Exercising Ghosts: Eine eigene Ästhetik ohne eigene Moral.

Die Ausstellung „Zurück zum Beton“ zeigt: Punk hat keine Zukunft.

Punk ist im Museum angekommen – Gottseipunk! Endlich können wir „Wir lassen den Punk im Museum, denn da gehört er hin!“ schmettern. Denn schliesslich nervt uns Punk schon im Alltag genug: hier Punk, da Punk, alles Punk. Der Typ, der da hinten salbadernd in die Ecke reihert – Punk! Thurn und Taxis in der Talkshow – Punk! Der Oberbürgermeister, der die Ausstellung eröffnet – Punk! Das Wasser, das aus der Leitung kommt – Punk! Keiner weiss, was Punk ist, denn es gibt logisch auch hier keinen Essentialismus, und jedeR hat eine eigene Definition und einen Begriff davon. Das war schon damals so, das ist auch heute so. Eine Mille klauen – Punk. Eine Mille auf den Kopf hauen – Punk. Eine Mille verbrennen (KLF R.I.P.) – Punk! Punkrock für Manager – aber sicher doch Herr Lamprecht! „Nutzen sie die Power und die Strategie der Rebellion für ihre effektive Geschäftsidee.“ Oder auch schön: die Selbstdefinition des englischsprachigen „Modefanzines“ 032c aus Berlin: „Die Grundidee war, etwas zu machen, was wie ein Punkrock-Fanzine aussieht, das Dieter Rams (legendärer Chefdesigner der Firma Braun) gestaltet hat.“ Oder die zigtausend Verweise, wie sehr Punk dieser und jener Jungschauspieler ist, oder Produkt X oder Ware Y oder irgendein anderes Konstrukt Marke „Die neuen Wilden“. Alles bekannt und gegessen. Aber nicht verdaut, wie immer. Vielmehr ausgekotzt und brutal schnell ausgeschissen. Punk halt…alles Punk? Nicht wirklich…Punk ist vielleicht, jetzt im nächsten Moment dieses „Terz“-Heft hier der alten Oma vor dir in die Hand zu drücken. Oder dem Typ, der schon seit 4 Stunden in der Altstadt hockt und immer noch nicht mehr als 32 Cent in seinem Plastikbecher hat, einen Stift in die Hand zu drücken und sagen: „Das ist deine neue Waffe.“ Oder diese Lebenssituation, die Dich genau jetzt und schon immer extrem genervt hat, endlich zu verlassen.

Bis zum 15.9.2002 ist in der Kunsthalle Düsseldorf noch die Ausstellung „Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977 – 82“ zu sehen. Das zuerst: die Hausaufgaben sind gemacht worden. Größtenteils basiert das ausgestellte Material – Flachware in Form von Fanzines, Fotos und Covern, Filme und Videos und Musikinstrumente – und die geschichtliche Aufarbeitung auf Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende deine Jugend“. Das Buch, eine fast 400 Seiten dicke geschickt selektierte Ansammlung von O-Tönen von Ex-Protagonisten, ist überall im Mainstream abgefeiert worden, natürlich auch gerade im reaktionären Rolling Stone. Dessen Ex-Chefred Jörg Gülden, damals ein notorischer Punk- und Neue-Welle-Hasser und auch sonst ein Loch, wird u.a. von Teipel im Vorwort gedankt – Nachtigall, ick hör dir trapsen. Irgendetwas stimmt hier nicht, erste Antennen beginnen zu funken: Vorsicht, Störfall. Auch sonst nur Lob für Teipels-Buch: die Feuillettons überschlagen sich, kulturindustriegesponsorte Superfanzines wie „Intro“ geilen sich natürlich – kritisch-politisch, versteht sich – wieder an den tollen Kriegstagebuchgeschichten und natürlich den „geilen Viten“ der ange(sc)himmelten Pop-Protagonisten auf (denn so aufregend dürfte das eigene erbärmliche Schreiberdasein wohl niemals werden), und auch sonst schmiert der Overground dem Punkrock-Maul jede Menge Honig um den kilometerlangen Bart, denn da ist nun mal heute nichts mehr totzumachen. Im Gegenteil: willst Du einer kulturellen Bewegung endgültig den finalen Todeskuss geben, stell sie doch einfach ins Museum.

Dabei ist die Geschichte von Punk vor allem ein Missverständnis, und das ist sie logisch auch heute noch, und da hilft auch die Düsseldorfer Ausstellung, die so schöne Dinge zusammenträgt, nicht unbedingt weiter. Punk wurde und wird in der Regel mit „Nonkonformität“, „Nichteinverstandensein“ oder gar gleich „Rebellion“ konnotiert. Dabei ist und war Punk vor allem ein ästhetischer Aufstand, ein klassich pubertärer Aufstand in der Lebenswelt, und erst dann lässt sich schauen, was denn da an gesellschaftlichem Restmüll übriggeblieben sein mag. Schon in England erfuhr Punk hauptsächlich seine Verbreitung über medial inszenierte Imagestrategien, die heute allerorten explizit und mehr denn je als solche kenntlich gemacht werden (herrlich letztens: „Clash“’s Joe Strummer, der seine ganze „politische“ Vergangenheit als Missverständnis bezeichnete). In Deutschland ist Punk fast ausschliesslich von „oben“, also durch die Medien, inszeniert und bekannt gemacht geworden, daraufhin erst gründeten sich Bands und Leute fingen an, so wie die Leute auf den Fotos rumzulaufen. Die paar Checker und Neunmalkluge, die stets auf der Suche nach dem neuesten Kick waren – die Düsseldorfer Sektion wurde ja gerne aus den eigenen Reihen als „Schicki-Elite“ denunziert, so von „DAF“-Gabi Delgado – fungierten hier als eine Art frühe Trendscouts. Dabei wird vor allem auch durch die Lektüre von Teipels Buch noch einmal sehr schön deutlich, wie sehr damals die Provokation zum Automatismus und wie fix sie zur neuen Zwangsjacke und Uniform wurde. „Amtlichkeit“, gepaart mit Spezialistentum, Besserwisserei, Mode und die üblichen In- und Exklusionsspielchen prägten damals die Szene, und diese subkulturindustriellen Mechanismen prägte dann zwei Dekaden später die elektronischen Szenen der 90er als eine Art Punk-Reprise genauso: erst white-labels for those who know, no more heroes, Anonymität, rigorose und strikte Regeln in einer angeblich doch so freien Szene (natürlich notwendig für deren Konsolidierung…), jede Menge Amtlichkeit und die dazugehörigen Kunstwarte, und dann, wie immer, die schamlosen und grossen, aber auch szene-internen Abräumer. Danach Katzenjammer. 25 Jahre später Genickschuss durch Museum.

Trotzdem war damals etwas ein wenig anders, noch nicht so ausgeprägt und perfektioniert wie heute in Kulturindustrieland, und das zeigt sowohl Buch wie auch Ausstellung. Zwar gab es auch damals die Sucht nach dem „next-big-thing“, aber nicht diese aktuell sicht- und erfahrbaren hysterischen Pre-Set-Hypes einer omnipräsent gewordenen Popkultur, die man heute, anstatt sie suchen und verteidigen zu müssen, mit imperialistisch-brutalem Terrorcharme des Selbstverständlichen überall vorgesetzt bekommt. Zu Punkzeiten gab es noch konkrete Fronten und Gegner, während man sich heute regelrecht danach sehnt. Deshalb sind Begriffe wie „Punk“, „Underground“ oder auch „Fanzine“ auch so inhaltsleer und unbedingt als gefährlicher medialer Restmüll zu entsorgen. Heute tritt selbst der härteste „Underground“-Willi mit dem Wunsch an, in die „dicken und grossen“ Mainstreammedien zu kommen. Der Unterschied zu damals ist eben, dass die Punk-Protagonisten der ersten Stunde sich vor allem auch klarer und durchaus ernstgemeinter abgrenzten – und zwar nach oben: die Plattenindustrie wurde klar als Verräter angesehen, der Spass und die eigene (kleine) Lebenswelt stand im Vordergrund. Heute ist dieses „Verdikt“, wenn es denn mal auftaucht, blosse Imagestrategie. Kulturindustrie ist nun einmal pure Mechanik, und die Inhalte, die in ihren Zwischenräumen verhandelt werden, sind Teil dessen, sozusagen ihr Schmieröl. So werfen in der aktuellen „Intro“, wo man die Mechanisierung von Inhalten und die Verwertbarmachung von „Leidenschaft“, „Fan-Obsession“ und anderen Münzwerten der Kulturindustrie am besten beobachten kann, die direkt mit der Musikindustrie vernabelten Redakteure jungen Fanzinemachern in einem Roundtable vor, sie würden keine radikalen Themen mehr suchen und finden. Wer hier jedoch mehr Integrität fordert, geht hilflos den Distinktionsspielchen, Polit-Codierungen und -überzuckerungen der professionalisierten Musikfanpresse auf den Leim, die jeden Atemzug – oder Pesthauch, ganz nach Gusto – der Kulturindustrie als politisch, brisant oder subversiv darstellt. Derzeit verkauft auf lange Sicht nichts so gut im Independentmusiksegment wie politisch codierte Popmusik. Subkultur und Mainstreamkultur sind, das ist eine Basis für die Betrachtung jeglicher Popkulturphänomene, nun einmal zwei sich einander bedingende Seiten einer Medaille, und das war auch schon zu Punkzeiten so. Die Ausstellung wie die Aufbereitung im medialen Mainstream hingegen ist Ausdruck einer künstlich angeheizten Sucht nach einer lustvollen Authentizität und Unmittelbarkeit jenseits des Pre-Set-Funangebote der Freizeitindustrie, die nicht nur die reale Lebenswelt der an den Hyperkapitalismus angekabelten Menschen, sondern sogar deren Sedierungs-Kultur schon lange verloren hat. Ein letztes Aufbäumen eines archaisch wirkenden Pop, sozusagen. Dagegen wirken heutige Popkultur-Rebellionsmodelle natürlich besonders konstruiert, handzahm und zu jeglichem Distinktionsgewinn gegenüber Erziehungsberechtigten untauglich (jetzt kommen die Unverbesserlichen und krächzen: „Aber Heavy Metal…“. Geht spielen.).

In einer Spex-Ausgabe aus der Mitte der 80er Jahre stand, ich erinnere mich vage, ein Bericht von jemandem, der eine Erkundungstour nach Düsseldorf gemacht hatte, um nach dem state-of-the-deutschpunk-art zu suchen. Er schrieb, so müsse sich Heinrich Schliemann vorgekommen sein, als er die versunkene Stadt Troja entdeckte: nichts mehr war von ihrer einstigen Grösse zu sehen und zu spüren. Nu je, fraglich, ob diese „Grösse“ je bestanden hatte oder nicht gerne herbeigeschrieben wurde. Welches Bild die Ausstellung dazu macht, muss wirklich jedeR selbst entscheiden. Ist das nun verkitschte Geschichtsklitterung, was da aktuell im Bezug auf Punk betrieben wird? Das könnten vielleicht vor allem die ehemaligen Protagonisten am besten beschreiben, doch auch die sind natürlich vor ihrer eigenen Nostalgia nicht sicher. Punk in Deutschland stellte sich ihnen schon ein Jahr später als starre Bewegung dar, und das zeigte sich nicht nur an den vielgeschmähten „Arschlappen“-Punks (die heute nicht in Kunsttempeln hängen oder spielen, sondern nach wie vor, völlig unhip, die Domplatte putzen und dort den Repressionen eines kontrollversessenenen Staates ausgesetzt sind), sondern auch im Denken über Musik. Das ist leider heute noch in vielen sich als emanzipatorisch verstehenden Kreisen so: Musik, die einen rebellischen, ja gesellschaftlich-politischen Anspruch haben soll, muss, so die Regeln, so und so klingen: hart, laut, kantig etc. – hier ist vieles leider immer noch nicht konsequent durchgedacht worden. Hier ist Punk natürlich eine Haltung, die sich selber stetig de-territorialisieren muss, ohne in ihrem Nomadentum zwanghaft, prätentiös oder beliebig zu sein. Hier kann Punk damals wie heute natürlich das Ding sein, gegen den leidlich bekannten besserwisserischen Starrsinn, der sich selbst irrtümlich als letzte Konsequenz verklärt, in Wahrheit jedoch nurmehr radikale Esoterik ist, pöbeln zu können und eine kleine feine Waffe zu sein. Punk also als Strategie, und nicht als existentielle Identifikationsfalle. Eine andere Sache ist natürlich „Punk als Lebensform“ – aber da sind wir wieder bei den Domplatte-Arschlappen, und die haben in der Kunsthalle, in der es um Kunst und nicht um Leben geht, logisch nix verloren. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass Punk heute vom rechtsliberalen Mainstream gerne okkupiert und instrumentalisiert wird, um pauschal gegen das Engagement für konkrete Menschen in konkreten Situationen zu wettern und zu stänkern: gegen Linke, Müslis, 68er Labertaschen, moralinsaure Spassverderber etc etc (also die alten klassichen Feinde der Punkzeit) – die haben logisch weder Stil noch Peilung, und so passt sich Punk, x-mal frisiert und mittlerweile schick hochgeföhnt, gut dem medialen Mainstream an, wo noch alle konkreten Aufstandsversuche gegen die scheinbar unangreifbare Selbstverständlichkeit der Macht zu witzigen Modeerscheinungen umtransformiert wurden, so dass deren ursprüngliche Kraft und Intention bequem komplett in soziale Soapoperas absorbiert wurde. Wer denkt, Punks haben in einem langen Marsch durch die Institutionen die Gesellschaft zu einer besseren gemacht, der sehe sich nur das Beispiel des „Punks“ Ben Becker an – seine Aussagen in Teipels Buch sind bezeichnend für den Status Quo des Ganzen. Die Düsseldorfer Ausstellung ist eben genau darum zu empfehlen, um nämlich zu erleben, wie und wo bestimmte gesellschaftliche Impulse letztendlich ankommen.

Drei spontane Gedanken aus der Ausstellung:

  1. Gut, dass das vorbei ist!!!

  2. Das sind die nächsten, die dran sind (nach den 68ern).

  3. Damals war auch öde.

Viel Spass!

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