Joseph Suchy

AKKUSTISCHER ASTRONAUT AUF DER SUCHE NACH PARADOX UND MONSTERWELLE

Einer der bemerkenswertesten Gitarristen aus diesem Land ist der zwischen Improv, Elektroakustik und Gitarrenforschung agierende Joseph Suchy. Gerade sitzt er in seiner kleinen Kölner Dachgeschosswohnung vor dem Computer, den er seit einiger Zeit seiner Klangausrüstung eingefügt hat, auf der Suche nach dem verlorenen File. Die in letzter Zeit bockige Software hat nämlich das letzte Klangkonstrukt verschluckt, doch anders als andere weint Suchy dem keine Träne hinterher, dazu ist er einfach mehr Musiker als Klangingenieur. Er macht prinzipiell keine Backups, und wenn etwas verloren ist, wird es halt noch mal neu gemacht. So erneuert sich der Musiker stetig und bleibt zugleich der Musik auf der Spur. Suchy ist entspannt, humorvoll und gelassen.

Musik ist eine Möglichkeit

In Köln lebt Suchy seit 1997. Es ist keine große Liebe: unverschämt teuer hier, absolut miese Lebensqualität, die Luft eine Katastrophe, das Bier schlecht…jeder, der das nicht einsieht, ist im Endeffekt selber schuld, so Suchy lachend. Macht seine Musik und ist froh, wenn er wegkann, und das relativ oft. “Ich fühl mich am wohlsten, wenn ich unterwegs bin. Dieses Jahr waren’s schon 60 Konzerte, weltweit, aber in verschiedenen Formationen.“ In Japan u.a. mit Jaki Liebezeit mit Bernd Friedmanns „Nu Dub Players“ auf Tour, mit Eckehard Ehlers live spielen, mit FX Randomiz dessen Soloplatte machen – Suchy spielt gern und oft, aber: „mittlerweile muss was rumkommen, ich tu nicht mehr draufzahlen. Das Musikerdasein ist für mich nicht Sinn und Zweck des Lebens, sondern etwas, was ich gern mach, wie zB. Kochen…“ Musik ist eine Möglichkeit. Wie Astronaut sein, das wollte er früher mal. Jetzt ist Suchy akustischer Astronaut und erkundet sehr bodenverhaftet Klangkosmen. Früher hat er in Bamberg Soziologie bei Ulrich Beck studiert und hätte mit Ende 20 auch eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen können: Assistent an der Uni, Doktor, Professur, das hätte ihm auch Spaß gemacht, aber irgendwann muss man sich entscheiden. Jetzt ist Suchy natürlich gefangen in der Musik, aber nicht so, als dass er nicht jederzeit wieder aufhören könnte. „Es macht Spaß, und es muss auch ein paar Leute geben, die Musik aus dem Herzen machen.“ Suchy hat offenes Interesse am konkreten Material, der zeitgemäße „Industriedesign-Sound“ in der Musik ist ihm total zuwider. Bei Produktdesign oder Marketingkampagnen sei das kommerzielle Ziel der Verwertung klar, bei Musik aber stört ihn das. Man kommt nicht wirklich zu den interessanten Dingen. Horror, wie sich heute alle Bands wieder reformieren und auf jung machen, sagt er, Wahnsinn auch beim Moerser Festival: solche Bands hätten auch 1978 spielen können. Suchy regt sich auf, aber er lacht stets dabei.

Der unüberzeugte Einzeltäter

So klärt sich das Bild von ihm: seine Intention ist hochintensiv, aber er geht mehr aus einem ehrlichem Forschungsinteresse als aus künstlerischer Besessenheit daran. Suchy ist im wahrsten Sinne ein akustischer Forschungsreisender. Geboren in Ludwigsburg, aufgewachsen in der Oberpfalz im Altmühltal, das Anfang der 60er eines der ärmsten Landstriche war („heute eines der reichsten“), auf dem Bauernhof der Großeltern, bekam er Ende der 60er ein Schulstipendium, das ihn auf eine Internat-Klosterschule führte. „Ein Schock fürs Leben, aber gut, denn dort kam ich zur Musik in Form von Geige und später Gitarre, sonst wär’ ich nie dahingekommen.“ Vorher gab’s als Einfluß nur die komischen Geräusche von Peter Thomas „Raumpatrollie“-Soundtrack im TV und ab und an kam Herr Hendrix aus dem Radio. Pop musste noch gesucht werden damals. 1976 war die Schule aus. Suchy studierte, nahm sich Auszeiten, reiste nach Asien, lernte Musik kennen, kam wieder, sog das „Zündfunk“-Radioprogramm regelrecht ein, fuhr später vor allem auf arabische Rhythmik und Metrik ab und spielte viel mit Perkussionisten zusammen. In Bamberg gab es eine relativ gute Szene, doch musikalisch war er damals vor allem alleine unterwegs, relativ berüchtigt als „der mit der Akustischen und dem Verzerrer“. Suchy spielte zwar gerne in Bandprojekten, war und blieb aber vor allem der unüberzeugte Einzeltäter, der stets auf der Suche war. Auf der Klampfe brachte er sich autodidaktisch alles bei und konnte schließlich alles spielen, egal ob Al di Meola, Pat Metheny oder den gesammelten Hendrix. So fing er an, Unterricht zu geben, übersetzte das damals einzige Gitarrenlehrbuch aus dem Englischen und gab das weiter. Ab da kam er dann vollends in den Gitarrenkontext, entdeckte die intervallischen Zuordnung von Harmonien und Tönen, ergründete den Unterschied von Ton und Geräusch und fing an zu forschen. Parallel dazu entwickelte er ein großes physikalisches Interesse, um über esoterisch-ideologische Harmonielehren hinauszugelangen.

Searching for the Freakwave

Gleich ob Wahrnehmung oder systematisches Denken in der Musik, man kann das letztlich alles vor zwei Hintergründen betrachten: dem physikalischem oder dem sozioökonomischem Zusammenhang. Die Basis ist immer ein sehr hoher Abstraktionsgrad an Theorie, dazu kommt dann der sozialpsychologische Faktor, das Gehör, die eigene Gewohnheit: krummes wird irgendwann harmonisch und gerade.“ Für Suchy ist das Sprechen über Musik schwierig, die Frage ist, wie man überhaupt über Musik reden kann, und da, so findet er, sei eine physikalische Basis sehr toll. Fragen nach Ausdruck oder Ästhetik und auch sein eher individualistischer Ansatz kann er damit sehr wohl mit physikalischen Begebenheiten erklären. Er tut dies am Beispiel des Naturphänomens der Monsterwelle: diese trete durchaus, jedoch sehr selten, auf dem Ozean auf. Doch seitdem dieses außergewöhnliche, unvorhergesehene und kaum zu erwartende Phänomen physikalisch berechenbar geworden ist, ist der Begriff der „Freakwave“, so der Fachbegriff, eine Metapher für Suchy für das, was bei einem Konzert zu erreichen ist: ein wahrnehmungsveränderndes psychedelisches Erlebnis mit Überraschungseffekt. Dieses Synonym bringt für ihn mehr zum Vorschein, als wenn er über eine geometrische Struktur in der Musik redet, oder ganz banal, einen Rausch. Für Suchy ist die Freakwave ein ziemlich klarer Begriff, auf den er hinarbeitet: sie kann passieren, muss aber nicht. Instrumentarium und Personal hingegen sind dabei völlig banale Nebendetails.

Paradoxe Zustände

Ende der 80er war Suchy immer noch in Bamberg und jammte mit den Abiturienten Jan Werner und FX Randomiz. Die zogen bald nach Köln, Suchy fuhr auch immer wieder dorthin, machte Urlaub mit Singleaufnehmen, und spielte im heimischen Frankenland noch Gitarre in der Jazzcore-Frickel-Band „Metall-Assemblague“. Doch ein Musiker starb bei einem Unfall, so löste sich die Band auf, bei der er sonst, wie er sagt, geblieben wäre. Schließlich zog er selbst nach Köln, er wollte bei seinen Leuten sein. Ob a-musik, Sonig oder Staubgold, die Protagonisten waren ihm vertraut, und er musste sich nicht mehr vorstellen. Mit Felix Klopothek und Simon Görtz teilte er die Vorliebe zum Improv und gründete mit ihnen das Label „grob“. Vier Jahre Labelaufbau, vom Coverfalten bis zum Vertrieb, dann überwog bei Suchy der Hang zum Musikmachen, und er konzentrierte sich nur noch darauf.

Klang ist immer Zuordnung von Punkt A zu Punkt B. Für die intervallische Zuordnung der einzelnen Strukturen suche ich mir auf der Gitarre eine Stimmung. Das ist tatsächlich ein sehr logisches Verhältnis. Das sind Basisverhältnisse, konkrete Vorgaben wie der Raumklang hingegen werden oft überschätzt. Man muss sich beim Musikmachen immer den technischen Möglichkeiten unterordnen. Was aber im Endeffekt rauskommt, der künstlerische Prozess also, entwickelt eine Eigendynamik, die unberechenbar ist.“ Joseph Suchys musikalisches Ziel ist nichts weniger als die Neuinterpretation dieser Dynamik und vor allem das Erreichen paradoxer Zustände darin. Alles Eindeutige, Klare und Offensichtliche interessiert ihn nicht, daher auch die Affinität zum Improv, dem Prozess des Nichtvorhersehbaren. Weg vom Stromlinienförmigen, fordert Suchy, wenn er sich die Ausbildung heutiger Musiker ansieht: „das Beharren auf dieser idiotischen Zuordnungsstruktur, was ist das für eine Fähigkeit, die da gelehrt wird? Das wichtigste ist vielmehr, sich von Vorhandenem zu lösen. Man darf nie versuchen, zu kopieren, man muss den Mut aufbringen, zu sagen: hier bin ich! Und das gilt auch für die Improv-Musik, die mittlerweile schematisch zu vorbelastet ist.“

Reise in die Wirklichkeit

Angesichts des neuen Albums „Calabi.Yau“ hinterfrage ich den vorbelasteten Begriff des Trance. „Das hat immer was religiöses“, so Suchy dazu, „und das ist problematisch. Musik kann helfen, ein gutes Dasein zu führen, sie hilft, abzulegen, das Gehirn zu öffnen. Musik ist direkter als z.B. Literatur, erweitert unbewusster.“ An das Beste von ihm kann er sich aber tatsächlich nicht mehr erinnern, und will es auch nicht wiederholen, sagt er, sein Indiz dafür, dass es gut war. Und für die Dialektik von Konstruiertheit und Intuition? Suchy tendiert bei aller Reflexion auf jeden Fall zu Letzterem: einige Stücke auf „Calabi.Yau“ haben so ihren Ursprung genommen, und dies konnte der versierte Gitarrist Suchy dann nicht mehr nachspielen. Er versteht seine Musik dann selber nicht. „Calabi.Yau“ wirkt psychedelisch in seinem Konstrukt schwebend-fragiler Zustände. Die untrennbare Verwebung akustischer und elektronischer Texturen, so Suchy, bewirke diesen Effekt. Die Musik sei jedoch keine Reise, sondern ein Erlebnis, ein Wahrnehmungserlebnis, grenzt sich Suchy von jeglicher Hippie-Rethorik ab. Man soll zuhören, denn das Aufeinandertreffen von paradoxen Konstellationen generiert in der Musik einen dritten Weg, der es dem Zuhörer überlässt, einen eigenen Weg zu entwickeln. Suchy schätzt die Hippie-Psych-Assoziation nicht, obwohl er aus dieser Generation stammt. Für ihn ist die Wirklichkeit der außergewöhnliche Zustand, und das Paradoxon der Urzustand, aus dem wir uns jeden Tag neu erschaffen müssen.

Was anstatt von Musik?

Kochen würd’ ich noch gerne. Das finde ich super. Die gleiche Intention wie bei der Musik. Es gibt kein Rezept, die Zutaten sind immer neu, und man muss immer auf der Kante sein, wie bei der Musik…ein gutes Konzert muss immer auf der Kante sein, in Gefahr, dass es möglicherweise abstürzen kann…“

Ausgewählte Diskografie mit Anmerkungen:

* 42 locos / Suchy&Randomiz&Werner / 7“ / gefriem / 1992 (Kleines unspektakuläres Teil zwischen naseweis-klarem Neoindustrial und weitsichtigen Collagierungen. Erste Verwebungen von Elektronik und Mechanik.)

* Metall-Assemblague: Jazzcore meets the freestyle school / CD / P&C / 1993 (Humoriger Frickeljazzcore im Stil von Universal Congress Of und härterem…)

* Joseph Suchy – Smiile / CD / Grob / 1999 (Radikaler elektronischer Gitarrenimprov, brachial-kompromissloses Einzelteil, weg von Ton und Harmonie. Teilweise live im Berliner Podewil)

* Joseph Suchy – tau / 7” / Tonschacht / 2000 (Wall-Of-Sound und Fokus auf einzelne Mauersteine…Geweb und Fels einer Gitarre…)

* Joseph Suchy – entskidoo / CD und LP+7” / Entenpfuhl / 2001 (Die extensive Fortsetzung davon: die mehr expressive Suchy-Art, die nach Außen geht, aber die Mechanik des Mikrokosmos deutlich erfahrbar macht)

* Joseph Suchy – Canoeing Instructional / CD / Whatness / 2001 (Suchys hypnotisch-intensives Spiel auf einem mit Saiten bespannten Kajak der Berliner Künstlerin Kirsten Pieroth…u.a. ein orientalisches Wurzelziehen…)

* Joseph Suchy – Calabi.Yau / CD und LP / Staubgold / 2003 (Fragil verwebter elektroakustischer Traum in non-linearer Bewegungen, die jederzeit die Türen des Paradoxons öffnen können. Der Titel entspricht auch Suchys Vorliebe für die Physik: zwei Wissenschaftler, ein Engländer und ein Chinese, die derzeit die grosse M-Theorie der Quantenphysik entwickeln und nicht weniger als eine physikalische Theorie des Universums entwerfen…die Tracktitel entstammen einer melodischen Fantasiesprache, Suchy mag Titel nicht sonderlich…)

(Jazzthetik)

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