Denis Johnson

SCHON TOT

Denis Johnson ist der beste lebende Schriftsteller der USA. Noch Fragen? Gut. Es gibt ja Leute, die immer noch einen Autor wie Pynchon für das Nonplusultra der US-Literatur halten. Die werden sich nach der Lektüre von „Schon tot“ leider umorientieren müssen. DJ hat nachgelegt: 632 Seiten, um genau zu sein. Eigentlich zum Kotzen, sowas. Wer zum Teufel braucht heute noch einen Roman von dieser Länge? Stop: der erste Gedanke ist nicht immer der richtigste. Denn hier schreibt Denis Johnson, dessen furioses Debut „Engel“ von 1985 und die unvergleichlich herausragende 1995er Shortstorysammlung „Jesus Sohn“, deren Verfilmung bevorsteht, und der seltsam bannende Roman „Wiederbelebung eines Gehängten“ zur besten Literatur des ausgehenden letzten Jahrhunderts gehört. Das weisst Du. Und deshalb liest Du. Und willst nicht mehr raus. 632 Seiten lang. Van Ness ist ein ehemaliger Seemann der Handelsmarine, der zu suizidalen Stimmungen und den Gedanken von Wittgenstein, Spinoza und Nietzsche neigt. Das posaunt er aber nicht hinaus, dafür kann er es nicht verbergen, seinen Gegenübern zu verraten, dass er sehr bald das zeitliche segnen wird – aber sie selbst möglicherweise noch überlebt. Netter Gesprächspartner. Er besucht seinen alten Seebuddy Frankenstein, einen ziemlich irre gewordenen und zwischen Klarheitswahn und Materialdelirium oszillierndem Hobbyschmied, der die üblichen Stimmen in seinen Adern hört, stoisch seine Bude zerlegt und alles, was nicht brennt wie die Hölle der Hitze keiner wirklichen Betrachtung werthält, weshalb er aus drei Kilo Armierungseisen – denn nur Stahl ist der weissen Hitze würdig – zum Zeitvertreib einen hundert Gramm leichten Briefbeschwerer macht. Die Gegend im kalifornischen Mendocino County, in der das Ganze spielt, ist entweder brutalst vernebelt oder glüht in ewig himmelblauer Hitze. Van Ness hat eine Krankheit, irgendetwas mit Strahlen. Wenn er denn schon mal gehen muss, kann er doch auch Winona, kultivierte Esoterikerin, Hobbykünstlerin (ich weiss…) und Frau vom Marihuanakleinplantagenbesitzer Nelson Fairchild Jr. um die Ecke bringen. Nelson ist nämlich schwer genervt von ihr (wie sie von ihm), und braucht zudem die halbe Million Lebensversicherung oder endlich das schwere Erbe seines Daddys, um auf alle Fälle die ihn verfolgenden Killer zu besänftigen, die sein missgestimmter Ex-Geschäftsfreund auf ihn hetzte, nachdem er auf dem Flughafen in Panik einfach die 24 Päckchen Koka die Toilette runtergespült hat. Verständlich. Ausserdem steht Nelson auf das österreichische Hippiemädchen Melissa, die wiederrum gerne zu Frankenstein geht. Johnson führt sein Personal schnell und markant ein, ohne es durch irgendwelche platten Stereotypen auf die Hornhaut zu drücken. Er schafft dies durch einen Realismus der Dialoge, der einfach nur noch nicken macht. Man geht durch die Seiten wie durch eine Landschaft, in der jeden Moment alles passieren kann. Nicht umsonst gibt es auf dem Cover eine Karte der Geschehnisse. Als ob alles echt wäre. Krimi, mythologisches Epos, Gothic Novel, Logischer Impressionismus – was Du willst. Papier lebt mal wieder. Johnson hat es auch hier geschafft, über diese vielen Seiten seinen Stil zu verbessern, Spannung zu halten und seinen Plot zwischen Lakonik und Drastik zu dramatisieren. Seine Themen gestaltet er zwischen Ernst und Humor oder Pathos und Ironie wie kein zweiter. In diesem Realitätsnebel steht Alles mit Allem in Bezug, jegliche Verrücktheit erscheint völlig normal, die Parameter der mystischen Unschärferelationen einer Seite werden zur klar konturierten Bildschärfe der nächsten. Johnson gelingt es, in Kippfiguren zu schreiben, ohne dass die Story an Stringenz oder Motorik verliert. Zwar gehen manchmal die Längen mit ihm durch, wenn er seinem Personal in einer Spendierlaune zu viel freie Rede gibt, aber zuviel originelle Gedanken, Sehweisen und Bilder bieten sich dann an, als dass man ablehnen könnte, hier, in diesem uramerikanischem Hippiereservat, wo sich die von weitem gesehenen Träume in der nahen Hand auf einmal wie Alpträume anfühlen. Johnsons Figuren sind in der Wahrheit seiner Bücher schwarze Romantiker, spirituelle Sucher, mit der Nase im Dreck und Staub zwischen den Zähnen kriechen sie in einer Realität herum, die erbarmungslos zwischen Tag und Traum pendelt, und die ihnen eine Souveränität in diesen Umständen nurmehr vorgaukelt. Denn dieser Tagtraum ist bevölkert von schwarzen Schatten, wenn ihn die Sonne am grellsten zu durchleuchten scheint und daraus eine Halluzination macht. Keiner schreibt besser. Wort auf. „Danke, dass sie mich ausgelesen haben.“ „Es war mir ein Vergnügen.“

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