A Reminiscent Drive

AMBROSIA

Welch ein klassisches klischeereiches Künstlerschicksal: Jay Alanski hat ein kleines Studio in einem kleinen Appartment auf dem Pariser Kleinkunst-Hügel Montmartre und produziert dort seine Musik auf einer 8-Spur-Maschine. Das wäre nicht weiter aufregend, aber Alanski ist nicht irgendein verträumter Schlafzimmeravantgardist, sondern war in seinem Leben bereits ein erfolgreicher Songwriter mit zwei Solo-Alben, zudem Produzent, Arrangeur und Videoregisseur vieler französischer Pop-Künstler – in einem Interview verriet er mir sogar, dass er ganz früher seine Finger in dem gallischen Plastik-Punk-Projekt „Plastic Bertrand“ dringehabt hätte-, der für sein Wirken bereits mit vielen Preisen und goldenen Schallplatten ausgezeichnet wurde. Das aber ist wirklich unwichtige Geschichte von Gestern. Denn schon sein 97er Album „Mercy Street“ und eine formidable 12″-Reihe zeugte von einem unglaublichem Gespür und Verständnis für eine kompakte spirituelle Auslegung von Musik, die schwingte, sanft funkte und ohne jeglichen esoterischen Vibe den mitunter schönsten Ambient darstellte, der vorm Schlafengehen und nach dem Aufwachen zu hören ist. Alanski ist ein ausgefuchster Studiohase, der den popmusikalischen Produktionsprozess von A-Z beherrscht. Was aber macht er? Er erfühlt die Musik aus den Strassen der Grossstadt und den Schneisen der Seele, sieht, hört, versteht, plant, arrangiert und schaltet dann wie einst die Fab Four seine 8-Spur-Maschine an. Es gibt keinen Weg zurück hier, und fast kein digitales Aufräumen oder Zurechtbiegen der Tracks. Die scheinbar veraltete analoge Technik geht auf wie die Blüten, die Alanski gerne auf seinen Covern zeigt, um das Erblühen von Klang, Optik und Geruch auch bildlich zu erfassen. Alanski ist ein Zen-Ästhet, die sehr facettenreichen, seelenvollen und höchst unterschiedlichen Tracks von „Ambrosia“ aber werden auch die Leute zum Wundern bringen, denen ruhige, bedächtige und spirituelle Momente in der zeitgenössischen Popmusik ansonsten komplett am Arsch vorbeigehen. Denn: hier ist Staunen angesagt!

(Rolling Stone)

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