Oren Ambarchi

WEG VON DER AVANTGARDE

Der Australier Oren Ambarchi erweitert seit Jahren mit seinem experimentellem Gitarrenspiel und einem aufgeschlossenem Begriff von Klangforschung die Parameter der improvisierenden Musik. Jetzt hat er mit dem Landsmann Chris Townend, einem Songwriter und altem Studiohasen, unter dem Namen „Sun“ ein Gitarrenpopalbum herausgebracht.

Geboren wurde Ambarchi in Sydney, musikalisch sozialisiert wurde er mit Punkrock. Doch schon mit zwei oder drei Jahren hörte er Hendrix, die Beatles oder Led Zeppelin. Eine ganz besondere Sache aber prägte ihn noch mehr: „Mein Grossvater hatte ein Secondhand-Geschäft, mit einer Menge Kameras, Platten und Geräten. Mit sechs Jahren klaubte ich da eine Apple-Single auf, ich dachte, es wären die Beatles, es war aber eine Yoko-Ono-Single – das war ein grosser Wendepunkt. Der andere Punkt war, als ich eine gebrauchte Iron Maiden Platte kaufte, in der allerdings Miles Davis’ „Live Evil“ steckte. Das war eine grosse Sache. Ich hab sie immer noch im selben Cover.“ Weiterhin vertickte Opa Ambarchi Effektpedale, Mikrofone und Radioschnickschnack, und liess Oren davon nehmen, was dieser haben wollte. Opa machte nur Musik zum Spass, aber Oren wurde langsam aber stetig besessen vom Plattensammeln und der Suche nach neuen Klängen. Es folgte die übliche Nummer: Jung-Oren alberte zuhause mit Kurzwellenempfängern rum, und gleichzeitig wurde er Schlagzeuger. Als er 14 war, entdeckte er John und Alice Coltrane, und alles änderte sich. Er verkaufte bis auf wenige Ausnahmen alle seine Rockplatten, und von da an spielten Coltrane, Ornette Coleman, Cecil Taylor, Albert Ayler und Eric Dolphy die musikalische Hauptrolle in seinem Leben. „Ich spielte damals Free-Jazz-Schlagzeug im Schlafzimmer, mit 16 dann in einer Band namens „Earrational Music“, in Sydney 1984…wir alle waren jung, aber der Sax-Spieler, Eddie Bronson, war älter. Er war der erste Free-Jazz-Saxofonist in Australien…eine Legende“, so Ambarchi. Bronson traf auf einem Konzert auf den jungen Musiker, mochte ihn und wollte mit ihm spielen. Weiter ging es dann mit Kontaktmikros und Bandschleifen. Im Proberaum sah Ambarchi irgendwann eine Gitarre rumliegen, die jemand dort liegengelasen hatte. Langsam stieg er um, bis er 1993 schliesslich endgültig zur Sechssaitigen wechselte. Zumal er ab dem Ende der 80er oft nach New York flog und dort viel Livemusik in sich aufsog, wobei ihm vor allem die damalige zeitgenössische japanische Noise-Improv-Musik begeisterte und in Sachen „Erweiterter Freejazzbegriff“ kickte. „Keiji Haino spielte ohne jegliche Jazz-Chops, aber mit unglaublicher Personality und individuellem Charakter. Das beeindruckte mich mehr als die tausendste Repetition von Standards.“ Zurück in Sydney setzte er das Neugehörte direkt um. Es entstand ein Improv-Kontext mit der neuen Band „Phlegm“ (Rotzfleck), der noch durch Rock-Dekonstruktionen durch Punk und Noise geprägt war. Und natürlich waren auch die australischen Improv-Tape-Collage-Pioniere „The makers of the dead travel fast“, die in Australien schon früh den experimentellen Weg bereitet hatten, bekannt. Mit neuem Bewusstsein und Erfahrungen brach Ambarchi zu Geistesverwandten auf, spielte mehrere Male mit John Zorn in New York oder in Japan mit Masona oder Merzbow. Mitte der 90er hatte er drei CDs und einige 7“es herausgebracht. Er mailorderte viele japanische Sachen und hatte dadurch Kontakt, der Musikaustausch via Tape begann seine letzte Renaissance. Mit Zorn, der ihn einlud, auf seinem Festival zu spielen, kam er sehr gut klar. „Er mochte, was ich tat. 1993 machte ich bei „Cobra“ mit, und 1999 brachte ich auf Tzadik die Platte „The Alter Rebbe’s Nigua“ heraus, auf der ich zusammen mit dem Schlagzeuger Rob Avenaim spiele. Zu der Zeit spielte ich ziemlich laut, krachig und verrückt…diese Art. In Sydney gab es damals eine ziemlich gesunde Szene für so etwas, viele Venues ermöglichten viele Gigs…man konnte drei oder vier mal die Woche in verschiedenen Läden völlig kompromisslose Musik spielen, und viel passierte spontan. Ich war zu der Zeit in sehr viele Projekte einbezogen, heute sind die alten Venues geschlossen, und es gibt keine Live-Action mehr. Mitte der 80er hatte ich zum ersten mal Zeit für mich und zum experimentieren. 1998 kam ich dann mit sehr viel Computermusik wie dem österreichischem Mego-Label in Berührung, zusätzlich hörte ich viel musique concrete aus den 50ern und 60ern, sass zuhause mit meiner Gitarre und begann das alles zu verbinden.“ Das Ergebnis kam unter dem Titel „Insulation“ auf „Touch“ heraus, Ambarchis wirklicher erster Soloplatte, die sich komplett von allem unterschied, was er bislang gemacht hatte. Und seitdem gab es viele Platten und ständige Wechsel. Eine Kollabo mit Megos Fennesz brachte ihn mit Keith Rowe, Pita und Pimmon, einem Elektronikkünstler aus Sydney, zusammen. Nach den Gigs ging man ins Studio und nahm die CD „Afternoon Tea“ auf, die in Deutschland bei Ritournell herauskam. Auch heute noch pflegt Ambarchi den offenen Austausch, so mit Otomo Yoshihide, der mit dem australischen Stoiker-Drummer Tony „the necks“ Buck ganz früher bei Peril spielte, und dem japanischen Improv-Bassisten Kato Hideki, oder mit Yoshihide und David Moss auf Festivals. Eine Kollaboration mit Yoshihide und Keith Rowe erscheint demnächst auf dem Kölner Label „Grob“, letztes Jahr gab es mit Rowe bereits die gemeinsame Platte “Flypaper“ auf „Staubgold“. Auch im Trio mit Rob Avenaim schätzt Ambarchi den Austausch mit Rowe. “Keith ist wirklich ein wichtiger Musiker…leider oft ziemlich unterschätzt, aber ich mag seine Radikalität und Offenheit gegenüber der Entwicklung in der elektronischen Musik. Viele Improv-Musiker leben immer noch in der Vergangenheit, aber Keith umarmt wirklich die junge Generation und die Sachen, die dort passieren, so zB. Martin Ng, einen Turntablisten aus Sydney…Keith ist immer bewegt und bewegt.“ Für Ambarchi, der selbst kompromisslose Fusionen schätzt, sind “Grob“ und das US-Label „Erstwhile“ die wichtigsten zeitgenössischen Improv-Labels. Und jetzt „Sun“, ein Semi-Popprojekt mit charmantem Einschlag? Wie kam es zu dieser Entwicklung? Co-Produzent Chris Townend war früher in krachigen australischen Punkbands mit experimenteller Schärfe involviert: „Monroe’s Fur“, „Crent“, „Kiss my poodles donkey“, „Chrackie Whore“, oder als Baßist bei „Holy Mountain“, einer lauten psychedelischen Version der Melvins, bei der auch Teile der Aussie-Surfpunker Hard-Ons mitmachten – viele davon waren Festivalbands, die nie auf Tonträger dokumentiert wurden. Musikalisch tat sich Townend in letzter Zeit vor allem als Produzent hervor, so nahm er zB. mit Portishead Teile von deren neuem Album in seinem Bigjesusburger-Studio auf. Dort stehen schöne alte 16-Spur-Maschinen, noch ältere Reverbs, und ein wunderschönes antikes Mischpult, das übrigens, nette Randnotiz, für den Star-Wars-Soundtrack verwendet wurde und irgendwie den Weg nach Australien gefunden hat. „Chris versteht experimentelle Musik, und ich fing an, dort meine Solo-Sachen aufzunehmen. Wir sprachen über gemeinsame Vorlieben, und viel von dem, was wir mochten, war Popmusik, die wir beide immer liebten. Und eines Tages sagte er: warum versuchen wir nicht, ein Pop-Album aufzunehmen? Erst lachte ich, aber dann sagte ich: warum nicht?“ Er ist sehr busy, und erst 2000 hatte er Zeit. Er rief mich an und sagte: wir können anfangen! Ich fragte: mit was? Und er: Mit Songs! Und erst da fiel es mir wieder ein. Zuerst war es eine riesige Herausforderung, weil wir noch nie so etwas gemacht hatten. Wir kamen in emotionale Gebiete, die wir noch nie betreten hatten. Es war ein Riesenspaß, aber manchmal auch sehr sehr schwierig. Wir waren nicht sehr selbstbewusst am Anfang, aber dafür sehr minimal und roh, wir wollten keine Schichtung von Ideen. Dann kamen die ersten Reaktionen, und auch die experimentellen Leute mochten es: Fennesz liebt die Platte, sogar Voice Crack mögen sie.“ Ambarchi und Townend, die alles zu zweit einspielten und erst dann eine Liveband zusammenstellten – u.a. mit Country-&-Western-Pedal-Steel-Spieler, Konzertharfinistin und Keyboarder – konstruierten mühevoll, was für andere selbstverständlicher Ausgangspunkt ihrer Musik ist. Beide singen, meistens jedoch Townend, sehr einfache Lyrics mit grundsätzlichen Themen, so Ambarchi: „Verträumt, humorvoll, auf keinen Fall ernsthaft und mit einigen Insider-Jokes.“ So kommt man vom Krach- und Punkgestus zu ungleich fragileren Texturen. Wäre es nicht einfacher gewesen, von Anfang an eine Band dafür zu haben? „Eine sehr interessante Frage. Ich denke: Ja. Aber die Tatsache, dass wir es so gemacht haben, gibt der Musik ihre Eigenheit. Und ausserdem: ich hasse es eigentlich, in Bands zu sein (lacht auf)…es ist hart, es ist wie verheiratet sein mit fünf Leuten…aber wir werden definitiv weitermachen.“ Trotz aller charmanten Transparenz und dem nahezu erfrischend naivem Gestus wirkt das Album etwas zwiespältig. Warum 2003 Gitarrenpop hören, der wannanders schon längst und dann auch noch besser gemacht wurde? Einiges klingt nach dem C-86er-Pop, der Mitte der 80er Songwritermodell war und durch „Sun“ ein unschuldiges und garantiert unkalkuliertes Revival erfährt. Doch zu dieser Zeit hörte Ambarchi nur Free-Jazz, Weichspüler wie die „Pastels“ kennt er auch heute nicht. „Wir wollten nicht clever sein“, so Ambarchi zu möglichen Parallelen. „Ich wollte mich vor allem von der Avantgarde wegbewegen. Ich mag es, mich auf eine Sache zu fokussieren und nicht zu viele Informationen zu haben.“ Vor allem die intimen und knarzigeren Momente des Albums wie das Schlusstück „It’s not real“, auf dem Townend eine mondän-abgedunkelte Slidegitarre spielt, sind es wert, dass man sich „Sun“ intensiv anhören sollte.

Abschliessend noch einige Worte zu Ambarchis Stellung in Australiens derzeitiger Experimental- und Improv-Szene, die für ihn immer noch ein Problem ist. Er hostet seit 1994 Australiens einziges (und naturgemäß) wichtigstes Musikfestival ausserhalb des Mainstreams: „What is Music?“, wo sich zB. die Boredoms mit Jad Fair treffen. Hier macht Ambarchi alles, von der PR zur persönlichen Musikerbetreuung. Das Festival bietet fünf Konzerte in einer Nacht, und das nonstop in 21 Tagen (für Interessierte: www.whatismusic.com). Woher er die Zeit und Energie für alle seine musikalischen Aktivitäten nimmt, ist eine berechtigte Frage. Ambarchi arbeitet noch in einem Plattenladen, den er mit experimenteller Musik versorgt, und unterrichtet zwei Klassen der Universität Sydney (freie Improvisation und die Geschichte der konkreten und elektronischen Musik), zusätzlich konzipiert er mit Brendan Walls ein TV-Programm für experimentelle Musik auf dem nationalen Sender SBS. Sun Ra, Masona, Voicecrack, das Duo Gcattgcctt (= Martin Ng und Matthias Gmachl von Farmers Manual) oder Sue Harding aus Sydney, die Kompositionen für Nadeldrucker schreibt, zusammen in einer Sendung, einmal die Woche für eine halbe Stunde, und zwar Samstag nacht um 23 Uhr – eine undenkbare Vorstellung? Für Oren Ambarchi Realität.

s/t“ von SUN ist auf STAUGOLD erschienen, mit Remixen von Mapstation, Pluramon, Rafael Toral und Oren Ambarchi.

(Jazzthetik)

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