DAS DESTILLATIONSPRINZIP
An diesem Jahrestag ist es zum ersten Mal richtig warm in Berlin. Wer einen Winter in dieser Stadt hinter sich gebracht hat, weiss, was das bedeuten kann. Menschen öffnen sich plötzlich wie Blüten und geben Geheimnisse preis, die sie ansonsten lieber tief hinter ihrem Kachelofen verstecken. Die Alleebäume sind noch kahl, aber sie strecken ihr Geäst in die milde Luft, die über Nacht die ganze Stadt überrascht hat, die trägen Tauben auf dem Alexanderplatz gurren ihren Klangteppich dazu und picken im eigenen Rythmus auf dem Asphalt herum, und ich scheuche sie mit dem Fahrrad wieder in den blauen Vorfrühlingshimmel. Ich bin zu spät dran, rase wie wild weiter nach Mitte, gegen alle nur möglichen Verkehrsregeln, gegen meine eigene Seh-Sucht, aber die Stadt, wie herrlich und lebendig und rege sie auch sein mag, sie lenkt mich nicht ab. Was sind schon Details?
Nicht alles, aber –
Robert Henke trägt eine Krawatte mit Enzianmotiv. Wo er wohl herkommt? Akzent, Bruder und Verräter: wie sein musikalischer Partner und Freund Gerhard Behles kommt er aus München, und wie Max Thiel und Tom Loderbauer von Sun Electric sind es wieder zwei südländische Immigranten, die es als Duo in die immer noch elektroid flirrenden Höhen der Berliner Luft verschlagen hat. „Monolake“ heisst ihre dortige Plattform, die eines der avanciertesten wie auch zugänglichsten Projekte der aktuellen elektronischen Musik ist. Und natürlich hat sich in einigen Generierungen und Konstruktionen elektronischer Musik 1999 jenes Indifferente belanglose Ausdifferenzierungshandwerk vollzogen, das es jeglicher möglichen mechanischen Organik der Form unmöglich macht, die inhärente latente Energie und Vitalität, gleich ob wild oder sanft, anstatt in eine konkrete Hosentaschenvision einer besseren Zukunft zu überführen, lieber das Material und seine Rezepienten in innerszenischer Kicherhistorie oder nichtssagendem Wohlgefallen auflöst und hält. Und da erzähle doch keiner, dass sei dann Pop. So geht es auch, aber es geht auch anders: Monolake.
Robert zieht an seinem Kaffee. Je länger er in Berlin lebt, sagt er, desto mehr hat er das Gefühl, dass die geographischen Unterschiede eine Rolle spielen. In München sei es eben wärmer und gemütlicher, vielleicht auch behäbiger. Trotzdem sei man dem Südlichen bei „Monolake“ allgemein sehr zugetan, und während er mir das sagt, kommt ihm die Idee, dass sich das tatsächlich auch in der Musik niederschlage. Möglicherweise. Auf der aktuellen Platte „Interstate“ breiten sich wieder jene einzig- und neuartigen Rythmen aus, die doch so viel wärmenden Groove beinhalten. Folge dem Fluss, bis inmitten synthetischer Landschaften die Knospen natürlicher Sensorien aufgehen. Da kommen sie sanft und präzis, wie ozeanische Wunder, diese warmen Layer, diese vertrauten metallisch klingenden Flächen, die im Klangraum des Tracks verhallen und in der Dunkelheit monochrom glänzend ihre Kreise ziehen. Die Klanglandschaften, die hier geschaffen und gleichsam entdeckergleich kartographiert werden, laden jeden, also auch und erst recht die Nichtspezialisten, auf Entdeckungsgang und -fahrt ein, das Raumverhältnis besteht jedoch nicht mehr zwischen Stadt und Land, sondern bewegt sich verbindender zwischen vermeintlich grösseren Distanzen: Interstates. Robert, der früher Filmtechnik in Babelsberg studierte und von daher viel über Filmmusik und -ton weiss (und natürlich über Bilder), und Gerhard, studierter Informatiker, Programmierer und Entwickler neuer (Software)Synthesizer, der einst im Tonstudio der FU arbeitete, sind, das geben sie offen zu, sehr verwurzelt mit der akademischen Seite der Elektronik. Trotzdem ist das Verhältnis zwiespältig. An der klassischen elektroakustischen Musikkonzeption stört sie das oft zu beobachtende Übermass an Ernsthaftigkeit, das sie selbst in ihren Projekten eher vermeiden wollen. Die bürgerliche Konzeption, sich ein Stück Musik von Anfang bis Ende in einem Kunstraum anhören zu müssen, daran haben sie sich immer schon gerieben. Der zwanghafte Ernst setze sich dementsprechend auch oft in der Aufführungspraxis fort, obwohl es gerade in der Elektroakustik sehr viele Stücke gibt, die in einem entspannten Kontext hervorragend funktionieren würden, führt Robert aus. Und dann gebe es in diesen Szenen die üblichen Berührungsängste vor den berüchtigten repetetiven Beats. Und die Berliner Clubszene ist für die musikalische Sozialisation von „Monolake“ mindestens so wichtig wie die klassische Elektronik, denn ohne sie hätte es das Projekt in dieser Form nicht gegeben. Trotzdem kommen Robert und Gerhard nicht explizit aus einem DJ-Umfeld, aus dem, mit Ausnahme von Porter Ricks, alle Acts auf ihrem früherern Label „Chain Reaction“ heraus entstanden sind. „Unsere Musik ist nicht primär Clubmusik“, sagt Robert, „das können wir nicht bedienen, da wir da nicht genug Ahnung von haben, und ausserdem interessiert es uns auch nicht primär.“ Seit 1989 wohnen die beiden bereits in Berlin und haben beide schon unabhängig voneinander relativ lange Musik mit Computern gemacht, aber trotz heftiger dementsprechender elektroider Impulse seit Anfang der 90er Jahre ist es ihnen zu keiner Zeit in den Sinn gekommen, Clubmusik zu machen. „Für eine gute Tanznummer braucht man andere Fähigkeiten“, sagt Robert, und ich muss an Steve Reich denken, der sich letztlich erst wünschte, dass doch die akademischen Elektroakustiker endlich anfangen sollten, die futuristische Clubmusik zu machen. Vielleicht geht es doch nicht so einfach kompliziert. Statt Funktionalität sehen „Monolake“ ihre Fähigkeiten mehr im Spiel mit Klang und Struktur. Das Klangliche ist dabei immer der Ausgangspunkt, und der Spass daran der kleinste gemeinsame Nenner.
Erfahrungen innerhalb akademischer Szenen haben die Berliner genug gesammelt, letztes Jahr erst präsentierten sie in der Parochialkirche in Mitte ein Aufführungswerk für den DAAD mit dem Titel „Mille Tableaux: 50 Jahre Musique Concrete“. Dort haben sie das für sie Interessanteste des Klangmaterials in den Rechner gesteckt und filettiert, sozusagen die „schönsten Momente“ herausdestilliert, diese dann auf 7 CDs gebrannt und damit ein im Raum verteiltes Boxensystem beschallt. Dies war eine notwendige Dekonstruktion einer klassischen Tradition, das Ziel von „Monolake“ aber ist ein anderes. „Was wir mit unserer Musik erreichen wollen, ist: dass man ihr mehrere Stufen an Aufmerksamkeit entgegenbringen kann. Das Ziel ist eine Musik, die nebenbei hörbar ist, die aber auch nach dem zwanzigsten intensiven Hören etwas neues bringen kann – das ist die Idealvorstellung“, sagt Robert, und bringt damit exakt die Wirkungsweise von „Interstate“ auf den Punkt. Das Wichtige, egal ob beim Produzieren, Livespielen oder beim DJen, ist immer der Versuch, eine Gesamtatmosphäre zu schaffen, die funktioniert. Ein Zuviel an Harmonie wird auf Dauer unerträglich, und das ist es ja auch, was den „normalen“ kadenzbasierten Ambient zb. nach einer Weile so anstrengend macht. Irgendwann fordert sich der Bruch selber ein. Und dann muss man wieder zusammenschneiden.
Dieser Punkt ist für die Organisation des Tonmaterials von „Monolake“ besonders wichtig. In ihrer Musik gibt es einen relativ langen Moment der Vorbereitung, in dem vom späteren Tonkonstrukt noch keinerlei klare Vorstellung existiert. Man schreibt vielleicht ein Programm, das eine bestimmte Art von Struktur erzeugt, oder mit dem man Klänge finden und manipulieren kann. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem deutlich wird, dass man anfangen kann, das Material zusammenzufassen. Und die Kunst ist, den richtigen Moment zu erfassen, an dem das Material zusammenläuft. Was „Monolake“ sehr vorangebracht hat, war das Schreiben und Erstellen eines eigenen Softwaresequenzers, mit dem die Rythmen auf „Interstate“ programmiert worden sind. „Er trifft genau unsere Rythmik. Wir haben einige logische Feinheiten eingebaut, welche die Permutation von Rythmen ermöglichen. Die Maschine spielt sie für uns ein, trotzdem sind sie kontrollierbar.“ Den reinen Aufnahmeprozess im Studio kann man sich wie eine Improvisation vorstellen: das Band läuft mit, und die Musik wird zu einer endlosen Sosse mit genau den Problemen einer jeden Live-Improvisation: tolle Stellen, quälende Stellen, Unfunktionales und dann die einmaligen Highlights. Der Vorteil einer Improvisation ist, so Robert, sich die Chance offenzuhalten, zu neuen Dingen zu kommen. Für ihn bedeutet dieser Prozess eine Kombination aus extremer Präzision und gleichzeitig der Freiheit, sich gehen lassen zu können und in einen Fluss zu kommen. Und da ist Improvisation als Mittel zum Erkenntnisgewinn ganz essentiell. Die Form des Tracks entsteht dann beim cutten. „Das Schneiden dauert sehr lange, da wir häufig an jedem Detail basteln. So wird die Musik Schritt für Schritt veredelt, im Grunde ist das ein Destillationsprozess.“ Das überraschende, so Robert, ist bei einer späteren Sicht und Analyse, dass am Ende häufig ganz klassische Songstrukturen herauskommen. Auch wenn man eigentlich Melodien vermeiden will und emotionale Zustände auf eine andere Art herzustellen versucht, ist es eine lustige Erkenntnis, dass sich letztlich trotz anderer Arbeitsweisen wieder dieselben Universalien herausbilden.
Die 70er Jahre „Freejazz“-Improvisationen der damals noch vorwiegend analogen elektronischen Musik betrachten „Monolake“ heute skeptisch, gleich wie wichtig diese für sie selbst auch waren. „Der Endeffekt aber ist derselbe wie bei unserem Material – es ufert aus. Und als Zuhörer willst Du nicht das Suchen hören, nicht in dem Maße. Wenn man im Konzert stundenlang sucht und 10 Minuten findet, ist das einfach unbefriedigend.“ In den Improvisationen „Monolakes“ hingegen sieht man Ankerpunkte: mit jedem Schnitt wird das Ergebnis klarer, und man merkt, dass es immer weniger Varianten gibt. Und am Ende gibt es nur noch eine Lösung, und alle anderen sind einfach schlechter.
Das Quellenmaterial kommt entweder aus Roberts Angewohnheit, alle möglichen Umweltklänge mit dem DAT aufzunehmen oder aus dem Softwaresynthesizer. Die Zeiten des Tastaturenschleppens sind vorbei, die der Bandmusik schon lange, und die Welt vermisst es nicht. „Monolake“ arbeitet mit minimalstem Studioequipment: 2 Computer, 1 Mischpult, 1 alter Yamaha-Synth und ein Sampler. Eine Livesituation bringt natürlich andere Anforderungen: CD oder DAT abspielen ist albern, das komplette Studio ausbauen ist noch alberner. Jedes Gerät mehr ist eine Fehlerquelle mehr, und wenn man sich zwei Drittel des Konzerts damit beschäftigt, warum auf Kanal 5 jetzt nichts kommt, lassen sich die Vorzüge digitaler Kompaktheit sofort einsehen. Die Traumvorstellung von Henke und Behles ist daher eine Verschaltung, die zb. auch auf der „Formic vs. Hardwax“-Nacht letztes Jahr zur „Popkomm“ zu hören war: 2 Notebooks und ein kleines Mischpult, und das so genial verschaltet und durchdacht, dass man trotzdem wirklich Spass haben und auf die Situation reagieren kann. „Wir machen Musik, die davon lebt, dass kleine Verschiebungen stattfinden. Da ist Hektik natürlich tödlich. Weil es dann sehr schnell beliebig wird. Und man will alles, nur keine Beliebigkeit.“ Trotz aller Genauigkeit weiss Robert, dass man es mit der technischen Perfektion auch zu weit treiben kann. „Manchmal denkst Du, Du hast eine technische Meisterleistung vollbracht, und dann kommt das Endergebnis so selbstverständlich rüber. Die Erfahrung lehrt dann: manchmal sind gerade die einfachen und eher plumpen Dinge sehr schön. Nur man traut sie sich nicht. Ich glaube, der Trick beim Musikmachen besteht darin, sich in der Arbeit Prozesse zu schaffen, mit denen man weiterkommt. Ob die dann letztlich irgendjemand teilt oder ob die sich vermitteln, ist eigentlich gar nicht so wichtig. Wichtig ist nur die Idee, mit der Du weitermachst.“ Tatsächlich ist der Erfolg, sprich die Aktzeptanz eines kreativen Ausdrucks, nicht immer das Entscheidende, sondern die Entwicklung des eigenen künstlerischen Impetus.
Eine Selbstverständlichkeit, die sich oft gerne selbst vergisst.
Und doch soll die Welt natürlich an dem Prozess teilhaben: „Imbalance“ heisst das eigene Label von Robert, dass im Sommer mit den Drone-ähnlichen Klangzustandsideen des Londoners David Stevens den fünften Release herausbringt. „Imbalance“ ist ein klassisches Autorenlabel und, nebenbei und eher zufällig, ein Erstveröffentlichungslabel. Verkaufszahlen sind hierbei natürlich eine Frage, aber das kann, so Robert, nicht der Grund sein, etwas zu veröffentlichen. Der Vertrieb aber ist die Schwierigkeit. „Die Leute wollen durchaus andere Musik hören als das, was jeden Tag aus Berliner Formatradios kommt. Von daher ist es eine Aufgabe, Vertriebswege zu finden.“ Nachdem wir uns über genau diese wichtige Problematik ausführlich ausgetauscht haben – denn „Tape Records“ kann ein Lied davon singen -, erzählt mir Robert noch die eigentümliche Herkunftsgeschichte des Projektnamens: während einer Kalifornien-Reise fuhr das bewährte Urlaubs-Duo „Monolake“ am Yosemite Nationalpark vorbei und entdeckte auf der Karte die eingezeichneten Seen. Einer dieser Seen wurde testweise angesteuert, für idyllisch befunden, war jedoch nichts, was es in den Alpen nicht auch gäbe. So fuhr man nachts weiter, einige hundert Meter nichtsahnend am Monolake vorbei, bis die beiden sehr viel später, als keine Zeit mehr für eine Umkehr war, die ersten Postkarten dieses einzigartigen Naturmonuments sahen: wie eine umgedrehte Tropfsteinhöhle sah der See aus, mit Salzkristallen, die aus dem Wasser herauswuchsen. Man schlug sich vor den Kopf, kehrte nach Berlin zurück und auf die Frage nach dem Projektnamen für die erste Twelve Inch auf „Chain Reaction“ antwortete man einstimmig: „Monolake“! „Wir wissen, es ist unheimlich schön dort, aber wir waren nie da. Für uns ist es eine Idee geblieben, eine Art virtuelles Paradies. Wenn es „Monolake“ einmal nicht mehr geben sollte, werden wir dort gemeinsam eine CD versenken.“ Bis dahin bleiben Behles und Henke aufgeklärte Klangzauberer und gelassene Ingenieure, die in der Farbenpracht der Stromflüsse rudern und in dieser Welt eine entspannt-bewegende Vision elektronischer Musik materialisieren.
DISKOGRAPHIE
floating.point (imbalance CD) 1997
cyan (chain reaction 12″) 1995
magenta (chain reaction 12″) 1996
lantau / macau (chain reaction 12″) 1997
arte / occam (DIN 12″) 1998
Solo:
piercing music (imbalance CD), Robert Henke 1994
silicea (Degem CD), Gerhard Behles 1997
Performances:
„symmetrisches Konzert“ U.A. 1996
„mille tableaux“ U.A. 1998
Kompositionsauftrag des DAAD im Rahmen von „50 Jahre musique concrete“
Installationen:
„DropOut“ (R. Henke) 1994
„Das Amt“ (R. Henke) 1995
„Wonga“ (G. Behles / P. Stoischev) 1996
„BallaBalla“ (G. Behles / P. Stoischev) 1997
Filmmusiken: (R. Henke)
„Delphi 1830“ 1993
„Plötzlich und Unerwartet“ 1995
„Kain und Abel“ 1996
u.a.
(Jazzthetik)