Lucas Niggli

MINDESTENS EIN SCHRITT WEITER

Die kamen, die Schweizer! Das 31. Moers-Festival brachte neben den erweiterten Hardcore-Kammermusikern Koch-Schütz-Studer vor allem den schnellen und scheinbar omnipräsenten Lucas Niggli mit gleich zwei Formationen auf die grosse Bühne: zum einen mit dem Trio „Steamboat Switzerland“, zum anderen mit seiner eigenen Gruppe „Zoom“. Als wäre das nicht schon genug, schwang Niggli jeden Vormittag beim Moers-Projekt „Dampfschiff Schweiz“ Stöcke und Besen und bot nach dem „Steamboat“-Auftritt am Samstag, man gönnt sich ja sonst nichts, auch noch ein spontan angesetztes Duokonzert mit Marcel Papaux als „The Jugglers“ im Dunkelzelt. Ist der Mann besessen von Musik?

Höllenfahrt im Dampfschiff

Ich arbeite gerne“, lacht Lucas, „das stimmt allerdings. Es ist aufregende Zeit.“ Herzlich ist seine Begrüssung, bescheiden, aber unglaublich vital und voller Energie ist seine Präsenz. Lucas Niggli, der in Uster bei Zürich lebt, ist einer der profiliertesten Aktivisten einer jungen Schweizer Jazz-Szene, der äusserst konzentriert wie begeistert die ständige Kontexterweiterung sucht – über Kollaborationen informiert ausgiebig seine Website. Der momentane Fokus bei dem 34jährigem Drummer liegt jedoch tatsächlich auf den zwei Gruppen, mit denen er in Moers auftrat. Schon der Soundcheck von „Steamboat Switzerland“ erinnerte manche an Deep Purple: laut und krachig war’s, was hinter dem schwarzen Vorhang hervorkam. Die Hammond vom (standesgemäss schwarzlederbehosten) Dominik Blum (auch am Korg MS-20 und der Bandmaschine) und der Bass von Marino Pliakas – beide übrigens hervorragende Interpreten „neuer Musik“ – bilden tatsächlich ein mächtiges Klangkonvolut, ergänzt durch Lucas’ gezielt-prägnantes Spiel. „Steamboat“ ist reiner Gruppenklang, absolut kollektiver Sound, barock, mächtig, prägnant, für solistische Einzelfahrten bietet dieses alles andere als etwa gemächlich über den Zürisee pluckernden Dampfschiff keinen Platz. Vom zwingenden Gesamtvolumen dieser Höllenfahrt erinnert dies im aktuellen Kontext durchaus an Naked City, Fantomas oder gar an das Terrorklangvolumen der notorischen Borbetomagus, jedoch ist bei „Steamboat“, so versichert Lucas, in der Regel alles notiert, und so ergibt sich auch eine komplett differenziertere und äusserst präzise Dramaturgie. Die drei Musiker improvisieren entweder mit zuvor erarbeiteten und komplett definierten, aber frei zusammenfügbaren „Modulen“, oder sie spielen ihre Notationen und Skizzen vom Pult ab und verständigen sich auch im grössten Hardcore und Heavy-Rausch per Handzeichen. Dabei bricht der Energiepegel nie ab: Lucas drischt an seiner opulenten „Batteria“ selbst die komplexesten Rythmen punktgenau und intensiv, eine Fähigkeit, die er an Drummern wie Terry Bozzio (u.a. ex-Zappa), Dave Lombardo (u.a. ex-Slayer, jetzt Fantomas) oder Joey Baron (u.a. ex-Naked City) so schätzt. Aber das sind nur Vergleichsparameter, denn hochoriginell und von einer sehr eigenen Intensität geprägt ist das Schweizer Spiel allemal! Aus ihrem Spielrausch kommen sie immer wieder sehr exakt heraus, akzentuieren sogleich eine mögliche andere Struktur, steigern sich endlos ins Kakophonische im Rausch wieder hoch, um dann – natürlich mitten in Moers – in einen 1a Mosh-Part zu verfallen. Das Publikum johlt, und Dominik Blum besorgt’s der Crowd mit seiner Ian-Gillian-Gedächtnisstimme noch einmal so richtig. Die Leute in den Stuhlreihen nicken geflissentlich mit – Headbangen ist das nicht wirklich -, und das Trio kommt von einem zusammengepressten Emerson, Lake und Palmer-Modul in einen atemberaubenden Speedmetalteil, der dann von einer völlig komplexen und abstrakten Rythmik geweitet und zerfräst wird. Doch bevor sich das einschleift, geht man abermals abrupt in einen bangenden metallischen Gesamtrhythmus über, bis die Staccato-Orgelparts wieder in määndernde Flächen überführt werden und so geht es im stetigen Wandel spannungsvoll weiter. Es erscheint, als erfindet sich diese Freeform-Rockmusik jeden Moment neu, um die Geister der Rock- und Jazzgeschichte anzurufen und zugleich auszutreiben. Bei „Steamboat“ focussiert sich zudem eines der wichtigsten musikalischen Interessen von Lucas Niggli: mit sehr hohem formalen Bewusstsein exakt auf den Punkt kommen zu können, dabei ein atemberaubendes dramaturgisches und energetisches Level zu halten, und sich gleichsam mit der Gesamtformation in eine intensiven und mitreissenden Spielrausch bringen zu können, ohne den das ganze Spiel letztlich – auch für das Publikum! – nichts wert ist.

Geht einen Schritt weiter!

Bei „Zoom“ organisiert sich diese Haltung vom Klang her etwas anders: man geht genauso konzentriert und sogar in den grössten Lautstärken und Intensitäten fragil vor, lässt aber mehr klanglichen Raum in der Struktur für die Klangfarben offen – etwas, was Lucas aus seiner Beschäftigung mit der zeitgenössischen („neuen“) Musik gelernt hat, von deren ästhetischer Klangkultur er begeistert ist. Den improvisatorischen Gestus und den Drive des Jazz mit der Präzision und dem Klangreichtum der zeitgenössichen Musik zu verbinden, ist daher ein Anliegen, dem bei „Zoom“ auf die höchstversierte Weise nachgegangen werden soll. Und dies ist bei so herausragenden Mitmusikern wie eben Philipp Schaufelberger an der Gitarre und Nils Wogram an der Posaune kein nicht so grosses Problem mehr, sondern dafür geradezu eine Freude – auch beim Zuhören. „Zoom“ spielen in Moers ebenfalls mit Notation. Sehr schnell und filigran kommt man bald auf extrem abstrahierte Jazz-Idiome aus Swing und Blues, die aber immer noch nachvollziehbar sind – nicht umsonst heisst ein Stück „Superblues“. Das Spiel der „Jazzkapelle“, wie Lucas seine Band vorstellt, ist bei aller Komplexität dabei ungemein leicht, luftig und extrem interaktiv. Glanzstücke wie Schaufelbergers Fingerbrecherläufe, Wograms Mundstück-„Moaning“ und Nigglis perkussives Spiel mit den Fingern schaffen bisweilen sehr reduzierte wie intensive Spielweisen, die in ihrem Swing fast schon latino-mässig daherkommen. Auffällig vor allem das generell ungemein dichte und konzentrierte Zusammenspiel – das ist Jazz, das sind Stücke, und kein amorphes und endlos-määnderndes Free-Form-Gefrickel! Schaufelberger, der seine Gitarre nahezu wie ein akustisches Instrument und mit wunderbarem Phrasing spielt, und Wogram, dessen feinfühlige wie prägnante Posaune das Jazzpublikum schon seit Jahren begeistert, geraten mit Niggli, der das Publikum mit der Impulsivität und Genauigkeit seiner Rythmik verblüfft, auf eine spielerisch-kommunikative Ebene, die eine ganz eigene Klasse ist und gleichzeitig ein exzellentes und herausragendes Modell für Improvisation. Niggli hat hier eine Gruppe gefunden, die Abstraktion rollen lassen kann und sich einen klaren Rausch zu erspielen weiss – kann man einer Jazzband in der Hier- und Jetztzeit ein grösseres Kompliment machen? Hier braucht es keiner präventiv „krachen“ zu lassen und an der Volumeschraube zu drehen, das Spiel ist vielmehr fragil, schwebend und sanft, oft hängt gar ein Miles-Vibe in der Luft, dezent und gleichsam total zwingend. Der naheliegendste Improvisationsgestus ist nicht das Ding dieses Ausnahmetrios, sie scheinen das zu praktizieren, was Miles einmal sagte, und was so viele improvisierende Combos der Jetztzeit immer noch nicht verstanden haben: „Spiel nicht, was Dir gerade einfällt – geh einen Schritt weiter!“ Aber dann geht der Gestus wieder auch ins Forsche, Fordernde, Packende und Schnelle über, und man steigt gemeinsam in der Lautstärke an. Das für viele beste Konzert in Moers 2002 begeisterte das Publikum nachhaltig: Standing Ovations, Gejohle, sogar ein „Ausziehen!“-Ruf – Puh! Durchatmen – das hatte man wirklich gebraucht!

Wurzelziehen

Am nächsten Tag bestaunt Lucas mein mittlerweile ziemlich altes, aber unglaublich treues Band-Diktiergerät, und wer hätte gedacht, dass so ein Maschinchen auch bei „Zoom“ eine grosse Rolle spielt? „Die meisten Kompositionen entstehen tatsächlich ganz unintellektuell, vom Ohr her, beim Üben, wenn ich etwas neues entdecke. Ich singe meistens beim Spielen, und dann finde ich irgendwelche Lines dazu und dann nehme ich sie aufs Diktaphon auf. Das Material wird transkribiert und bleibt dann erst mal eine Weile liegen, und Monate später habe ich dann vielleicht eine ganze Kollektion Material, und dann wird da ausgemistet, durch den Filter gelassen und durch den Fleischwolf gedreht. Am Schluss habe ich ein Surrogat, und daraus baue ich mir dann die Stücke für das Trio.“ Zwar hat Niggli auch einige Stücke komplett am „Reissbrett“ gemacht, doch ansonsten entwickeln sich die sehr präzise und extrem ausgehörten „Zoom“-Kompositionen über die Zeit. Wir zoomen kurz zurück: beim kollektiven Gruppensound von „Steamboat Switzerland“ ist Niggli entweder Improvisator oder Interpret: die Band spielt ausschliesslich Stücke von Komponisten, die für sie geschrieben haben, und das in einem sehr spezifischen Rock-und-Neue-Musik-Kontext. „Meine Wurzeln liegen aber eindeutig im Jazz“, beteuert er, „und das hat natürlich mit meinem Instrument zu tun, weil das Schlagzeug ist vor allem hier im Sinne von komplexen und virtuosen Spiel weit getrieben worden, obwohl es auch natürlich im Rock Sachen wie King Crimson oder Terry Bozzio gibt.“ Doch obwohl Niggli das Schlagzeug zuerst in einem Jazzkontext gelernt und gespielt hat, interessieren ihn von den Ästhetizismen her die Sachen in der zeitgenössichen, improvisierten und elektronischen Musik im Grunde mehr als das, was derzeit im Jazzbereich passiert. „Doch als Jazzschlagzeuger ist es für mich schwierig, sich diesbezüglich organisch zu seinen Wurzeln zu verhalten, und die einzige Möglichkeit war da zu sagen: ich mache mir meine eigene Band und versuche in diesem Trio all diese Einflüsse zusammenzuzoomen. Ich bin kein Dogmatiker und habe in meinem Alter auch noch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen oder kann sagen: jetzt habe ich meine Sprache gefunden! Vielmehr möchte ich mich diesem Spannungsfeld voll aussetzen, und die einzige Möglichkeit war die Gründung dieser Band, um Stücke zu schreiben, wo ich mir Rechenschaft darüber ablegen muss und von denen ich sagen kann: das möchte ich hören, das möchte ich spielen.“ „Zoom“ existiert seit drei Jahren, und hier ist die vielbeschworene Bandchemie extrem wichtig. Wie fanden diese hervorragenden Musiker zusammen? „Ich wusste, dass ich keinen Bassisten haben möchte, weil ich mit so klaren stilistischen Anlehnungen arbeite, dass mit einem Bassisten die Bezüge viel zu offensichtlich wären und es vielleicht viel zu plump klingen würde, da ist man sofort wieder in der Rolle der Rythm-Section. Und mir ging es darum, dass das Schlagzeug eine emanzipierte Rolle einnimmt, eben nicht in der Rythm-Section versinkt, sondern auch eine sondierende, begleitende, melodische oder themenspielende Funktion übernimmt. Das war das eine, das andere war, dass ich es trotzdem gerne habe, wenn es fett klingt, wenn es kompakt klingt, wenn es auch orchestral klingt, und deshalb habe ich zwei Tenorinstrumente gewählt. Aber das war nur das Sekundäre, denn das wichtigste waren eigentlich die Menschen, die dieses Instrument spielen.“

Komplexität muss Spass machen

Mit Schaufelberger verbindet Niggli eine lange Geschichte, sie haben schon vor 15 Jahren viel Strassenmusik zusammen gespielt, und auch im Jazzbereich gemeinsam konzertiert, Wogram hingegen, den er gar nicht kannte, hörte er auf einem Konzert und dachte nur noch: „Diesen Musiker…ich habe jeden Ton verstanden, den er gespielt hat.“ Ein halbes Jahr später riss sich Niggli dann zusammen, rief an und sagte: „Schau, lass uns mal proben, ich hab da eine Idee, aber ich verspreche nichts, wenn’s nicht klappt, lassen wirs.“ Ergebnis: vom ersten Tag an waren Schaufelberger und Wogram die dicksten Freunde, und mittlerweile ist Wogram aus privaten Gründen ebenfalls nach Zürich gezogen – für Niggli, dem es sehr wichtig ist, dass Musiker seine Ideen engagiert umsetzen, die allerbeste Voraussetzung. Demnächst verlässt „Zoom“, die in Moers ein komplett neues Repertoire spielten, sogar das Statement „Trioform“ und spielt mit Claudio Puntin an der Klarinette und Peter Herbert am Bass gar als Quintett auf – da ist noch einiges zu erwarten. Doch wie entwickelte sich denn das Konzept von „Zoom“ aus der Art heraus, wie Niggli früher Musik improvisiert genauso wie arrangiert hat? Da hat sich der Fokus doch mittlerweile stark verändert? „Allerdings“, bestätigt Niggli, „Es gab ja vor bis zu fünf Jahren kaum Literatur für Neue-Musik für Drumset. Das ändert sich jetzt auch, da jüngere Komponisten, die mit Funk und Rock grossgeworden sind, jetzt Komposition studiert haben und diese Ästhetizismen reinbringen in ihre Kompositionen – genauso Leute, die wir bei „Steamboat“ interpretieren, wie Sam Hayden, David Dramm oder Michael Werthmüller, die auch wirklich für Drumset und Kickdrum schreiben. Und das ist für mich phantastisch! Dazu kommen aber auch meine Afro- und Jazzroots, das polyrythmische Spiel, das energetische und akustische Spiel – und das alles kann ich mit diesem Trio wirklich weiter entwickeln. Und da, kann ich sagen, ist ein grosser Weg hinter mir – aber es ist noch ein viel längerer vor mir!“ Niggli profitiert enorm von dem Wissen, dem Können und nicht zuletzt auch dem sozialen Bewusstsein zeitgenössischer Komponisten. „Ich geniesse das extrem! Musik ist eine soziale Angelegenheit, und auch wenn ich bei „Zoom“ der Leader bin, ist das ein Kollektiv, das ist mir ganz wichtig.“ Mittlerweile schreibt Niggli selbst zeitgenössische Musik, und hat auch schon drei grössere Kompositionsaufträge erhalten. Das 45-Minuten Stück „Serendipity“ für Jugendorchester wird im September in Zürich uraufgeführt. „Kann ich das, fragte ich mich, als mir nach einem „Zoom“-Konzert der Auftrag angeboten wurde. Aber ich mag Risiko, und so habe ich es einfach versucht. Und ich habe sehr sehr viel damit gelernt, zum Beispiel Klangfarben zu schreiben. Auch in pragmatischer Hinsicht: ein Jugendorchester muss Spass haben beim Spielen, aber Spass heisst nicht Einfachheit, heisst nicht eindimensional zu sein. Die Komplexität muss Spass machen und direkt ansprechen. Das ist genau das, was Duke Ellington so unglaublich gut beherrscht hat, dass er es seinen Leuten auf den Leib geschrieben hat. Und das Orchester hat verdammt gut geklungen!“

This is Freedom!

Mittlerweile hat Niggli einen Auftrag für ein Stück vom renommierten und etablierten Ensemble Für Neue Musik Zürich erhalten, in das er, so seine Bedingung, „Zoom“ als ganzes partiell einbinden will – nicht schlecht für einen Jazzschlagzeuger, einen 100%igen Autodidakten, der in seiner Jugend King Crimson und Zappa, aber auch Slayer und Morbid Angel hörte! Seine Ideen und seine augenscheinliche Energie – Niggli kann wirklich ungemein für Musik begeistern – beeindruckten eben schon viele Leute. Allgemein sind Notationen jedoch für Niggli nicht immer der musikalischen Weisheit letzter Schluss. „Ich möchte, dass die Musiker auf der Bühne nicht nur interpretieren, was auf dem Blatt steht, sondern sich selbst auch interpretieren, sich selbst reingeben. Ich glaube, immer Musik so zu schreiben, dass der Musiker diese Möglichkeit hat. Bei „Zoom“ haben wir mittlerweile einen Grad erreicht, das zu machen. This is Freedom! Man kennt sich gut, und man reproduziert und interpretiert Stücke, aber immer mit dem Ziel, sie neu zu erfinden. Und wenn das passiert auf der Bühne, dann gibt es so einen Kick – “ – Niggli ringt nach Worten – „das ist wirklich ein Fest!“ Ohne intensiven Rausch geht es eben schon mal gar nicht, und da krankt oft auch die komponierte Musik dran, weiss Niggli. So sieht er beide Seiten und nimmt das Beste aus beiden Welten: „Komplexeste schwierigste Musik, aber mit der Energie des Rock zu spielen – Wow! Das ist einfach das Grösste!“ Woher nimmst Du diese Energie, Lucas? „Von meinem Schlagzeug. Trommeln ist eine wahnsinnige Tankstelle. Und: ich bin zur Hälfte Hausmann – und das ist für Kopf und Herz die schnellste, manchmal auch unfreiwilligste (lacht auf) Weise, Distanz zu kriegen zur Musik. Und auch notwendig. Schon eine total andere Welt, aber sie ist eben sehr wahr. Man hat einfach den Boden unter den Füssen, man muss ihn unter den Füssen haben, denn sonst bricht’s zusammen – und das gibt mir auch immer einen riesigen Kick, weiterzumachen.“

Die starke Kunst und das liebliche Leben

Niggli spielt regelmässig in der Züricher Werkstatt für improvisierte Musik, für ihn eine sehr starke Quelle von Ideen. „Ich entdecke dann auch immer wieder Probleme in der improvisierten Musik, in diesem ganz freiem Spiel.“ In welcher Hinsicht? „Es ist es so schwierig, in einem ganz freien Kontext in einem Medium-Tempo zu spielen. Man neigt zu den Extremen und den Radikalen, zu dem superenergetischem, hochenergie-dichtem lautem Spiel, oder eben dann in dieser totalen Morten-Feldmann-artigen Reduktion mit ganz viel Platz – aber in einem Medium zu spielen, das braucht viel Vertrauen zu seinen Mitmusikern, das braucht auch viel…Mut!“ Niggli spricht das aus, was man selbst bereits viel zu oft erfahren musste, und er ist besonders berechtigt dazu, da er in allen Improvisations-Kontexten zuhause ist und die Extreme kennt. Mit den richtigen Leuten in einem freien Kontext zu spielen, die sich eben auch mal zurückhalten können, das macht Musik für ihn erst spannend. Oft aber stellt sich das bei improvisierter Musik total anders dar: „Diese Coolness auf der Bühne“, regt er sich auf, „das ist einfach nicht wahr!“ Wie beurteilt er dann das, was ich gerne den „Platzhirschfaktor“ nenne, wenn vor allem Männer improvisieren, denen beim immer lauter und heftiger werdendem Spiel langsam aber sicher Hörner wachsen? Lucas lacht laut! „Man könnte das ja „Steamboat“ perfekt vorwerfen: Ja, lauter, schneller, aggressiver! Genau das ist aber bei dieser Band das Gegenteil. Wir sind drei Papis, wir haben zusammen sieben Kinder und sind total im pädagogischen Bereich eingespannt. Bei „Steamboat“ geht’s um Sterben, eher! Klar ist es ein Rausch, und klar ist es geil (Lucas macht Motorgeräusche), aber wir sind die uncoolste Band überhaupt! Man müsste Robert Walser zitieren, der so etwas sagte wie: Kunst muss stark und heftig sein, und das Leben weich und lieblich. Es geht in diese Richtung. Das finde ich toll.“

Diskographie

Kieloor Entartet – „No More Beer“, Ex Libris 1990

Kieloor Entartet – “A Good Dog Has A Day”, UNIT Records 1992

Kieloor Entartet – “The Red Light Fugue”, UNIT Records 1995

Hoffmann-Niggli-Percussion – “Drumscapes & Mute Songs”, Creative Works, 1993

Sainkho Namtchylak – “Letters”, Leo Records, 1993

Michael Gassmann Quartett – “Live”, UNIT Records, 1993

Scholl-Erismann-Niggli-Frith-Koch-Kowald – “Nil”, UNIT Records, 1996

Roots Of Communication – „Pro Helvetia“, UNIT Records, 1996

Acoustic Stories – Rahel Hadorn, Live At Moods, Red Note, 1997

Pierre Favres Singing Drums, intakt, 1997

Steamboat Switzerland, UNIT Records, 1998

Roots Of Communication – Al Valico dei Secoli, Esperia, 1998

Lucas Niggli & Sylvie Courvoisier – « LAVIN », intakt, 1999

Border Meetings – “Pedretti-Grichting-Schütz-Niggli”, Altri Suoni, 2000

Pierre Favre – “European Chamber Ensemble”, intakt, 2000

Steamboat Switzerland – « Budapest », Grob 315, 2001

Steamboat Switzerland – « ac/dB (hayden) », Grob 316, 2001

Steamboat Switzerland – « unknown song », Grob, 7 », 2001

Lucas Nigglis ZOOM – « Spawn Of Speed », intakt CD 067, 2001

www.lucasniggli.ch

(Jazzthetik)

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