits eine explizit strategische Frage, vielleicht bedeutet sie: ‚Wie machen wir den Jazz zur Hochkultur?’ Dies indes ist aber für mich letztlich überhaupt nicht die Frage, da ich vielmehr den Begriff der Hochkultur im gegenwärtigen ästhetischen Diskurs generell problematisieren möchte. Meine Frage wäre demnach auch folgerichtig eher, etwas provokativ gesagt: ‚How lower the High Culture?’

Ich erlaube mir gleich zu Beginn, diese sehr wichtige begriffliche Trennung zu problematisieren. Denn die vorrangigere Frage ist vielmehr ungleich profunder und gleichsam vielleicht auch sublimer: „How high is Jazz?“ – das bedeutet nämlich vielmehr: wie sehr IST Jazz mittlerweile oftmals schon Hochkultur im Sinne des ästhetischen Gehalts dieser tradierten Zuschreibung, und zwar vom ästhetischen Material und seiner Präsentation her? Und wie lässt sich Jazz dann in bestimmten Kontexten als Hochkultur verstehen, also wo und wie adaptiert er Gesten bzw. den Gestus der so genannten Hochkultur in Material, Inhalt, Form und Interpretation? Und, nicht zuletzt: ‚To be high’ bedeutet natürlich auch, ein bewusster Doppelsinn, ‚drauf sein’ – im Rausch sein, und im übertragenen Sinne könnte dies bedeuten: wie sehr ist ‚der Jazz’ – wenn wir Jazz immer noch als eine oftmals schon längst unzureichende ästhetische Klammer verwenden –, bzw. besser gesagt also Teile von ihm, womöglich selbst im Rausch, Erbe der Hochkultur zu sein?

Dass die ästhetischen Schnittstellen und musikalischen Interaktionen von Jazz und improvisierter Musik zu Klassik zeitgenössischer Klassik und Neuer Musik praktiziert werden, sollte klar sein und kann an vielen Beispielen belegt und aufgezeigt werden. Dies ist ein ästhetischer Prozess, der schon seit den späten 1950ern und hier natürlich konkret beginnend bei Gunther Schullers Konzept des ‚Third Stream’ und diversen Folgemodellen zu beobachten ist. Interessanterweise nimmt auch das aktuelle Programm von Mathias Rüeggs ‚Vienna Art Orchestra’, welches ja auch hier in Schaffhausen 2009 zu Gast ist, durch seinen Titel ‚Third Dream’, Bezug auf diese Prozesse, wenn auch durch eine bewusste ironische Brechung.[3]

Die Annäherung von Jazz an die so genannte E- und Kompositionskultur ist also erst einmal nichts Neues, die Vermischung von Improv und Kompo ist ab den 1960ern nachzuweisen – obwohl damals noch von Seiten des Jazz oft eine explizite Ablehnung der als bürgerlich apostrophierten Klassik stattfand, erst recht ab der Free Jazz-Explosion ab Mitte der 60er, welche den oftmals formalistisch erstarrten Weg des ‚Third Stream’ aufbrachen und alternative Wege aufzeigten, die vom ästhetischen Material auch ins gesellschaftliche wiesen. Es lässt sich sagen, dass der Jazz diesen Weg für die Rockmusik antizipierte: letztere näherte sich vor allem ab Ende der 60er Jahre explizit diversen Gesti und Ausdrucksformen der klassischen Musik an, die sinnfälligsten Beispiele hierfür sind Progressive-Rock und Rock-Opern, wobei diese Entwicklung vor allem musiksoziologisch zu verstehen ist, nicht streng musikwissenschaftlich. Dies heißt: die Aufbereitung des ästhetischen Materials ist bei den Modellen des ‚Third Stream’ different von z.B. den Formen des Progressive Rock, gleich ist indes, dass ein bewusster musikalischer Aufbruch – wenn man will eine Revolution – die neue Komplexität der jeweiligen Form angriff und in Frage stellte: hier durch Free Jazz, dort durch Punk. Dieser Vergleich lässt sich vor allem musiksoziologisch ziehen, wobei nicht vergessen werden sollte, dass diverse Rebellen und Originatoren des Free Jazz sich später wiederum klassischen Formen wie Symphonie, Kammermusik oder auch Ballett widmeten, ich erinnere an Ornette Coleman oder auch an Anthony Braxton.

Gleichsam galt in der sozialästhetischen Bewertung dieser Zeit Jazz sowohl wie Rock, wie wir wissen, nicht nur als Sub-, sondern auch als U- und in diesem Sinne oftmals als kanonisch offiziell diskreditierte Banalkultur.

Jazz entstand aus der Folk- und Populärkultur und war zunächst klassische Tanz- und Unterhaltungsmusik, gespielt in Dance- und Musichalls, die der Unterhaltung und nicht der ästhetischen Kontemplation dienten, bevor dann die Transformation in komplexere Formen und Arrangements begann. Tobias Lehmkuhl schreibt darüber jüngst in der SZ:

„Tatsächlich war Jazz in den zwanziger Jahren vor allem Tanzmusik. Ende des Jahrzehntes spielten 60.000 Bands in den Tanzlokalen in den USA. Die Betreiber nannten sie, um Publikum anzulocken, „Jazz“-Bands. In erster Linie also stand „Jazz“ für Tanz, in zweiter Linie für Sex und dann erst für Musik. „Jazz“ bedeutete, ganz allgemein hip zu sein, zeitgemäß, und gerade die Avantgarde ließ sich von dieser neuen Lebenshaltung inspirieren.“[4]

Im Zuge eines afroamerikanischen Selbstverständnisses wurde Jazz dann in Folge oft auch als schwarze oder afroamerikanische Klassik bezeichnet, beispielsweise von Nina Simone oder von Frank Foster.[5] Mittlerweile bedeutet Jazz in den USA – wie viele Formen der Populärkultur – selbstverständlicher Teil des kulturellen Erbes und der Kulturtradition zu sein, auf das sich stolz sein lässt – die Unterscheidung in U- und E-Kultur und die damit verbundenen Zu- und Abwertungen ist in den angloamerikanischen Kulturtraditionen mitunter weniger virulent als im okzidentalen Kulturverständnis, wo sie, es muss derart krass gesagt werden, immer noch wie ein nicht zur Ruhe kommender Virus aktiv ist. In Europa herrschen wegen der immer noch extrem wirksamen und auch extrem unglückseligen Trennung in U- und E immer noch sehr häufig eine ästhetische und vor allem auch eine damit verbundene ökonomische Trennkost. Diese Trennung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Zu- und Abwertungen existieren als ästhetische Vorurteile, die zur Gewohnheit in der ästhetischen Wahrnehmung wurden und die selbstredend auch in die damit verbundene Kulturpolitik hineinreichen. Klassische Musik ist in den meisten europäischen Gesellschaften immer noch die offizielle Repräsentations- und Identifikationsmusikkultur. Die ästhetische Separierung in eine so genannte ‚U und E-Kultur’ wird indes von vielen Medien unreflektiert weitertransportiert. Für viele KünstlerInnen, gerade im avancierten Jazzbereich, ist diese Trennung zwar im Grunde kein wirkliches künstlerisches Thema mehr, sie können ästhetisch sozusagen vogelfrei über diesen Grenzen agieren, sie müssen aber gerade in Sachen eigener Vermittlung und kulturpolitischer Positionierung oft auf diese ästhetischen Separierungen und Wertungen achten bzw. mit ihnen umgehen, denn im Bereich von Medien, Didaktik und offizieller Kulturpolitik ist diese Trennung nach wie vor prägend.

Für den Jazz und die improvisierte Musik müssen die aktuellen ästhetischen Verbindungen hier nicht explizit mit musikalischem Material belegt werden, dies würde in unserem Kontext zu weit führen. Ein Beispiel aus meinem persönlichem Wirkungskreis sei höchstens noch erlaubt: im April 2009 lief gerade die 7. Edition des Grazer V:NM-Festivals, für dessen Textarbeit ich verantwortlich zeichne, über die Bühne. Hier finden sich neben musikalischen AutodidaktInnen und ImprovisatorInnen viele maßgebliche österreichische KomponistInnen ein, die eine klassische Kompositionsausbildung absolviert haben und im Rahmen zeitgenössischer Klassik und Musik aktiv sind. Im Rahmen des V:NM indes verlegen sie ihre Fertigkeiten indes explizit auf die freie Improvisation und das spontane Kollektivspiel. Immer wieder war und ist in den MusikerInnen geführten Gesprächen festzustellen, dass für die künstlerische ProduzentInnenseite die gesellschaftliche Diskussion über die Situierung und Positionierung der Musik zwischen den Polen E- und U als unbedingt notwendig befunden wird. Zwar ist für den konkreten ästhetischen Akt, also die Komposition und Performanz der Musik, die konkrete Abgrenzung, Definition und Selbstbestimmung nicht mehr unbedingt notwendig, sehr wohl aber, sobald es nach ‚Außen’ geht.

Dies beschreibt auch Gabriela Friedli sehr richtig, die ich Anfang Dezember 2008 für eine mögliche Teilnahme an den Jazzgesprächen anfragte, und die eine sehr schön formulierte Antwort (– zunächst übrigens eine Absage –) schickte, aus der ersichtlich wurde: das Thema ist auch für MusikerInnen hochwichtig und -notwendig, nicht zuletzt zur gesellschaftlichen Reflexion und Selbstpositionierung. Denn sobald es um Vermittlung, Akzeptanz, Performanz, Förderung und Ökonomie der eigenen Arbeit geht, ist spätestens eine Positionierung vonnöten. Es wäre da ein wenig einfach zu sagen: ‚Hey, ich mache doch einfach nur Musik’. Denn selbstverständlich ist im kulturpolitischen Kontext schon einmal gar nichts. Was hier heute selbstverständlich ist, kann morgen bereits scharf diskutiert werden und übermorgen sogar Makulatur sein.

Die Positionierungen innerhalb der Bereiche Klassik und Jazz sind also wichtig und die ästhetischen und musiksoziologischen Analysen eines Austausches der Felder sinnvoll und als Diskussionsgrundlage notwendig. Denn es geht ja eben nicht nur um das musikalische Material, sondern vor allem auch um die gesellschaftlichen Wertungen, Positionierungen und Zuordnungen, denen die Musik jeweils unterworfen ist, das heißt, es geht um den sozialen und politischen und damit natürlich ökonomischen Kontext, in dem die Kultur stattfindet. Es geht um Aufführungspraxen, um den medialen Diskurs, um die Vermittlung, selbstredend um die Didaktik und nicht zuletzt auch um das jeweilige künstlerische Selbstverständnis, den individuellen Aktionsradius und dessen ‚Praxis-Vibe’. Mit diesem lässt sich die ästhetisch-soziale Grundhaltung eines Künstlers bezeichnen, die da beispielsweise fragt: wo spiele ich, mit wem, für wen, lasse ich mich sponsoren, bin ich subventioniert, möchte ich dies, oder möchte ich explizit mehr zum Publikum, lege ich mehr Wert auf Unabhängigkeit oder auf marketingtechnische Positionierung oder – schwierige, aber nicht unmögliche Gratwanderung –, auf beides?

Um der Problematik ‚U’ und „E’ bzw. ‚Jazz’ und ‚Klassik’ grundlegende klärende Definitionen voranzustellen ist es hilfreich, einige – an dieser Stelle keineswegs erschöpfende! – musikalische und aufführungspraktische Merkmale hervorzuheben, die Jazz und improvisierte Musik spezifisch auszeichnen und die sie zunächst explizit von der klassischen Musik unterscheiden. Auch hier können die Unterschiede zunächst kategorisch klingen, aber logischerweise individuell und kontextuell höchst unterschiedlich umgesetzt werden.

Ich betrachte die beiden Genres Jazz und Improv zunächst zusammen, obwohl sie sich natürlich mittlerweile sehr disparat entwickelt haben, nämlich grundlegend einmal als Jazz auf der Grundlage von Notation mit harmonischen Absprachen und einmal als dezidiert freie Improvisation.

Was ist hier kategorial bezeichnend für Jazz im allerweitesten Sinne?

  • Individuelle Ton- und Klangsprachen, die über die normativen Instrumentalklänge und die Kompositionsprinzipien der okzidentalen Klassik weit hinausreichen bzw. diese regelrecht sprengen.
  • Kollektive Arrangements bzw. grafische Notationen als Plattform für kollektive, oft auch spontane Arrangements.
  • Mitunter keine Notationen, bei freier Improvisation explizit nicht.
  • Eine daraus resultierende Variation, Erweiterung oder auch Umwertung des klassischen Kompositionsbegriffes. Bei einer Formation, die Jahrzehnte miteinander frei spielt, ist improvisieren mitunter wie komponieren, auch hieraus leitet sich der für den Improv-Bereich wichtige Begriff des ‚Instant Composing’ ab. Ein Leben lang frei improvisiert zuspielen, erzeugt die Faktoren, die für die genuine Ästhetik frei improvisierter Musik bestimmend sind: die praktische Erfahrung auf der Bühne, das Reaktionsvermögen, das geschulte aufmerksame Zuhören-können ebenso wie das Vergessen-können, nämlich einmal generell das Vergessen-können von einer möglichen Notation wie auch der Reiz-Reaktions-Klischees und Normen, die es in der improvisierten Musik, bedingt durch ihre historische Aufführungspraxis, selbstredend auch mittlerweile gibt. Das heißt also, die Fähigkeit, musikalische und aufführungspraktische Regeln kreativ und produktiv wieder brechen zu können, ist ein grundlegendes Merkmal und eine wesentliche Voraussetzung für die frei improvisierte Musik. Dies ist nach wie vor der Punkt, der diese Musik von der klassischen Musik am meisten unterscheidet.

    • Eine langjährige professionelle Praxis frei improvisierter Musik indes erfordert – und dies ist kein Widerspruch, sondern eine dem Improv inhärente Dialektik – eine grundlegende ästhetische Relativierung der normativen Parameter von improvisierter Musik als ‚freier Musik’: Improv ist in diesem Sinne nur vordergründig eine Musik, die spontan aus dem Moment entsteht und eine Rückführung zur notenlosen Musik darstellt. Der Kölner Musiker und Komponist Thomas Lehn: „Es ist die Geschichte, die immer mitspielt, diese Musik kommt nicht immer aus dem Moment.“[6] Daher ist Improv, so er professionalisiert gespielt wird, letztlich auch in gewissem und durchaus dialektischem Sinne eine reproduzierende Kultur, nämlich die Arbeit mit einer individuellen und universellen musikalischen Geschichte, bewerkstelligt mit mitunter vorgearbeiteten Modulen und deren spontaner und bewusster Neu- und Rekombination. Von der Fixpartitur der Klassischen und Neuen Musik unterscheidet sich diese spezifische Ausdrucksweise jedoch immer noch enorm. Um das Beste beider Welten zu verbinden, versuchen gegenwärtig oft diverse KomponistInnen, die in der komponierten als auch der improvisierten Musik einen Hintergrund haben, als GrenzgängerInnen zu agieren und den Rahmen für die Rezeption beim Publikum zu erweitern.
    • Häufig finden sich aktuell Verbindungen zwischen Improv und Klassik unter Verwendung und Bezügen auf Gesten und Techniken der komponierten und Neuen Musik, so deren kontrollierender Gestus des Tonmaterials, der Tonfülle, der Expression und der Dynamik. Die Schnittpunkte und Interaktionen verschiedener Ästhetiken sind es, welche diese neueren ästhetischen Hybride auszeichnen.
    • Eine Verbindung zwischen klassischer Musik und Jazz und Improv besteht definitiv im ‚Impuls des Virtuosen’. Dies bedeutet generell die handwerkliche Fertigkeit und die Liebe zum Instrument, die den Jazz z.B. von diversen Formen der Popmusik abgrenzt: ein Instrument zu lieben, zu kennen und zu verstehen, das gibt es ganz stark im Jazz wie in der Klassik, mitunter natürlich auch in Folk und Rock und natürlich auch vielen ethnischen Musiken, in seiner expressiven Intensität jedoch ganz stark im Jazz.[7] Eine simple Wahrheit, aber zugleich eine Basisdefinition für den Jazz wäre darüber hinaus: er zeichnet sich dadurch aus, dass seine Protagonisten ihre Instrumente wirklich gut spielen können. Gunther Hampel sagte es mir in einem Gespräch einmal so: „Jazz zu spielen ist beinahe wie in einer Gilde zu sein.“[8] Dies allerdings bezogen auf das Handwerkliche, gar nicht einmal so sehr auf das Elaborierte oder den elaborierten Gestus, der natürlich auch schon bei einigen Meistern dieser imaginären Gilde aka einigen Jazzmusikern notorisch durchkam und -kommt. Doch ist Jazz von daher nicht auch grundsätzlich potenziell prädestiniert zu den Gesti und Präsentationsformen der sogenannten Hochkultur, wo das Virtuose, Meisterhafte und mitunter Elaborierte präsentiert werden soll?
    • Fazit dieser Merkmale für unsere Fragestellung: Improv ist – bei allem dialektischem Bezug auf die eigene Geschichte und Aufführungspraxis – keine Repertoire-reproduzierende Kultur im klassischen Sinne, sondern eine sich aus dem ästhetischen Moment heraus neu kombinierende bzw. erschaffende Kultur. Jazz im traditionellen Sinne präsentiert sich dagegen oftmals als klassische Repertoirekultur. Sofern es sich also um Kompositionen und Notationen handelt, agiert traditioneller Jazz oftmals wie klassische Musik.

    Beim letzteren Punkt gilt es anzusetzen: Jazz-Standards können demgemäß genauso reproduziert werden wie Klassik. Klassischer Jazz wäre in diesem Sinne eine reproduzierende Repertoirekultur (wie beispielsweise die Opernkultur), die lebendig gepflegt wird. Die Frage wäre, inwiefern das dann noch Sinn und Auftrag von zeitgenössischem Jazz ist. Als eine Archiv- und Erinnerungskultur, die eine historische musikalische Ästhetik heute direkt vermitteln kann und bestenfalls aus der lebendigen Konservierung heraus Grundlagenimpulse für einen zeitgenössischen musikalischen Progress geben kann, wäre dies überaus denk- und begründbar. Und genau dafür wären dann die Philharmonien und Konzerthäuser der Hochkultur geeignete Orte in der Zukunft.

    Neuere ästhetische Wertungswandel und Rezeptionsgewohnheiten beim Publikum indes lassen erkennen, dass die Aufführung einer klassischen Repertoirekultur nicht zwangsläufig der ultimative Zweck der klassischen repräsentativen Spielstätten der E-Kultur ist – hierfür bildet vielmehr die ästhetische Reichhaltigkeit und Komplexität der improvisierenden Musik ebenfalls einen schier unerschöpflichen Fundus, den es zunehmend in adäquaten Rahmen zu präsentieren und zu fördern gilt.

    Auf der anderen Seite besinnen sich viele zeitgenössische ProtagonistInnen der Jazz und Improv-Kultur auch – manche gar parallel zu ihren hochkulturellen Exkursionen – auf die ‚popkulturellen’ Wurzeln der Jazzkultur und orientieren sich dezidiert an einer Aufführungspraxis abseits der hochkulturellen Spielstätten.

    Herauszuheben ist angesichts dieser divergenten Prozesse eine grundlegende strukturinterne Sicht auf den Jazz: die ästhetischen Schnittmengen innerhalb der zeitgenössischen Jazzkultur werden immer größer, die Interaktionen auch. Wenn es von Jazz eine zeitgenössische Definition geben sollte, dann die, dass das Genre nach wie vor nicht statisch definiert ist, sondern eine progressive Definition, dynamische Erweiterung und Transformation seiner selbst darstellt. Wie viele JazzerInnen sehen sich aktuell, obschon aus der Jazz-Tradition her kommend, beispielsweise an die ästhetischen Errungenschaften der Zweiten Wiener Modernen Klassik, der Neuen oder der seriellen Musik anknüpfend? Und ebenso gibt es selbstredend jede Menge zeitgenössische JazzerInnen, die vorbehaltlos an die Errungenschaften von Rock- und Popkultur sowie an Clubkultur und HipHop anknüpfen.

    Es wird daher im Jazz der Stunde zum ersten eine inhaltlich-strukturelle Trennung deutlich, und zwar in einen Jazz, der sich dezidiert vorrangig als popmusikalische Form versteht (PopJazz, Dancefloorjazz, ClubJazz, aber auch Rock-, Hardcore- und auch PunkJazz) und ein Jazz, der sich vorrangig als ästhetische Progression in Anbindung an neoklassiche, zeitgenössische neue Musik und kammermusikalische Formen versteht. Und dann gibt es allerdings, und dies ist für unsere Fragestellung vor allem bedeutsam, die vielen GrenzgängerInnen und NomadInnen, die zwischen den Genres umhergehen, diese Exkursionen auch konzeptuell umsetzen und nicht zuletzt deshalb BotschafterInnen für die kreative interaktive Transformation der vormals streng separierten Genres im Jazz sind. Als ein bekanntes Beispiel aus der Schweiz kann hierfür z.B. Lucas Niggli gelten, der beispielsweise zwischen den Feldern Jazz/Improv, Progressive Rock und Hardcore, Neue Musik sowie ethnischer Musik agiert. Aber auch an eine historische, erstaunliche und ästhetisch wagemutige Persönlichkeit wie den letztjährig verstorbenen Teo Macero sei in diesem Kontext erinnert: der legendäre Musiker und Produzent von Charles Mingus und vor allem von Miles Davis, mit dessen von der Jazzwelt damals vielgehassten Alben „In a silent way“, „Bitches Brew“ und „On the Corner“ Davis wieder zu einem jungen und hippen Publikum finden wollte – dieser Macero war auch Absolvent der Juilliard School of Music und Komponist zeitgenössischer Musik, er war ein Pionier des Third Stream und des Fusion im Jazz. Als Beispiel für ein Label, das die grenzgängerische dialektische Verbindung von Klassik und Jazz vor einem spezifisch europäischen Hintergrund schon früh praktizierte und veröffentlichte und in Europa daher als absoluter Pionier gelten kann, nenne ich das 1969 von Manfred Eicher in München gegründete Label ECM (Edition of Contemporary Music). Soviel in Kürze zu den ästhetischen Schnittmengen. Matthias Ziegler wird im Anschluss als aktiver Gestalter dieser ästhetischen Schnittmengen und ihrer Konzepte einige Sachverhalte sicherlich exemplarisch illustrieren.

    Zum zweiten ist hinsichtlich der gegenwärtigen Transformation der Jazzkultur eine grundsätzliche kulturwissenschaftliche Erkenntnis festzuhalten: Populäre Kulturformen, die vor Jahrzehnten bzw. sogar noch erst vor Jahren vom offiziellen Kulturdiskurs – auch von Geisteswissenschaftlicher Seite – häufig als banal und trivial diskreditiert wurden, sind mittlerweile im offiziellen Kanon der Kultur angekommen. Sie können sogar mittlerweile in einem gesellschaftlichen, ja auch nationalem Sinne als repräsentativ gelten und werden auch so verwendet: literarische Subgenres wie Comics, Kriminalromane, Science-Fiction, sogar Fantasy, aber auch vollständige ästhetische Genres wie die Fotografie, der Film, mittlerweile sogar bestimmte Teile des TV. Für die Musik- bzw. die Populärmusik gilt das selbstredend auch – Pop oder Jazz sind mitunter beliebte nationale oder regionale kulturelle Brands geworden. Über das Qualitätskulturlabel ‚Jazz aus der Schweiz’ haben wir hier in Schaffhausen schon früh explizit diskutiert. Im Bezug auf das große System Jazz heißt das: Musik, die früher als mitunter banal diskreditierte Pop- bzw. Subkultur- oder Marginalmusik angesehen wurde, wird heute nicht nur als nationales und repräsentatives Kulturgut, sondern darüber hinaus in einer universellen ästhetischen Matrix bereits als die ‚Klassik’ des Genres angesehen. Ein Beispiel hierfür mag John Coltrane sein. Dessen Sohn Ravi Coltrane stellte indes kürzlich erst klar, wie wenig die Musik seines Vaters, obwohl sie Teil dieser universellen musikalischen Matrix ist, letztlich massenkompatibel und mehrheitsfähig sei, als er anlässlich dessen 80. Geburtstag in einem Interview sagte:

    „Schon immer hat sich die Mehrheit der Menschen wenig für spirituelle Tiefe interessiert oder stand Kreativität gleichgültig gegenüber. Das wird sich nicht ändern und es wird nie ein Faktor sein, nach dem das Kunstschaffen eines Erneuerers beurteilt wird. Neben diesen populären Meinungen aber wird es immer eine Subkultur geben, die die Musik vorantreibt. Deshalb mache ich mir auch wenig Sorgen, wie man John Coltranes Musik am Leben erhalten soll. Sie gehört inzwischen zu den Grundlagen. Ähnlich wie die Werke von Bach, Mozart, Debussy, Bartok, Stravinsky, Ellington, Charlie Parker, Thelonious Monk, Miles Davis, John Lennon und Paul McCartney oder Stevie Wonder wird sie immer über die populären Urteile hinausgehen. Sie wird gehört, studiert und diskutiert werden.“[9]

    Interessant an diesem Zitat ist natürlich die Reihe, in der Coltrane hier neben anderen Jazz- und Popmusikgrößen steht. Letztlich sollte klar sein: Coltranes Musik, gleich ob Sub- oder Hochkultur, ist längst Weltkulturerbe geworden, und letzteres sollte gepflegt werden.

    Die Frage ist nur, wo und wie. Denn die Frage nach einer Einordnung in E- oder U-Kultur stellt sich bei der Musik Coltranes schon gar nicht mehr, und die Frage nach einer Hoch- oder Trivialkultur erst recht nicht. Woraus sich schlussfolgern lässt: diese Unterscheidungen sind tatsächlich ästhetisch irrelevant geworden, sie bestimmen jedoch leider immer noch den Strukturrahmen der Kulturvermittlung und –förderung – und dies sehr stark.

    Wieso aber ist es scheinbar so schwer, die zeitgenössische Jazzkultur im öffentlichen Diskurs als eine ästhetisch äußerst wichtige und förderungswürdige Kultur zu zentrieren? Möglicherweise weil die Jazzkultur, gerade auch als ein Teil der Popkultur, als ein dynamisches ästhetisches System mit teils unterschiedlichen Ausrichtungen erst zögerlich bzw. zu zögerlich für eine repräsentative Förderung auf breiterer Basis angesehen wird?

    Ich zitiere einen kurzen Abschnitt meiner Dissertation aus dem Kapitel über Popkultur, in dem ich u.a. das ästhetische Subsystem Jazz in Bezug auf den Wandel ästhetischer Wertungen setze:

    „Die aus der Popkultur entstandene und mittlerweile zwischen Pop- und E-Kultur changierende Kultur des Jazz indes wird mittlerweile oft als eine Form von Klassik des 21. Jahrhunderts erklärt[10], dies jedoch nicht etwa als bloße Projektion weißer Kritiker und Experten, sondern eben durchaus als Selbstdefinition und Strategie aus der klassischen schwarzen Jazzkultur heraus. Diverse exponierte Protagonisten der traditionellen schwarzen Jazzszene wie der Trompeter Wynton Marsalis, der einen dezidiert konservativen musikalischen Ansatz vertritt, arbeiten schon lange daran, Jazz im Kanon der US-amerikanischen Hochkultur durchzusetzen und erzielten damit bereits erste nachweisbare Erfolge.[11] Wenn Jazz indes als eine schwarze Klassik[12] interpretiert wird, ist dabei weder genau geklärt, ob sich das ästhetische System der klassischen Musik strukturell und von den ästhetischen Wertungen und Definitionen her sinnvoll auf das System des Jazz übertragen lässt, noch ist dabei deutlich geworden, wie eine solche Transformation letztlich real, also über eine Aufführungs- und Rezeptionspraxis her, stattfinden könnte.[13] Darüber hinaus wäre in diesem spezifischen Kontext auch eine weitere Klärung über die gegenwärtige ästhetische Struktur und die Definitionsformen des Systems und des Begriffs Jazz vonnöten. Jazz im herkömmlichen Sinne wird im gegenwärtigen Diskurs zum Teil von bedeutenden Protagonisten dieses Genres mittlerweile als konservative Genre-Klammer abgelehnt[14] und vielmehr als generelle Strukturmatrix improvisierter Musik anerkannt und weitergesponnen.

    Gerade der Jazz ist ein gutes gegenwärtiges Beispiel, um die ästhetischen Wertungswandel und Transformationen innerhalb eines ästhetischen Systems zu beschreiben, da es mittlerweile zumindest zwei diametral gegensätzliche Definitions- und Präsentationsformen gibt, die das ästhetische Genre generell bestimmen, nämlich Jazz als Repertoiremusik und Jazz als System einer dynamischen ästhetischen Entwicklung. Da sich Jazz als ästhetisches System aktuell zwischen den Systemen der Popkultur und der Hochkultur definiert, könnte sich hier eine Transformatorische Konvergenz im Bezug auf Material, Präsentation und ästhetische Wertungen besonders gut verfolgen lassen.“[15]

    Doch dies ist nur ein Teil der Entwicklung. Der Prozess der Implantierung der Popkultur nicht nur als ästhetisches System, sondern auch als staats- wie gesellschaftstragende Kultur hat kulturhistorisch gerade erst begonnen. Welche Rolle die gegenwärtig zwischen Hoch- und Popkultur agierende Jazzkultur als eine Art ‚HochPopkultur’ dabei spielt, gilt es aufmerksam zu verfolgen und intensiv zu diskutieren. Ich komme zum dritten und letzten Punkt:

    3. Folgen für den Strukturrahmen

    Auf dem Feld der Kultur ist derzeit eine große Transformation im Bezug auf den Wandel ästhetischer Formen und Wertungen aktiv. Ästhetische Felder, die einst marginalisiert oder diskreditiert wurden, sind oder werden mittlerweile kanonisiert, allgemein ästhetisch anerkannt oder zumindest als veritables kulturelles Subsystem akzeptiert. Diese Prozesse sind mittlerweile über mehrere Jahrzehnte immer präziser und gleichsam intensiver beobachtbar geworden, und ihr Zyklus wird mitunter immer kürzer. Eine meiner Hauptthesen ist, dass die traditionelle Unterscheidung der Kultur in ‚High and Low’ (bzw. E und U) auch offiziell, also im wissenschaftlichen Sinne – bzw. gerade dort – mittlerweile hinfällig geworden ist, da sie ungenau, unrealistisch, inadäquat und letztlich auch ästhetisch kontraproduktiv ist. Provokativer und sloganistischer gesagt ist meine Hauptthese: Schluss mit der traditionellen Hochkultur! Denn was bitteschön ist heute noch Hochkultur? Wir haben keine objektiven und universell gültigen Kriterien und Kategorien mehr für eine derartige Klammer! Wir haben stattdessen eine kulturelle Tradition, die aus etwas wie einer universellen Matrix bestehet und in vielerlei Hinsicht als ‚Weltkulturerbe’ begriffen kann – ich erinnere an das Beispiel Coltrane. Aber Hochkultur? Der Begriff entstammt den historischen Wertungskriterien des westlichen Kulturkreises und ist nach wie vor abwertend gegenüber vielen Kulturformen, gleich ob ethnischen oder popmusikalischen Musiken, die sich nicht darunter ordnen lassen. Und was ist bitteschön dann heute die so genannte Tiefkultur? Die Ästhetik der Postmoderne legt eine radikale Neusichtung und Neubewertung der angeblich objektiven ‚ewigen’ ästhetischen Werte und darüber hinaus eine Ästhetik der Indifferenz nahe, aus der sich erst wieder neue Plateaus der ästhetischen Analyse und Zuordnung bilden könnten. Der ästhetische Qualitätsdiskurs ist oftmals historisch vorbelastet und äußerst heikel, im kulturwissenschaftlichen Bereich sowieso, aber auch im Feld der Kulturförderung, wenn er auf ganze ästhetische Genres und Subfelder angewandt wird anstatt auf allgemein förderungswürdige Leistungen.

    Und hier kommen wir wieder ganz konkret zum Jazz und der improvisierten Musik. Eine meiner Hintergrundthesen hierzu ist:

    Der allgemeingesellschaftliche Wandel ästhetischer Wertungen geht weder an ästhetischen Genres, noch an ihren Kontexten vorbei. Eine etwas überspitzt und bewusst provokative These hierzu ist, dass – spätestens – in 20 bis 30 Jahren die letzte Generation des klassisch-traditionellen Bildungsbürgertums ausgestorben sein wird, und Gestus, Fundus und Aura ihres Materials weitestgehend ent- bzw. umgewertet und vor allem Grundlage für eine Archivierungskultur sein wird. Die dazugehörige Infrastruktur (Opernhäuser, Konzerthäuser, Theater, Museen) indes besteht und muss – und dies nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen – gefüllt werden. Eine Transformation popkultureller Stile – und hierzu zählte im weitesten Sinne lange Zeit der Jazz – und ihrer Wertungen könnte den zukünftigen Fundus und das Material liefern, um diese Strukturen zukünftig zu bedienen, indem auch komplexe ästhetische Formen der Jazz und Improvisationskultur, die sich schon lange mit Formen, Materialien und Gesten der zeitgenössischen klassischen Kompositionsmusik austauschen oder daran orientieren, daran beteiligen.

    Was die Kultur von Jazz und improvisierter Musik betrifft, existiert hier eine reichhaltige historisch-ästhetische Tradition, die derzeit keineswegs durch das subventionierte Repertoire künstlich am Leben erhalten wird, sondern sich immer noch in vielfältigen Formen und Neuverbindungen ausformuliert und verändert – eine hochlebendige Kultur also. Aber: im Sinne der geförderten und erst recht im Sinne einer Form von Repräsentationskultur spielt Jazz verglichen mit klassischer Musik immer noch eine eher marginale Rolle bzw. wird hier geradezu immer noch oft als eine Art Marginalmusik abgetan, die man zwar schätzt, die man aber nicht wirklich anständig fördern und bezahlen möchte. Gerade Europa erkennt seine Jazzer und Improvisateure nicht als repräsentativ an! Da müssen leider immer noch beispielsweise die Opern herhalten.

    Das Thema, warum Jazz immer noch vergleichsweise so schlecht bzw. überhaupt nicht subventioniert wird, obwohl doch offenbar alle den Jazz so sehr lieben, klang bereits bei den Schaffhauser Jazzgesprächen 2006 explizit an. Christian Rentsch wurde bereits in der Introduktion der Textedition 02 mit seiner Thesen-Frage zitiert, warum viele sich zum Jazz bekennen, es dem Schweizer Jazz ökonomisch aber so schlecht gehe[16]. Dabei wird Jazz in der Schweiz noch vergleichsweise gut gefördert, aber das Land ist klein und die MusikerInnen müssen oftmals außerhalb spielen, wo die Gagen ungleich niedriger sind. Die Klassik indes, und gerade die aufwändige Bühnenkultur, wird im Sinne einer tradierten staatlichen Repräsentationskultur hingegen vergleichsweise bzw. unverhältnismäßig zuviel gefördert. Die Opern beispielsweise werden mit vergleichsweise bis zu 400€ (600 CHF) pro Sitz subventioniert – und erst dann, wenn Jazzmusiker bei ihren Konzerten dieselbe Förderung – oder sollen wir etwa sagen: nur die Hälfte dessen? – erwarten dürfen, lässt sich wohl sagen, dass hier etwas vorangekommen ist.

    Ich habe in meiner Argumentation das traditionelle Modell bzw. Konstrukt der Hochkultur als eine traditionelle strategische Abgrenzungskultur und gegenwärtige staatliche Repräsentationskultur grundsätzlich problematisiert. Wenn es dieses Modell jedoch weiter gibt bzw. als Hochkultur weiterhin derart separiert, gesondert und großzügig subventioniert wird, dann muss darin auch der Jazz endlich effizient und großflächig gefördert werden!

    Die Gagen sollten hier angepasst und das ganze Präsentationssystem – und das bedeutet auch das Vermittlungssystem, von den Labeln über die Fachjournalisten und Archivare – sollte langfristig unterstützt und gefördert werden.

    Das wird es mittlerweile ja auch partiell, und es gibt einige punktuell bedeutsame Förderungen und Entwicklungen: das Zürcher ‚Moods’ wird z.B. sehr generös gefördert, im Vergleich zu anderen europäischen Clubs geradezu traumhaft, das Moers-Festival wird mittlerweile geradezu exorbiant gefördert. Aber was war dazu alles nötig, welche Umwege! Und mehr noch: wie arg sieht es immer noch für die meisten Jazz-VeranstalerInnen und VermittlerInnen aus, gerade, was die Festivalstruktur betrifft, die sich als die Kernstruktur der Szene definieren lässt? Spätestens bei der Frage der Subventionierung und der Vermittlung sollte hier klar Position bezogen werden: und zwar FÜR die im Bezug auf Klassik gleichwertige Förderung des Jazz, GEGEN eine reine Repertoire- und Archivierungskultur, GEGEN eine traditionell agierende Hoch- und Repertoirekultur, FÜR eine großflächige Förderung von avancierten und sich entwickelnden Jazzformen inkl. komplexer Ästhetik und experimentellen Formen. Das kann indes für den avancierten Jazz nicht bedeuten, dauerhaft und ausschließlich am Tropf des Etats zu hängen, aber wenn nun, wie aktuell im Zuge der so genannten Finanzkrise, reihenweise, vor allem kleinere Festivals und Veranstaltungen, mit der Bewältigung ihres Etats zu kämpfen haben, da sich Sponsoren daraus zurückziehen, muss eine staatliche Subventionierung – sozusagen als Grundversorgung – von Jazz und Improv gesichert sein. Das versteht sich wie eine staatliche Grundsicherung der Kultur: so wie es gesellschaftlich unangemessen ist, ein angeblich notwendiges Bankensponsoring und ein gönnerhaftes Sozialsponsoring zu praktizieren, so ist es unangemessen, der klassischen Repräsentationshochkultur den großen Löwenanteil zukommen zu lassen und der Jazzkultur ein paar Alibi-Leuchttürme aufzustellen.

    Die Jazzkultur ist ja nicht die einzige gegenwärtige Musikkultur, die eine solide und dauerhafte Förderung braucht. Wir sind ja mittlerweile so weit, dass die Popmusik bzw. bestimmte Popformen mittlerweile auch als subventionierte Formen gelten können und staatliche Kultur-Unterstützung beantragen, u.a. wegen dem Einbruch der Musikindustrie, dem Aufkommen illegaler Musikvertriebe und den daraus resultierenden Marktschwierigkeiten – das ganze System begünstigt es ja mittlerweile, dass MusikerInnen heute schlechter denn je von Musik leben können und auf Live-Auftritte angewiesen sind. Im Rahmen der Unterstützung und Aufwertung der seit einiger Zeit entdeckten und oftmals hypertroph gehypten Kreativwirtschaft, die bisweilen mehr Wirtschaftsleistung aufbringt als Teile der klassischen Kernindustrien, wird mittlerweile intensiv diskutiert, wie Popkultur zu fördern ist, und zwar in dem Sinne, dass diese Kultur eine Identitätsbildende und auch Exportträchtige Ware ist.

    Im Bezug auf Berlin beispielsweise wird die Clublandschaft mittlerweile nach den Museen in einer aktuellen Studie des Tourismusverbandes von Besuchern als zweiter Grund genannt, um in die Stadt zu kommen: „Weit vor Opern und Theatern“, wie die SZ jüngst schrieb.[17] Dass sich indes nicht jegliche Kultur im Sinne eines nationalen oder regionalen Identitäts-Brandings im Sinne eines ökonomischen Effizienzdenkens vermarkten lässt oder lassen wird, muss allerdings angesichts dieser gegenwärtigen Entwicklungen klar hervorgehoben werden.

    Was bedeutet das letztlich für den Jazz? Soll der Jazz also wirklich ästhetisch erhöht werden? Wozu? Ist er das nicht schon eh? Ermächtigt er sich nicht schon eh selbst dazu? Und ist er nicht genauso komplex, reichhaltig und mindestens so lebendig wie die Kultur der Klassik, und sollte demnach also nicht vor allem seine Förderung und Vermittlung erhöht werden, auch und gerne im Austausch mit Klassik, dann aber auch in gleichwertiger Behandlung? Wäre die Frage also nicht ganz konkret: How high the Jazz’s Salary? And how high it’s tension and teaching?

    Wenn wir den ästhetischen Wertungswandel in der Gesellschaft und die damit verbundene zunehmende Relativierung des traditionellen Systems der Hochkultur nun auch offiziell anerkennen, stellt sich vor allem die Frage, welche Konsequenzen diese Entwicklung für die Formen von Veranstaltung, Vermittlung, Didaktik haben sollte. Die Diskussion ist hiermit einmal mehr neu eröffnet, aber diesmal hoffentlich umso konsequenter und schärfer denn je.

    Konkrete Forderungen und dafür notwendige Maßnahmen können wir gerne in der Diskussion des heutigen Tages erörtern. Einige der hier von mir vorgebrachten Forderungen sind nicht unbedingt taufrisch, aber deswegen keineswegs unaktuell oder irrelevant geworden. Taufrisch ist indes die explizite Forderung, sie mit den neuesten Analysen aus Kulturwissenschaft, Didaktik und Kulturpolitik und -management strategisch zu bündeln und massiver und direkter denn je vorzutragen. Die Forderung nach praktischer Gleichbehandlung des Jazz mit der klassischen Hochkultur sollte uns jedoch nicht zu Etatismus-Kriegern werden lassen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir es beim Jazz mit einer lebendigen und eben nicht klassisch-archivarischen Repertoirekultur zu tun haben. Jazz sollte nicht am steten und den Stein-höhlenden Tropf erhalten werden wie diverse Formen der klassischen Hochkultur, sondern gezielt und großflächig impulsgefördert werden, damit er sich weiter erneuern kann und experimentell arbeiten kann, ohne Existenzängste zu bekommen, ohne dem Zwang, als MusikerIn mehreren Nebenjobs nachzugehen und als VermittlerIn von Jazz in prekären Verhältnissen agieren zu müssen.

    Das, und nur das, ist dann derzeit als eine massive strategische Forderung zu verstehen, wie der Jazz erhöht werden kann: im Sinne einer Lohnerhöhung.

    (Erweiterte Fassung des Vortrages auf den 6. Schaffhauser Jazzgesprächen vom 15. Mai 2009. Gekürzte Printversion in „Schaffhauser Jazzgespräche. Edition 03“, Hrsg. von Christian Rentsch und Urs Röllin, Chronos Verlag Zürich 2010)


    [1] Vgl. FELBER, Andreas: „Die Vertonung der Welt“ (Über Henry Threadgill in Saalfelden), Der Standard 23-8-2007, S.26.

    [2] Threadgill, in den 1960ern einer der Gründerväter der Chicagoer Free-Jazz-Kooperative AACM, unterscheidet im Folgenden zwischen Kunst- und Volksmusik folgendermaßen: „Zu wachsen, sich neue Informationen, neue Ressourcen zu erschließen, das ist das Wesen der Kunstmusik! Sich über längere Zeiträume nur wenig zu verändern, ist ein Charakteristikum der Volksmusik.“ Ebda.

    [3] Vgl. Rüeggs diesbezügliche Aussage in KLAMMER, Otmar: „Lebendige Metamorphosen“, Interview mit Mathias Rüegg in ‚Kleine Zeitung’, Graz 2-5-2009, S.55.

    [4] LEHMKUHL, Tobias: „Neger im Lärm. Ein Vortrag in Berlin über den Jazz in den zwanziger Jahren“, SZ 14-2-2009.

    [5] „Es gibt verschiedene Interpretationen, was Jazz eigentlich ist. Meinem Verständnis nach geht Jazz auf Duke Ellington und Count Basie zurück, die damals überall herumfuhren und Tanzmusik spielten. Der eigentliche Jazz hingegen war die Musik der anderen, dunklen Seite der Community. Wenn Jazz heute noch das sein soll, was er mal war, müsste er eigentlich in einem ganz anderen Genre beheimatet sein, nämlich bei James Brown oder Prince. Frank Foster nennt Jazz ‚Afroamerican Classical Music’, das trifft es vielleicht besser, zumindest, was die Musik von Coltrane, Miles und Pharaoah angeht.“ So Gil Scott-Heron im Interview mit BROECKING, Christian: „Black Codes“, Berlin 2005, S.84.

    [6] Interview von MAIDA, Marcus mit Thomas Lehn in Köln im Januar 2009, das die Grundlage für einen Artikel über Lehn’s Projekt für das 7. Grazer V:NM-Festivals April 2009 bildete.

    [7] „Der Sopransaxofonist Steve Lacy über den Tenoristen Sonny Rollins: ‚I’ve never seen anyone in love with the tenor saxophone the way Sonny is. He really loves that horn and understands it. He knows everything about it’.” Vgl. LIPPEGAUS, Karl: “Die Stille im Kopf. Interviews und Notizen über Musik.”, Zürich 1987, S.172-173.

    [8] Interview von MAIDA, Marcus mit Gunther Hampel, Düsseldorf 1999, unveröffentlicht.

    [9] Interview mit DOMBROWSKI, Ralf, SZ 23-9-2006.

    [10] Vgl. z.B. KAMPMANN, Wolf,:„Wieviel Jazz steckt im Jazz?“, JAZZTHETK 12 / 2004, S.14-17

    [11] Ein wichtiger Markstein für die Transformation der vormaligen U-Kultur zu einer neuen Form der E-Kultur ist der Bau des ersten Konzertsaales für Jazzmusik im Jahre 2004 in New York. Am 18. Oktober 2004 eröffnete im Time Warner Center im dortigen neuen House-Of-Swing-Komplex der musiktechnisch eigens für Jazz designte und konzipierte Konzertsaal „Frederick P. Rose Hall“ mit zwei Bühnen in einem Saal mit der Gesamtkapazität von 1200 Sitzen, einem Club, Unterrichtsräumen und einem der größten Aufnahmestudios für Jazz und klassische Musik. Initiiert und vorangetrieben wurden Aufbau und Eröffnung des Konzertsaales von dem renommierten Jazzmusiker Wynton Marsalis, der seit 1987 die Kulturorganisation „Jazz at Lincoln Center“ (JALC) mitbegründete und seitdem daran arbeitet, „Jazz im Kanon der amerikanischen Hochkultur durchzusetzen“. Marsalis, seit jeher einem konservativem Jazzbegriff verpflichtet, ist der Prestigewert des Kulturraumes ungemein wichtig, wenn er sagt: „Die Verwirklichung dieser Einrichtung bedeutet, dass unsere Kultur zu einem Punkt gereift ist, an dem sie Jazz als eine Kunstform akzeptiert, die eine Heimat von internationalem Standard verdient.“ Zudem gibt er hinsichtlich seiner Tätigkeit als Musiker zu bedenken, „dass er eben immer nur zu Gast war in einem Ambiente, das für klassische europäische Musik konzipiert worden war.“ Es scheint, als ob eine der wichtigsten und originärsten kulturellen Formen der USA, der Jazz, für Duke Ellington, einer seiner Hauptprotagonisten, sowieso die klassische Musik Amerikas, nun endlich zuhause angekommen ist. Dabei, so schreibt KREYE in seinem Bericht über das Projekt, wirke das Gebäude „so saturiert und bürgerlich, dass man die Eröffnung durchaus als architektonischen Ritterschlag für eine Musik ansehen darf, die immer noch von der Aura des wilden Untergrunds umgeben wird.“ Dass Marsalis hier als Kurator tätig geworden ist, bedeutet für die USA nicht nur einen kulturell, sondern auch ein sozial bedeutsamen Akt. „Das Rassenklima hätte vor meiner Zeit so etwas nicht zugelassen. Als Schwarzer kann man eigentlich erst seit den achtziger und neunziger Jahren auf so hoher Ebene einsteigen“, weiß er. Zitate aus KREYE, Andrian: „Schwebende Music-Box. Wynton Marsalis hat im New Yorker Time Warner Center den ersten eigens für Jazz konzipierten Konzertsaal bauen lassen“, von SZ 24-9-2004, S.14.

    [12] Die Jazzsängerin Nina Simone (1933-1993) hat den Jazz wiederholt – entgegen der pauschalisierenden weißen Bezeichnung von Jazz als schwarzer Musik – als ‚schwarze Klassik’ bezeichnet.

    [13] Beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob die Infrastruktur der klassischen Opern- und Konzerthäuser für die Aufführungs- und Rezeptionspraxis von Jazz geeignet sind.

    [14] z.B. vom (weißen) Gitarristen Pat Metheney, vgl. KAMPMANN, a.a.O., ebda.

    [15] MAIDA, Marcus: „Transformation und Vermittlung. Über den gegenwärtigen Wandel ästhetischer Wertungen, Rezeptionen und Formen als Grundlage für eine Theorie der Transformierten Literatur“, Kap. 12.E., Diss . Univ. Düsseldorf .

    [16] LANDOLT, Patrik / RÖLLIN, Urs: „Alle lieben den Jazz“, Vorwort zu LANDOLT / RÖLLIN (Hrsg.): SCHAFFHAUSER JAZZGESPRÄCHE Edition 02, Zürich 2007, S.7. Vgl. auch ebda. RENTSCH, Christian: „Wie bleibt der Schweizer Jazz erfolglos? Anpassung oder Autonomie“, S.50-53. Rentsch konstatiert in seinem Text explizit: „Noch ist kaum ein Schweizer Jazzmusiker in der Tonhalle aufgetreten; auch im KKL, im Basler Theater oder an den großen Schweizer Jazzfestivals, wo es ausnahmsweise wirklich etwas zu verdienen gäbe, sind Schweizer Musiker so rar wie Eskimos oder Yanomami-Indianer. Was, bleibt die Frage, machen sie bloß falsch, die Schweizer Jazzmusikerinnen und –musiker?“, S.52.

    [17] So DENK, Felix in der SZ vom 11-4-2009 in dem Artikel „Superhelden der Schlaflosigkeit“ über die immer noch große Attraktivität der Technokultur in Berlin.

2 Gedanken zu „How High is Jazz? Jazz als Hochpopkultur.

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