Saint Etienne


DER KLANG WENN DAS EIS AUFTAUT

Von Marcus Maida

Es war 1991, als St. Etienne als erstes Lebenszeichen eine herz- und beinerweichende Coverversion von Neil Young’s „Only Love Can Break Your Heart“ in die Ohren schmuggelte. Das war wunderbar und sofort allen klar. Das Debut „Fox Base Alpha“ dann setzte die Linie aus Songs, Beats und naiver Elektronik charmant und gekonnt fort. Jetzt schreiben wir die Zwei mit drei Nullen, und die drei großen Kinder jenseits des Kanals haben es wieder getan: sie schwelgen gutgelaunt in Melancholie und zeigen uns wie das heute noch geht mit dem klassischen Pop. Peter Wiggs, der Pop gerne am Computer nachbaut, Bob Stanley, ein Ex-„Melody Maker“ Journalist, der heute noch ab und an für „Mojo“ schreibt, und die alltagsaristokratische Sarah Cracknell, die bezeichnenderweise aus Windsor stammt und ab 15 in lokalen Bands sang, beziehen sich auf dem neuen Album „The Sound Of Water“ wieder auf diese Idee eines klassischen Popbegriffes, den sie von ihren absoluten Favoriten Holland-Dozier-Holland, Scott Walker oder den Beach Boys ableiten und mittels ähnlich Gesinnten in die Jetztzeit übertragen. Die leicht housige Seite wurde diesmal etwas weggelassen, dafür wurde zu einer leichteren Stimmung hin produziert. Easy Listening ist nicht das Wort, sondern: „Ein beruhigender Klang … wie in einem japanischen Garten … eher meditativ … beruhigend …wie auftauendes Eis“, so interpretieren die Drei ihren Albumtitel.

„Als wir in Berlin aufnahmen, spürten wir, dass der Frühling kommt – so machte es Sinn“, erklärt Bob. Im dortigen Amber-Studio ließen sie ihre Demos von „To Rococo Rot“ bearbeiten. In London dann luden sie Ex-„Microdisney“ und jetzt-„High Llama“ Sean O‘ Hagan zur Post-Produktion. Die Idee war, seine opulenten Stringarrangements aus Saiten- und Holzblasinstrumenten über To Rococo Rots eher minimal-spröde Rhythmustracks zu legen. „In beiden Musiken findest Du diese melancholische Kante, die wir mögen. Dieses Grundgefühl ist wichtig für viele gute Songs, und die Balance darin. Wenn sich nur ein Akkord verändert, schlägt die ganze Stimmung um“, begeistert Peter.
Die meisten Dinge auf „The Sound Of Water“ passierten ziemlich spontan, die Postproduktion war ebenso improvisiert – darin aber sehr genau. „Trotzdem blieb genug Zeit für Essen und Clubs“, schwärmt Sarah.
Zusammen könnte das ein Rezept für Pop mit Bleibewert sein, doch wir sollten abwarten, wie sich das im November anhört. Bis dahin produzieren Bob und Peter Musik für ein neues Playstationspiel. „Puzzleartig, sehr kindlich. Sie fragten uns an, und jetzt müssen wir 12 mal 2 Minuten Songs in zwei Wochen aufnehmen“, ächzt Bob. „Mehr Druck als bei einer Hitsingle. Egal, Computer sind schon gut“, ergänzt Peter. Und „Boy is crying“ klingt trotzdem so laid-back wie Crosby, Stills, Nash und Young, sage ich.
Allgemeines überraschtes Lachen.
Wieder mit Neil Young gefangen.

(Rolling Stone)

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