Oval

GANZ NORMAL & ZEITGEMÄSS

Das Naheliegendste ist natürlich, alles ganz anders zu machen, aber die meisten Prozesse bewegen sich dann doch wieder in exakt den Strukturen, die zur Gewohnheit geworden sind und die die alten Bedürfnisse befriedigen. Routine – der unsichtbare Feind. Was bewegt sich wirklich zwischen den Parametern „Standard“ und „Experiment“, und wieviel von dem, was innerhalb der Kulturindustrie allein im letzten Jahrzehnt als avanciert und innovativ angepriesen wurde, verdiente diese Bezeichnung wirklich? Für Markus Popp, seit mehreren Jahren alleiniger Kopf, Verwalter und Repräsentant des Konzeptes und Audiomodells OVAL, das in der Vergangenheit vor allen mit den auf „Mille Plateaux“ erschienen Platten wie der einflussreichen 95er „Systemisch“ für Interesse sorgte, ist das meiste, was innerhalb des Segmentes der elektronischen Musik, die sich zumindest bis gestern noch gerne so weit vorne dünkte, ziemlich traditional- oder retrogardistisch. Ich treffe Markus Popp in Berlin-Mitte, wo er seit 5 Jahren lebt und Publizistik studiert. Dies überrascht insofern, da ihn viele eher in der Informatik vermutet hätten, doch das ist für ihn, der vor allem an Konzepten im Bereich der Medientheorie und Kommunikationswissenschaften interessiert ist, nur ein Background an Orientierung und Interesse. Videospiele interessieren ihn oft viel mehr als die angesagteste angeblich zeitgemässe Musik – nicht als Game-Geek, sondern von den Strukturen und von der Ästhetik her. Das neue Projekt von OVAL nun ist OVALPROCESS, die neue Audio-CD, vor allem aber die Preisgabe seines Modells in den öffentlichen Raum. Die von Popp entworfene Audiosoftware – ursprünglich sollte sie mit dem neuen Album als Do-CD erscheinen -, in einem G3 Mac implantiert und per LCD-Flatscreen und Trackpad bedienbar, befindet sich nun in einem Kubus aus farbigen Plexiglassteckelementen, der verschiedene Formen annehmen kann. Die Eingabe der Klangteile erfolgt über Icons und in Echtzeit, der Track läuft dabei immer hörbar mit, während er verändert werden kann. Trotz des schnellen und intuitiven Zugriffs bietet OVALPROCESS eine sehr detaillierte Handhabung des Klangmaterials. Die Paralelle zu den Computerspielen der Gamekultur, deren Bereich laut Popp nicht nur besser dokumentiert, sondern auch „weiter“ ist als die meiste Consumer-Audiosoftware, ist logisch und auffallend. Das unterscheidet OVALPROCESS auch von den bislang im Handel erhältlichen Modellen wie zb. „Music Maker“. Diese Software baut laut Markus Popp nämlich nur die traditionelle Musikhistorie und deren Technik nach und basiere auf einem antiquiertem Musikbegriff. Das Wort „Musik“ wird in seinem Konzept daher durch „Audio“ ersetzt, was einem aufgeklärtem Designbegriff näher kommt als einem individualistischem künstlerischem Output, und Ovalaudio ist für Popp auf alle Fälle mehr Modell und Vorschlag als Ausdruck eines abgeschlossenen holistischen Kunstbegriffes, das auf einem antiquiertem Autorenbegriff basiert. Zwar negiert Markus nicht Elemente von Intuition oder subjektiver, wenn auch nicht unbedingt persönlicher Handschrift, aber er sieht den Prozess von der Entwicklung dieses Audiomodells bis zur Ausstellung in den öffentlichen Raum vor allem als einen kollektiven und interdependenten. Popkulturelle Verwertung interessiert Popp wenig bis gar nicht, obwohl der Klang von OVAL als Soundtrack zu zwei Werbespots von Armani und als Soundtracks für Modenschauen von Prada, Comme Des Garcons und Myake ausgesucht wurde. Künstleregos sind für Markus dito nicht interessant, er will sich keineswegs als origineller Protagonist oder „der Mann hinter Oval“ präsentieren. Obschon er Agent für dieses Konzept ist. In der Sony-Music-Box am Potsdamer Platz, einer Ausstellung zur Musikgeschichte, wie sie der Lehrer gerne hat – überwiegend harmonietraditionalistisch basiert, Wahrnehmungskonzepte, die auf einem Klang- bzw. Audiobegriff basieren oder davon ausgehen, kommen nicht vor -, steht überraschenderweise ein erstes Terminal mit OVALPROCESS, das allerdings mehr Infotainmentcharakter hat. Aber seit der Eröffnung waren bereits über 400.000 Besucher da, hauptsächlich Schulklassen, Rentner oder Touristen – und das ist etwas anderes, als einem Fachpublikum Jahr für Jahr eine neue CD vorzulegen. „Standards haben sich letztlich für mich über die Jahre als viel interessanter herausgestellt als Experimente“, sagt Popp, und genauso will er sein Modell verstanden wissen: als Update und als Vorschlag zur Diskussion über einen konventionellen Musikbegriff unter völlig veränderten Bedingungen – nicht abgehoben und völlig abstrakt, sondern „ganz normal und zeitgemäss“.

(Intro)

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