unerhört!-Festival 07


Zürich. Das 7. unerhört!-Festival / 27. – 3.12. 2008

Von Marcus Maida

Das Fest begann im Altersheim. Im Pfrundhaus, dem ältesten Altersheim Zürichs, preschte Alex von Schlippenbach solo durch Monk, Dolphy und sich selbst. Bisweilen etwas überlässig, wenn nicht gar schlampig, setzten sich nach dem Losclustern gegen Ende pulsierende Energien frei, die unnachahmliche Amalgamisierungen von Bop-Idiomen und 12Ton-Harmonik erzeugten. Berauscht schliff er den Originalen den Swing ab und zickte sich fahrig bis abstraktgenial durch die Klassiker. Im knallvollen Moods watete derweil Scofields Piety Street Band knietief in New Orleanser Schweinegrooves und verbreitete sehr soulful und körperbetont Walter-Wolfmann-Washington-Vibes, dass es brummte. Die Rote Fabrik bot den avancierten Freischwimmer an: die beiden Trios Noisy Minority (ZH) und Squakk (Berlin) traten nahezu symmetrisch als kongruentes Doppeldreieck auf, sprachen dieselbe Sprache und improvisierten sehr geschlossen Omri Ziegeles lange Komposition. Bisweilen sehr laut, treibend, fast schon rockig, dann wieder expressiv mit Coltrane-Ostinati und traumhaften Reeds-Duos. Fix, frei, flüssig und zu jeder Zeit frisch, nervten sie niemals mit Klischees. Peter Evans junge Solotrompete aus New York brachte mit minimalstem Einsatz das maximalste Spiel. Schweißtreibend mit beinahe zirzensischem Charakter, trotzdem: bald wurde es zu kirmesbudig, anstrengend, enervierend. Geniale Momente, gehörte aber gestaucht, so ließ sich nur die radikale Geste honorieren. Das Schlippenbach-Trio dann als klarer Klimax: sehr dicht, konzentriert und energetisch von Anfang an. Beim Augenschließen hörte man 20jährige Frühverweiste. Das war die alles überzeugende Hommage an den Free Jazz Europas, ohne Weihrauch, Pathos und Patina. Jedes Teil ein Hammer und mehr als die Summe der einzelnen Teile. Das ist die Musik, die den Bauch zum Kopf macht und umgekehrt, Transformation der Post-Bop-Idiome in den reinsten Rhythmus des Jetzt – das ist Jazz, der Kern, enthoben aller modalen Enge, mitreißend, rhythmisch, begeisternd.

Die aus der Neuen Musik kommende Berner Pianistin Katharina Weber indes verlor im Improv-Duo mit der Percussion von Balts Nill, der noch einen offenen Improv-Koffer in Zürich hatte, den er erstmal 10 Minuten auspackte. Sein Dosengeklapper war albern, und dann nur auf kleinen Blechen backen – da ist Industrial aka jedes Kleinkind schon mal weiter. Bemüht. Das Duo lief nie richtig warm, der Klang zu schrill und mittig, die Percussion irgendwann richtig schlecht. Der erkennbare Wille, witzig und originell zu sein und die prätentiös-ulkig-verschmitzte Attitüde mit ernstem Gesicht wurden sehr nervig, der Auftritt gar der Tiefpunkt des Festivals – schade, denn Weber, eine wirklich hochinteressante Pianistin, hätte einen ungleich stimmigeren Rahmen verdient. Jetzt hätte gut ein Knall kommen können, aber es kam: abstrahierter Reflex und strenge Melancholie. Schwer über den Steinway gebeugt, aber noch im erkennbaren Blues-Vibe: Muhal Richard Abrams. Konzis, mit rastloser Virtuosität, gedrückten Pedalen und vollem Klangvolumen arbeitete sich der AACM-Gründer und Free-Pionier aus Chicago durch eine fast einstündige Soloimprovisation. Er hämmerte nicht, sondern drückte und lebte die totale Ruhelosigkeit. Die Befindlichkeiten abstrahierend spielte Abrams 12 Ton-Improv mit raren Swing und Workband-Referenzen und summte dazu wie Glenn Gould und Schlippenbach im ureigenen schamanistischen Gesang mit. Beeindruckendste Fingerkraft, unglaubliches Energie-Statement, vom Gestus her aber wie ein überrascht-unzufriedenes Kind, das die Cluster-Klänge zum ersten Mal hört und ewig ruhelos und stets verneinend sogleich immer neue Auswege sucht. Und noch ein Versuch, und noch einen. Handkantenschläge, Sisyphos on Piano, dialektischer Expressionismus bis zur störrischen Redundanz. Dann endlich tot der Klang, und die Frage: warum endet die Musik hier? Das schwierige Herz des Festivals – übergroßen Respekt an das unerhört!, diesen Mann und seine unendlich widersprüchliche Musik nach Europa zu holen!

Jürg Wickihalders Oversea Quartett konnte danach nur noch in sehr gereifter Spielfreude humorvollen Festivalwein einschenken: grundgute Grooves, ungemein zwingend und leicht entflammbar. Es war wichtig und richtig, dass er an dieser Band festgehalten hat, und auch beim Hochzeitswalzer kommt schon mal Schmutz in die Tröte. Im Moods zeigte die Jazzhochschule Luzern, dass sie wahrscheinlich die beste des Landes ist: ihr extrem gutes Big-Band-Ensemble bot das totale Überraschungsei. Evan Parker dirigierte, John Voirol arrangierte und Christy Dorans goldene Glam-Gitarre dominierte. Die Impro-Kompos bekamen auch durch die Texte von Elias Canetti und Paul Haines Bauch und Atmung. Zwischen Ethno-Scat und stampfender Büffelherde war bei dieser Fat-Fusion fast alles drin: extrem tight und gleichsam sehr komplex. Ein unerwartetes Highlight auch das Fanfareduloup Orchestra aus Genf: schon wieder eine tolle Big Band mit sehr intelligenten und stimmungsvollen Arrangements! Dann Evan Parker solo: seine Majestät die Zirkularatmung. Am Anfang extrem mazedonisch und balkan-artig, ging es im Weiteren wohl nur darum, Luft für den nächsten Lauf zu haben. Er fand den Knopf einfach nicht, spielte wie auf Autopilot – eine Stunde lang? Manchmal möchte man nach vorne gehen und nach 30 Minuten das Instrument wegnehmen. Schad und fad. Schlippenbach’s Wunschpartner Jojo Mayer indes hatte im folgenden Freispiel-Duo viel zu viel Respekt vor diesem. Die Zürcher Drumlegende spielte definitiv zu reaktiv, wartete ab und schaute immer in Richtung Piano, das ihn stoisch-manisch und autistisch-selbstbewusst erstmal keines Blickes würdigte. Bis hier die Funken ansatzweise flogen, brauchte man schon Kauvermögen. Letztlich fing man sich, aber Dream-Teams klingen anders. Nach einer enervierend langen Umbaupause von fast einer Stunde dann Paul Lovens mit Martin Schütz am Cello und Flo Stoffner an der Akustischen als die Rauschmeißer-Derek Bailey-Fraktion: da waren die Ohren nicht mehr hörfähig, das hätte den Anfang des Tages gebraucht. Spätestens jetzt wurde es ermüdend, bisweilen extrem uninspiriert und altbacken. Die Akkus waren fast leer – hier hätte Elektronik definitiv gut getan.

Ebenfalls grenzwertig: Django Bates solo. Erzählte Teetrinker-Geschichten mit sehr eigenem, schrägem und nicht witzigem Humor, kam leicht entertainernd daher, war es aber nicht. Und Monty Python geht auch anders. Doch auch wenn man auf den distinguierten Brit-Humor und die schräge Ironie des Pianisten nicht kann, sollte man nicht vergessen, was für ein hervorragender Musiker er doch ist. Dieser Django, weder Edwards noch Corbucci, sondern eher Graf Grau (Vorsicht Witz!), überzeugte letztlich durch sehr reichhaltige musikalische Texturen. Ein Highlight dann das Duo Favre / Schweizer: sie groovte regelrecht und hatte sprichwörtlich die Hosen an. Stets sehr impulsiv und präzise, setzte sie Stimmungen und Tempi und zog den Drumpoeten in ein akzentuiertes Rythmusspiel hinein, das niemals ausfranste oder beliebig wurde – vielleicht verständlich, wenn man sagenhafte 41 Jahre zusammen spielt. Sehr gut auch twopool 7, ein fünfköpfiges Projekt um den Zürcher WIM-Koordinator und Percussionisten Christian Wohlfahrt, dem es gelang, junge Talente und Profis zu bündeln. Unter einem Neue-Musik-Gestus improvisierten sie immer offen und flüssig, nie zu streng und konzeptuell, und deckten in kürzester Zeit beachtlichste akustische Spektren ab. Da passierten Entwicklungen, Geschichten wurden erzählt, Silben und Vokale ausgetauscht.

Das unerhört! bewies sich als verlässlicher Leuchtturm für hochqualitative Konzerte und Überraschungen mit guten Konstanten wie Grosse Jazzpioniere, Great Black Music Roots, Freie Solo-Radikale, Komische Käuze, Big Bands, Newcomer und Stars. Probleme sind der seltsam geringe Frauenanteil – zum Vergleich: beim letzten Unlimited! in Wels spielten immerhin 26 weibliche Musikerinnen! –, diverse dramaturgische Schwächen und das Fehlen von wirklichen jungen Radikalen. Wenn Alex von Schlippenbach mit der wildeste, radikalste und letztlich auch interessanteste Protagonist ist, ist das zwar astrein für ihn, aber es zeigt auch einen Engpass auf, der personell überbrückt werden muss. Doch die junge Szene wird zunehmend aktiver eingebunden: so erarbeitete Django Bates mit Zürcher Musikstudierenden eine Workshop Band, die sich zuletzt im Hochschuleigenen Mehrspur-Club präsentierte. Das Fest endete in der Schule.

(Jazzthetik)

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