Kid Koala

GESCHICHTE(N) ZERKRATZEN

Eric San aka Kid Koala macht keinen HipHop, er macht keinen Jazz und er macht auch keinen Funk. Aber in seiner aufgekratzten Turntable-Musik spürt man, dass diese Stile die favorisierte Basis von dem sind, was er tut. Und wenn man mit ihm spricht, spürt man den anarchischen Comedy-Geist, der dahinter steckt.

Klassik und Storytelling

Kid Koala betrachtet seine Musik eigentlich nur als Beilage zu seinen kleinen Comic-Büchern, die den CDs beiliegen. Schon hier wird klar: wir haben es mit einem Geschichtenerzähler zu tun. Doch statt klassisch vorzugehen, will Kid Koala einen freien, modernen und individuellen Ausdruck finden. 1974 in Vancouver geboren, setzte man ihn zunächst von vier bis vierzehn an ein Piano und quälte ihn mit klassischen Klavierübungen. Heute kann er das als gute Erfahrung erkennen, doch damals war Klassik alles andere als eine Form des kreativen Ausdrucks für ihn. Dies war vielmehr der Plattenspieler: „Ich hatte es satt, die Traditionen zu wiederholen. Hier fing ich sofort an, alles darüber herauszufinden, wie man mit Vinyl Musik machen kann. Es gab keine DJs in der Nachbarschaft, ich brachte mir alles selber bei. Klavier spiele ich trotzdem heute noch, beim Soundtrack zu „Nufonia must fall“ bildet es die Basis, über die ich dann Turntable-Schichten legte. Und Klassik hat wahrscheinlich meine Art beeinflusst, Musik zu hören.“

15 Stücke in 35 Minuten

Als Jon More, eine Hälfte Coldcut und Ninja-Tune-Co-Gründer, 1995 in Montreal ein Tape vom Kid hörte und ihn daraufhin live sah, wurde er Ninja Tunes’ erstes nordamerikanisches Signing. „Sie nahmen mich spontan, ohne jede Vorstellung, was ich wohl tun würde, unter Vertrag. Ich fragte sie: soll ich einen Sampler kaufen oder einen Stil featuren, doch sie sagten: nein, tu, was du willst. Ich machte sehr albernes Zeug (lacht)…Turntables können sehr persönliche Aussagen machen: tolldreist, ernsthaft, subtil, melancholisch und albern zugleich. Ich entschied mich früh für diese Mischung in der Art von Monty Python oder der Muppet-Show, nicht als Schablone, aber als eine Art Storyformat. Witzige Verbindungen, gefolgt von einer musikalischen Nummer. Jeder Punkt auf meinen Alben hat eine Referenz in diesem System. Genauso mache ich es live: jedes Mal, wenn du die Nadel fallen lässt, weißt du nicht genau, was kommt, aber aus der Mentalität heraus entwickelt sich ein Raum. Und diese eine Linie hat sich durchgezogen.“ Dein neues Album kommt so auf 15 Stücke in 35 Minuten. Du beschreibst die Musik sehr treffend als „Short-Attention-Span-Audio-Theatre“ – hast du selbst so eine kurze Aufmerksamkeitsspanne? Der Kid lacht: „Gut möglich! Viele Leute denken, DJs sind sehr ungeduldig. Manchmal kann ich 8 Stunden konzentriert üben, manchmal muss ich ständig Material und Tätigkeiten wechseln. Es vor allem um die Fähigkeit, mit vielen Quellen umzugehen. Das Thema der Platte ist: wir befinden uns in einem Aufzug, und jede Etage hält etwas anderes bereit.“

Wie man den Jazz alleine macht

So zum Beispiel den guten alten „Basin Street Blues“ von Spencer Williams, einem Dixie-Funeral-Klassiker von 1928, den der Kid komplett mittels Turntables „nachspielt“. „Ich suche normalerweise auf meinen Platten isolierte Noten, mit denen kann ich umgehen. Beim „Basin Street Blues“ denken viele Leute, ich hätte einen Haufen Jazzplatten gesampled, dabei ist meine Version tatsächlich aus klassischen Platten zusammengesetzt. Deren „sustained notes“ kann ich hochpitchen und ziehen, wie ich es brauche. So musste ich jedes Instrument selbst einspielen, außerdem brauchte ich eine neue Bassline, also scattete ich sie selbst, dann scratchte ich darüber, und dann nahm ich meine Stimme wieder heraus. Eines Tages hoffe ich, 18 DJs in einem Raum zu haben, und wir können das zusammen live aufführen.“ Wie transformierst du dein Interesse und deine Passion an Jazz in die Musik? „Ich war in New Orleans, und es gefiel mir sehr, also wollte ich diese Jazz-Referenz haben. Was ich so sehr an Jazz liebe, ist das so viele Instrumente zusammenspielen, die alle solo zu sein scheinen, aber zusammen machen sie einen komplett neuen Sinn. Nachdem ich sechs Monate alleine diesen Track zusammengesetzt habe, merkte ich: eine Bläsersektion hätte es an einem Nachmittag getan…aber die Erfahrung brauchte ich. Außerdem ist mein Budget begrenzt (lacht).“

Audio-Cartoons

Gehst Du für dein Vinyl-Material immer noch in Heilsarmee-Läden? „Tatsächlich, ja. Ich habe Kinder-Platten, über die Tonka-Trucks gefahren sind (lacht). Ich habe aber bereits so viele Platten, heute geht es mehr darum, den Punkt zu erkennen, was man hat und wie man es gebraucht. Ich beschäftige mich mehr mit dem Üben, und wie ich bestimmte Noten und Melodien bekomme.“ Kid Koala ist ein Materialarbeiter, der konsequenterweise vorgibt, nicht zu wissen, was Turntablism sei, der aber auch kein Archiv-Nerd ist. Der tatsächliche und aktuelle Klang seines Audioraums ist ihm viel wichtiger und interessanter als zB. die historische oder archivarische Referenz von Musik. „Es geht darum, Dinge auszudrücken. Du tust das, wenn Du singst, wenn du ein Blasinstrument spielst, atmest du sogar regelrecht hinein. Bei den Plattenspielern aber benutzt du altes Vinyl, wählst es aus, rearrangierst es, du scratchst damit…und das ist der Ausdruck. Es ist ein moderner Weg, Audio zu machen, wie Animationen im visuellen Bereich, von denen ich ein großer Fan bin. Es sieht so aus, als ob diese Charaktere laufen, aber sie sind ganz anders. Vielleicht mache ich Audio-Cartoons. Viele denken, Cartoons sind nur was für Kinder, dabei sind sie von Wissenschaftlern gemacht…die oft mehr von Körperbewegungen verstehen als manche Schauspieler. Genauso ist es mit mir als DJ und der Musik.“ So lässt sich Kid Koalas Handschrift lesen: der DJ als Materialkenner und -selector kennt die Höhepunkte, die Dramen und auch die langweiligen Stellen der Musik, manchmal besser als die MusikerInnen selbst. Mit Wissen, Witz und Wagemut kann er so neue Linien zeichnen und das wirklich Wichtige völlig anders auf den Punkt bringen.

Lieber Kind als ausgebranntes Opfer

Die Kürze eines Kid-Koala-Albums hat auch etwas mit der gesunkenen medialen Aufmerksamkeitsschwelle zu tun: „Meine Kinderplatten hatten alle Storybooks und eine Menge Infos. Es waren die Art von Platte, die du aufgelegt hast und dann nichts anderes mehr getan hast…sie verschluckte dich! Heute aber ist die Aufmerksamkeitsschwelle gesunken. Du guckst Simpsons, das Telefon geht, du verpasst einen Witz. Meine Platte sagt: sei da, bekomm soviel wie du kannst, und dann geh zurück zu dem, was du vorher getan hast. In meinen Stücken sind kleine Erzählungen, daran kannst du dich festhalten.“ Geht es auch darum, etwas durch diese Kompaktheit zu vermitteln? „Ich studierte ja mal frühkindliche Erziehung in Montreal und war Lehrer bis zur 9. Klasse (wie Coldcuts’ John More übrigens auch, d.A.), aber es geht nicht darum, soviel Information wie möglich in diese 35 Minuten zu packen. Klar, es ist keine Ambientplatte oder eine Reflexionsfläche für deine persönliche Introspektive, vielmehr ein Experiment für mich zu testen, was ich mit Audio-Scratchen erreichen kann. Außer der Erforschung all dieser Gebiete und Grenzen hatte ich keine weiteren Absichten. Ich denke auch nicht, dass meine Musik so abstrakt ist…es sind wirklich nur Audio-Stories.“ Kid Koala kann und will nicht erwachsen sein, sagt er, denn er liebt die Energie von Kindern mehr als den Anblick von ausgebrannten Alltags-Opfern. Nett, aber auch etwas naiv, oder?

Ein moderner Weg

Du sagst, deine Musik ist ein moderner Weg, Audio zu machen. Warum benutzt Du dann Vinyl, also traditionelles und altmodisches Material? Hier wird der Kid nachdenklich. „Ich habe nicht wirklich Angst vor der Technologie, aber mit Vinyl gibt es noch soviel zu lernen für mich, wohin ich noch nicht gekommen bin, und was ich noch tun muss (lacht). Anstatt all die neuen Programme und Tricks zu kaufen, denke ich lieber: kann ich noch mehr tun, um das zu lernen und zu beherrschen?“ Wie lange hat es gebraucht für dieses Album? „Inklusive der Klangforschungen zwei Jahre. Davon verbrauchte der „Basin Street Blues“ sechs Monate und der Rest acht Monate Sucharbeit…verglichen damit war der Aufnahmepart eher kurz.“ Wie ist bei dir das Verhältnis zwischen Improvisation und Struktur und Konzept? „Es wird bestimmt durch meinen Grad an Fähigkeiten, die ich beherrsche. Ich kann eine Melodie nicht endlos pitchen, irgendwann leiert es. Jede Melodie, die ich höre, muss daher in meine persönliche Skala passen. Also improvisiere ich innerhalb der eigenen Limits. Wobei ich als Keyboarder von Beastie-Boys-Money-Mark gelernt habe: der erste Take ist immer der Beste. Da ist dir noch nicht ganz klar, was du willst. Du fühlst das, und das ist gut. Es gibt kleine Unfälle, doch sie stören mich nicht, ich mag das.“ Loops verwendet Kid Koala sehr sparsam, es gibt zwei Stellen: auf „Basin Street Blues“ und auf „Vacation Island“, der Rest ist Live-Looping, also im HipHop-Stil. Die Aufnahmen seiner Audio-Layer macht Kid Koala per Acht-Spur in seinem Low-Budget-Heimstudio, später wird auf dem Computer des befreundeten HipHoppers Dan the Automator, mit dem der Kid bei „Deltron 3030“ und mit Damon Albarn bei den „Gorillaz“ arbeitet, der Endmix gemacht. Seine Livemusik-Passion hingegen lebt der Kid als Turntablist der seit 1994 bestehenden Funk-Jazz-Band „Bullfrog“ aus, wo er das isolierte Vinyl-Wühlen etwas kompensieren kann.

Die albernen und grundlegenden Dinge des Lebens

Dass sich Kid Koalas DJ-Jazzbegriff nur auf eine bestimmte Seite von Jazz bezieht – ich verweise auf die völlig differenten Arbeitsweisen von zB. Christian Marclay und Otomo Yoshihide – ist ihm klar. „Meine Musik lässt sich definitiv nicht im Jazzbereich einordnen, sie bezieht sich am ehesten auf HipHop. Wie dieser blicke ich zur selben Zeit vorwärts und zurück. Ein Ohr in der Vergangenheit und eines in der Zukunft, musste sich diese Musik immer bewegen. Ich versuche der Geist dieser zentralen Idee, nur Plattenspieler zu benutzen, aufrechtzuerhalten.“ Hättest du ein Problem, wenn man deine Musik als Comedy bezeichnet? „Keinesfalls, im Leben musst du einen Sinn für Humor behalten, besonders innerhalb musikalischer Genres. Musik kann dich cool, wütend, lustig etc. machen. Ich wurde von HipHop wie von Comedians beeinflusst… und von Kanada, einem Land, das ein halbes Jahr unter Schnee liegt…da musst du Humor haben (lacht). Ich weiß, ich habe eine üppige Fantasie. Ich und all meine Platten (sinniert)…auf eine Art ist es eine sehr alberne Kunstform…aber jeder, der mich und jeden DJ kennt, weiß, wie ernst ich es meine. DJs zerstören ihr soziales Leben, indem sie sich mit ihren Platten einschließen. Viele Stunden der Isolation und Disziplin stecken in dieser Platte. Wenn ich dann da raus komme, muss ich das wohl kompensieren. Heute klingt die Musik vielleicht albern, aber in ein paar Jahrzehnten werden die Leute sie bewundern und akademisieren. Doch sie ist nicht so ernsthaft, glaub mir.“ Wie der Jazz, werfe ich ein: der wurde auch erst viel später intellektualisiert. Und wie fing das an? Funeral marches, Bar- und Honkytonk-Musik…die albernen und grundlegenden Dinge des Lebens halt. Versuchen Sie einmal, Kid Koala so zu hören!

It’s a family affair

Der Kid hat im Durchschnitt 200 Auftritte im Jahr. Nicht unbedeutend ist auch sein Radiohead-Vorprogramm. Er ist ein großer Fan. Sie fragten ihn an, er verstand es nicht. Auf den ersten Blick sind es zwei Welten, aber bei der gemeinsamen Tour stellten sie fest, dass beide große Public Enemy Fans sind. Je mehr sie miteinander redeten, desto klarer wurde die Verbundenheit. „Sie haben diese vielen Schichtungen und all diese Details, und es entsteht etwas Neues, Lebendiges, neue Energie. Und da erkannte ich den Familienstammbaum derer, die von Public Enemy beeinflusst sind (lacht)…und das verbindet eine Band wie Radiohead sogar mit einem kleinen chinesich-kanadischem Scratch-DJ…(lacht).“

Aktuelle CD:

Kid Koala: Some Of My Best Friends Are DJs (Ninja Tune)

learn a little at www.kidkoala.com

hear a little more at www.ninjatune.net

learn a little more later at www.nufonia.com

(Jazzthetik)

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