Sensorama


LOVE

Von Marcus Maida

Ja. Hierzu sind viele launige Anmerkungen gemacht worden. Der häufigste Bezugspunkt war wohl: Und es ward Sommer. Die Sommerplatte bla bla bla. Vielleicht, aber das taugt nicht gar soviel für Musikbetrachtung, obschon zugegeben gerade dieser Kontext nicht unwichtig ist. Aber wenn es keinen Sommer mehr gibt weil Alle regnen?

Meine Fragestellung bezüglich der Musik von Sensorama war vielmehr: Wo ist der soziale Ort dieser Musik? Einmal strukturell: nicht Club, nicht listening –
dazwischen? Dann semantisch: was bedeuten diese wohlproduzierten eleganten und intelligenten Klänge, deren samtene Deszenz und transparente positiv-besetzte Klangrythmik dem Alltag der Unterprivilegierten und Glanzlosen einen seltsamen Glamour verleihen kann – vielleicht Sozialambient, wie Martin Büsser es mal nannte? In dieser Musik schwingt ein Image aus indifferenter Leere und konkreten Vacui mit. Sie beinhaltet latent ein Abspiegeln der geglätteten Verhältnisse, insklusive Konsum- & Warenwelt, ohne dies zum Thema zu machen, geschweige denn zum Thema von Kritik oder Verstörung. Es ist ein wunderbarer leerer, & wenn dann melancholischer Abklang der modernen? nein: zeitgenössischen Wohlstandswelt. Sensoramas Musik ist „Pop“ im alten Sinne: melodiös, harmonisch, angenehm, ohne Kanten. Von Subversivität wollen wir hier nicht reden, vielmehr, ob hier überhaupt etwas bewusst ist. Die Musik ist Samt des Alltags, sie ist, um ihren Zweck nicht zu verfehlen, aussergewöhnlich gut produziert – wie fast alles von Flügel / Wuttke –, aber ihr „fehlt“ jeglicher Schmutz. Sie enthält keinerlei Störfaktor, keine Brüche, keine Dunkelheit. Dies ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Es geht auch gar nicht um Codes von Verstörung, erst recht nicht um Härte. Es geht um illusionslose Urbanität, die melancholisch Abschied von einer Idee nimmt, es geht um Vorstadt-Ästhetik, um Musik, die sich in Orten ohne Charakter, zwischen hübschen & vollgepissten Betonblocks & vielbenutzten Schienensträngen sammelt, um mit ruhigem, wachen & aufmerksamen Blick auf das Andere Ansätze für einen neuen Anfang zu finden. Die Vorstadt ist ein Bild, eine Metapher, die Innenstadt auch. Der Sinn dieser Platte, sagten mir Sensorama selbst, soll tatsächlich sein, dass die Leute, welcher Herkunft auch immer, jedoch klar vornehmlich aus Szenen elektronischer Musik, wieder miteinander reden. Verstehe. Das ist kein sozialdemokratischer Witz, sondern der wirkliche soziale Ort dieser Musik. Und dies ist Musik nicht zum Kopfschütteln, Kopfnicken, Kopfhängenlassen, sondern: Musik, um Klarheit über sich & Andere zu erlangen. Diese Musik ist schwierig in ihrer Einfachheit, die so komplex und ästhetisch gebaut wurde, damit sie funktioniert. Sensorama benutzen Codes der Moderne, ohne irgendetwas mit ihnen zu machen, als sie intentionslos zu montieren & unplakativ abzubilden. Der Alltag ist surreal und Konkretion ist ein Beton, der im Denken brennt. Auf dass die Anderen aufhören mit sich selbst zu reden.

Ja.

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