Hipnosis

LEUTEN AUS DER LOUNGE HELFEN

Für Jackie McLean, wir erinnern uns, schrieb dessen Posaunist Grachan Moncur III 1967 dieses wahnsinnige Elf-Minuten-Ei „Hipnosis“. Heuer haben unter diesem schönen Namen fünf junge Münchener Jazzmusikanten auf „Perfect Toy Records“, dem dortigen Label des engagierten Groove- und Jazzliebhabers Markus Hacker, ihre erste Platte mit dem sinnigen Namen „Jazz“ veröffentlicht. Das bereits seit drei Jahren existierende Projekt ist ein authentisches Abbild der jungen Münchener Jazz Szene, mit Personalwechseln, wie das nun mal so ist, so Initiator, Hauptkomponist und Kontrabassist Jerker Kluge, seit 1 ½ Jahren aber spielt man, obwohl jedes Bandmitglied noch diverse Nebenprojekte verfolgt, konstant in fester Fünfer-Besetzung. Da wäre Drummer Martin Kolb, der mit Liquid Loop auch noch ein Weilheim-kompatibles „Jazz-meets-Frickel-Electronic“-Projekt am Start hat und, nebenbei bemerkt, Komponist und Produzent der Filmmusik für Doris Dörries „Nackt“ war. Tastendrücker Ralph Kiefer hingegen arbeitet mit der Sängerin Dita von Aster an dem fast-schon-Pop-Projekt „Mokadi“, um einen Gegenpol zu seinen häufigen Solo-Jazzpiano-Auftritten zu haben. Der häufig im Big-Bandbereich, aber vor allem auch mit diversen Avantgardeprojekten äußerst umtriebige Posaunist Gerhard Gschlößl dann ist ein landesweit sehr gefragter Sideman und in München bekannt wie ein bunter Hund, ob bei „Der Moment“ oder der verblichenen Kultband „Jäger 90“ (u.a. mit Saxlegende Harry Saltzman), mit Martin Kolb wiederum spielt er ganz straight ahead in dem stark Mingus-beeinflußtem Sextett „Music Liberation Unit“. Altsaxofonist, Klarinettist und Flötist Wanja Slavin ist erst 20, laut Kolb schon ein „junger Star“, und in seinem gleichnamigem avantgardeverliebtem Sextett, man hätte es ahnen können, mischt auch Gschlößl kräftig mit. Bleibt noch Bandleader Kluge, der „Hipnosis“ als sein Hauptprojekt versteht, aber auch als Sideman in diversen Bands von klassisch bis free unterwegs ist. Alles untereinander verbrüdert und verschwestert also, “wie das halt in München so ist“, weiß Kluge, und „muss man ja“, ergänzt Kolb, „um überhaupt davon leben zu können. So viele Gigs kann man gar nicht machen, und so gut sind die auch nicht bezahlt“, und bei fünf studierten Jazz- Cracks ist das ein Zustand, der natürlich geändert werden muss. So will „Hipnosis“ all die unterschiedlichen Einflüsse und Interessen seiner Mitspieler vereinigen, Klammer für die Band aber ist die gemeinsame Liebe zu dem „wahnsinns“ Jazz-Sound der 60er Jahre. Man spielt soweit es geht auf Originalinstrumenten und akustisch, um diesen spezifischen klaren und druckvollen Gesamtklang hinzubekommen. „Schon eine Rückbesinnung“, so Kluge, „aber dazu kommt, dass jeder seine eigenen Kompositionen aus den ganz eigenen Einflüssen heraus schreibt. Wir versuchen nichts zu kopieren und spielen keine Standards, sondern nur Eigenkompositionen.“ Wohl wahr, schließlich ist mit Charles Davis „Half and Half“ nur eine einzige Fremdkomposition auf der Platte. „Hipnosis“ besinnt sich auf die mitunter tanzbarste Phase des Jazz, zumindest die groovigste, aber auch, dass der Jazz da frei geworden ist, sei laut Kluge Anknüpfungspunkt. „Und gerade die beiden Richtungen versuchen wir zu vereinen. Leute, die Jazz nicht gewohnt sind, kann man live durchaus harte Kost anbieten, durch den Groove und die packende Energie der Bassline finden sie dann rein.“ Und das nicht unbedingt nur im klassischen Jazz-Club wie der Münchener „Unterfahrt“, sondern im zeitgemäßen Dance-Club, „wo die Leute es gewohnt sind, eher so einen langweiligen Bossa-Nova-Elektro-Kram zu hören“, so Kolb. „Dann kann man da richtig Jazz spielen, und das Publikum spürt die Authentizität und findet es trotzdem gut.“ Mittlerweile spielt „Hipnosis“ einmal im Monat im Prager Frühling, der ehemaligen Babalu-Bar, hat dort ein tolles Trainingsfeld und bekehrt so ganz nebenbei Lounge-verseuchte junge Menschen zu den real roots of Jazz. Schöne Sache das, aber der wenig originelle Plattentitel…ging da nicht ein anderer? „Das ist ein bisschen provokativ aufs Auge gedrückt“, erklärt Kolb diese ganz bewusste Naivität, „und soll zeigen: Jazz war nie weg, ist total aktuell und nach wie vor eine der wichtigsten und kreativsten Musikformen.“ Euer Wort in des Publikums Ohr, you hipnotic Cats, and…play on!

Hipnosis: Jazz (Perfect Toy Records / Groove Attack)

(Jazzthetik)

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