Jadell

CLEVER UND SMART

Und der Mann soll Jäger sein? Die Infos, die über Jadell zu mir kamen, drehten sich um das Bild eines geselligen B-Boy-Playboys, der die Londoner Headz-Style-Szene durch emsige Neuerfindungen und -definitionen von jazzgeschwängertem HipHop auf Trab bringt und der sich mit langsamen, aber grossen Schritten anschickt, mittels landesweiter regelmässiger DJ-Abende und Kollaborationen mit massgeblichen britischen Produzenten und Musikern einen Namen zu machen. Als passionierter Jäger und Golfer, der lieber einen edlen Malt-Whisky und massgeschneiderte Anzüge bevorzuge als dicke Blunts und schlabbrige Baggies, entspreche er so gar nicht dem typischen „Street“-Image, das HipHop und artverwandte Stile noch immer für die meisten Produzenten bereitstellen.

Entwarnung, alles halb so wild. Als mir Jadell entgegentritt, lassen sich an seiner Person samt Kleidung sofort rudimentäre Spuren eines gut abgehangenen Slackertums erkennen, also Schatten eines wissenden, gut geerdeten Hipstertums eines Hängers mit Ambition, der es jetzt langsam endlich einmal wissen will. Kein Wunder, ist sein hochgeschätztes Debütalbum doch auch „Gentleman Of Leisure“ betitelt, was also einen Ehrenmann mit Mussestunden oder auch ganz profan einen Kavalier der Freizeit bezeichnen soll. Geboren 1971 in einem verschlafenem Kaff bei London, kamen er und seine Freunde durch breakdancing, grafittis und rappen zur HipHop-Kultur und von da aus zur Musik im Allgemeinen. Seine Freunde, das waren und sind Ollie Teeba, der mit Jake Wherry als „The Herbalizer“ ein überzeugendes britisches HipHop-Modell geschaffen hat, und DJ Touché, dem dienstältesten „Wall of Sound“-Künstler und Nachlassverwalter der „Wiseguys“, ebenfalls ein innovatives, im Gegensatz zum „Herbalizer“ jedoch, der sich zunehmend als Bandprojekt versteht, eher samplezentriertes HipHop-Projekt. Und Jadell steht wirklich mitten zwischen diesen beiden paradigmatischen Modellen. Als er sah, wie seine Freunde gesignt wurden, überlegte sich der ehemalige Student für Grafikdesign und Fotographie, es vielleicht doch einmal ernsthafter mit seiner Musik zu versuchen. Bis dahin hatte er hauptsächlich ab 1989 einige Loops und Beats aus seinem Sampler gezogen und zusammengemixt. Als er schliesslich eine Single herausgebracht und gleichzeitig zwei bis drei Freelancejobs für Fotografen gemacht hatte, wurde er gesignt und entschied sich, kurz vor dem Examen, für die Musik. Heute kann er bereits davon leben.

„Gentleman Of Leisure“ ist eine ziemlich massive und voluminöse Neuinterpretation von HipHop, in die, ähnlich wie bei „The Herbalizer“, eine breite Klang- und Strukturpalette aus Jazz, Soul, Blues und Filmmusikstilen einfliesst. Der Begriff „Cinematiographic HeadzHipHop im Breitwandsound“ umschreibt es wahrscheinlich am besten. Jadell stimmt anerkennend zu, aber er sagt auch bestimmend: „Ich habe neben HipHop auch immer Jazzplatten gekauft! Zur Zeit bewege ich mich sowieso leicht weg vom Samplen. Wenn, sample ich gerne Frühsiebziger Modern-Jazz-Zeug und Spätsechziger Rock-Psychedelia, weil die wirklich gute Drumbeats haben: wirklich fett und funky und immer gut. Erst gestern habe ich mir eine Ramsey Lewis-Trio-Platte gekauft, ich mag aber auch Coltrane, Sun Ra oder den frühen Hancock.“ Was Jazz hauptsächlich von anderer Musik unterscheidet, ist für Jadell, dass – ausser, dass die meisten Leute ihr Instrument spielen können, wie er lachend sagt – Jazz klar die am meisten expressive Musik ist. Zudem beinhalte Jazz den in der Musik notwendigen Raum zum Experimentieren, der vielen anderen Musiken heutzutage abhandengekommen sei. Heute jedoch ist eine Menge im Jazz langweilig, sagt Jadell, während es Anfang der 70er wirklich vollkommen verrücktes und aufregendes Zeug gab. Er bevorzugt die funkigere und rythmusbetonte Seite des Jazz, wie zb. Sachen von Bob James, den „Headhunters“ oder David Axelrod, dem Produzenten von Cannonball Alderley und Lou Rawls. Seine beiden Platten „Songs of Innocence“ und „Songs of Experience“, sind „definitively worth a check“, sagt er, „es sind Interpretationen der Gedichte von William Blake, aber Du würdest nie darauf kommen, wenn Du sie hörst – so massiv sind die drums and basses.“

Da haben wir sie wieder, die Meisterdiebe auf der Suche nach dem grundgutem Groove. Jadell, der selber Schlagzeug und Harmonica spielt und dieses Jahr noch Klavierstunden nehmen wird, begibt sich auch mehr und mehr in die musikalische Seite des Materials. Das Arrangieren von Samples war eine gute Schule, jetzt aber geht es zunehmend in Richtung Kollaboration mit „echten Musikern“. Ein anderer Grund, von der ewigen Sampelei wegzukommen, ist, dass das „Sample Clearing“ immer heisser geworden ist. „Du musst wirklich rares oder unbekanntes Material von kleinen Labeln benutzen, ansonsten wird es sofort erkannt. Wenn ich ein ähnliches Resultat mit Sessionmusikern hinbekommen kann, mache ich das jetzt. Der Track „The Organisation“, zusammen mit „Raw Deal“, ist so entstanden. Am Anfang sampelten wir, wie immer, das Schlagzeug und zerhackten es dann. Dann hatten wir einen Violinisten und einen Cellisten, Posaune, Sax, Trompete, Flöte, Perkussion, ach ja, und der Bass war auch live. Das war auch nicht besonders schwer, es war toll, das alles so alt klingen zu lassen, nicht zu poliert. Man musste nur alles herausarbeiten. So mag ich es, funky und ein bisschen rauh.“ Die altbekannten Zutaten hierfür sind Cubase und ein Akai S-3000, die einzelnen Samplespuren werden klassisch in Mono aufgenommen, da sie dann jenen Instrumentencharakter haben, mit dem man auf verschiedenen Kanälen herumspielen kann, dann wird der Endmix gemacht, oft an einem Tag. Wie gesagt, in auraler Kinematographie. Die so entstandenen Tracks wie „Sure Shot“ oder „Brand New Sound“ rollen äusserst lässig und gleichsam smart aus den Boxen und vibrieren schmatzend und nachhaltig in den Gehörgängen.

Neben den instrumentalen Exkursionen gibt es auch Vocal Tracks auf „Gentleman Of Leisure“: der Song „Compared To What“ stammt von Roberta Flacks erstem Album „First Take“ und ist stets eine geschmackssichere Verbeugung (man erinnere sich nur an Les McCann und Eddie Harris‘ grandiose Version live in Montreux 1969!) vor der grande dame du Soul. Carl Cassidy ist der Vokalist auf Jadells 99er Update dieses Klassikers, zudem brachte er noch seine Schwester dazu, Gitarre darauf zu spielen – wieder eine Nummer, in der versucht wurde, nicht zuviele Samples zu verwenden. Auf der soulig-spirituellen Nummer „Before the fall“ hingegen singt Anna Ross, eine sehr expressive Sängerin, die u.a. letztes Jahr mit Tom Jones tourte und ziemlich erfahren im Umgang mit Songmaterial ist. Sie schrieb die Texte, von denen Jadell demnächst mehr einbringen will, sei es ein Rap von ihm selber oder von einem professionellen MC. Allerdings, so klagt er mit einigen anderen britischen Produzenten, gebe es zu wenige in England, die wenigen guten seien alle vergeben. Anders als in New York, für Jadell nach wie vor klar die Quelle des HipHop: „Dort gibt es unzählige fantastische MCs, 10 mal brillianter als hier, ich hoffe, ich kann mir demnächst einen angeln.“ An britischen HipHoppern schätzt er die „Bronx Dogs“, „Roots Manouvre“, Rodney P, den Newcomer Nick Faber und einiges von „Jazz Fudge“, dem stilbildenden Label von DJ Vadim. Aus den USA sind es momentan vor allem die „Rawkus“-Acts, die ihn begeistern, „Black Star“, „Jurassic 5“, immer noch Kool Keith, und, am meisten und vor allem, Pete Rock und Large Professor. „Sie haben meine Art zu produzieren total beeinflusst, als ich anfing, habe ich sprichwörtlich einige ihrer Ideen kopiert. New York ist immer noch das Beste im HipHop, die Quelle, sie haben immer noch die besten MCs und Produzenten.“

In England arbeitete Jadell bislang mit U.N.K.L.E. zusammen, dem Solovehikel von „Mo Wax“-Übervater James Lavelle, mit dem er übrigens auch unregelmässige DJ-Abende im Londoner Club „The End“ bestreitet. Zudem veröffentlichte er mit Tony Vegas die 12″ „Ape shall never kill ape“ auf dem japanischem „Toy Factory“-Label, kollaborierte mit KUDO / „Major Forces“, nahm eine 4-Track EP mit „Deadly Avenger“ und den „Bronx Dogs“ namens „Battle Creek“ auf „Illicit“ auf, machte einen Remix für die „Jungle Brothers“ und plant, man höre und staune, eine Zusammenarbeit mit keiner Geringeren als Dionne Warwick. Letzteres erinnert mich spontan an die Kollaboration der „Propellerheads“ mit Shirley Bassey von 1997, Jadell lacht überrascht: „Tatsächlich, könnte man meinen, aber wenn es was wird, sollte es eher so klingen wie etwas von 1968.“

Jadells Musik ist eine clevere, smarte und funktionierende Version von HipHop und artverwandten Headz-Stilen, er selber sagt, dass es seine Interpretation der Stile ist, die ihn beeinflusst haben, und kein strikter HipHop, obschon dieser ein zentraler Punkt seiner Musik ist. Aber mit den Images geht er keineswegs konform, und das ist nur ehrlich: „Ich kann nicht sagen, dass ich von der Strasse komme, ich komme aus Richmond, wie Herbalizers Ollie aus Twickenham kommt. Ich war schon immer in der HipHop-Kultur engagiert, aber ich habe eben auch immer gerne Anzüge getragen.“ Und ja, er spielt Golf und er geht sogar ab und zu jagen, und ich frage ihn, ob das nicht ein reiner Eliten“sport“ sei. „Es klingt ein bisschen un-pc, klar, aber es ist überraschend, wie viele Leute in England jagen gehen, wenn Du sie erst einmal danach fragst. Ich habe letztes Jahr in Irland wieder angefangen zu reiten, und so kam das. Da ist nichts so besonderes, ich treffe mich einfach im Golf-Club mit ein paar Leuten bei einigen Martinis, und wir machen das ab“ sagt er selbstironisch und muss lachen. Das Image eines Jägers und Golfers ist geradezu prädestiniert, um darüber Witze zu machen, und so macht sie Jadell lieber gleich selbst. Alles ist besser, als arbeiten zu gehen, sagt er, und so macht er es sich zur Aufgabe, eine gute Zeit zu haben. Denn er ist vorwiegend Musiker, und die Musik des „Gentleman Of Leisure“ ist kein Witz, sondern schleicht sich durch Feld und Gebüsch auf den Plattenteller, clever und smart.

(Jazzthetik)

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